142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 150

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»Ich und Anspielungen machen? O Madame!«

Behutsam hatte Angélique mit dem Fuß Linot und Flipot geweckt, die, in Decken gehüllt, auf dem blanken Boden schliefen.

Linot mischte sich in die Unterhaltung.

»Ich werde auch Anspielungen machen: Warum schnarcht dieser Faulpelz von David immer noch, und warum geht er erst in die Küche hinunter, wenn das Feuer brennt, die Morgensuppe fertig und die ganze Wirtsstube gefegt ist? So was nennt sich Gehilfe! Marquise, du solltest ihn tüchtig an den Ohren ziehen?«

»Hört mal zu, ihr Knirpse. Ich bin nicht mehr die Marquise der Engel, und ihr seid keine Gauner mehr. Im Augenblick sind wir Dienstboten, Mägde und Gehilfen, aber bald werden wir zum Bürgerstand gehören.«

»Ich mag die Bürger nicht«, sagte Flipot. »Bürger sind dazu da, daß man ihnen Börse und Mantel stiehlt. Ich will kein Bürger werden.«

»Und wie soll man dich nennen, wenn du nicht mehr die Marquise der Engel bist?« fragte Linot.

»Nennt mich Madame und sagt Ihr zu mir.«

»Das fehlte noch!« spöttelte Flipot.

Angélique versetzte ihm eine Ohrfeige, die ihm klarmachte, daß der Ernst des Lebens bereits begonnen hatte ... Während er heulte, musterte sie die Kleidung der beiden Buben. Sie trugen die von der Herzogin von Soissons geschickten Sachen, die zwar geflickt und wenig ansprechend, aber sauber und anständig waren. Außerdem hatten sie derbe, genagelte Schuhe, in denen sie sich höchst unbeholfen vorkamen, die sie jedoch den Winter über vor der Kälte schützen würden.

»Flipot, du begleitest mich mit David auf den Markt. Linot, du tust, was Barbe dir sagt: Wasser und Holz holen und so weiter. Rosine überwacht die Kleinen und die Bratspieße in der Küche.« Flipot seufzte bekümmert.

»Reichlich langweilig, dieses neue Handwerk. Da lob’ ich mir das Bettler- und Taschendiebdasein. Einen Tag hat man haufenweis Geld: man ißt und trinkt, bis man beinah platzt. Ein andermal hat man gar nichts. Da legt man sich in einen Winkel und schläft, solang man mag, um den Hunger nicht zu spüren. Hier muß man sich dauernd plagen und Rindfleisch essen.«

»Du kannst wieder zum Großen Coesre zurück. Ich halte dich nicht.«

Die beiden Jungen protestierten.

»Nur das nicht! Außerdem könnten wir’s gar nicht mehr. Man würde uns das Fell über die Ohren ziehen.«

Angélique seufzte.

»Das Abenteuer fehlt euch, ihr Knirpse. Ich kann euch verstehen. Aber denkt an den Galgen, der am Ende winkt. So, nun raus mit euch!«

Der kleine Trupp polterte die Wendeltreppe hinunter. In einem der Stockwerke machte Angélique halt, trommelte an die Stubentür des jungen Chaillou und trat schließlich ein.

»Aufgestanden, Lehrling!«

Der junge Mann fuhr empört und entsetzt aus seinen Kissen.

»Was, Ihr?« stammelte er. »Hört mal ... ich bin hier nicht der Hausknecht, auch nicht der Lehrling, sondern der Neffe des Wirts und außerdem ... der Sohn meines Vaters, Monsieur Chaillous aus Toulouse.«

»Sehr interessant, was du da sagst«, bemerkte sie sarkastisch. »Denk mal, jedermann ist der Sohn oder die Tochter seines oder ihres Vaters!«

Sie hielt inne, weil sie sich plötzlich bewußt wurde, daß sie selbst wurzellos war und nicht mehr wie dieser Junge aus einfacher Familie das Recht hatte, stolz den Namen ihres Vaters oder Gatten auszusprechen. Doch schon im nächsten Augenblick zuckte sie die Schultern, beugte sich hinab und packte den Burschen, der unter seinem Laken nackt war, am Arm.

