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Aber er war wohlhabend und hatte einflußreiche Persönlichkeiten hinter sich, während Angélique und der gute David einigermaßen hilflos der Feindseligkeit der Gilden ausgeliefert waren.
Die Protektion des Königs für dieses erste, vor fünf Jahren ausgestellte Patent zu erbitten, erschien ihr ebenso mißlich wie schwierig. Also begann sie, nach einem Wege zu suchen, der zur Verständigung mit Audiger führen konnte. War es, statt einander zu bekämpfen, schließlich nicht vernünftiger, gemeinsame Anstrengungen zu machen und sich in das Geschäft zu teilen? So konnte Angélique mit Hilfe des Patents und der Fabrikationsgeräte die Beschaffung der Kakaobohnen übernehmen und diese bis zum gebrauchsfertigen Zustand aufbereiten. Der Haushofmeister würde aus dem Pulver das Getränk und alle möglichen Arten von Konfekt her-stellen.
Im Verlauf ihrer ersten Unterhaltung war ihr klargeworden, daß der junge Mann sich noch nicht ernsthaft mit dem Gedanken an die Beschaffungsmög lichkeiten des Rohprodukts befaßt hatte. Ganz obenhin hatte er erwidert, »das bereite nicht die leisesten Schwierigkeiten«, er werde »durch Freunde« genug bekommen.
Nun, durch die Zwergin der Königin wußte Angélique, daß der Transport einiger für die Naschhaftigkeit Ihrer Majestät erforderlicher Säcke Kakao eine wahre diplomatische Mission darstellte und daß es zahlreicher Mittelspersonen und Verbindungen zum spanischen Hof oder nach Florenz bedurfte ... Auf solche Weise konnte man sich aber für den laufenden Bedarf nicht verproviantieren, und bis dahin schien nur Davids Vater sich ernsthaft mit diesem Gedanken beschäftigt zu haben.
Audiger kam häufig in die Schenke zur »Roten Maske«. Wie der »Vielfraß« Montmaur ließ er sich an einem abseits stehenden Tische nieder, immer allein und sichtlich jede Gesellschaft meidend. Seit seinem ersten, sehr kecken und munteren Auftreten war er plötzlich recht einsilbig geworden, und Angélique wunderte sich ein wenig darüber, daß dieser bereits renommierte Berufsgenosse ihr kein Kompliment über ihre Kochkünste machte. Im übrigen nippte er nur an den Speisen und folgte Angélique auf Schritt und Tritt mit den Augen. Der ernste und hartnäckige Blick dieses hübschen, gutgewachsenen und selbstbewußten Burschen schüchterte schließlich die junge Frau ein, die das Getändel des ersten Tags bereute und nicht wußte, wie sie auf die Sache zu sprechen kommen sollte, die ihr am Herzen lag. Vielleicht war sich Audiger klargeworden, daß es schwieriger sein würde, sie beiseite zu schieben, als er ursprünglich gedacht hatte. Vielleicht überwachte er sie jetzt gar?
Allmählich jedoch trieb er es mit dem Überwachen ein wenig weit, denn bei den Ausflügen, die die ganze Familie an diesen Sommersonntagen aufs Land unternahm, tauchte Audiger wiederholt zu Pferde auf und lud sich zu ihrer Mahlzeit im Grünen ein. Wie durch Zufall fanden sich in seiner Satteltasche stets eine Hasenpastete und eine Flasche Champagner.
Oder aber man stieß auf ihn in der Galeote, die auf dem Wasserweg nach Chaillot fuhr, im Marktschiff von Saint-Cloud, in dem seine Bänder, seine Federn und seine Kleidung aus feinem Tuch sich seltsam genug ausnahmen. Am Tage nach einem dieser Ausflüge trat Audiger plötzlich aus seiner Reserve heraus und sagte zu Angélique: »Je länger ich Euch beobachte, desto mehr Rätsel gebt Ihr mir auf, schöne Freundin. Es ist da etwas in Euch, das mich beunruhigt .«
»Bezüglich Eurer Schokolade?«
»Nein . oder vielmehr doch . indirekt. Zuerst bildete ich mir ein, Ihr wärt für die Dinge des Herzens ... und auch des Geistes geschaffen. Und nun merke ich immer mehr, daß Ihr in Wirklichkeit sehr praktisch, ja sogar materiell seid und daß Ihr nie den Kopf verliert.«
»Ich will es hoffen«, dachte sie. Aber sie begnügte sich damit, auf die liebreizendste Art zu lächeln.
