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Kleine Zwischenfälle dieser Art befestigten Angéliques Ruf. Gar selten begegnete man einer Wirtin, die wundervoll kochte und zudem auch noch den an das flinke Hof- und Gassengeschwätz gewöhnten Edelleuten schlagfertige Antworten zu geben vermochte. So mancher wußte aus Erfahrung, daß sie von unbestechlicher Tugendhaftigkeit war, aber ihre Liebenswürdigkeit und Heiterkeit heilten die Wunden der enttäuschten Liebhaber. Sicherheit und Erfahrung, die sie sich in ihrem früheren Milieu erworben hatte, ließen sie das Salz ihrer Scherzworte vorzüglich dosieren, und während sie einerseits vor einem gewissen vulgären Ton nicht zurückscheute, vermochte sie andrerseits bei passender Gelegenheit in ihren Antworten gleich einer Preziösen auf die mythologischen Gottheiten anzuspielen.
Man kam in den »Kecken Hahn«, um sie zu sehen. Aber es wurde ihr angst, als sie eines Tages den Herzog von Lauzun und einige junge Leute vom Hof bemerkte. Um nicht von ihnen erkannt zu werden, erschien sie in jener roten Maske, die sie eines Nachts bei dem toten Italiener am Seineufer gefunden hatte.
Man spendete dieser Laune Beifall, und einer der Edelleute feierte in Versen »den Glanz ihrer smaragdgrünen Augen in purpurnem Schrein«. Wenn sie in der Folgezeit befürchtete, in der Gaststube einem bekannten Gesicht zu begegnen, maskierte sie sich, und die Leute nahmen allmählich die Gewohnheit an, die Rote Maske zu besuchen.
Indessen verlor Angélique zwischen ihren Leckermäulern und Vielfraßen den Appetit, wenn sie auch ziemlich rundlich wurde. Manchmal träumte ihr, sie ersticke unter Fleischbergen oder ertrinke in Soßenströmen. Der Heißhunger einiger ihrer Gäste erschreckte sie.
»Ehrlich gesagt, Ihr Herren«, erklärte sie, »die Fastenzeit wird Euch guttun.«
»Schweigt uns von dieser Pein!« seufzten Feinschmecker und Vielfraße.
Denn die Bestimmungen für die Fastenzeit waren seit der von Calvin verkündeten Reform sehr verschärft worden, um ein Volk zur strikten Befolgung der Fastenregeln zu zwingen, das sich eher hätte kreuzigen lassen, als dem Fleischgenuß zu entsagen. Die Gläubigen wurden daher unter schlimmsten Strafandrohungen ermahnt, während der vierzig Tage vor der Auferstehung Christi keinerlei Fleischgerichte zu speisen. Sie durften nur zwei Mahlzeiten am Tag zu sich nehmen, und Dispens wurde lediglich den Kranken und den Greisen über Siebzig gewährt. Bratköchen, Geflügelhändlern und Wiederverkäufern drohte beim kleinsten Kapaun die Kirchenbuße.
In jenem Jahr wurde der Sieur Gardy, Metzger der Rue de la Vieille-Lanterne, mit einem Kalbsgeschlinge um den Hals an den Pranger des Grand Châtelet gestellt, weil er das Verbot übertreten hatte. Die Müßiggänger gafften ihn vor allem wegen des Kalbsgeschlinges an, das ihnen den Mund wäßrig machte.
Im Jahre 1663 nützte Angélique die zwangsläufige Muße der Fastenzeit, um drei Pläne zu verwirklichen, die ihr am Herzen lagen.
Zunächst einmal zog sie um. Sie hatte das enge und laute Viertel im Schatten des Grand Châtelet nie gemocht, durch das die Schreie des Schlachtviehs gellten und das nach Fleisch, Fisch und allen möglichen Abfällen stank. Sie fand im schönen Marais-Bezirk eine zweistöckige Pförtnerwohnung mit drei Räumen, die ihr wie ein Palast vorkam.
Sie lag in der Rue des Francs-Bourgeois, nicht weit von der Ecke der Rue Vieille-du-Temple entfernt. Unter Heinrich IV. hatte hier ein Finanzmann ein schönes Haus aus Quadersteinen und Ziegeln zu bauen begonnen, aber da er durch die Kriege oder seine unsauberen Geschäfte ruiniert worden war, hatte er den Bau unvollendet lassen müssen. Lediglich der von zwei Torgebäuden flankierte Vorhof war fertig geworden. Ein altes Frauchen, das - niemand wußte so recht, wieso - Besitzerin des Gebäudes war, bewohnte die eine Seite der Toreinfahrt; sie vermietete die andere zu mäßigem Preise an Angélique.
