142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 133

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»Warum ist er auf den Galeeren?«

»Wegen einer üblen Zaubereigeschichte. Er war der Komplice eines Hexenmeisters, den man auf der Place de Grève verbrannt hat.«

Trotz aller Selbstbeherrschung konnte Angélique nicht umhin, einen Blick auf Nicolas zu werfen. Doch Nicolas aß und trank teilnahmslos. Noch tiefer zog sie sich in die Dunkelheit zurück. Sie hätte etwas darum gegeben, den Saal verlassen zu können, obwohl sie andrerseits darauf brannte, noch mehr zu hören.

Der Zwerg Barcarole sprang auf den Tisch neben das Glas der Zofe.

»Hu! Die Voisin, meine berühmte Meisterin, hat bei der Herzogin keine Abtreibung vornehmen wollen, weil es ein Mohrenkind war, das sie unter dem Herzen trug.«

»Woher hat sie’s gewußt?« fragte jemand.

»Sie weiß alles. Sie ist eine Hellseherin.«

»Sie brauchte nur ihre Handfläche zu betrachten, und schon hat sie ihr alles haargenau gesagt«, erläuterte die Zofe mit scheuer Miene. »Daß es ein Mischling war, daß der Mann, der es gezeugt hatte, geheime Zauberkünste kannte, daß sie das Kind nicht töten konnte, weil das ihr, die auch eine Hexe war, Unglück bringen würde. Meine Herrin war völlig ratlos: >Was sollen wir tun, Bertille?< fragte sie mich. Sie ist furchtbar zornig geworden, aber die Voisin hat nicht nachgegeben. Sie hat gesagt, sie wolle meiner Herrin bei der Niederkunft beistehen, und niemand würde etwas erfahren. Aber mehr könne sie nicht tun. Und sie hat viel Geld verlangt. Die Sache ist vergangene Nacht in Fontainebleau passiert, wo der ganze Hof sich den Sommer über aufhält. Die Voisin brachte einen ihrer Männer mit, einen Zauberer namens Lesage. Meine Herrin ist in einem kleinen Haus niedergekommen, das der Tochter der Voisin gehört, in nächster Nähe des Schlosses. In der Morgendämmerung hab’ ich meine Herrin zurückgebracht, und in aller Frühe hat sie sich in vollem Staat und bis zu den Augen geschminkt bei der Königin eingefunden, wie es üblich ist, da sie ihrem Hause vorsteht. Das wird eine ganze Menge Leute enttäuschen, die sich in diesen Tagen an ihrer Verlegenheit weiden wollten. Geschieht ihnen ganz recht, daß sie nicht auf ihre Kosten kommen. Madame de Soissons ist noch immer in andern Umständen, sie wird erst im Dezember ein schneeweißes Kind zur Welt bringen, und es ist sogar möglich, daß Monsieur de Soissons es anerkennt.«

Schallendes Gelächter folgte dem Beschluß der Geschichte. Barcarole schlug einen Purzelbaum.

»Ich habe meine Meisterin zu Lesage sagen hören, die Sache mit der Soissons sei genauso viel wert wie ein gefundener Schatz.«

»Oh, sie ist raff gierig!« brummte Bertille grollend. »Sie hat so viel verlangt, daß meine Herrin mir grade noch eine kleine Halskette schenken konnte, um sich für meine Hilfe erkenntlich zu zeigen.«

Nachdenklich musterte sie den Zwerg.

»Hör mal«, sagte sie plötzlich, »ich glaube, du könntest eine sehr hoch gestellte Persönlichkeit, die ich kenne, glücklich machen.«

»Ich hab’ ja immer gesagt, daß mir noch eine große Zukunft beschieden ist«, erwiderte Barcarole bescheiden und brachte sich auf seinen kleinen Stummelbeinchen in eine vorteilhafte Stellung.

»Der Zwerg der Königin ist gestorben, und das hat die Königin sehr bekümmert, die sich über alles erregt, seitdem sie in andern Umständen ist. Und die Zwergin ist verzweifelt. Niemand kann sie trösten. Sie müßte einen neuen Gefährten haben ... von ihrer Größe.«

»Oh, ich bin sicher, daß ich dieser vornehmen Dame gefallen werde«, rief Barcarole aus und klammerte sich an den Rock der Zofe. »Nehmt mich mit, Täubchen, bringt mich zur Königin. Sehe ich nicht liebenswert und verführerisch aus?«

»Häßlich ist er nicht grade, was, Jacinthe?« meinte sie belustigt.

