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Der Jüngling wandte das Gesicht ab, um sein Erröten zu verbergen, das Angélique im Halbdunkel des Raums freilich ohnehin nicht bemerkt hätte. »Nein«, sagte er scheu. »Ich mag die Frauen nicht. Sie flößen mir Angst ein.«
»Und ich? Ich, die dich den ganzen Tag hart anfährt, dir Püffe versetzt und dich beschimpft, ich flöße dir keine Angst ein?«
»Doch, ein wenig. Vor allem, wenn Ihr mich auf eine gewisse Art anschaut. Aber ich glaube, Ihr wäret weder spöttisch noch böse. Seitdem Ihr mich geküßt habt .«
»Was, ich habe dich geküßt?«
»Ja, an jenem Tage, an dem Ihr erfuhrt, daß ich aus Toulouse bin. Damals habe ich gemerkt, daß Ihr auch gut seid. Und ich habe gedacht, Ihr könntet mich lehren ...«
»Was könnte ich dich lehren, David?«
Während seine Augenlider sich senkten, hauchte er:
»Das ... jene wunderbare Sache .«
»Die Liebe? Wie ich dich das Kochen lehrte? Nein, mein Kleiner. Schau, diese Dinge lernt man bei einem Mädchen deines Alter oder aber ... Nun, ich bin nicht mehr jung oder noch nicht alt genug für diese Rolle. Im übrigen glaube ich, daß du dir Illusionen über das Gefühl machst, dessen Anlaß ich zu sein scheine. In Wirklichkeit wirst du merken, daß des Nachts im Bett
- wenn die Kerze gelöscht ist - alle Frauen einander gleichen. Aber was dir fehlt, ist das Wissen, worin sie einander gleichen. Drum gib mir meinen Umhang dort vom Stuhl und laß mich aufstehen.«
Sie ging zum Tisch, kritzelte ein paar Worte auf ein Stück Papier, fügte einige Geldstücke bei und übergab beides David.
»So, damit gehst du in die Stadt, überschreitest den Pont-au-Change und begibst dich in die Rue Glatigny. Du klopfst an die Tür des dritten Hauses zur Linken, dort, wo du eine rote Laterne siehst. Du sagst, du möchtest eine Frau sprechen, die man die Polackin nennt. Du erklärst ihr, du kämst von Angélique. Sie kann nicht lesen, aber Beau-Garçon wird ihr das Nötige sagen, und an dem Geld wird sie schon merken, um was es sich handelt und daß sie dich wie einen Edelmann hätscheln soll. Geh also, mein Junge, und hab keine Angst. Tummel dich, ich bekomme kalte Füße auf dem Steinboden!«
Gesenkten Kopfes ließ er sich hinausdrängen. Da er gewohnt war, ihr zu gehorchen, hörte sie ihn wirklich das Haus verlassen, und gleich darauf sah sie durchs Fenster, wie er auf den vom Mondlicht überfluteten Pont-au-Change einbog.
»Es ist nicht gerade sehr moralisch, was ich da getan habe«, dachte Angélique, während sie sich wieder niederlegte, »aber in diesem Fall das Richtige. Und was mich betrifft, ich kann, wie unsere Nachbarin, die Tante Alice, sagen würde, meine Zeit nicht mit Überflüssigem vertrödeln.«
Am nächsten Morgen vermied es Angélique aus Feingefühl, dem jungen Chaillou Fragen zu stellen. Er schien indessen durchaus zufrieden, obwohl sein Atem und die Ringe um seine Augen verrieten, daß er in dieser Nacht im Tal der Liebe mehr getrunken hatte als im ganzen Jahr.
Gemäß ihrem Versprechen begab sie sich mit ihm zum Vorsteher der Kaufmannschaft. Sie wurden von einem schwitzenden, beleibten Biedermann in ziemlich schmutzigem Spitzenkragen empfangen, der die Gültigkeit des dem jungen Chaillou gewährten Patents bestätigte, für das freilich eine neuerliche Gebühr zu entrichten sei.
