142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 140

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»Sieh dich vor, daß du sie nicht reizt«, flüsterte die Polackin. »Du kannst nicht wissen, wie bösartig sie sind! Sie würden uns genau wie ihren Hammel aufspießen, ohne eine Miene zu verziehen, und man würde nichts mehr von uns hören. Laß mich mit ihnen reden. Ich verstehe mich ein bißchen auf ihre Sprache .«

Ein hochgewachsener Bursche mit einer Pelzmütze löste sich aus dem Schein der lodernden Flammen und kam auf sie zu. Die beiden Frauen machten das Erkennungszeichen der Gaunerzunft, der Mann beantwortete es hochmütig, worauf die Polackin den Zweck ihres Besuchs erklärte. Angélique verstand keines der Worte, die sie wechselten. Sie bemühte sich, vom Gesicht des Zigeuners abzulesen, was er dachte, aber es war mittlerweile so dunkel geworden, daß sie seine Züge nicht mehr erkennen konnte.

Schließlich holte die Polackin ihre Börse hervor; der Mann wog sie in der Hand, gab sie ihr zurück und entfernte sich zu den Lagerfeuern.

»Er sagt, er will mit seinen Leuten reden.«

Sie warteten eine Weile im eisigen Wind, der sich von der Ebene erhob, bis der Mann mit dem gleichen ruhigen und geschmeidigen Schritt zurückkam. Er äußerte ein paar Worte.

»Was sagt er?« fragte Angélique atemlos.

»Er sagt . daß sie das Kind nicht wieder hergeben wollen. Sie finden es schön und anmutig. Sie haben es schon liebgewonnen. Sie sagen, es sei alles so in Ordnung.«

»Aber das ist doch nicht möglich! Ich will mein Kind haben!« schrie Angélique.

Sie wollte zum Lager stürzen, doch die Polackin hielt sie energisch zurück. Der Zigeuner hatte seinen Degen gezogen. Andere kamen hinzu.

Die Dirne zog ihre Gefährtin zur Straße zurück.

»Du bist verrückt! Willst du unbedingt in dein Verderben rennen?«

»Das ist nicht möglich«, wiederholte Angélique. »Es muß etwas geschehen. Sie können Cantor nicht mit sich fortnehmen .«

»Reg dich nicht auf, so ist nun mal das Leben! Irgendwann einmal gehen die Kinder in die Ferne ... Ein bißchen früher oder später, das kommt aufs selbe raus. Ich hab’ ja auch Kinder gehabt. Weiß ich vielleicht, wo sie sind? Deshalb geht das Leben doch weiter!«

Angélique schüttelte den Kopf, um diese Stimme nicht hören zu müssen. Es mußte etwas geschehen .!

»Ich hab’ eine Idee«, erklärte sie. »Kehren wir nach Paris zurück.«

»Ja, kehren wir nach Paris zurück«, stimmte die Polackin zu.

Sie machten sich wieder auf den Weg. Angélique hatte sich in ihren schlechten Schuhen wundgelaufen. Ein feiner, dichter Regen rieselte herab. Der Wind klatschte ihr den durchnäßten Rock gegen die Beine. Sie fühlte sich der Erschöpfung nahe. Seit vierundzwanzig Stunden hatte sie nichts gegessen.

»Ich kann nicht mehr«, murmelte sie und blieb stehen, um wieder zu Atem zu kommen.

»Warte, ich sehe Laternen hinter uns. Es sind Reiter, die nach Paris wollen. Wir werden sie fragen, ob sie uns zu sich auf den Sattel nehmen.«

Dreist pflanzte sich die Polackin mitten auf der Straße auf. Als die Gruppe herangekommen war, rief sie mit ihrer heiseren Stimme, die bei passender Gelegenheit überraschend schmeichelnd klingen konnte:

»Heda, ihr galanten Kavaliere! Wollt ihr euch zweier hübscher Mädchen erbarmen, die sich in Not befinden? Man wird nicht versäumen, sich erkenntlich zu zeigen.«

Die Reiter hielten ihre Pferde an. In der Dunkelheit waren nur ihre Mäntel mit den hochgeschlagenen Kragen und ihre durchnäßten Hüte zu erkennen. Sie wechselten ein paar Worte in einer fremden Sprache, dann steckte sich eine Hand nach Angélique aus, und eine jugendliche Stimme sagte auf französisch:

»Steigt ruhig auf, meine Schöne.«

Die Hilfeleistung der Hand fiel kräftig aus, und die junge Frau fand sich unversehens in bequemem Amazonensitz hinter dem Reiter wieder. Die Pferde setzten sich von neuem in Bewegung.

