142424.fb2
»Hinken kannst du, Mädchen, sei bloß fünfzehn Jahr’, Busen brauchst du nicht, Verstand nicht nötig. Eltern? Weiß der Himmel! Doch zum Kinderkriegen sei im Vorzimmer ganz unschuldig er-bötig:
Dann bekommst du den höchsten Geliebten als Preis,
La Vallière hat geliefert dafür den Beweis.«
Diesen Pasquillen begegnete man überall in Paris, im Hôtel Biron, wo Louise de La Vallière wohnte, im Louvre und sogar bei der Königin, die angesichts dieses Porträts ihrer Rivalin zum erstenmal nach langer Zeit lachte und sich vergnügt die kleinen Hände rieb.
Verletzt, vor Scham vergehend, bestieg Mademoiselle de La Vallière die nächstbeste Kutsche und ließ sich zum Kloster Chaillot fahren, wo sie den Schleier nehmen wollte.
Der König befahl ihr, schleunigst zurückzukehren und sich bei Hof zu zeigen, und ließ sie endlich durch Monsieur Colbert holen. In dieser Zurückbeorderung lag weniger entrüstete Zärtlichkeit als der zornige Trotz des Monarchen, den sein Volk zu verspotten wagte, der andererseits aber auch zu fürchten begann, seine Mätresse könnte ihm nicht zur Ehre gereichen.
Die gewiegtesten Polizeispione wurden auf den Schmutzpoeten gehetzt, und diesmal zweifelte niemand, daß er erwischt und gehenkt werden würde.
Angélique war im Begriff, sich in ihrem kleinen Zimmer in der Rue des Francs-Bourgeois zu Bett zu begeben. Javotte hatte sich gerade mit einem Knicks zurückgezogen. Die Kinder schliefen.
Draußen hörte sie jemanden laufen - die Schritte wurden durch den Schnee gedämpft, der an diesem Dezemberabend ganz leise zu rieseln begonnen hatte -, und gleich darauf wurde an die Haustür geklopft. Angélique schlüpfte in ihren Schlafrock und lief zum Guckloch.
»Wer ist da?«
»Rasch, mach mir auf. Der Hund!«
Ohne lange zu überlegen, schob Angélique die Riegel zurück. Der Pasquillenschreiber taumelte ihr entgegen. Im selben Augenblick tauchte lautlos ein weißes Etwas aus der Finsternis auf und sprang ihm an die Kehle.
»Sorbonne!« schrie Angélique. Sie stürzte hinzu, und ihre Hand berührte das feuchte Fell der Dogge. »Laß ihn, Sorbonne, laß ihn!«
Sie sagte es auf deutsch, da sie sich undeutlich erinnerte, daß Desgray dem Hund in dieser Sprache Befehle erteilte.
Sorbonne knurrte, während er seine Fangzähne in den Kragen seines Opfers grub. Doch nach einer Weile drang Angéliques Stimme in sein Bewußtsein. Er wedelte mit dem Schwanz und ließ, immer noch knurrend, seine Beute fahren.
Der Mann keuchte.
»Um mich ist’s geschehen!«
»Nicht doch. Kommt rasch herein.«
»Der Hund wird vor der Tür bleiben und mich dem Polizisten verraten.«
»Kommt herein, sag’ ich Euch!«
Sie stieß ihn ins Innere, dann schlug sie die Tür zu und blieb vor der Schwelle stehen. Sorbonne hielt sie an seinem Halsband fest. Vor der Toreinfahrt sah sie im Widerschein einer Laterne den Schnee wirbeln. Endlich hörte sie den gedämpften Schritt sich nähern, den Schritt, der immer dem Hunde folgte, den Schritt des Polizisten François Desgray.
Sie trat ein wenig aus dem Dunkel der Einfahrt hervor. »Sucht Ihr etwa Euren Hund, Maître Desgray?«
Er blieb stehen, dann trat er seinerseits unter den Torbogen. Sie sah sein Gesicht nicht.