»Aufgestanden, David Chaillou!« befahl sie vergnügt. »Vergiß nicht, daß du von heute an ein berühmter Küchenmeister bist, nach dessen Rezepten ganz Paris verlangen wird.«

Er hatte sich unter seinen Decken scheu zusammengekauert und schwieg. Sie sah, daß er feuerrot wurde und gleich darauf in einem beunruhigenden Maße erblaßte.

»Was hast du, David? Wenn du krank bist, bleib liegen. Schließlich kann ich auch ohne dich einkaufen gehen.«

»Nein, nein!« protestierte er erregt. »Ich möchte Euch begleiten. Aber Ihr müßt hinausgehen, damit ich aufstehen und mich anziehen kann.«

Angélique warf einen resignierten Blick auf Flipot, der ihr gefolgt war. Der Junge zwinkerte ihr zu, dann deutete er in vielsagender Weise auf den langen Gehilfen und kniff sich in die Hinterbacken, was im Rotwelsch etwa bedeutete: »Er ist scharf auf Euch.«

Die junge Frau mußte lachen und zog ihn mit sich hinaus. »Bequem wird es gewiß nicht sein, mit diesem sich mausernden Kälbchen zu arbeiten«, sagte sie sich. »Nun, wenn er aufdringlich wird, kriegt er ein paar an die Löffel. Und ich könnte mir denken, daß er gar nicht so dumm ist, wie er aussieht, jedenfalls nicht, was sein Küchenhandwerk betrifft. Und darauf kommt’s an.«

Meister Bourgeaud, der sich seufzend und wider seinen Willen angeregt Angéliques Autorität fügte, übergab ihr eine wohlgefüllte Börse.

»Wenn Ihr Angst habt, daß ich Euch bestehle, könnt Ihr mit mir in die Markthalle kommen«, sagte sie zu ihm. »Aber Ihr tätet besser, hierzubleiben und frisch gebratene Kapaune, Truthähne und Enten vorzubereiten. Jene Damen, die bald erscheinen werden, möchten einen Rahmen vorfinden, der ihnen Vertrauen einflößt. Ein leeres oder mit verstaubtem Geflügel ausgestattetes Schaufenster, eine muffige, nach kaltem Tabaksrauch stinkende Wirtsstube, das ist nicht gerade verlockend für Leute, die die Absicht haben, nach Herzenslust zu schmausen. Auch wenn ich ihnen ein noch so ungewöhnliches Menü verhieße, sie würden mir nicht glauben.«

»Aber was willst du denn heute morgen kaufen, da diese Leute noch gar keine Wahl getroffen haben?«

»Ich will die Dekoration einkaufen.«

»Die ... was?«

»Alles, was nötig ist, damit Eure Bratstube verlok-kend aussieht: Hasen, Fische, Fleischwaren, Obst, schöne Gemüse.«

»Aber ich bin doch kein Gastwirt«, jammerte er. »Ich bin Bratkoch. Du willst wohl, daß mich die Innungen der Gastwirte und Pastetenbäcker belangen?«

»Was können sie Euch schon anhaben?«

»Frauen haben einfach kein Verständnis für solch ernste Fragen«, seufzte Meister Bourgeaud und hob verzweifelt seine kurzen Arme zur Decke. »Die Schöffen dieser Innungen werden mir einen Prozeß anhängen, mich vor Gericht zerren. Kurzum, du willst mich ruinieren!«