»Ich bin sogar schön«, versicherte der Knirps. »Wenn die Natur mir ein paar Zentimeter mehr gegeben hätte, wäre ich der begehrteste aller Blaubärte. Und wenn es gilt, den Frauen schlüpfrige Geschichten zu erzählen, dann steht meine Zunge nie still, das könnt Ihr mir glauben.«

»Die Zwergin spricht nur Spanisch.«

»Ich spreche Spanisch, Deutsch und Italienisch.«

»Er muß mitkommen«, rief Bertille aus und klatschte in die Hände. »Das ist eine großartige Sache, und wir werden bei Ihrer Majestät einen Stein im Brett haben. Beeilen wir uns. Wir müssen am Morgen wie-der in Fontainebleau sein, damit unsere Abwesenheit nicht auffällt. Sollen wir dich in den Korb des kleinen Mulatten stecken?«

»Ihr spottet, Madame«, entrüstete sich Barcarole bereits wie ein großer Herr.

Alles lachte und gratulierte. Barcarole bei der Königin .! Was für eine Karriere! Was für ein Witz!

Calembredaine begnügte sich damit, die Nase von seinem Napf zu heben.

»Vergiß die Genossen nicht, wenn du ein feiner Pinkel geworden bist«, sagte er. Und er machte mit Daumen und Zeigefinger die Geste des »Blechens«.

»Du kannst mich abstechen, wenn ich’s vergesse!« protestierte der Zwerg, der die erbarmungslosen Gesetze der Gaunerzunft kannte. Dann lief er in den Winkel, in dem Angélique sich befand, und vollführte eine artig-höfische Verbeugung.

»Auf Wiedersehen, o Allerschönste, auf Wiedersehen, mein Schwesterherz, Marquise der Engel.«

Das drollige Männchen hob seine lebhaften, seltsam scharfsichtigen Augen zu ihr und fügte mit den Allüren eines Stutzers hinzu:

»Ich hoffe, wir sehen uns wieder, meine Teuerste. Ich erwarte Euch . bei der Königin.«

Der Hof war in Fontainebleau. In der heißen Jahreszeit gab es nichts Reizvolleres als dieses weiße Schloß mit seinem Teich, in dem die Karpfen träge dahinglitten - in ihrer Mitte der vollkommen weiße Urahn, der am Maul den Ring Franz’ I. trug. Gewässer rundum, Blumen, Gehölze .

Der König arbeitete, der König tanzte, der König ritt auf Parforcejagd. Der König war verliebt. Die sanfte Louise de La Vallière, zitternd, weil sie die Leidenschaft dieses königlichen Herzens geweckt hatte, hob ihre wunderschönen, graublauen Augen schmachtend zu ihm auf. Und der Hof feierte in vielsagenden Allegorien, in denen die durch den Wald flüchtende Diana sich schließlich Endymion ergab, den Aufstieg dieses schlichten, blonden Mädchens, dessen jungfräuliche Blüte Ludwig XIV. eben gepflückt hatte.

Siebzehn Jahre alt, kaum den dürftigen Verhältnissen einer vielköpfigen Provinzfamilie entronnen, vereinsamt zwischen den Hofdamen Madames - hatte Louise de La Vallière da nicht allen Grund zu zittern, wenn Nymphen und Waldgötter Fontainebleaus zu tuscheln begannen, wenn die »Favoritin« im Mondschein vorüberschritt? Welche Dienstbeflissenheit rings um sie her, die nicht mehr wußte, wo sie ihre Liebe und ihre Schande verbergen sollte! Doch die Höflinge verstanden sich auf ihr Parasitengewerbe.

Die Mätresse ist es, über die man Zugang zum König, über die man Stellen, Vergünstigungen, Pensionen erhält. Während die durch ihre Mutterschaft beschwerte Königin in ihre Gemächer verwiesen blieb und sich mit der Gesellschaft ihrer Zwergin begnügen mußte, löste in diesen leuchtenden Sommertagen ein rauschendes Fest das andere ab.

Da beim kleinen Souper auf dem Kanal in den Kähnen kein Platz für die Mundschenke blieb, sah man den Fürsten Condé ausnahmsweise einmal nicht Schlachten gewinnen und Verschwörungen anzetteln, sondern die Platten übernehmen, die man ihm von einem benachbarten Kahne reichte, und sie dem König und seiner Mätresse servieren.

