142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 123

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Sie kniete nach ihrer Gewohnheit vor ihm, um mit dem beinlosen Krüppel auf gleicher Höhe zu sein. Der Boden und die Wände dieser Räuberhöhle bestanden aus festgestampfter Erde. Das einzige Möbelstück war eine mit Leder überzogene Truhe, in der Cul-de-Bois seine vier Wämser und drei Hüte aufbewahrte. Das Loch wurde durch eine gestohlene Kirchenampel von köstlicher Goldschmiedearbeit beleuchtet.

»Du gehst in die Kneipe«, erklärte Cul-de-Bois gewichtig, »und wenn du gesehen hast, was Calembre-daine und die Polackin miteinander treiben, nimmst du, was dir grade unter die Finger kommt - einen Topf, eine Flasche -, und haust es ihm auf den Schädel.«

»Wem?«

»Calembredaine, zum Teufel! In solchen Fällen befaßt man sich nicht mit dem Mädchen.«

»Ich habe ein Messer«, sagte Angélique.

»Laß es stecken, du verstehst nicht, mit ihm umzugehen. Und um einem Gauner, der seine Marquise betrügt, eine Lektion zu erteilen, ist ein Schlag über den Schädel noch immer das beste, glaub mir!«

»Aber es ist mir völlig gleichgültig, ob dieser Strolch mich betrügt oder nicht«, sagte Angélique mit einem geringschätzigen Lächeln.

Cul-de-Bois’ Augen funkelten hinter dem Gestrüpp seiner Brauen auf. Er sprach bedächtig.

»Hast kein Recht ... Ich sage sogar: Hast keine Wahl. Calembredaine ist unter den Unsrigen allmächtig. Er hat dich gewonnen. Hast kein Recht mehr, ihn geringschätzig zu behandeln. Hast kein Recht mehr zuzulassen, daß er dich geringschätzig behandelt. Er ist dein Mann.«

Angélique überlief ein Schauer, in dem sich Zorn und dumpfte Wollust mischten.

»Ich will nicht«, murmelte sie mit erstickter Stimme.

Der Krüppel brach in ein bitteres Gelächter aus.

»Ich hab’ auch nicht gewollt, als mir bei Nördlingen eine Kugel beide Beine abrasierte. Sie hat mich nicht nach meiner Ansicht gefragt. Man muß sich eben damit abfinden, das ist alles . und lernen, auf einem Holzteller spazierenzugehen .«

Die Flamme der Ampel verriet alle Bewegungen in Cul-de-Bois’ grobem Gesicht. Angélique fand, daß er einer riesigen Trüffel glich, einem im Dunkel und in der Feuchtigkeit der Erde gewachsenen Pilz.

»Lerne also auch du zwischen den Gaunern zu gehen«, fuhr er mit leiser und eindringlicher Stimme fort. »Tu, was ich dir sage. Andernfalls wirst du sterben.«

Sie warf in einer aufbegehrenden Bewegung das Haar zurück.

»Ich habe keine Angst vor dem Tod.«

»Ich rede nicht von diesem Tod«, brummte er, »sondern von dem andern, dem schlimmsten, der dich in deinem Innern trifft .«

Plötzlich geriet er in Zorn.

»Du zwingst mich dazu, lauter Unsinn zu reden. Ich bemühe mich, dir die Geschichte begreiflich zu machen, Teufel noch eins! Hast kein Recht, dich von einer Polackin ausstechen zu lassen! Hast kein Recht . du nicht! Kapiert?«

Er durchbohrte sie mit einem brennenden Blick.

»Los, steh auf und geh dort hinüber! Nimm die Flasche und den Becher. Bring sie her .«

Und nachdem er Branntwein eingegossen hatte:

»Trink das in einem Zuge aus und dann geh . Schlag ruhig fest zu. Ich kenne meinen Calembredaine. Er hat eine harte Birne .!«

Als Angélique die Spelunke des Auvergnaten Ramez betrat, hielt sie schon auf der Schwelle inne. Drinnen war der Nebel fast ebenso dicht wie draußen. Der Kamin zog schlecht und füllte die Schenke mit Rauch. Ein paar Arbeitsleute saßen mit aufgestützten Ellbogen an den wackligen Tischen und tranken schweigend.

Im Hintergrund des Raums, vor dem Kamin, entdeckte Angélique die vier ehemaligen Soldaten, die Calembredaines Leibwache bildeten: La Pivoine, Gobert, Riquet und La Chaussee. Sodann Barcarole, der zwischen ihnen auf dem Tisch hockte, Jactance, Prudent, Gros-Sac, Mort-aux-Rats, schließlich Nicolas selbst mit der halbnackten Polackin auf dem Schoß, die Trinklieder grölte.

Es war der Nicolas, den sie haßte, der Nicolas mit dem scheußlich entstellten Gesicht Calembredaines.

Dieser Anblick und die Anweisung, die Cul-de-Bois ihr gegeben hatte, weckten ihren Kampfgeist. Kurzerhand nahm sie eine schwere Zinnkanne von einem der Tische, trat unbemerkt hinter Nicolas, nahm ihre ganze Kraft zusammen und schlug blind zu.

