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»Wer knurrt?« fragte Meister Bourgeaud, indem er wieder eine drohende Haltung annahm.
»Ihr.«
»Ich?«
»Jawohl. Und Eure Frau, die so vergnügt war, hätte Euch keine drei Minuten ertragen mit dem sauren Säufergesicht, das Ihr vor Eurer Weinkanne aufsetzt.«
»Und glaubst du, sie hätte in ihrem Hof den Anblick einer verlausten Landstreicherin ertragen, wie du eine bist?«
»Ich bin nicht verlaust«, protestierte Angélique. »Meine Kleider sind sauber, seht sie Euch an!«
»Glaubst du, sie hätte es ertragen, daß sich in ihrer Küche solches Geziefer von Taschendieben wie deine unverschämten Lausbuben herumtreibt? Ich habe sie erwischt, als sie eben im Begriff waren, in meinem Keller Speck zu mausen, und ich bin sicher, daß sie es waren, die mir meine Uhr gestohlen haben.«
»Da ist sie, Eure Uhr«, sagte Angélique und zog verächtlich das Ding aus ihrer Tasche. »Ich hab’ sie unter den Treppenstufen gefunden. Ich vermute, Ihr habt sie gestern abend verloren, als Ihr schlafen gingt, Ihr wart ja stockbetrunken .«
Sie reichte ihm die Uhr über das Brunnengeländer hinweg und setzte hinzu:
»Ihr seht, ich bin ebensowenig eine Diebin. Ich hätte sie behalten können.«
»Laß sie nicht in den Brunnen fallen«, sagte er unsicher.
»Ich würde sie Euch gern bringen, aber ich fürchte mich vor Eurem Schöpflöffel.«
Eine Verwünschung brummend, deponierte Meister Bourgeaud seine Waffe auf dem Brunnenrand. Während Angélique sich ihm näherte, nahm sie eine kecke Haltung an. Sie spürte, daß das nächtliche Abenteuer mit dem Wachoffizier sie mancherlei Kniffe gelehrt hatte, wie man einen Griesgram verführt und einem Grobian die Stirn bietet. Sie hatte sich eine ihr ungewohnte Ungezwungenheit angeeignet, die ihr künftighin zustatten kommen würde.
Sie beeilte sich nicht, die Uhr zurückzugeben, und betrachtete sie höchst interessiert. »Das ist eine schöne Uhr«, murmelte sie bewundernd.
Das Gesicht des Bratkochs leuchtete auf.
»Nicht wahr? Ich habe sie von einem Hausierer aus dem Jura gekauft, von einem jener Bergbewohner, die mit ihren Warenballen den Winter in Paris verbringen. Sie haben wahre Schätze in ihren Taschen .«
Er steckte die Uhr in seine Weste, befestigte die zahlreichen Ketten und Berlocken an den Knopflöchern und warf abermals einen argwöhnischen Blick auf Angélique: »Ich frage mich wirklich, wieso diese Uhr aus ihrer Tasche fallen konnte, wie du’s mir einreden willst. Und ich möchte wissen, wieso du auf einmal so vornehm daherredest, wo du uns neulich abends mit so wüstem Rotwelsch gekommen bist, daß sich einem die Haare sträubten. Ich glaube fast, du versuchst, mich einzuwickeln.«
Angélique ließ sich nicht aus der Fassung bringen.
»Es ist gar nicht leicht, mit Euch zu reden, Meister Jacques«, sagte sie in sanft vorwurfsvollem Ton. »Ihr kennt die Frauen zu gut.«
Der Bratkoch verschränkte die stämmigen Arme über seinem Wanst und setzte eine kampflustige Miene auf.
»Ich kenne sie, und man kann mir nichts vormachen.«
Er ließ eine lastende Stille eintreten und fixierte die Schuldige, die den Kopf senkte.
»Also?« hob er in schneidendem Ton aufs neue an.
Angélique, die größer war als er, fand das rundliche Männchen mit seiner Mütze über dem Ohr und der strengen Miene sehr drollig. Gleichwohl sagte sie bescheiden.
