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»Ja.«
»Wie wär’s, wenn wir jetzt wirklich gingen?«
»Wohin?«
»Nach Amerika. Ein Land, in dem man weder friert noch hungert . in dem man frei ist.«
»Du bist verrückt!«
Drängender fuhr sie fort:
»Was haben wir hier zu erwarten? Du Gefängnis, Folterung, Zwangsarbeit oder den Galgen. Ich . ich, die ich nichts mehr habe, was erwartet mich, wenn du einmal nicht mehr dasein solltest?«
»Wenn man am Hof der Wunder ist, darf man nie daran denken, was einen erwartet. Es gibt kein Morgen.«
»Dort drüben könnten wir vielleicht umsonst unbebautes Land bekommen. Wir würden es kultivieren . Ich würde dir helfen.«
»Du bist wohl übergeschnappt!« wiederholte er in einem neuerlichen Zornesausbruch. »Ich hab’ dir vorhin erklärt, daß mir die Dreckarbeit nicht liegt. Und glaubst du vielleicht, ich verschwände einfach und überließe Rodogone dem Ägypter die Kundschaft des Jahrmarkts von Saint-Germain?«
Sie erwiderte nichts und versank wieder in ihre Apathie.
Er schimpfte noch eine Weile weiter:
»Unglaublich, wenn sich die Weibsbilder was in den Kopf setzen .«
Wütend drehte er sich um, aber Zorn und Beunruhigung blieben. Eine innere Stimme wiederholte: »Was hast du zu erwarten? Den Galgen.« Natürlich.
Aber wo konnte man leben, außer in Paris .?
Er betrachtete die schlafende Angélique. Von Eifersucht überwältigt, hätte er sie am liebsten geweckt, denn sie lächelte im Schlaf. Sie träumte, sie führe in einem Heukahn über das Meer.
Eines Sommerabends klopfe es an die Tür der Tour de Nesle. Solche Sitten waren unter den Gaunern eigentlich nicht üblich, und alle sahen einander verwundert an, bis schließlich La Pivoine seinen Degen zog und vorsichtig öffnete.
Eine Frauenstimme fragte draußen: »Ist Jean-Pourri da?«
»Kommt nur herein«, sagte La Pivoine.
Die in eisernen Ringen an den Wänden befestigten Harzfackeln beleuchteten ein hochgewachsenes Mädchen in einem Umhang und einen Lakaien in roter Livree, der einen Korb trug.
»Wir haben dich im Faubourg Saint-Denis gesucht«, erklärte das Mädchen Jean-Pourri, »aber man hat uns gesagt, du seist bei Calembredaine. Du läßt uns ganz hübsch durch die Gegend traben. Jedenfalls hätten’s wir von den Tuilerien bis nach Nesle näher gehabt.«
Während des Redens hatte sie ihren Umhang zurückgeschlagen, die Spitzen ihres Mieders aufgebauscht und das kleine goldene Kreuz zurechtgeschoben, das sie an einem Samtband um den Hals trug. Die Augen der Männer leuchteten angesichts dieses schönen Frauenzimmers auf, dessen flammend rotes Haar eine zierliche Spitzenhaube kaum verdeckte.
Angélique war in den Lichtschatten zurückgewichen. Leichter Schweiß perlte an ihren Schläfen. Sie hatte Bertille erkannt, die Zofe der Herzogin von Soissons, die vor ein paar Monaten wegen des Kaufs von Kouassi-Ba mit ihr verhandelt hatte.
»Hast du was für mich?« fragte Jean-Pourri.
Mit vielverheißender Miene hob das Mädchen die Serviette von dem Korb, den der Lakai auf den Tisch gestellt hatte, und entnahm ihm ein neugeborenes Kind.
»Da«, sagte sie.
Jean-Pourri untersuchte den Säugling mit kritischer Miene.
»Fett, wohlgestaltet«, bemerkte er und zog ein verdrossenes Gesicht. »Dafür kann ich dir kaum mehr als dreißig Livres geben.«
»Dreißig Livres!« rief sie entrüstet. »Hör dir das an, Jacinthe! Dreißig Livres. Du hast ihn ja gar nicht richtig angeschaut. Bist nicht fähig, die Ware zu würdigen, die ich dir bringe.«
Sie riß die Windel weg, die das Neugeborene bedeckte, und hielt es völlig nackt in den Fackelschein.
