142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 166

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»Wir tauschen sie häufig untereinander.«

»Im Grunde seid ihr euch sehr ähnlich.«

»Ein wenig. Aber es besteht gleichwohl ein großer Unterschied zwischen ihm und mir.«

»Nämlich?«

»Daß ich ihn nicht umbringen kann, während er mich in den Tod zu schicken vermag. Hättest du mir heute abend nicht die Tür aufgemacht, säße ich jetzt dank seiner >Fürsorge< im Châtelet. Ich wäre mit gütiger Unterstützung von Meister Aubins hölzernem Pferd bereits um drei Daumenlängen gewachsen und würde morgen bei Tagesanbruch am Ende eines Strickes baumeln.«

»Und warum sagt Ihr, daß Ihr Eurerseits ihn nicht töten könnt?«

»Ich kann nicht töten. Wenn ich Blut sehe, wird mir übel.«

Sie mußte über sein angeekeltes Mienenspiel lachen. Die nervöse Hand des Poeten legte sich auf ihre Schulter.

»Wenn du lachst, gleichst du einem Täubchen.«

Er beugte sich über ihr Gesicht. Sie sah zwischen den Lippen seines zärtlich und spöttisch lächelnden Mundes die von der Zange des Großen Matthieu verursachte Lücke und spürte das Bedürfnis, zu weinen und ihn zu lieben.

»Gut so«, flüsterte er, »du hast keine Angst mehr. Alles rückt fern ... Es gibt nichts mehr auf der Welt als den Schnee, der draußen fällt, und uns, die wir hier in der Wärme geborgen sind ... Du bist nackt unter diesem Kleidungsstück? Ja, ich spüre es. Bleib ganz ruhig, Liebste ... Sag nichts mehr .«

Seine Hand schob sacht den Mantel auseinander, folgte der Schulterlinie, glitt tiefer. Er lachte, weil er sie erschauern fühlte.

»Sieh da, die Frühlingsknospen! Dabei sind wir mitten im Winter!«

Er küßte ihre Lippen. Dann streckte er sich vor dem Feuer aus und zog sie sanft an sich.

Er kam wieder. Er erschien des Abends und scharrte vor der Schwelle, wie sie es verabredet hatten. Sie öffnete ihm geräuschlos, und in der Wärme der kleinen Stube, neben dem abwechselnd gesprächigen, spöttischen und verliebten Gefährten, vergaß sie die Mühen des Alltags. Er berichtete ihr alle Skandale des Hofs und der Stadt. Das machte ihr Spaß, denn sie kannte die meisten Persönlichkeiten, von denen er sprach.

»Ich bin reich durch die Angst der Leute, die mich fürchten«, sagte er.

Aber er hing nicht am Geld. Vergeblich redete sie ihm zu, sich anständiger zu kleiden.

Nach einem guten Mittagessen, das er annahm, ohne auch nur auf den Gedanken zu kommen, nach seiner Börse zu greifen, ließ er sich zuweilen eine ganze Woche nicht sehen, und wenn er abgezehrt, hungrig und lächelnd wieder erschien, fragte sie ihn vergeblich aus. Warum ließ er sich nicht bei Gelegenheit von den verschiedenen Gaunerbanden verköstigen, da er doch in so gutem Einvernehmen mit ihnen stand? Nie hatte man ihn in der Tour de Nesle zu sehen bekommen, wo er als eine der hervorragenden Persönlichkeiten des Pont-Neuf stets willkommen gewesen wäre. Und mit all den Geheimnissen, die er kannte, hätte er gar viele Leute erpressen können.

»Es ist amüsanter, sie weinen und mit den Zähnen knirschen zu sehen«, sagte er.

Nur von den Frauen, die er liebte, nahm er Hilfe an. Wenn eine kleine Blumenverkäuferin, ein Freudenmädchen, eine Magd sich seinen Liebkosungen hingegeben hatte, räumte er ihr das Recht ein, ihn ein bißchen zu verwöhnen. Sie sagten zu ihm: »Iß, mein Kleiner«, und schauten gerührt zu, wie er futterte.