Im Erdgeschoß erhellten zwei solide vergitterte Fenster einen kleinen Gang, der zu einer winzigen Küche und einer ziemlich geräumigen Stube führte, die Angélique bewohnte. Im Zimmer des oberen Stockwerks richteten sich die Kinder mit Barbe, ihrer neuen Gouvernante, ein, die den Dienst bei Meister Bourgeaud quittierte, um in den von Madame Morens zu treten. Das war der Name, den Angélique sich neuerdings zugelegt hatte. Vielleicht würde sie ihm eines Tages auch die Partikel beifügen können. Dann würden die Kinder den Namen ihres Großvaters tragen: de Morens. Und später wollte sie für sie Anspruch auf alle weiteren Titel, vielleicht sogar auf das Erbe erheben.
Sie war voller Hoffnungen. Geld vermochte alles. War sie nicht bereits »daheim«?
Barbe hatte die Bratküche ohne Bedauern verlassen. Sie hatte diese Arbeit nie gemocht und fühlte sich viel wohler bei »ihren Kleinen«. Schon seit einer Weile beschäftigte sie sich ausschließlich mit ihnen. Sie zu ersetzen, hatte Angélique zwei Küchenmädchen und einen Küchenjungen eingestellt. Mit Rosine, die sich zu einer gewandten und munteren Kellnerin entwik-kelte, Flipot als Küchenjungen und Linot, der die Gäste zu unterhalten und Krapfen, Fleischpasteten und Oblaten zu verkaufen hatte, wurde das Personal des »Kecken Hahns« oder vielmehr der »Roten Maske« recht stattlich.
Angélique war froh, Florimond endlich aus der geräuschvollen Wirtshausatmosphäre lösen zu können. Er mochte den Lärm und den Umtrieb nicht, den zumal die sogenannten Leute aus gutem Hause verursachten.
Die Adligen kamen in die Schenken, um einmal des Zwangs der Etikette ledig zu sein, und ihre mutwillige Ausgelassenheit artete nicht selten in Schlägereien aus Man warf einander Krüge an die Köpfe, man zog die Degen. Angélique zögerte nicht, sich mitten in das Getümmel zu stürzen. Bei solchen Gelegenheiten fühlte sie sich vom Geist der Polackin beseelt, und ihr derber Wortschatz verfehlte seine Wirkung auf die erhitzten Gemüter nie. Auch das fiel ihr nicht schwer. Es gehörte zu ihrem Kampf mit dem Alltag, den unnachgiebig bis zum Ende zu führen, sie fest entschlossen war. Doch der Gedanke, daß droben Florimond bei dem Geschrei weinend und zitternd wachlag, verzehnfachte ihren Zorn.
Hier würde er Ruhe haben. Statt der Speise- und Abfallgerüche würde er die frische Luft der Gärten und Anlagen atmen, die überall dieses schöne Viertel schmückten, in dessen Bereich seit dem Beginn des Jahrhunderts der Adel seine vornehmen Stadthäuser errichten ließ. Mit Barbe würden die Kinder im Garten des Temple Spazierengehen und Ziegenmilch trinken oder in dem des Hôtel de Guise oder auch im Klosterbezirk der Coelestiner, der für seine schönen Früchte und seine von Weinreben überrankten, schattigen Laubengänge berühmt war.
Am ersten Abend nach ihrem Einzug in der Rue des Francs-Bourgeois ging Angélique in ihrer freudigen Erregung unaufhörlich treppauf, treppab. Die Einrichtung war noch ziemlich dürftig: ein Bett in jedem Raum, dazu ein kleines Kinderbett, zwei Tische, drei Stühle, flache Polster zum Sitzen. Aber das Feuer tanzte im Kamin, und die große Stube duftete nach Krapfen. Denn mit Krapfen weiht man eine Wohnung ein.
Der Hund Patou wedelte mit dem Schwanz, und die kleine Magd Javotte lächelte Florimond zu, der ihr das Lächeln fröhlich zurückgab. Angélique hatte nämlich die einstigen Elendsgefährten Florimonds und Cantors aus Neuilly geholt. Als sie sich in der Rue des Francs-Bourgeois niederließ, war ihr klargeworden, daß sie einen Wachhund brauchte. Das Marais-Viertel lag isoliert und war des Nachts wegen der unbebauten Flächen und Äcker zwischen den noch weit auseinanderliegenden Häusern gefährlich. Der Beschützung durch Cul-de-Bois war sie zwar sicher, aber Einbrecher konnten sich, zumal im Dunkeln, leicht in der Adresse irren. So hatte sie sich des Mädchens erinnert, dem ihre Kinder zweifellos ihr Leben verdankten, sowie des Hundes, der Florimond in seinem Jammer ein treuer Kamerad gewesen war.