Am 11. August jagten alle Damen den Hirsch; am 14. fand Ball im Freien statt, bei dem der als Hirte verkleidete König mit der La Vallière tanzte. Am 18. gab es Schmaus im Wald, während in den Gebüschen verstreute Orchester in Wettstreit mit den Vögeln traten. Am 25. war Fackelzug ... und Amor führte den Reigen an .

Angélique saß am Seineufer und schaute zu, wie die Dämmerung sich über Notre-Dame senkte.

Über den hohen, eckigen Türmen und der bauchigen Apsis spannte sich ein gelber, mit Schwalben besprenkelter Himmel. Von Zeit zu Zeit streifte ein an Angélique vorbeihuschender Vogel mit schrillem Schrei die Uferböschung.

Jenseits des Gewässers, unterhalb der DomherrenHäuser von Notre-Dame, befand sich die größte Schwemme von Paris. Zu dieser Stunde wurden dort eine Menge Pferde von Fuhrleuten oder Kutschern den lehmigen Hang hinuntergeführt. Ihr Gewieher erfüllte den klaren Abend.

Plötzlich erhob sich Angélique.

»Ich gehe nach meinen Kindern sehen«, sagte sie zu sich.

Ein Fährmann setzte sie für zwanzig Sols zum Hafen Saint-Landry über. Drüben bog sie in die Rue de l’Enfer und blieb ein paar Schritte vor dem Haus des Staatsanwalts Fallot de Sancé stehen. Sie wollte das Haus ihrer Schwester nicht in diesem Zustand betreten, mit ihrem zerschlissenen Rock, den ausgetretenen Schuhen und dem unordentlichen, mit einem Kopftuch zusammengebundenen Haar. Aber sie hatte sich gesagt, daß sie, wenn sie in der Nähe wartete, ihre beiden Söhne vielleicht zu sehen bekommen würde. Das war seit einer Weile zu einer fixen Idee bei ihr geworden, zu einem Bedürfnis, das täglich dringender wurde und ihr ganzes Denken erfüllte. Florimonds kleines Gesicht tauchte aus dem Abgrund des Vergessens und der Gleichgültigkeit auf, in den sie versunken war. Sie sah ihn wieder vor sich mit seinem schwarzen Lockenhaar unter dem roten Häubchen. Sie hörte ihn plappern. Wie alt war er jetzt? Etwas über zwei Jahre. Und Cantor? Sieben Monate. Sie konnte ihn sich nicht mehr vorstellen. Er war noch so klein gewesen, als sie ihn verlassen hatte.

Neben der Bude eines Seifenhändlers an die Wand gelehnt, starrte Angélique auf die Fassade jenes Hauses, in dem sie als noch reiche und geachtete Frau gelebt hatte. Von hier aus hatte sie sich, prächtig gekleidet, zum triumphalen Einzugs des Königs begeben. Und die einäugige Cateau hatte ihr das vorteilhafte Angebot des Oberintendanten Fouquet übermittelt: »Willigt ein, meine Liebe ... Ist es nicht besser, als das Leben zu verlieren?«

Sie hatte abgelehnt. Dann hatte sie alles verloren, und es kam ihr fast vor, als habe sie auch das Leben verloren, denn sie hatte keinen Namen, keine Existenzberechtigung mehr, sie war in den Augen der Mitwelt tot.

Die Zeit verran, und nichts rührte sich vor dem Haus. Nur hinter den schmutzigen Fenstern der Anwaltskanzlei war das Hin und Her der dürftigen Gestalten der Schreiber zu ahnen.

Einer von ihnen kam heraus, um die Laterne anzuzünden. Angélique sprach ihn an:

»Ist Maître Fallot de Sancé zu Hause oder hat er für die Sommermonate sein Landhaus bezogen?«

Der Schreiber musterte sie argwöhnisch.

»Maître Fallot wohnt schon einige Zeit nicht mehr hier«, gab er schließlich Auskunft. »Er hat seine Praxis und alles andere verkauft. Er hatte Unannehmlichkeiten durch einen Hexenprozeß, in den seine Familie verwickelt war. Das hat ihm berufliche Nachteile gebracht. Er hat sich in einem andern Stadtteil niedergelassen.«

»Und ... Ihr wißt nicht, in welchem Stadtteil?«