»Ich werde tun, was Ihr mir sagt, Meister Bourgeaud. Wenn Ihr mich mit meinen beiden Kleinen wegjagt, gehe ich. Aber ich weiß nicht, wohin ich sie bringen soll, um sie vor Kälte und Regen zu schützen. Glaubt Ihr, Eure Frau hätte uns weggejagt? Ich wohne in Barbes Stube. Ich störe Euch nicht. Ich habe mein Brennholz und meine Nahrung. Die Buben und das Mädchen, die bei mir sind, könnten Euch kleine Dienste leisten: das Wasser hereintragen, den Boden fegen. Die Kleinen werden da droben bleiben .«
»Und warum sollen sie da droben bleiben?« blökte der Bratkoch entrüstet. »Kinder gehören nicht in einen Taubenschlag, sondern in die Küche, in die Nähe des Herdes, wo sie sich wärmen und bewegen können. Ich sag’s ja - diese liederlichen Frauenzimmer! Kein Herz im Leib! Nun bring schon deine Bälger in die Küche herunter, wenn du nicht willst, daß ich böse werde! Ganz abgesehen davon, daß du mir da droben womöglich noch das Dach über dem Kopf anzündest .!«
Mit elfenhafter Beschwingtheit stieg Angélique die sieben Treppen hinauf, die zu Barbes Mansarde führten. Die aus dem Mittelalter stammenden Häuser dieses Kaufmannsviertels waren ungewöhnlich hoch und schmal. Jedes Stockwerk hatte nur zwei Räume, häufig sogar nur einen einzigen, der sich an die enge Wendeltreppe schmiegte.
Auf einem der Treppenabsätze begegnete Angélique einer flüchtigen Gestalt, in der sie den Neffen des Wirts erkannte. Der Bursche drückte sich an die Mauer und glotzte sie vorwurfsvoll an. Angélique dachte nicht mehr an die harten Worte, die sie ihm an den Kopf geworfen hatte, als sie das erste Mal zu Barbe in den »Kecken Hahn« gekommen war.
Sie lächelte ihn an, entschlossen, sich in diesem Hause, in dem sie sich wieder eine ehrsame Existenz aufbauen wollte, Freunde zu schaffen.
»Guten Tag, Kleiner.«
»Kleiner?« murrte er empört. »Ich möchte feststellen, daß ich immerhin eine ganze Portion größer bin als du. Und ich bin im Herbst sechzehn geworden.«
»Oh, Vergebung, Messire! Da hab’ ich mich allerdings heftig geirrt. Seid Ihr wohl so galant, mir zu verzeihen?«
Der Junge, der an so scherzhafte Redeweise of-fensichtlich nicht gewöhnt war, zuckte verlegen die Schultern und stammelte: »Vielleicht.«
»Ihr seid zu gütig. Ich bin gerührt. Und seid Ihr wohl hinreichend gut erzogen, eine Dame von Stand nicht so vertraulich zu duzen?«
Der arme Gehilfe, in dessen langem, blassem Jungengesicht recht schöne, dunkle Augen saßen, schien plötzlich Seelenqualen zu leiden. Seine Sicherheit hatte ihn im Stich gelassen.
Angélique schickte sich schon an, ihren Weg die Treppe hinauf fortzusetzen, als sie plötzlich noch einmal innehielt.
»Hör mal, dein Dialekt klingt ja, als seist du aus dem Süden?«
»Ja ... Madame. Ich bin aus Toulouse.«
»Toulouse!« schrie Angélique auf. »O Bruder meines Landes!«
Sie fiel ihm um den Hals und küßte ihn.
»Toulouse!« wiederholte sie.
Der Junge wurde rot wie eine Tomate. Angélique sprach mit ihm einige Worte in der langue d’oc, und Davids Bewegung wuchs immer mehr.
»Ihr seid auch dorther?«
»Beinahe.«
Sie war lächerlich glücklich über diese Begegnung. Welch ein Kontrast! Eine der vornehmsten Damen von Toulouse gewesen zu sein, und nun einen Bengel abzuküssen, nur weil seine Sprache die Erinnerung an Sonnenglanz weckte, an den würzig-süßen Duft von Knoblauch und Blumen! Das Haus kam ihr unversehens düster und scheußlich vor.
»Eine so schöne Stadt!« murmelte sie. »Weshalb bist du nicht in Toulouse geblieben?«
»Erstens ist mein Vater gestorben«, erklärte David. »Und dann wollte er immer, daß ich nach Paris ginge, um den Beruf des Schankwirts zu erlernen. Da bin ich eben nach Paris gegangen und just an dem Tage angekommen, als meine Tante, die Meisterin Bourgeaud, an den Pocken starb. Ich hab’ nie Glück gehabt. Bei mir geht immer alles schief.«
»Das Glück wird bestimmt noch kommen«, sagte Angélique tröstend und setzten ihren Weg fort.
In der Mansarde fand sie Rosine vor, die die beiden herumtollenden Kleinen bewachte. Barbe war bei ihrer Küchenarbeit. Die größeren Jungen waren »schlendern« gegangen, was in der Gaunersprache bedeutete, daß sie Almosen erbitten wollten.