Die Amme hatte sie nicht erkannt, denn Angélique war in einer Mietkutsche gekommen und hatte ihre Maske getragen. Strahlend über die runde Summe, die ihr da geboten wurde, hatte sie die Kleine, die ihre Nichte war, und den Hund ohne Bedauern ziehen lassen. Angélique war besorgt gewesen, wie Florimond reagieren würde, aber die beiden Neuankömmlinge schienen nur erfreuliche Erinnerungen in ihm zu wecken. Nur ihr selbst zog sich beim Anblick Javottes und Patous das Herz zusammen, weil durch sie die Erinnerung an Florimond in der Hundehütte wieder schmerzhaft lebendig wurde, und sie schwor sich wieder einmal, daß ihre Kinder nie mehr hungern und frieren sollten.
An diesem Abend hatte sie einer Laune nachgegeben und ihnen Spielzeug gekauft. Nicht etwa eine jener Mühlen oder einen am Stock befestigten Pferdekopf, wie man sie für ein paar Sols auf dem Pont-Neuf erwerben konnte, sondern Spielzeug aus der Galerie des Palais, das angeblich in Nürnberg hergestellt wurde: eine kleine Kutsche aus vergoldetem Holz mit vier Figuren, drei kleine Hunde aus Glas, eine Elfenbeinpfeife und für Cantor ein Ei aus bemaltem Holz, das in sich eine Anzahl immer kleinerer barg.
Während Angélique ihre glücklich spielende Familie betrachtete, stieg warme Zuversicht in ihr auf, und sie sagte zu Barbe:
»Barbe, eines Tages werden diese beiden jungen Leute auf die Akademie des Faubourg Saint-Germain gehen, und wir werden sie bei Hofe vorstellen.«
Und Barbe erwiderte, indem sie die Hände faltete: »Ich glaub’s, Madame.«
Angéliques zweiter Plan bestand darin, das Schild über der Tür der Bratstube zum »Kecken Hahn« zu erneuern, die inzwischen dank ihres Wirkens längst zum Wirtshaus zur »Roten Maske« geworden war. Sie hatte ehrgeizige Absichten, denn außer einem schmiedeeisernen »Weinzeichen« in der Form einer Karnevalsmaske wollte sie ein bemaltes Schild, das man über die Tür hängen würde.
Als sie eines Tages vom Markt zurückkehrte, blieb sie verblüfft vor dem Laden eines Waffenhändlers stehen. Dessen Aushängeschild stellte einen alten, weißbärtigen Soldaten dar, der aus seinem Helm Wein trank, während die neben ihm lehnende stählerne Lanze in der Sonne funkelte.
»Das ist ja der alte Wilhelm!« rief sie aus.
Sie stürzte ins Innere des Ladens, wo der Inhaber ihr wohlgefällig verriet, daß das Meisterwerk über seiner Tür von der Hand eines Malers namens Gontran Sancé stamme, der im Faubourg Saint-Marcel domiziliere.
Angélique begab sich eilends und mit klopfendem Herzen dorthin. Im dritten Stock eines schlichten Hauses öffnete ihr eine lächelnde, rosige junge Frau. Gontran fand sie im Atelier vor seiner Staffelei, inmitten seiner Bilder und Farben: Azur, Rotbraun, Bergblau, Ungarisch-Grün ... Er rauchte Pfeife und malte ein nacktes Engelchen, dessen Modell ein hübsches, auf einem blauen Samtteppich liegendes, wenige Monate altes Mädelchen war.
Die Besucherin, die maskiert war, begann, ihre Wünsche hinsichtlich des Wirtshausschilds vorzutragen, dann gab sie sich lachend zuerkennen. Es schien ihr, als sei Gontran ehrlich erfreut, sie wiederzusehen. Er kam immer deutlicher auf seinen Vater heraus und hatte dieselbe Art, beim Zuhören die kräftigen Hände auf die Knie zu stützen. Er berichtete ihr, daß er die Meisterprüfung abgelegt und die Tochter seines einstigen Lehrherrn van Ossel geheiratet habe.
»Aber dann bist du ja eine Mesalliance eingegangen«, rief sie aus, einen Augenblick nutzend, in dem die kleine Holländerin gerade in die Küche gegangen war.