Ohne sich umzuwenden, sagte Angéliques Reitgenosse: »Haltet Euch gut an mir fest, Mädchen. Mein Tier hat einen harten Trab, und mein Sattel ist schmal. Ihr könntet sonst herunterfallen.«

Sie gehorchte, schlang ihre Arme um den Oberkörper des jungen Mannes und preßte ihre erstarrten Hände an seine warme Brust. Den Kopf gegen den kräftigen Rücken des Unbekannten gelehnt, kostete sie einen Augenblick der Entspannung. Jetzt, da sie wußte, was sie tun würde, fühlte sie sich ruhiger. Was die Reiter betraf, so erfuhr sie, daß es sich um eine Gruppe von Protestanten handelte, die von der Kirche in Charenton zurückkehrten.

Bald darauf ritten sie in Paris ein. Angéliques Gefährte bezahlte für sie das Wegegeld an der Porte Saint-Antoine.

»Wohin darfich Euch bringen, meine Schöne?« fragte er und wandte sich diesmal um, in der Hoffnung, ihr Gesicht erkennen zu können.

Sie schüttelte die Beklemmung ab, die sie seit einer Weile erfaßt hatte.

»Ich möchte Eure Zeit nicht über Gebühr in Anspruch nehmen, Monsieur, aber freilich würdet Ihr mir einen großen Gefallen erweisen, wenn Ihr mich bis zum Châtelet brächtet.«

»Das tu’ ich gern.«

»Angélique«, rief die Polackin, »du begehst eine große Torheit. Sieh dich vor!«

»Laß mich . Und gib mir deine Börse. Vielleicht kann ich sie brauchen.«

»Nun, in Gottes Namen ...«, murmelte das Mädchen achselzuckend.

Angéliques Reiter lüftete seinen Hut, um sich von den andern zu verabschieden, dann galoppierte er durch die breite und fast menschenleere Straße des Faubourg Saint-Antoine. Ein paar Minuten später machte er vor dem Chätelet-Gefängnis halt, das Angélique wenige Stunden zuvor verlassen hatte.

Sie stieg ab. Am Hauptportal der Festung angebrachte große Fackeln beleuchteten den Platz. In ihrem unruhigen roten Schein konnte Angélique den liebenswürdigen Weggenossen besser erkennen. Es war ein etwa fünfundzwanzigjähriger junger Mann, auf bürgerliche Weise gut, aber schlicht gekleidet.

»Es tut mir leid«, sagte sie, »daß Ihr Euch meinetwegen von Euren Freunden getrennt habt.«

»Das ist nicht schlimm. Meine Begleiter gehören nicht zu meinem Kreis. Sie sind Ausländer. Ich selbst bin Franzose und wohne in La Rochelle. Mein Vater, der Reeder ist, hat mich nach Paris geschickt, wo ich mich nach geschäftlichen Möglichkeiten umsehen soll. Ich habe mich jenen Fremden angeschlossen, weil ich ihnen in der Kirche von Charenton begegnet bin, wo wir an der Beisetzung eines Glaubensbruders teilnahmen. Ihr seht, daß Ihr meine Absichten nicht gestört habt.«

»Ich danke Euch, daß Ihr es mir auf so artige Weise sagt, Monsieur.«

Sie reichte ihm die Hand.

Er ergriff sie, und Angélique blickte in ein gutes und ernstes Gesicht, das sich lächelnd zu ihr herabbeugte.

»Ich freue mich, daß ich Euch einen Dienst erweisen konnte, meine Liebe.«

Sie sah ihm eine Weile nach, wie er sich auf seinem Pferd zwischen den Fleischerständen der belebten Rue de la Grande Boucherie entfernte. Er wandte sich nicht um, aber dieses Begegnung hatte der jungen Frau neuen Mut gegeben.

Beherzt durchquerte sie die Einfahrt und meldete sich bei der Wache. Ein Polizist kam heraus.

»Ich möchte den Hauptmann der königlichen Wache sprechen.«

Der Mann zwinkerte verständnisinnig mit den Augen.

»Den Menschenfresser? Nun, geh nur ruhig zu, wenn er nach deinem Geschmack ist.«

Der Wachraum war von bläulichem Tabaksqualm erfüllt. Während sie ihn zögernd betrat, versuchte sie instinktiv, ihren feuchten Rock zu glätten. Sie bemerkte, daß der Wind ihre Haube abgerissen hatte, und da sie sich ihrer kurzgeschorenen Haare schämte, löste sie ihr Halstuch, schlang es um den Kopf und band die beiden Enden unter dem Kinn fest. Dann durchquerte sie den Raum. Vor dem Kaminfeuer zeichnete sich die imposante Silhouette des Hauptmanns ab. In der einen Hand eine lange Pfeife, in der andern ein Weinglas, erging er sich in lärmenden Reden. Seine Leute hörten ihm gähnend zu und rekelten sich auf ihren Stühlen. Man schien an seine Prahlereien gewöhnt.

»Sieh einer an, wir kriegen Damenbesuch«, sagte einer der Soldaten, über die Ablenkung erfreut.

Der Hauptmann fuhr hoch und lief puterrot an, als er Angélique erkannte.