»Im Leben gibt es Perioden, in denen man gezwungen wird, sich voll und ganz einer einzigen Sache zu widmen, dann wieder einer andern. Zu gewissen Zeiten ist es die Liebe, die vorherrscht, gewöhnlich dann, wenn das Dasein einem leichtfällt. Zu andern ist es die Arbeit, ein gestecktes Ziel. So will ich Euch auch nicht verheimlichen, daß ich zur Zeit mein Augenmerk in erster Linie darauf richte, Geld für meine Kinder zu verdienen, deren ... deren Vater gestorben ist.«
»Ich möchte nicht indiskret erscheinen, aber da Ihr schon einmal von Euren Kindern sprecht - glaubt Ihr, daß es Euch bei einem ebenso anstrengenden wie unsicheren und vor allem mit echtem Familienleben so wenig zu vereinbarenden Gewerbe gelingen kann, sie ordentlich zu erziehen und glücklich zu machen?«
»Ich habe keine Wahl«, sagte Angélique hart. »Im übrigen kann ich mich über Meister Bourgeaud nicht beklagen und habe bei ihm ein im Verhältnis zu meiner bescheidenen Stellung unverhofft gutes Auskommen gefunden.«
Audiger hüstelte, spielte eine Weile nachdenklich mit den Quasten seines Spitzenkragens und sagte zögernd:
»Und ... wenn ich Euch diese Wahl böte?«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
Sie sah ihn an und erkannte in seinen braunen Augen den Ausdruck verhaltener Verehrung. Der Augenblick schien ihr günstig, um die Verhandlungen voranzutreiben: »Da fällt mir ein: Habt Ihr endlich Euer Patent?«
Audiger seufzte.
»Aha, Ihr seid also doch interessiert und verbergt es auch gar nicht! Nun, offen gesagt, ich habe den Stempel der Staatskanzlei noch nicht und werde ihn wohl auch nicht vor Oktober bekommen, denn während der Sommermonate hält sich der Präsident Séguier in seinem Landhause auf. Aber von diesem Zeitpunkt an wird alles ganz rasch gehen, denn ich habe meine Angelegenheit mit dem Grafen de Guiche besprochen, des Kanzlers Schwager. Ihr seht, daß Ihr binnen kurzem keine Aussicht mehr habt, eine hübsche Schokoladenwirtin zu werden ... falls Ihr nicht ...«
»Jawohl ... falls ich nicht ...«, sagte Angélique. »So hört mich an.«
Und sie teilte ihm frank und frei ihre Absichten mit. Sie verriet ihm, daß sie ein Patent besitze, das älteren Datums als das seinige sei und mit dem sie ihm Verdruß bereiten könne, doch sei es wohl am besten, man einige sich. Sie würde die Herstellung des Produkts übernehmen und er die Zubereitung. Und um am Gewinn des Schokoladegeschäfts beteiligt zu sein, würde Angélique ihm helfen und Geld investieren.
»Wo gedenkt Ihr Euer Schokoladegeschäft einzurichten?«
»Im Quartier Saint-Honoré bei der Croix du Tra-hoir. Aber Eure Geschichten haben weder Hand noch Fuß!«
»Sie haben durchaus Hand und Fuß, das wißt Ihr genau. Das Quartier Saint-Honoré ist ein ausgezeichnetes Viertel. Der Louvre liegt in der Nähe, das Palais Royal ebenfalls. Es darf keine Gaststätte werden, die wie eine Schenke oder eine Bratstube wirkt. Ich sehe schöne schwarze und weiße Fliesen, Spiegel und vergoldetes Tafelwerk und dahinter einen Garten mit Weinlauben wie im Klosterbezirk der Coelestiner, behagliche Lauben für Liebespaare.«
Der Haushofmeister, den Angéliques Ausführungen verdrießlich gemacht hatten, entrunzelte bei dieser letzten Schilderung die Stirn.
