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Angéliques drittes Projekt bestand darin, in die Pariser Feinschmeckergesellschaft jenes exotische Getränk einzuführen, das man Schokolade nannte. Der Gedanke daran hatte sie nicht losgelassen, trotz der Enttäuschung, die die Folge der ersten Berührung mit jener seltsamen Mixtur gewesen war.
David hatte ihr die besagte Patenturkunde seines Vaters gezeigt. Sie schien der jungen Frau alle Zeichen der Glaubwürdigkeit und Legalität zu tragen und wies sogar die persönliche Unterschrift des jungen Königs Ludwig XIV auf, der dem Sieur Chaillou das Monopol auf die Herstellung und den Verkauf der Schokolade in Frankreich gewährte und bestimmte, daß die Urkunde neunundzwanzig Jahre Gültigkeit haben sollte.
»Dieser junge Taugenichts ist sich des Werts des Schatzes, den er da geerbt hat, überhaupt nicht bewußt«, dachte Angélique. »Man sollte aus diesem Dokument unbedingt Kapital schlagen.«
Sie fragte den jungen Mann, ob er Gelegenheit gehabt habe, mit seinem Vater zusammen Schokolade herzustellen, und welcher Geräte er sich dabei bedient habe.
Der Küchengehilfe, der nur zu glücklich war, auf diese Weise die Aufmerksamkeit seiner Dulcinea zu fesseln, erklärte ihr in wichtigtuerischem Ton, die Schokolade komme aus Mexiko und sei im Jahre 1500 durch den berühmten Seefahrer Fernand Cortez am spanischen Hofe eingeführt worden. Von da aus sei sie in Flandern bekanntgeworden. Dann hätten sich zu Beginn des Jahrhunderts Florenz und Italien für das neue Getränk erwärmt, die deutschen Fürsten desgleichen, und jetzt genieße man es sogar in Polen.
»Mein Vater hat mir diese Geschichten seit meiner frühesten Kindheit eingetrichtert«, erklärte David, ein wenig verwirrt über sein unvermutetes Wissen.
Angéliques aufmerksam auf ihn gerichtete Augen ließen ihn abwechselnd erröten und erblassen, während er ihr anvertraute, einige von seinem Vater selig für die Schokoladeherstellung verfertigte Geräte befänden sich noch in seinem Geburtshaus in Toulouse, unter der Obhut entfernter Verwandter, die dort wohnten. Die Fabrikation der Schokolade sei zugleich einfach und kompliziert.
Sein Vater habe die Bohnen zuerst aus Spanien, dann direkt von Martinique bezogen, von einem jüdischen Kaufmann namens Costa. Sie müßten eine gewisse Zeitspanne gären, und der Vorgang habe im Frühjahr vonstatten zu gehen, wenn die Hitze noch nicht so groß sei. Dann ließe man sie trocknen, aber nur so weit, daß sie während der Prozedur des Schälens nicht zerbrechen. Danach sei der Trockenprozeß fortzusetzen, um sie für den Mörser bereitzumachen, ohne daß sich jedoch das Aroma dabei verflüchtigen dürfe.
Darauf würden sie zerstampft. In diesem Vorgang liege das Geheimnis des Gelingens der Schokolade beschlossen. Man müsse ihn kniend vollziehen, und der Mörser müsse zur Hälfte aus Holz, zur Hälfte aus Eisenblech bestehen und leicht angewärmt sein. Das Gerät heiße »Metati«, ein Name, der sich von den Azteken, den roten Männern Amerikas, herleite.
»Ich habe einmal auf dem Pont-Neuf einen solchen roten Mann gesehen«, sagte Angélique. »Vielleicht könnte man ihn ausfindig machen. Die Schokolade wäre sicher noch besser, wenn er sie zerstampfen würde.«
»Mein Vater war nicht rot, und seine Schokolade hatte einen guten Ruf«, sagte Chaillou, ohne die Ironie zu spüren. »Es wäre also auch ohne Indianer zu schaffen.«
»Gut«, schloß Angélique, »du wärst also imstande, dieses Getränk herzustellen, wenn wir uns das Material deines Vaters und Kakaobohnen schicken ließen.«
David schien perplex, doch angesichts der erwartungsvollen Miene Angéliques gab es kein Zurück mehr. Tapfer bejahte er die Frage und wurde durch ein strahlendes Lächeln und einen freundschaftlichen Klaps auf die Wange belohnt.