Barcarole gab ein erschrockenes »Huh!« von sich. Dann taumelte Nicolas und stürzte kopfüber in die Kaminglut, wobei er die schreiende Polackin mitriß.

Im entstehenden Tumult flüchteten die andern Gäste hinaus. Man hörte sie Mordio schreien, während die »Früheren« wild ihre Degen zogen und Jactance Nicolas’ Körper aus dem Kamin zu zerren suchte.

Plötzlich vernahm man von der Gasse Pferdegetrappel, und eine schrille Stimme rief:

»Macht euch aus dem Staub, Brüder! Der böse Feind ist vor der Tür!«

Im nächsten Augenblick erschien ein Sergeant des Châtelet mit einer Pistole in der Hand auf der Schwelle, aber der dichte Rauch und die fast völlige Finsternis in der Schenke ließen ihn kostbare Zeit verlieren. Denn schon hatten die Leibwächter den regungslosen Körper ihres Anführers in den Hinterraum und durch einen andern Ausgang davongeschleppt.

»Tummel dich, Marquise der Engel!« brüllte Gros-Sac.

Sie sprang über eine umgestürzte Bank, um ihm zu folgen, doch eine harte Faust packte sie, und eine Stimme rief:

»Ich hab’ das Banditenweib, Sergeant.«

Plötzlich sah Angélique neben sich mit erhobenem Dolch die Polackin auftauchen.

»Ich werde sterben«, dachte Angélique. Die Klinge blitzte und fuhr durch die Finsternis, und der Büttel, der Angélique festhielt, sackte röchelnd zusammen.

Kaltblütig stieß die Polackin einen Tisch zwischen die Beine der herzueilenden Polizisten, zog Angélique zum Fenster, und beide sprangen auf die Gasse. Eine Pistolenkugel klatschte hinter ihnen aufs Pflaster.

In der Tour de Nesle bettete man Calembredaine auf den Tisch des großen Saals.

Angélique trat zu ihm, riß ihm die widerliche Maske ab und untersuchte seine Wunde. Sie war bestürzt, als sie ihn so regungslos und blutverschmiert daliegen sah. Ihrem Gefühl nach hatte sie nicht so heftig zugeschlagen; seine Perücke hätte ihn schützen müssen. Aber der Fuß der Kanne hatte wohl die Schläfe verletzt. Außerdem hatte er sich beim Sturz die Stirn verbrannt.

»Setzt Wasser auf den Herd«, befahl sie.

Ein paar Burschen beeilten sich, ihr zu gehorchen. Man wußte ja, daß heißes Wasser die Manie der Marquise der Engel war, und der Augenblick war nicht dazu angetan, ihr zu widersprechen. Sie hatte Calembredaine niedergeschlagen, während selbst die Polackin es nicht gewagt hatte, ihre Drohungen auszuführen. Und sie hatte es schweigend getan, im richtigen Moment und fein säuberlich ... Da gab es gar nichts. Man bewunderte sie, und niemand bedauerte Calembredaine, denn man wußte, daß er einen harten Schädel hatte.

Unversehens erschollen draußen Fanfarentöne. Die Tür sprang auf, und der Große Matthieu, der Quacksalber-Zahnarzt vom Pont-Neuf, erschien.

Er hatte es nicht verabsäumt, selbst zu dieser späten Stunde seine berühmte gefaltete Halskrause samt seiner Kette aus Backenzähnen umzulegen und sich von seinen Zimbeln und seiner Trompete begleiten zu lassen.

Wie alle Scharlatane stand auch der Große Matthieu mit einem Fuß in der Gaunerzunft und mit dem andern in den Vorzimmern der Fürstlichkeiten. Er behandelte Dirnen und Spitzbuben aus angeborener Gutmütigkeit und um sich bei ihnen beliebt zu machen und die Großen aus Ehrgeiz und Geldgier. Er hätte bei den vornehmen Damen, die er vertraulich tätschelte und ganz nach Laune einmal als Hoheit, das andere Mal als Dirne oder Gaunerliebchen behandelte, tolle Karriere machen können. Aber nachdem er durch ganz Europa gereist war, hatte er sich vorgenommen, seine Tage auf dem Pont-Neuf zu beschließen, von dem ihn niemand vertreiben sollte. Und auf ihn hatte der Schmutzpoet ein Lied verfaßt, das die Leierkastenmänner an den Straßenecken sangen:

». Für Mensch und Tier, was auch sein Leiden sei, verordnet immer er die gleiche Arzenei .«

Mit unverhohlener Befriedigung betrachtete er den noch immer regungslosen Nicolas. »Ist ja ‘ne hübsche Bescherung. Hast du ihn so zugerichtet?« fragte er Angélique.

Bevor sie noch antworten konnte, hatte er mit fester Hand ihre Kinnbacken gepackt, um ihr Gebiß zu untersuchen.

»Nichts zum Ziehen«, sagte er verdrossen. »Gehen wir ein Stückchen tiefer. Bist du schwanger?«