Dann flog er davon. Gleich der Blumenverkäuferin, dem Freudenmädchen oder der Magd hatte Angélique zuweilen das Verlangen, ihn festzuhalten. Wenn sie im warmen Bett neben diesem langen, mageren Körper lag, dessen Umarmungen so feurig und beschwingt waren, legte sie ihren Arm um seinen Hals und zog ihn an sich. Aber schon schlug er die Augen auf und bemerkte, daß es hinter den Butzenscheiben zu tagen begann. Hastig sprang er aus dem Bett und kleidete sich an.

Tatsächlich hielt es ihn nirgends. Er war von einem in seiner Epoche recht ungewöhnlichen Drang besessen, den man zu allen Zeiten teuer bezahlt: dem Drang nach Freiheit.

Und er hatte nicht immer unrecht, so unstet zu sein. Gar oft tauchte, wenn Angélique eben mit dem Anziehen fertig war, ein dunkler Schatten vor den Gitterstäben des offenstehenden Fensters auf.

»Ihr stattet Eure Besuche zu früher Stunde ab, Herr Polizist.«

»Ich komme nicht zu Besuch, Madame. Ich suche einen Pamphletisten.«

»Und Ihr glaubt, ihn in dieser Gegend zu finden?« fragte Angélique ungezwungen, während sie ihren Umhang über die Schultern warf, um sich nach der Schenke zur »Roten Maske« zu begeben.

»Wer weiß?« erwiderte er.

Sie trat aus dem Haus, und Desgray begleitete sie durch die verschneiten Straßen. Der Hund Sorbonne sprang vor ihnen her, und Angélique fühlte sich an die Zeit erinnert, da sie auf gleiche Weise durch Paris gewandert waren. Eines Tages hatte Desgray sie in die Saint-Nicolas-Badestuben mitgenommen. Ein andermal war ihnen der Bandit Calembredaine in den Weg getreten.

Jetzt, da sie einander wiedergefunden hatten, behielt jeder das Geheimnis seiner letztvergangenen Jahre für sich. Angélique machte es nichts aus, daß er von ihrer Arbeit in der Schenke wußte. Er hatte aus nächster Nähe das Schwinden ihres Vermögens miterlebt und mußte daher Verständnis dafür haben, daß sie gezwungen war, von ihrer Hände Arbeit zu leben. Sie wußte, daß er sie deshalb nicht verachtete. Sie konnte die Erinnerung an ihr Zusammenleben mit Calembredaine in ihrem Innern vergraben. Die Jahre waren vergangen. Calembredaine war nicht wieder aufgetaucht. Sie hoffte, daß es ihm gelungen war, aufs Land zu fliehen. Vielleicht hatte er sich mit Wegelagerern zusammengetan? Vielleicht war er auch in die Hände eines Soldatenwerbers gefallen?

Ihr Instinkt sagte ihr, daß sie ihn nicht wiedersehen würde. Sie konnte erhobenen Hauptes ihrem Ziel zustreben. Der Mann, der geschmeidigen Schrittes neben ihr einherging und dem das Schweigen zur Gewohnheit geworden war, hegte ihr gegenüber keinen Argwohn. Auch er hatte sich verändert. Er sprach weniger, und seine Fröhlichkeit war einer Ironie gewichen, die man fürchten lernte. Hinter den harmlosesten Worten schien gar oft eine Drohung verborgen.

Doch Angélique hatte das Gefühl, daß Desgray ihr nie etwas Böses zufügen würde.

Im übrigen wirkte er nicht mehr so arm wie früher. Er hatte schöne Stiefel, und häufig trug er eine Perücke.