Angélique erhob Widerspruch:
»Aber wir haben doch eben erst die Abgaben für den Bratstuben- und Speiseküchenbetrieb geleistet und weitere für die Genehmigung, selbst Fische zu braten. Weshalb sollen wir darüber hinaus noch etwas bezahlen, nur um ein alkoholfreies Getränk ausschenken zu dürfen?«
»Ihr habt ganz recht, mein Kind, denn das bringt mich darauf, daß Ihr ja außer den Innungsvorstehern des Spezereiwarenhandels, die diese Sache betrifft, auch noch die Genossenschaft der Limonadehersteller entschädigen müßt. Wenn alles in Eurem Sinne verläuft, dürft Ihr zwei zusätzliche Patente bezahlen: eines an die Innung der 2. Klasse, die der Gewürzkrämer, das andere an die der 3. Klasse, der Limonadenhersteller.«
Angélique beherrschte mühsam ihren Zorn.
»Und das wäre dann alles?«
»O nein«, erwiderte er bedauernd. »Wohlverstanden, wir haben bisher weder von den fällig werdenden staatlichen Abgaben gesprochen noch von denen an die Prüfer sowie an die Gewichts- und Qualitätskontrolleure .«
»Aber wie könnt Ihr Anspruch erheben, dieses Produkt zu kontrollieren, wenn Ihr es überhaupt nicht kennt?«
»Darum geht es nicht. Dieses Produkt ist eine Handelsware, und alle Innungen, die es betrifft, müssen die Kontrolle darüber haben sowie ihren Anteil am Gewinn. Da Eure Schokolade, wie Ihr sagt, ein gewürztes Getränk ist, müßt Ihr einen Gewürzmeister einstellen, außerdem einen Limonadenmeister, beiden angemessenen Lohn und Unterkunft gewähren, den Preis für das Meisterrecht des neuen Gewerbes an jede einzelne Innung zahlen, und da Ihr mir nicht sonderlich willig zu sein scheint, darf ich Euch gleich darauf aufmerksam machen, daß wir genauestens aufpassen werden, daß alles seine Richtigkeit hat.«
»Und was hat das wohl zu bedeuten?« fragte Angélique herausfordernd, indem sie die Arme in die Hüften stemmte.
Aber ihre Geste belustigte die seriösen Kaufleute nur, die sich inzwischen dazugesellt hatten, und einer der jüngeren unter ihnen glaubte ihr erklären zu müssen:
»Das hat zu bedeuten, daß Ihr Euch bei der Aufnahme in die Innung damit einverstanden erklärt, daß dieses neue Produkt von allen Gewürzkrämern und Limonadenverkäufern vertrieben wird, vorausgesetzt, daß es, wunderlich wie es ist, bei den Kunden größeren Anklang findet.«
»Das ist ja alles ungemein ermutigend, was Ihr mir da erzählt, Ihr Herren. Danke schön! Wir sollen also sämtliche Unkosten tragen, neue Meister mit Kind und Kegel bei uns aufnehmen, die Reklametrommel rühren, die Wohnung trockenwohnen, wie man so sagt, und uns dabei entweder ruinieren oder aber hinterher den Ertrag unserer Mühen und unseres Geheimnisses mit denen teilen, die nichts dazu getan haben?«
»Die im Gegenteil alles dazu getan haben, meine Teure, indem sie Euch aufnahmen und Eurem Geschäft keine Hindernisse in den Weg legten.«
»Kurz und gut, es ist also eine Art Wegezoll, was Ihr verlangt?«
Der junge Innungsmeister suchte sie zu beruhigen.