»Ihr seid es ja schon«, gab Angélique zurück, »Ihr habt also nichts zu verlieren, wenn Ihr etwas anderes versucht und Euch dabei ein wenig ins Zeug legt. Richtet Euer Geflügel zu, und dann spaziert zum Grève-Hafen hinüber. Ich habe gehört, wie ein Weinausrufer die Ankunft von Burgunder und Champagner Wein verkündete.«

Die Markthalle von Paris stand im Ruf, sich einer bemerkenswert großen Kundschaft zu erfreuen, außer, wie die bösen Zungen sagten, »in Zeiten der Hungersnot, des Kriegs, der Pest und des Aufruhrs«, bei Gelegenheiten also, die sich etwa zwei- oder dreimal jährlich ergaben. Überfluß und Vielfältigkeit der angebotenen Produkte waren ihre hervorstechenden Merkmale. Das hatte in diesem Stadtteil der hohen und enggedrängten Häuser eine Anhäufung von Gerüchen, einen Wirrwarr und eine Vergeudung zur Folge, die einerseits ein sorgfältiges Auswählen erschwerten, andererseits aber die Tätigkeit der Ta-schendiebe begünstigten.

Als Angélique am Hauptplatz anlangte, auf dem der Pranger stand, waren eben die Beamten der königlichen Küchenverwaltung vorübergegangen, um den Zehnten zu erheben, und der Scharfrichter hatte ebenfalls seinen Rundgang zwischen den Ständen beendigt, die ihm Platzmiete schuldeten, sei es auf Grund eines alten Privilegs, sei es, weil sie mehr oder weniger sein Eigentum waren.

Es war die günstigste Stunde für die geschäftigen und früh aufstehenden Hausfrauen. Angélique genoß es, das noch warme Wildbret, die Hasen mit dem weichen Fell zu betasten, den Duft der Käse und Melonen einzuatmen, die silbern glänzenden Fische umzuwenden, die in dichtverschlossenen Fischkarren, durch Eisblöcke konserviert, in knapp zwei Tagen vom nächstgelegenen normannischen Küstenstrich herangebracht wurden.

Sie machte ihre Einkäufe, ohne sich von den sprachgewaltigen Händlerinnen, die es in der Kunst, schüchternen Kundinnen verdorbene oder minderwertige Ware aufzuschwatzen, mit den Scharlatanen der Pont-Neuf aufnehmen konnten, allzusehr übervorteilen zu lassen. Ihre Einführung in diese für sie neue Welt wurde dadurch erschwert, daß David fortwährend erklärte:

»Das ist viel zu schön! Das ist viel zu teuer! Was wird mein Onkel dazu sagen .?«

»Unsinn!« fuhr sie ihn schließlich an. »Schämst du dich nicht, als Sohn Monsieur Chaillous so kleinlich und knickerig zu sein?«

Der Küchenjunge errötete abermals.

»Ihr wißt also, wie berühmt mein Vater war?« fragte er mit erstickter Stimme. »Freilich, Ihr seid ja aus Toulouse.«

Angélique unterließ es, ihn über die Ironie ihrer Bemerkungen aufzuklären. Dem jungen Chaillou fehlte es offensichtlich an Verstand, und auch die giftigsten Spitzen prallten an seiner Naivität wirkungslos ab. Aber das Wort Toulouse machte sie wiederum nachdenklich. War es nicht eher umgekehrt, hatte nicht gewiß der Jüngling von ihrem berühmten Gatten reden hören? Sie schluckte mühsam. Sie würde noch einmal mit Barbe sprechen müssen. Das Leben wurde reichlich schwierig. Bei diesem Aufstieg, den sie erzwingen wollte, um dem endgültigen Versinken im Elend zu entgehen, begegnete sie an jeder Wegkreuzung einem Fallstrick.

Sie spürte, daß der Küchenjunge begierig auf ihre Antwort wartete.

»Ja, natürlich«, sagte sie und versuchte, ihre Gedanken zu sammeln, »dein Vater . O ja, sein Name war mir nicht unbekannt. Was war doch sein Beruf?«