Vor der Schenke verabschiedete er sich förmlich von Angélique und setzte seinen Weg fort, während sie noch einen bewundernden Blick zu dem schönen Wirtshausschild hinaufwarf, das ihr Bruder Gontran in leuchtenden Farben für sie gemalt hatte. Es stellte eine in einen karierten Umhang gehüllte Frau dar, deren grüne Augen durch eine rote Maske blitzten. Als Hintergrund hatte der Maler eine Ansicht der Rue de la Vallée-de-Misère mit den wunderlichen Umrissen ihrer zum besternten Himmel aufstrebenden alten Häuser und dem roten Feuerschein ihrer Bratstuben entworfen.

Der Weinausrufer trat, sein Krüglein in der Hand, gerade aus der Herberge.

»Kommet allzumal, Ihr guten Frauen, und kauft den gesunden reinen Wein .!«

Unter dem Geläut der Glocken erwachte die Gasse zu neuem Leben. Und am Abend würde Angélique klingende Geldstücke aufschichten, zählen und in Säckchen schütten, die sodann in dem Geldschrank verstaut werden würden, den Meister Bourgeaud auf ihre Veranlassung gekauft hatte.

In gewissen Abständen stellte sich Audiger ein, um ihr einen Heiratsantrag zu machen. Angélique, die ihre Schokoladenpläne nicht vergaß, empfing ihn mit einem Lächeln.

»Und Euer Patent?«

»In ein paar Tagen ist es soweit!«

Angélique sagte schließlich zu ihm: »Ihr werdet es nie bekommen, Euer Patent!«

»Wirklich, Frau Prophetin? Und weshalb?«

»Weil Ihr auf Monsieur de Guiche baut, den Schwiegersohn Monsieur Séguiers. Nun, Ihr wißt nicht, daß die Ehe Monsieur de Guiches die reine Hölle ist und daß Monsieur Séguier seine Tochter unterstützt. Euer Patent verschimmeln zu lassen, bedeutet für den Kanzler eine willkommene Gelegenheit, seinen Schwiegersohn zu ärgern, und daß er sie weidlich nutzen wird, darauf könnt Ihr Gift nehmen.«

Sie hatte diese Einzelheiten vom Schmutzpoeten erfahren. Aber der verblüffte Audiger erhob lauten Widerspruch. Die Eintragung seines Patents stehe unmittelbar bevor, und der Beweis dafür sei, daß er bereits mit dem Bau seines Ausschanks in der Rue Saint-Honoré angefangen habe.

Als Angélique die Arbeiten besichtigte, stellte sie fest, daß der Haushofmeister sich ihre Ideen zu eigen gemacht hatte: der Raum würde Spiegel und vergoldete Täfelungen haben.

»Ich denke, diese Neuheit wird die Leute anziehen, die für das Aparte Sinn haben«, erklärte Audiger, der völlig vergaß, von wem dieser Gedanke stammte. »Wenn man ein neues Produkt einführen will, braucht man einen neuartigen Rahmen.«

»Und habt Ihr Schritte unternommen, um Euch das besagte Produkt zu beschaffen?«

»Wenn ich erst mein Patent habe, wird sich das von allein ergeben.«

Die junge Frau nutzte diesen ein wenig fahrlässigen Optimismus aus, um sich nach den Möglichkeiten des Imports großer Mengen von Kakao zu erkundigen. Entdeckte sie sie, würde Audiger auf sie angewiesen sein, und sie genoß im voraus ihre Rache.

Aber David konnte den Juden nicht ausfindig machen, bei dem sein Vater die ersten Ladungen aus Martinique gekauft hatte, und so verfiel sie auf einen andern Gedanken. In letzter Zeit war unter den Kaufleuten und Finanzmännern, die die Schenke besuchten, häufig von der Ostindischen Gesellschaft die Rede gewesen, die durch Monsieur Colbert und den König persönlich gefördert wurde und in jenem fernen Lande mit den Holländern und Engländern in Konkurrenz zu treten gedachte.

Eines Abends brachte ihr Claude Le Petit den Text einer Veröffentlichung über diese Gesellschaft, die der König von einem Mitglied der Academie Française hatte abfassen lassen.