»Ihr seid wirklich bezaubernd, wenn Ihr Euch so von Eurer Phantasie fortreißen laßt. Ich liebe Euren Frohsinn und Euren Schwung, denen Ihr das richtige Maß von Bescheidenheit beizumischen versteht. Ich habe Euch aufmerksam beobachtet. Ihr seid schlagfertig, aber von untadeliger Sittsamkeit, und das gefällt mir. Was mich abstößt an Euch, das ist, ich will es nicht verheimlichen, Eure allzu praktische Einstellung und Eure Art, Euch mit erfahrenen Männern auf gleiche Stufe zu stellen. Die Zartheit der Frauen läßt sich schlecht mit forschem Ton und schneidigem Gehaben vereinen. Sie sollen es den Männern überlassen, diese Dinge auszuhandeln, bei denen ihre kleinen Köpfchen nur in Verwirrung geraten.«
Angélique lachte laut auf. »Ich sehe schon Meister Bourgeaud und David über diese Dinge diskutieren!«
»Es handelt sich nicht um sie.«
»So? Ihr habt also noch nicht erfaßt, daß ich mich allein durchbeißen muß?«
»Das ist es ja, Euch fehlt ein Beschützer.«
Angélique stellte sich taub.
»Hübsch langsam, Meister Audiger. In Wirklichkeit seid Ihr ein eifersüchtiges Ekel und wollt Eure Schokolade alleine trinken. Und weil das, was ich Euch auseinandersetze, Euch nicht paßt, versucht Ihr auszuweichen, indem Ihr Reden über die Zartheit der Frauen haltet. Aber in dem kleinen Krieg, den wir gegeneinander führen, scheint mir die Lösung, die ich Euch vorschlage, noch immer die vernünftigste.«
»Ich weiß eine hundertmal bessere.«
Unter dem bohrenden Blick des jungen Mannes gab Angélique vorderhand ihr Bemühen auf. Sie nahm ihm seinen Teller weg, wischte den Tisch ab und erkundigte sich, was er als Zwischengericht wünsche. Doch als sie zur Küche ging, stand er auf und holte sie mit zwei Schritten ein.
»Angélique, mein Täubchen, seid nicht grausam«, flehte er. »Versprecht mir, daß Ihr am Sonntag allein mit mir einen Spaziergang machen werdet. Ich möchte ernsthaft mit Euch reden. Wir könnten zur Javel-Mühle gehen. Wir essen dort ein Fischgericht, und dann wandern wir über die Felder. Wollt Ihr?«
Er hatte seinen Arm um ihre Taille gelegt. Sie hob die Augen zu ihm, gefesselt von diesem frischen Gesicht, zumal von den unter den beiden dunklen Strichen des Schnurrbarts kräftig sich abzeichnenden Lippen. Lippen, die sich fordernd dem Fleisch aufdrängen mußten, das sie berührten.
Ein Schauer der Lust durchrieselte sie, und mit kraftloser Stimme willigte sie ein, sich am Sonntag von ihm zur Javel-Mühle geleiten zu lassen.
Die Aussicht auf diesen Ausflug beschäftigte Angélique viel mehr, als ihr lieb war. Sie mochte sich noch so sehr bemühen, vernünftig zu sein - jedesmal, wenn sie an Audigers Lippen dachte und an den um ihre Taille gelegten Arm, überlief sie ein heißer Schauer. Solche Empfindungen waren ihr völlig fremd geworden. Als sie darüber nachdachte, stellte sie fest, daß seit nahezu zwei Jahren, sei jenem Abenteuer im Châtelet, kein Mann sie berührt hatte. Nun, das war freilich nicht ganz wörtlich zu nehmen, denn dieses Nonnendasein hatte sich in einer Atmosphäre der Sinnlichkeit abgespielt, in der man sich nur mit Mühe behaupten konnte; sie konnte die dreisten Küsse und Liebkosungen gar nicht mehr zählen, die sie mit Ohrfeigen hatte abwehren müssen. Mehrmals war sie im Hof von betrunkenen Kerlen angefallen worden und hatte sich mit Fußtritten ihrer erwehren und um Hilfe rufen müssen. All das, zusammen mit den Erinnerungen an den Polizeihauptmann und die derben Umarmungen Calembredaines, hinterließ in ihr den bitteren Geschmack von Gewalttätigkeiten, die ihre Sinne abgestumpft hatten.
