142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 131

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»Du jedenfalls bist kein Fremder.«

»O nein«, sagte der Diener. »Ich bin gebürtiger Pariser. Aber ich bin nun schon drei Jahre im Dienst eines holländischen Edelmanns. Der Krieg hat mich dorthin verschlagen, ich weiß kaum mehr zu sagen, wie. Heute stehe ich zum erstenmal wieder auf dem Pont-Neuf.«

Fasziniert sah er sich um, und Angélique benützte die Gelegenheit, um in der Menge unterzutauchen.

Auf einer kleinen Bühne bemühte sich ein alter Mann mit einem Holzbein, die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich zu lenken.

»Kommt und seht euch den roten Mann an. Das seltsamste Naturwunder. Ihr haltet euch für sehr gebildet, weil ihr ein paar schwarzhäutige Menschen gesehen habt. Aber was gibt es Alltäglicheres als jene Marokkaner, mit denen uns der Großtürke überschwemmt? Ich aber zeige euch den unbekannten Menschen der unbekannten Welt, nämlich Amerikas, jenes sagenhaften Landes, aus dem ich selbst komme .«

Angélique blieb vor der Bühne stehen. Der Wind, der von der Seine her wehte, verstärkte die Vorstellung der Weite, die dieses Wort »Amerika« in ihr erzeugt hatte. Sie dachte an ihren Bruder Josselin, sah ihn wieder vor sich, wie er seinen leuchtenden und verwegenen Blick zu ihr hob, während er flüsterte: »Ich aber gehe aufs Meer.«

Der Pastor Rochefort war eines Abends gekommen und hatte sich zu den Kindern de Sancé an den Herd gesetzt, die ihn mit großen, verwunderten Augen anstarrten. Josselin . Raymond . Hortense . Gontran . Angélique . Madelon . Denis . Marie-Agnès . Wie schön sie gewesen waren, die Kinder de Sancé, in ihrer Unschuld und Ahnungslosigkeit vor den Schicksalen, die ihrer warteten. Sie lauschten dem Fremden, und seine Worte hatten ihre Herzen höher schlagen lassen.

»Ich bin nur ein Reisender, der sich nach neuen Ländern sehnt, der jene Gegenden kennenlernen möchte, wo niemand weder Hunger noch Durst hat und wo der Mensch sich frei fühlt. Ebendort habe ich erkannt, daß alles Übel vom weißen Menschen kommt, weil er nicht auf das Wort des Herrn gehört, vielmehr es verfälscht hat. Denn der Herr hat nicht befohlen, zu töten noch zu zerstören, sondern sich untereinander zu lieben.«

Angélique schloß die Augen. Als sie sie wieder aufschlug, sah sie einige Schritte von ihr entfernt, im Gewühl des Pont-Neuf, Jactance, Gros-Sac, La Pivoine, Gobert und Beau-Garçon, die sie anstarrten.

»Schwesterherz«, sagte La Pivoine und packte sie am Arm, »ich werde eine Kerze vor dem ewigen Vater von Saint-Pierre-aux-Bœufs aufstellen. Wir waren fest überzeugt, daß wir dich nie wieder zu sehen bekommen würden!«

»Das Châtelet, das Arbeitshaus oder das Spital, das waren die einzigen Möglichkeiten.«

»Falls dir der verfluchte Hund nicht die Kehle durchgebissen hatte.«

»Tord-Serrure und Prudent haben sie geschnappt. Heut früh sind sie auf der Place de Grève gehenkt worden.«

Sie umringten sie. Da waren sie nun wieder, die verwegenen Gesichter, die heiseren Säuferstimmen und auch die Ketten des Bannkreises der Unterwelt, die sich nicht an einem einzigen Tage sprengen ließen. Indessen glomm von diesem Tage an, den sie bei sich den »Tag des Heukahns« oder den »Tag des Pont-Neuf« nannte, ein Funke von Hoffnung in ihr auf. Sie wußte noch nicht, was das war, aber sie wußte, daß etwas sich geändert hatte. Es war leichter, in die Niederungen hinabzusteigen, als sich aus ihnen wieder emporzuarbeiten.

»Angélique«, flüsterte Nicolas, »Angélique, wenn ich dich nicht wiedergefunden hätte .«

»Was wäre dann geschehen?«

»Ich weiß nicht .«

Er zog sie an sich und drückte sie an seine Brust, daß ihr der Atem verging.

»Oh, hör auf!« stöhnte sie, machte sich los und lehnte die Stirn an die Gitterstäbe der Schießscharte. Die Sterne spiegelten sich im stillen Wasser der Seine. Die Luft war vom Duft der Mandelbäume erfüllt, die in den Gärten und Höfen des Faubourg Saint-Germain blühten.

Nicolas fuhr fort, sie mit Blicken zu verschlingen, und sie war gerührt über die Intensität dieser Leidenschaft, die sich nicht verleugnete.

»Was hättest du getan, wenn ich nicht wiedergekommen wäre?«

»Das kommt drauf an. Wärst du von der Polente geschnappt worden, hätte ich alle meine Leute mobil gemacht. Man hätte die Gefängnisse, die Spitäler überwacht. Man hätte dir zur Flucht verholfen. Wärst du vom Hund erwürgt worden, dann hätte ich überall den Hund und seinen Herrn gesucht, um sie umzubringen. Wenn du .«

Seine Stimme bekam einen rauhen Klang.

