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»Ja, die Vergangenheit ist tot!«
»Das ist das Beste, was Ihr tun konntet. Ich werde nicht mehr davon reden. Auf Wiedersehen, Madame ... und gute Nacht!«
Angélique schob zitternd die Riegel vor. Sie war völlig durchgefroren, da sie, nur mit ihrem Schlafrock bekleidet, so lange in der Kälte gestanden hatte. Zu dem Kältegefühl gesellte sich die durch die Wiederbegeg-nung mit Desgray und seine Äußerungen ausgelöste Erregung.
Sie kehrte in ihr Zimmer zurück und schloß die Tür. Der Mann saß, die Arme um die mageren Knie verschränkt, auf dem Kaminrand. Er glich einem Heimchen.
Die junge Frau lehnte sich an die Tür und sagte mit ausdrucksloser Stimme:
»Seid Ihr der Schmutzpoet?«
Er lächelte ihr zu. »Schmutz? Gewiß. Poet? Vielleicht.«
»Seid Ihr es, der diese ... diese Gemeinheiten über Mademoiselle de La Vallière geschrieben hat? Könnt Ihr denn die Leute nicht in Ruhe sich lieben lassen? Der König und jenes Mädchen haben sich alle Mühe gegeben, ihre Beziehungen geheimzuhalten, und Ihr habt nichts Besseres zu tun, als auf widerliche Weise daraus einen Skandal zu machen. Das Verhalten des Königs ist gewiß tadelnswert, aber er ist ein leidenschaftlicher junger Mann, den man gezwungen hat, eine Prinzessin ohne Geist und körperliche Reize zu ehelichen.«
Er lachte spöttisch.
»Wie du ihn verteidigst, mein Täubchen! Hat dir dieser Freibeuter das Herz umgarnt?«
»Nein, aber es empört mich, wenn ich sehe, wie man ein achtbares, edles Gefühl in den Schmutz zieht.«
»Es gibt nichts Achtbares oder Edles auf der Welt.«
Angélique durchquerte den Raum und lehnte sich an die andere Seite des Kamins. Sie fühlte sich schlaff und überreizt. Der Schmutzpoet sah zu ihr auf. »Wußtest du nicht, wer ich bin?« fragte er.
»Niemand hat es mir gesagt, und wie hätte ich es erraten können? Eure Feder ist ruchlos und leichtfertig; und Ihr .«
»Und ich?«
»Ihr, Ihr schient mir gut und fröhlich.«
»Ich bin gut zu den armen, kleinen Mädchen, die in Heukähnen weinen, und böse zu den Fürsten.«
Angélique seufzte. Sie wies mit dem Kinn nach der Tür.
»Ihr müßt jetzt gehen.«
»Gehen?« rief er aus. »Gehen, wo der Hund Sorbonne auf mich wartet, um sich in meine Hosen zu verbeißen, und der Polizist des Teufels seine Handschellen bereithält?«
»Sie sind fort.«
»Fort? O nein! Sie warten im Dunkeln.«
»Ich schwöre Euch, sie ahnen nicht, daß Ihr hier seid.«
»Kann man das wissen? Kennst du denn diese beiden Gesellen nicht, mein Herzchen, du, die Calembredaines Bande angehört hat?«
Sie bedeutete ihm energisch zu schweigen.
»Siehst du? Du spürst selbst, daß sie auf der Lauer liegen, draußen, hinter den Schneeschleiern. Und du willst, daß ich gehe!«
»Ja, geht!«
»Du jagst mich fort?«
»Ich jage Euch fort.«
»Dir habe ich doch nichts Böses getan?«
»Doch.«
Er starrte sie lange an, dann streckte er ihr die Hand entgegen.
»Dann müssen wir uns versöhnen. Komm.«
Und da sie sich nicht rührte: »Wir werden beide vom Hund verfolgt. Was haben wir davon, wenn wir einander grollen?«
Er hielt ihr noch immer die Hand hin.
»Deine Augen sind hart und kalt wie ein Smaragd geworden. Sie haben den Reflex des kleinen Flusses unterm Laubdach verloren, der voller Sonnenschein ist und zu sagen scheint: Liebe mich, küsse mich .«
»Ist es der Fluß, der all das sagt?«
»Deine Augen sind’s, wenn ich nicht dein Feind bin. Komm!«
Plötzlich gab sie ihren Widerstand auf und setzte sich neben ihn, und er legte seinen Arm um ihre Schultern.
»Du zitterst. Du hast deine selbstsichere Haltung verloren. Irgend etwas hat dir Angst eingeflößt. Ist es der Hund? Oder der Polizist?«
»Der Hund ... der Polizist, und auch Ihr, Herr Schmutzpoet.«
»O finstere Dreieinigkeit von Paris!«
»Ihr, der Ihr über alles auf dem laufenden seid
- wißt Ihr, was ich tat, bevor ich mit Calembredaine zusammen war?«
Er schnitt eine verdrießliche Grimasse.
»Nein. Nachdem ich dich wieder ausfindig gemacht hatte, beobachtete ich, wie du deinen Bratkoch am Gängelband führtest. Aber vor Calembredaine, nein, da hab’ ich die Spur verloren.«
»Gottlob.«
»Was mich ärgert, ist, daß ich nahezu sicher bin, daß der Teufelspolizist deine Vergangenheit kennt.«
»Ihr wetteifert im Einziehen von Erkundigungen?«