»Schau’s dir richtig an.«
Das aus seinem Schlaf gerissene kleine Wesen bewegte sich ein wenig.
»Oh!« rief die Polackin aus. »Es hat schwarze Stellen!«
»Es ist ein Mohrensohn«, flüsterte die Zofe, »eine Mischung von Schwarz und Weiß. Du weißt, wie schön sie werden, die Mulatten, mit einer Haut wie Gold. Man bekommt sie nicht oft zu sehen. Später, wenn er sechs oder sieben Jahre alt ist, kannst du ihn als Pagen teuer wiederverkaufen.«
Sie kicherte maliziös.
»Wer weiß, vielleicht kannst du ihn seiner eigenen Mutter, der Soissons, wiederverkaufen.«
Jean-Pourris Augen funkelten begehrlich.
»Es ist gut«, erklärte er. »Ich gebe dir hundert Livres.«
»Hundertfünfzig.«
Der widerliche Geselle rang die Hände.
»Du ruinierst mich! Ahnst du, was mich das kostet, diesen Vogel aufzuziehen, zumal wenn er fett und kräftig bleiben soll? Außerdem, wer sagt mir, daß es wirklich ein Mulatte ist?« - »Ich schwöre dir, daß sein Vater schwärzer als die Unterseite eines Kochkessels war.«
Eine der Frauen stieß einen entsetzten Schrei aus:
»Oh, ich wäre vor Angst erstarrt. Wie konnte nur deine Herrin .«
»Man sagt doch, es genüge, daß ein Mohr einer Frau ins Weiße der Augen schaut, um sie schwanger zu machen«, meinte die Polackin.
Die Zofe lachte frivol.
»Ja, das sagt man . Und man bekam es zwischen den Tuilerien und dem Palais Royal immer wieder zu hören, besonders nachdem die Schwangerschaft meiner Herrin offenkundig geworden war. Die Geschichte ist bis in die Gemächer des Königs gedrungen. Seine Majestät hat gesagt: tatsächlich? Dann muß es ja wohl ein sehr tiefer Blick sein?< Und als er meiner Herrin im Vorzimmer begegnete, hat er ihr den Rücken gezeigt. Ihr könnt euch denken, wie sie sich geärgert hat, die Soissons. Sie, die so sehr hoffte, ihn wieder zu kapern! Aber der König ist wütend, seitdem er ahnt, daß ein schwarzhäutiger Mann von der Soissons zu den gleichen Bedingungen aufgenommen worden ist wie er. Und unglücklicherweise ist weder der Ehemann noch der Liebhaber, dieser kleine Halunke von Marquis de Vardes, bereit, die Vaterschaft auf sich zu nehmen. Aber meine Herrin ist nicht auf den Kopf gefallen. Sie wird den Redereien schon einen Riegel vorschieben. Zunächst mal wird sie offiziell erst im Dezember niederkommen.«
Und die Bertille setzte sich, indem sie einen triumphierenden Blick in die Runde warf.
»Schenk mir einen ein, Polackin, dann setz’ ich euch die Sache auseinander. Also das ist ’ne ganz einfache Rechnung. Der Mohr hat den Dienst meiner Herrin im Januar verlassen. Wenn sie im Dezember niederkommt, kann ja nicht gut er der Vater sein, wie? Dann wird sie die Reifen ihres Kleids ein bißchen weiter machen und stöhnen: >Oh, meine Liebe, dieses Kind ist so unruhig! Es lähmt mich. Ich weiß nicht, ob ich heute abend zum Hofball gehen kann.< Und dann im Dezember eine Niederkunft mit großem Trara. Das wird der Moment sein, Jean-Pourri, wo du uns ein frisch geschlüpftes Kind verkaufst, mag sein Vater sein, wer will. Der Mohr steht außer Diskussion, das ist das einzige, worauf es ankommt. Jedermann weiß, daß er seit Februar auf den königlichen Galeeren rudert.«