142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 169

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Irgendwo stieß eine weibliche Stimme einen langen, gellenden Schrei aus.

Sie merkte, daß sie es war, die da schrie. Ausgestreckt lag sie auf dem Tisch, und die schwarzen Masken beugten sich in glucksendem Gelächter über sie. Eiserne Fäuste hielten ihre Hand- und Fußgelenke fest. Ihre Röcke wurden ungestüm hochgestreift.

»Wer ist der erste? Wer macht sich an das Frauenzimmer?«

Sie schrie, wie man in Alpträumen schreit, in einem Paroxysmus von Entsetzen und Verzweiflung.

Ein Körper fiel schwer auf sie nieder. Ein vor Lachen zuckender Mund preßte sich auf ihre Lippen.

Dann trat jäh eine so tiefe Stille ein, daß Angélique glaubte, sie habe abermals das Bewußtsein verloren. Doch dem war nicht so. Die entfesselten Männer waren wie durch ein Wunder verstummt und stierten auf etwas am Boden, das Angélique nicht sah.

Der, der einen Augenblick zuvor auf den Tisch geklettert war und sie hatte vergewaltigen wollen, war hastig zur Seite gewichen. Angéliques Arme und Beine waren wieder frei. Sie richtete sich auf und schob ihre langen Röcke hinunter. Sie begriff nicht, welcher Zauberstab die Rasenden versteinert hatte.

Langsam ließ sie sich auf den Boden gleiten, und da erblickte sie den Hund Sorbonne, der den kleinen Mann in der grünen Kniehose zu Fall gebracht hatte und mit seinen Fangzähnen an der Gurgel hielt. Die Dogge war durch die Küchentür hereingekommen und hatte rasch wie der Blitz zugepackt.

Einer der Wüstlinge stammelte: »Ruft Euren Hund zurück . Wo . Wo ist die Pistole?«

»Rührt Euch nicht von der Stelle!« fuhr sie ihn an. »Wenn sich ein einziger von Euch rührt, befehle ich diesem Tier, den Bruder des Königs zu erwürgen!«

Ihre Beine zitterten wie die eines überrittenen Pferdes, aber ihre Stimme war klar.

»Ihr Herren, rührt Euch nicht«, wiederholte sie, »sonst werdet Ihr alle dem König gegenüber die Verantwortung für diesen Tod tragen.«

Sodann beugte sie sich ruhig über Sorbonne. Die Dogge hielt ihr Opfer fest, wie Desgray es ihr beigebracht hatte. Ein einziges Wort, und die stählernen Kiefer würden dieses schwammige Fleisch, diese Knochen zermalmen. Der Kehle des Monsieur d’Orléans entwich ein ersticktes Röcheln. Sein Gesicht hatte sich violett verfärbt.

»Warte«, sagte Angélique leise auf deutsch.

Sorbonne wedelte leicht mit dem Schwanz, um zu zeigen, daß er verstand. Rings um sie her verharrten die Urheber der Orgie regungslos in der Haltung, in der sie das Erscheinen des Hundes überrascht hatte. Sie waren alle viel zu betrunken, um zu begreifen, was vorging. Sie sahen nur, daß Monsieur, der Bruder des Königs, in Gefahr war, und das genügte, sie in tödlichen Schrecken zu versetzen.

Ohne sie aus den Augen zu lassen, öffnete Angélique eine der Tischschubladen, nahm ein Messer und näherte sich dem Mann im roten Rock, der zurückweichen wollte.

»Rührt Euch nicht!« sagte sie in drohendem Ton. »Ich will Euch nicht töten. Ich will nur wissen, wie ein Mörder in Spitzen aussieht.«

Und mit einer raschen Bewegung durchschnitt sie das Band, das die Maske des Chevaliers de Lorraine festhielt. Nachdem sie in das bestialische Gesicht geblickt hatte, das sie seit jener unvergeßlichen Nacht im Louvre nur zu gut kannte, tat sie bei den andern das gleiche.

Sie befanden sich im letzten Stadium der Trunkenheit und waren zu keinem Widerstand fähig. Und sie erkannte sie alle, alle: Brienne, den Marquis d’Olone, den schönen de Guiche, dessen Bruder Louvigny, und als sie einen entdeckte, der eine spöttische Grimasse schnitt und murmelte: »Schwarze Maske gegen rote Maske«, war es Péguillin de Lauzun.

Sie gewahrte auch Saint-Thierry und Frontenac, und ein bitteres Haßgefühl überkam sie, als sie in einem auf dem Boden schnarchenden Edelmann den Marquis de Vardes erkannte.

Ach, die hübschen jungen Leute des Königs! Einstmals hatte sie ihr schillerndes Gefieder bewundert, aber die Wirtin der »Roten Maske« sah nur das Bild ihrer verworfenen Seelen.