Von diesem Augenblick an nützte Angélique jede Gelegenheit, um sich über das zu orientieren, was in Frankreich über den Genuß dieses alkoholfreien Getränks bekannt war. Ein befreundeter alter Apotheker, bei dem sie bestimmte Gewürze und seltene Kräuter zu kaufen pflegte, erklärte ihr, die Schokolade werde als das wirksamste Mittel gegen die Vapeurs der Milz betrachtet. Diese Eigenschaft sei soeben durch die noch unveröffentlichten Untersuchungen des berühmten Arztes Rene Moreau ans Licht gebracht worden, der sie an dem Marschall de Gramont beobachtet habe, einem der wenigen Liebhaber der Schokolade bei Hof.
Angélique notierte sich sorgfältig sowohl die Auskünfte wie den Namen des Arztes. Am folgenden Tage suchte sie die Zwergin der Königin abermals auf, diesmal, um das Produkt in dem Zustand zu kosten, in dem es noch nicht durch Piment geschärft und durch Zucker verdickt war. Sie fand es wohlschmek-kend. Die auf ihr Geheimnis stolze Dona Teresita versicherte ihr, nur sehr wenige Menschen verstünden sich auf seine Zubereitung, aber der pfiffige Barcarole behauptete, er habe von einem jungen Mann reden hören, der sich nach Italien begeben habe, um dort das Kochen zu lernen, und nun für seine vorzügliche Schokolade bekannt sei.
Es sei ein gewisser Audiger, derzeitig Haushofmeister des Grafen Soissons und im Begriff, die Genehmigung zur Herstellung von Schokolade in Frankreich zu erhalten.
»Das darf nicht sein!« sagte sich Angélique. »Ich bin diejenige, die das ausschließliche Patent auf die Herstellung hat.«
Sie beschloß, nähere Erkundigungen über den Haushofmeister Audiger einzuziehen. Jedenfalls bewies das, daß die Idee mit der Schokolade in der Luft lag und daß man sie schleunigst realisieren mußte, wenn einem nicht geschicktere Konkurrenten oder solche mit wirksamerer Protektion zuvorkommen sollten.
An einem der folgenden Nachmittage, als sie eben im Begriff war, mit Linots Unterstützung Blumen in die auf den Tischen stehenden Zinngefäße zu verteilen, kam ein hübscher, prächtig gekleideter junger Mann die Stufen zur Eingangstür herab und näherte sich ihr.
»Ich heiße Audiger und bin der Haushofmeister des Grafen Soissons«, sagte er. »Man hat mir berichtet, daß Ihr im Sinn habt, Schokolade herzustellen, daß Euch aber das Patent dazu fehlt. Nun, ich habe dieses Patent, und deshalb möchte ich Euch in aller Freundschaft darauf hinweisen, daß es zwecklos ist, eine Konkurrenz aufzunehmen, bei der Ihr nur verlieren könnt.«
»Ich bin Euch für Eure Aufmerksamkeit sehr verbunden, Monsieur«, erwiderte sie, »aber wenn Ihr dermaßen sicher seid zu gewinnen, dann verstehe ich nicht, weshalb Ihr mich aufsucht, denn Ihr lauft Gefahr, Euch zu verraten, indem Ihr mir einen Teil Eurer Waffen und vielleicht auch die Unsicherheit Eurer Projekte zeigt.«
Der junge Mann zuckte verblüfft zusammen. Er betrachtete seine Gesprächspartnerin genauer, und ein Lächeln kräuselte seine Lippen, die ein schmaler, brauner Schnurrbart zierte.
»Gott, seid Ihr hübsch, mein Täubchen!«
»Wenn Ihr das Feuer auf solche Weise eröffnet, frage ich mich, was für eine Schlacht Ihr hier eigentlich zu schlagen gedenkt«, erwiderte Angélique, die sich gleichfalls eines Lächelns nicht zu erwehren wußte.