Verwundert spürte sie, daß sie wieder erwacht waren, mit einer Plötzlichkeit und Süße, wie sie es noch vor wenigen Tagen nicht für möglich gehalten hätte. Ob dieser Audiger ihre Verwirrung ausnutzen würde, um ihr das Versprechen zu entlocken, ihn in seinem Geschäft nicht zu behindern?
»Nein«, sagte sich Angélique. »Das Vergnügen und die Geschäfte sind getrennte Dinge. Ein in herzlichem Einvernehmen verbrachter Tag kann meinen Zukunftsplänen nicht abträglich sein. Im übrigen, was berechtigt mich zu der Vermutung, daß sich etwas zutragen könne? Audiger hat sich stets völlig korrekt verhalten.«
Vor ihrem Spiegel strich sie mit dem Finger über ihre langen, feinen Augenbrauen. War sie noch immer schön? Man sagte es ihr, aber hatte die Hitze des Herdfeuers ihren von Natur matten Teint nicht noch mehr gebräunt?
»Ich bin ein bißchen voller geworden, was mir gar nicht übel steht. Außerdem hat dieser Typ von Männern eine Vorliebe für rundliche Frauen.«
Sie schämte sich ihrer von der Küchenarbeit rauh und dunkel gewordenen Hände und kaufte beim Großen Matthieu auf dem Pont-Neuf eine Salbe, um sie zu bleichen. Auf dem Rückweg erstand sie einen Kragen aus normannischer Spitze, den sie über den Ausschnitt ihres schlichten Kleides aus blaugrünem Tuch legen wollte. So würde sie wie eine kleine Bürgersfrau wirken und nicht wie eine Magd oder Händlerin. Dazu besorgte sie sich, einer leichtferti-gen Laune nachgebend, ein Paar Handschuhe und einen Fächer.
Wirklichen Kummer machten ihr nur ihre Haare. Sie waren krauser und blonder nachgewachsen, aber sie wollten nicht wieder die alte Länge erreichen. Betrübt dachte sie an das schwere und seidige Vlies, das sie in ihrer Kindheit über die Schultern zu schütteln pflegte.
Am Morgen des großen Tages verbarg sie sie unter einem dunkelblauen seidenen Tuch, das der Meisterin Bourgeaud gehört hatte. Am Ausschnitt ihres Mieders befestigte sie eine Kamee aus Karneol und an ihrem Gürtel ein mit Perlen besticktes Täschchen, das ebenfalls aus deren Hinterlassenschaft stammte. -Angélique wartete unter dem Torbogen. Der Tag versprach schön zu werden. Der Himmel breitete sich klar über den hohen Giebeln. Als Audigers Kutsche endlich erschien, lief sie ihr mit der Ungeduld eines Pensionatszöglings an seinem Ausgangstag entgegen.
Der Haushofmeister sah geradezu prächtig aus. Er trug gelbe Kniehosen mit leuchtenden Bändern. Sein Wams aus gemsfarbenem Samt, das mit schmalen, orangegelben Litzen gesäumt war, öffnete sich über einem gefältelten Hemd aus feinstem Linon. Die Spitzen an seinen Knien, seinen Manschetten und seiner Halsbinde waren hauchzart.
Angélique berührte sie voller Bewunderung.
»Das sind irische Spitzen«, erklärte der junge Mann. »Sie haben mich ein kleines Vermögen gekostet.«
Ein wenig geringschätzig hob er den schlichten Kragen seiner Gefährtin.