»Wenn du mit einem andern davongegangen wärst . dann hätte ich dich wiedergefunden, und den an-dern hätte ich aufgeschlitzt.«

Sie lächelte, denn ein bleiches, spöttisches Gesicht trat in ihr Gedächtnis. Doch Nicolas war schlauer, als sie dachte, und seine Liebe zur ihr schärfte seinen Instinkt.

»Glaub nicht, daß du mir leicht entkommst«, fuhr er in drohendem Tone fort. »In der Gaunerzunft betrügt man einander nicht, wie in der schönen Welt, aber wenn es passiert, dann stirbt man. Für dich würde es nirgends eine Zuflucht geben ... Wir sind zu zahlreich, zu mächtig. Man würde dich überall wiederfinden, in den Kirchen, in den Klöstern, ja sogar im Palast des Königs . Das ist alles aufs beste organisiert, mußt du wissen. Im Grunde mag ich das gern, die Organisation der Schlachten.«

Er öffnete seinen zerrissenen Kittel und deutete auf ein kleines blaues Mal neben der linken Brustwarze.

»Da schau, siehst du das? Meine Mutter hat mir immer gesagt: >Das ist das Mal deines Vaters!< Denn mein Vater, das war nicht dieser vierschrötige Bauerntölpel Merlot. Nein. Meine Mutter hat mich vorher von einem Soldaten bekommen, einem Offizier, einem hohen Tier. Sie hat mir nie seinen Namen gesagt, aber manchmal, wenn Vater Merlot mich prügeln wollte, schrie sie ihm zu: >Rühr den Ältesten nicht an, er hat blaues Blut!< Das wußtest du nicht, wie?«

»Du Landsknechtsbastard! Bist auch noch stolz drauf«, sagte sie verächtlich.

Er preßte ihre Schultern zwischen seinen herkulischen Händen.

»Manchmal möchte ich dich wie eine Haselnuß zerdrücken. Aber jetzt hab’ ich dich gewarnt. Wenn du mich je betrügst ... Wenn du je mit einem andern schläfst .«

»Du brauchst nichts zu befürchten. Deine Umarmungen genügen mir vollkommen.«

»Warum sagst du das in so hämischem Ton?«

»Weil man mit einem außergewöhnlichen Temperament begabt sein müßte, um noch mehr zu verlangen. Wenn du nur ein bißchen zärtlicher sein könntest!«

»Ich, ich bin nicht zärtlich?« brüllte er. »Ich, der ich dich anbete! Sag’s noch einmal, daß ich nicht zärtlich bin.«

Er hob seine wuchtige Faust. Sie schrie mit greller Stimme: »Rühr mich nicht an, du Bauernlümmel! Du Vieh! Erinnere dich an die Polackin!«

Verdrossen ließ er die Faust sinken. Nachdem er sie mit düsterem Blick betrachtet hatte, stieß er einen tiefen Seufzer aus.

»Verzeih mir. Du bist immer die Stärkere, Angélique.«

Er lächelte und streckte ein wenig linkisch die Arme nach ihr aus.

»Komm trotzdem. Ich will versuchen, zärtlich zu sein.«

Sie ließ sich auf die Lagerstätte fallen und bot sich gleichgültig der zur Gewohnheit gewordenen Umschlingung dar.

Danach blieb er lange Zeit eng an sie geschmiegt liegen. Sie spürte an ihrer Wange die kratzige Bürste seiner Haare, die er wegen der Perücke sehr kurz hielt. Schließlich sagte er mit dumpfer Stimme:

»Jetzt weiß ich es ... Nie, nie wirst du mir gehören. Denn es ist nicht nur das, was ich will. Ich will auch dein Herz.«

»Man kann nicht alles haben, mein guter Nicolas«, murmelte Angélique. »Früher hattest du ein Stück von meinem Herzen, jetzt hast du meinen ganzen Körper. Früher warst du mein Freund Nicolas, jetzt bist du mein Gebieter Calembredaine. Du hast sogar die Erinnerung an die Zuneigung getötet, die ich für dich empfand, als wir Kinder waren. Aber ich hab’ trotzdem in anderem Sinne etwas für dich übrig, weil du stark bist.«

Der Mann wurde ärgerlich. Er brummte:

»Ich frage mich, ob ich nicht eines Tages auch dich werde töten müssen.«

Sie gähnte schlaftrunken. »Red keinen Unsinn.«

Durch das Fenster streuten die Sterne Reflexe in das Glas der gestohlenen Spiegel. Das Geläute der Unken am Fuß des Turms hörte nicht auf, und aus den Tiefen der Ruinen drangen andere, unheimlichere Geräusche herauf: fernes Grölen eines Betrunkenen, Kindergeheul, das Nagen der Ratten. In einer der letzten Nächte war ein Kind von einem der blutgierigen Nager mit den roten Augen angefallen worden.

»Nicolas«, flüsterte Angélique plötzlich.

»Ja?«