Audiger warf Mantel und Hut auf einen Tisch und setzte sich ihr gegenüber. Er war etwa dreißig Jahre alt. Sein leichtes Embonpoint tat seiner guten Figur keinen Abbruch. Wie alle Mundköche im Dienste hoher Persönlichkeiten trug er den Degen und war genauso vornehm gekleidet wie sein Herr.
In der vertraulichen Stimmung, die sich rasch ergeben hatte, erzählte er, daß seine Eltern ziemlich wohlhabende Provinzbürger seien, die ihm ein Studium ermöglicht hätten. Er habe die Stelle eines Furageurs in der Armee gekauft und nach einigen Feldzügen, mehr oder weniger aus Vergnügen, die Meisterprüfung als Koch abgelegt. Zwecks Vervollkommnung seiner Fertigkeiten sei er hierauf nach Italien gegangen und habe sich mit den Spezialitäten auf dem Gebiet der Limonaden, der Zuckerwaren, des Speiseeises und auch der Schokolade in flüssiger und fester Form vertraut gemacht.
»Bei meiner Rückkehr aus Italien, im Jahre 1660, hatte ich das Glück, Seiner Majestät einen Gefallen erweisen zu können, so daß meine Zukunft seither gesichert ist. Und zwar auf folgende Weise: Als ich in der Gegend von Genua durch das Land streifte, bemerkte ich auf den Feldern unvergleichliche Schotenerbsen. Dabei befanden wir uns im Januar. Ich kam auf den Gedanken, sie pflücken und in einen Kasten schütten zu lassen, und vierzehn Tage danach, als ich wieder in Paris war, überreichte ich sie durch Vermittlung Monsieur Bontemps’, des ersten Kammerdieners, dem König. Jawohl, meine Liebe, Ihr braucht mich nicht mit so großen Augen anzuschauen. Ich habe den König aus nächster Nähe gesehen, und er hat sich außerordentlich huldvoll mit mir unterhalten. Wenn ich mich recht erinnere, waren außerdem noch sein Bruder, der Graf Soissons, der Marschall Gramont, der Marquis de Vardes, der Graf Noailles und der Duc de Crequi anwesend. Beim Anblick meiner Erbsen riefen alle Herren einstimmig aus, sie hätten nie etwas Schöneres gesehen. Graf Soissons enthülste einige von ihnen im Angesicht des Königs. Nachdem dieser mir sodann seine Befriedigung bezeigt hatte, befahl er mir, sie dem Haushofmeister, Sieur Beaudoin, mit der Anweisung zu überbringen, davon je einen kleinen Teller voll für die Königin-Mutter, für die Königin sowie für den Herrn Kardinal zubereiten zu lassen, der sich gerade in Louvre befand, und den Rest für ihn aufzuheben. Er werde ihn am Abend mit Monsieur zusammen verspeisen. Zu gleicher Zeit befahl Seine Majestät Monsieur Bontemps, mir ein Geldgeschenk zu überreichen, das ich jedoch dankend ablehnte. Woraufhin Seine Majestät erklärte, Sie werde mir jede Bitte erfüllen. Zwei Jahre später, nachdem ich einen gewissen Besitz zu Geld gemacht hatte, ließ ich ihm ein Gesuch überreichen, in dem ich um die Genehmigung bat, ein Limonadengeschäft zu eröffnen, in dem unter anderen Produkten auch Schokolade ausgeschenkt werden sollte.«
»Warum habt Ihr dieses Geschäft noch nicht eingerichtet.«
»Hübsch langsam, meine Schöne. Diese Dinge brauchen ihre Zeit. Aber kürzlich hat mir der Kanzler Séguier nach Prüfung meiner königlichen Patenturkunde versprochen, sie einzutragen und mit seiner Unterschrift zu versehen, damit sie sofort wirksam würde. Ihr seht also, schöne Freundin, daß es Euch angesichts dieser Sachlage schwerfallen dürfte, mir den Rang abzulaufen, selbst wenn Ihr ein entsprechendes Patent erlangen solltet.«
Trotz der Sympathie, die Lustigkeit und Offenheit des Besuchers ihr einflößten, empfand die junge Frau tiefe Enttäuschung.