»Nein«, sagte er ruhig, »ich suche einen Pamphle-tisten.«
»Sorbonne kam vorbei. Denkt nur, ich kannte ihn früher einmal, Euren Hund. Ich rief ihn an und nahm mir die Freiheit, ihn festzuhalten.«
»Er war zweifellos entzückt darüber, Madame. Habt Ihr vor Eurer Tür bei diesem köstlichen Wetter ein wenig frische Luft geschöpft?«
»Ich wollte eben meine Tür abschließen. Aber wir unterhalten uns in der Finsternis, Maître Desgray, und ich glaube, Ihr ahnt gar nicht, wer ich bin.«
»Ich ahne es nicht, Madame, ich weiß es. Ich habe schon lange ausfindig gemacht, wer in diesem Hause wohnt, und da mir keine Pariser Schenke unbekannt ist, habe ich Euch auch in der >Roten Maske< gesehen. Ihr nennt Euch Madame Morens, und Ihr habt zwei Kinder, von denen das ältere Florimond heißt. Früher hießt Ihr Madame de Peyrac.«
»Man kann nichts vor Euch verheimlichen, Polizist. Aber wenn Ihr mich längst ausfindig gemacht habt, wie Ihr sagt, warum bedarf es da eines Zufalls, daß wir uns sprechen?«
»Ich war nicht ganz sicher, ob mein Besuch Euch erfreuen würde, Madame. Als wir uns das letztemal sahen, sind wir ziemlich uneinig auseinandergegangen.«
Angélique rief sich die nächtliche Jagd im Faubourg Saint-Germain ins Gedächtnis zurück; es kam ihr vor, als habe sie einen völlig trockenen Mund.
Mit ausdrucksloser Stimme fragte sie:
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Es schneite genau wie heute nacht, und unter dem Torbogen war es nicht minder dunkel als hier.«
Angélique stieß heimlich einen Seufzer der Erleichterung aus.
»Wir waren nicht uneinig, wir waren besiegt, das ist nicht dasselbe, Maître Desgray.«
»Nennt mich nicht mehr Maître, Madame, denn ich habe meine Advokatenzulassung verkauft, und man hat mir außerdem meinen akademischen Titel genommen. Indessen habe ich sie zu einem sehr günstigen Preise abgetreten und mir dafür die Stelle eines Polizeioffiziers erstanden, weswegen ich mich jetzt einer einträglicheren und nicht minder nützlichen Aufgabe widme: der Verfolgung der Übeltäter und Übelgesinnten in dieser Stadt. Ich bin also von den Höhen des Worts in die Niederungen des Schweigens hinuntergestiegen.«
»Ihr seid noch genauso wortgewandt wie früher, Maître Desgray.«
»Gelegentlich finde ich wieder Geschmack an gewissen oratorischen Perioden. Das ist wohl auch der Grund, warum ich speziell damit beauftragt wurde, mich mit den Poeten, den Pamphletisten, den Federfuchsern jeglicher Art zu befassen. So verfolge ich heute abend einen heimtückischen Burschen, einen gewissen Claude Le Petit, den man auch Schmutzpoet nennt. Dieses Individuum wird Euch zweifellos für Eure Dazwischenkunft segnen.«
»Weshalb das?«
»Weil Ihr uns kurz vor dem Ziel in die Quere kamt, während er weiterlief«
»Verzeiht, daß ich Euch aufhielt.«
»Mir persönlich ist es ein ausgesprochenes Vergnügen gewesen, obwohl es dem kleinen Salon, in dem Ihr mich empfangt, ein wenig an Bequemlichkeit mangelt.«
»Vergebt mir. Ihr müßt wiederkommen, Desgray.«
»Ich werde wiederkommen, Madame.«
Er beugte sich über den Hund, um ihn an die Leine zu nehmen. Das Schneegestöber war dichter geworden. Der Polizist schlug den Mantelkragen hoch, tat ein paar Schritte und blieb noch einmal stehen.
»Da fällt mir etwas ein«, sagte er. »Dieser Schmutzpoet hat zur Zeit des Prozesses Eures Gatten ein übles Lästergedicht verfaßt. Wartet mal .
Doch Madame de Peyrac - sollt’ man’s glauben? -läßt sich dadurch nicht die Stimmung rauben. Hoffend, daß noch lang’ in der Bastille er möge bleiben .«
»Oh, schweigt, ich flehe Euch an!« rief Angélique und hielt sich die Ohren zu. »Sprecht mir nie von diesen Dingen. Ich erinnere mich an nichts mehr. Ich will mich nicht mehr daran erinnern .«