»Und du? Wenn ich recht vernommen habe, betreibst du ein Wirtshaus und schenkst Getränke an Leute aus, von denen manche unter meinem Stand sind.«
Nach kurzem Schweigen fuhr er mit einem feinen Lächeln fort:
»Und du bist gerannt, um mich aufzusuchen, ohne zu zögern, ohne falsche Scham. Wärst du genauso gerannt, um Raymond von deiner gegenwärtigen Situation in Kenntnis zu setzen, der soeben Beichtvater der Königin-Mutter geworden ist, oder Marie-Agnès, Hofdame der Königin, die im Louvre in Anpassung an die Sitten des Ortes die Dirne spielt, oder gar den kleinen Albert, der Page bei dem Marquis de Castelnau ist?«
Angélique gab zu, daß sie sich von diesem Teil der Familie fernhielt. Sie fragte, was aus Denis geworden sei.
»Er ist bei der Armee. Unser Vater jubiliert. Endlich ein Sancé im Dienste des Königs! Jean-Marie ist auf dem Gymnasium. Möglich, daß Raymond ihm ein Kirchenstipendium verschafft, denn er steht sehr gut mit dem Beichtvater des Königs, von dem die Gewährung abhängt. Paß auf, eines Tages werden wir einen Bischof unter uns haben.«
»Findest du nicht, daß wir eine merkwürdige Familie sind?« sagte Angélique kopfschüttelnd. »Es gibt Sancés auf allen Sprossen der Stufenleiter.«
»Hortense hält sich mühsam in der Mitte mit ihrem Staatsanwaltsgatten. Sie haben vielerlei Beziehungen, aber sie leben kümmerlich. Seit dem Verkauf seines Amts vor nahezu vier Jahren zahlt ihnen der Staat keinen Sol mehr.«
»Siehst du sie zuweilen?«
»Ja. Auch Raymond und die andern. Keiner ist sonderlich stolz, mir zu begegnen, aber sie haben nichts dagegen, sich von mir porträtieren zu lassen.« Angélique zögerte einen Augenblick.
»Und . wenn ihr einander begegnet . sprecht ihr jemals von mir?«
»Nie!« sagte der Maler in hartem Ton. »Du bist eine zu bittere Erinnerung für uns, eine Katastrophe, ein Zusammenbruch, der uns das Herz zermalmt hat, so wir eines haben. Glücklicherweise haben wenig Leute erfahren, daß du unsere Schwester bist, du, die Frau eines Hexenmeisters, den man auf der Place de Grève verbrannt hat!«
Während er sprach, hatte er gleichwohl ihre schmalen Finger in seine fleckige, von den Säuren rauh gewordene Hand genommen. Er spreizte sie, berührte die zarte Handfläche, die noch die Spuren der Blasen, der Brandwunden des Küchenherds bewahrte, und legte mit schmeichelnder Geste seine Wange darauf, wie er es in seiner Kindheit hin und wieder getan hatte.
Angélique war es so weh ums Herz, daß sie glaubte, weinen zu müssen. Aber sie hatte zu lange nicht mehr geweint. Ihre letzten Tränen hatte sie eine gute Weile vor dem Tode Joffreys vergossen. Nun war sie ihrer entwöhnt.
Sie zog ihre Hand zurück und sagte in nüchternem Ton, während sie die an die Wand gelehnten Bilder betrachtete:
»Du machst sehr hübsche Dinge, Gontran.«
»Ich weiß. Und trotzdem belieben die großen Herrn mich zu duzen, und die Bürger sehen dünkelhaft auf mich herab, weil ich diese hübschen Dinge mit meinen Händen mache. Ich arbeite mit meinen Händen. Soll ich vielleicht mit meinen Füßen arbeiten? Und wieso ist die Handhabung des Degens ein weniger manueller und verächtlicher Vorgang als die Handhabung des Pinsels?« Er schüttelte den Kopf, und ein Lächeln hellte seine Züge auf. Die Ehe hatte ihn fröhlicher und gesprächiger gemacht.
»Schwesterchen, ich habe Vertrauen in die Zukunft. Eines Tages werden wir beide nach Versailles an den Hof gehen, wo der König viele Maler braucht. Ich werde die Decken der Gemächer ausmalen, die Prinzen und Prinzessinnen porträtieren, und der König wird zu mir sagen: >Ihr macht sehr hübsche Dinge, Monsieur.< Und zu dir wird er sagen: >Madame, Ihr seid die schönste Frau von Versailles.<«
Sie lachten beide von ganzem Herzen.