Sie war schon im Begriff, ihm energisch zu widersprechen und seinen Übermut durch die Feststellung zu dämpfen, daß auch sie oder vielmehr der junge Chaillou ein ähnliches Monopol besitze, das zudem noch den Vorteil habe, früher eingetragen zu sein. Aber sie versagte es sich im letzten Augenblick, ihre Trümpfe aufzudecken. Nur eines der beiden Papiere konnte gültig sein. Sie würde sich erst einmal bei den Innungen und beim Vorsteher der Kaufmannschaft erkundigen.
Da sie jedoch von Innungsangelegenheiten und dergleichen nicht viel verstand, beschloß sie, diesem Konkurrenten gegenüber Zurückhaltung zu üben, der ihr so vieles voraus hatte: vor allem Reichtum, weitreichende Beziehungen und eine gewisse geschäftliche Gewandtheit.
Sie sagte also nur hinterlistig: »Falls Ihr mit Eurer Schokolade zum Zuge kommt - welcher Innung gedenkt Ihr Euch zu unterstellen?«
»Überhaupt keiner, da ich eine königliche und spezielle Genehmigung besitze.«
»Gut, daß ich das weiß, denn für Davids Dokument gilt vermutlich dasselbe«, sagte sich die junge Frau und fuhr laut fort: »Für unser Geschäft hat Meister Bourgeaud, der ein Verwandter von mir ist und mit dem ich Euch bekannt machen werde, sobald er von der Markthalle zurückkommt, ein Speisewirt-Patent kaufen müssen, um seinen Gästen an den Fastentagen Fischgerichte servieren zu können. Wir dachten daher, daß wir uns nur mit den Innungen zu verständigen brauchten, um die entsprechenden Patente auch in diesem Fall zu erhalten.«
Audiger hob Arme und Augen gen Himmel.
»Aber, mein armes Kind, auf was habt Ihr Euch da eingelassen! Selbst wenn Ihr die Kosten aufbringen könntet - Ihr müßtet ja außerdem Unsummen an die verschiedenen Innungsobermeister zahlen und ebensoviel oder gar noch mehr an die königlichen Kontrolleure. Ihr werdet Euch ruinieren und Eure Zeit vergeuden.«
»Was soll ich denn tun?«
»Gar nichts, denn ich allein habe die Genehmigung, Schokolade zu verkaufen.«
»Oh, das geht zu weit!« rief Angélique und stampfte mit dem Fuße auf. »Es ist nicht galant von Euch, Monsieur, auf solche Weise die Absichten einer Frau zu durchkreuzen. Und wenn ich nun darauf brenne, Schokolade zu verkaufen, wenn ich davon träume, mich inmitten leckermäuliger junger Damen zu bewegen und ihnen Tassen mit duftendem Trank zu reichen ...«
»Nun, das ist höchst einfach.«
»Wieso? Vorhin sagtet Ihr, es sei sehr kompliziert beziehungsweise unmöglich!«
»Der Teufel soll die räsonnierenden Frauen holen! Man könnte meinen, Ihr wäret ständiger Gast im Salon der Mademoiselle de Scudéry. Ich gebe zu, daß ich hin und wieder ganz gern dorthin gehe, aber ich kenne nichts Unerfreulicheres als Frauen, die Verstand vortäuschen, wo man seit Anbeginn der Welt doch weiß, daß sie keinen besitzen. Aber kehren wir zur Sache zurück. Wenn Ihr unbedingt Schokolade verkaufen wollt, so gibt es einen sehr einfachen Weg, diesen Traum zu verwirklichen: heiratet mich!«
Aus der Küche drang ein unterdrückter Ausruf, dann klirrte splitternd Geschirr auf den Boden. Die Tür wurde heftig aufgerissen, und David erschien, die Ärmel über seine kümmerlichen Armmuskeln krempelnd.
Audiger schien nicht zu begreifen, was dieser Küchenjunge wollte.
»Ist das Euer kleiner Bruder?«
»Nein, es ist der Neffe Meister Bourgeauds und bereits ein vorzüglicher Koch.«
»Für einen Koch ist er nicht besonders dick ... und im übrigen scheint er nicht ausgesprochen umgänglich. Warum streckt er mir dauernd die Fäuste entgegen?«
Audiger legte lässig die Hand auf den Griff seines Degens.