»Vergeßt nicht, daß die Zünfte wachsenden Geldbedarf haben, und da Ihr selbst ein Gewerbe betreibt, wißt Ihr ja, daß man uns bei jedem neuen Krieg, bei jeder Geburt im Königs- oder auch nur in einem Prinzenhause zwingt, unsere teuer erworbenen Privilegien abermals zu kaufen. Und darüber hinaus ruiniert uns der König, indem er bei jedem Anlaß oder auch ohne jeglichen Anlaß neue Patente fabriziert, wie zum Beispiel dieses da, das Ihr im Namen des Sieur Chaillou vorweist .«
»Der Sieur Chaillou bin ich«, bemerkte David, »nachdem mein Vater gestorben ist, und ich kann Euch versichern, Ihr Herren, daß ihm sein Patent durch kostspielige Forschungen und Abgaben an den König teuer zu stehen gekommen ist.«
»Eben in diesem Punkt, junger Mann, seid Ihr nicht im reinen mit uns: vor allem seid Ihr kein Gewürzmeister, werdet es auch nie sein, und unsere Innung hat daher nichts von Euch erhalten.«
»Aber sein Vater bringt Eurer Innung doch eine Erfindung .«
»Beweist uns das auf Eure Kosten, und verpflichtet Euch, uns von ihr profitieren zu lassen.«
»Aber die Innung hat weder für diesen jungen Mann noch für seinen Vater etwas getan!«
»Wenn Ihr nichts einbringt, kann die Innung Euch auch nicht aufnehmen.«
»Ist denn das überhaupt nötig?« fragte Angélique brüsk. »Da dieser junge Mann vom König die alleinige Genehmigung erhalten hat, dieses Produkt herzustellen und zu vertreiben, und da sein Onkel und ich selbst willens sind, ihm die Mittel zur Verfügung zu stellen und die Sache zu leiten, sehe ich nicht ein, wieso wir gezwungen sein sollten, auf Eure Forderungen einzugehen.«
An den verstohlenen Blicken, die die Innungsmeister tauschten, erkannte sie, daß sie die schwache Stel-le im Gebäude des Zunftwesens berührt hatte. Was jene die »Launen« des Königs nannten, rüttelte an seit vierhundert Jahren gültigen Bestimmungen.
Der junge Kaufmann sagte erregt:
»Seid nicht so störrisch, junge Frau, und glaubt nicht, daß Ihr uns ungestraft trotzen könntet. Andererseits möchte ich Euch darauf verweisen, daß Ihr, wenn Ihr Euch der Innung verbindet, gewichtige Vorteile genießen werdet.«
»Welche? Könnt Ihr garantieren, daß mir nicht auch noch die Wasserverkäufer Schwierigkeiten bereiten und ihren Anteil verlangen werden? Könnt Ihr garantieren, daß sich, falls ich unser Geheimnis mit Euch teile, nicht auch die Apotheker oder die Ärzte einschalten werden, die behaupten, daß die Schokolade ein Produkt von eminent heilsamer Wirkung sei .?«
»In diesem Punkt könnt Ihr beruhigt sein, mein Kind. Die Ärzte und Apotheker sind sich nie einig.«
Doch der beleibte Innungsvorsteher mischte sich ein:
»Ich habe freilich gehört, die Ärzteschaft halte viel von der Schokolade und empfehle den Apothekern, sich damit zu versorgen.«
»Dann allerdings kompliziert sich Euer Fall, meine Liebe, denn die Innung der Spezereiwarenhändler kann sich nicht mit dem Vertrieb eines Medikaments befassen ...«
Angélique hatte ein Gefühl, als platze ihr der Kopf, und stieß einen tiefen Seufzer aus. Sie verabschiedete sich mit der Erklärung, sie werde über die uner-forschlichen Geheimnisse der Gewerbeverordnungen nachdenken, und sie sei überzeugt, daß die Herren bis zum nächsten Mal einen trefflichen Grund gefunden hätten, um sie daran zu hindern, etwas Neuartiges zu unternehmen.