Nur drei unter ihnen waren ihr unbekannt. Der letzte indessen weckte eine undeutliche Erinnerung in ihr, die sie nicht präzisieren konnte.

Es war ein hochgewachsener, breitschultriger Bursche mit einer prächtigen, goldblonden Perücke. Nicht ganz so betrunken wie die andern, lehnte er an einem Pfeiler der Gaststube und tat, als poliere er sich die Nägel. Als Angélique auf ihn zutrat, wartete er nicht ab, bis sie das Band seiner Maske durchschnitt, sondern löste es mit einer anmutigen und lässigen Geste selbst. Seine hellblauen Augen hatten einen eisigen, geringschätzigen Ausdruck. Er machte sie unsicher. Die nervöse Gespanntheit, die sie aufrecht hielt, verlor sich. Bleierne Müdigkeit überkam sie, und der Schweiß rann ihr von den Schläfen, denn die Hitze im Raum war unerträglich geworden.

Sie kehrte zu Sorbonne zurück und faßte die Dogge beim Halsband, um sie zu veranlassen, ihr Opfer freizugeben. Sie hatte gehofft, Desgray werde auftauchen, aber sie blieb allein und verlassen zwischen diesen gefährlichen Phantomen. Das einzige Wesen, das ihr wirklich erschien, war Sorbonne.

»Steht auf, Monseigneur«, sagte sie mit müder Stimme. »Und nun geht. Ihr habt genug Unheil angerichtet.«

Schwankend machten sich die Höflinge davon und schleppten ihre beiden bewegungsunfähigen Genossen, den Marquis de Vardes und den Bruder des Königs, mit sich. Ihre Masken preßten sie, so gut es gehen wollte, mit den Händen vor die Gesichter, denn auf der Straße mußten sie auch noch mit den Degen die Bratspieße der Köche abwehren, die sie mit zornigen und empörten Rufen verfolgten.

Sorbonne beschnupperte das Blut und knurrte mit hochgezogenen Lefzen. Angélique drückte den Körper des kleinen Oblatenverkäufers an sich und streichelte seine reine und kalte Stirn. »Linot! Linot! Mein süßer, kleiner Junge ... mein armes, kleines Unglückswürmchen .«

Von draußen kommendes Geschrei riß sie aus ihrer Verzweiflung.

»Feuer! Feuer!«

Der Kaminbrand war ausgebrochen und hatte den Dachstuhl erfaßt. Trümmer prasselten auf die Feuerstätte, und dicker Rauch quoll erstickend in die Gaststube.

Mit Linot auf dem Arm rannte sie aus dem Raum. Die Straße war taghell erleuchtet. Gäste und Köche machten einander entsetzt auf den Flammenkranz aufmerksam, der das Dach des alten Hauses krön-te. Funkengarben regneten auf die benachbarten Dächer.

Man lief zur nahen Seine, um in aller Eile eine Eimerkette zu organisieren. Aber man mußte das Wasser in den beiden Nachbarhäusern hochtragen, denn die Treppe der »Roten Maske« stürzte ein.

Zusammen mit David hatte Angélique noch einmal in die Gaststube vordringen wollen, um den Leichnam Meister Bourgeauds zu holen, aber durch den Rauch waren sie zum Rückzug gezwungen worden. Doch konnten sie über den Hof die Küche erreichen und alles in Sicherheit bringen, was sie vorfanden.

Unterdessen erschienen die Kapuziner, von der Menge mit Beifall begrüßt. Das Volk hatte eine Vorliebe für diese Mönche, die ihre Ordensregel verpflichtete, bei Feuersbrünsten Hilfe zu leisten. Sie brachten Leitern und eiserne Haken mit, dazu große Spritzen aus Blei, die den Zweck hatten, in weite Entfernung kräftige Wasserstrahlen zu werfen.

Rührig krempelten sie die weiten Ärmel ihrer Kutten auf und drangen, unbekümmert um die brennenden Holzstücke, die auf ihre Schädel fielen, in die Nachbarhäuser ein. Gleich darauf sah man sie in schwindelnder Höhe obenauf den Dächern erscheinen und ihre Feuerhaken schwingen. Dank ihrem wirkungsvollen Eingreifen wurde das brennende Haus in kurzer Frist isoliert, und da kein Wind ging, griff der Brand nicht auf die umliegenden Häuser über. Man hatte schon eine jener großen Feuersbrünste befürchtet, von denen die Stadt mit

ihren dicht zusammengedrängten alten Holzhäusern in jedem Jahrhundert zwei- bis dreimal heimgesucht zu werden pflegte.

Eine große, mit Schutt und Asche angefüllte Lücke gähnte an der Stelle, an der vor wenigen Stunden noch die fröhliche Schenke zur »Roten Maske« gestanden hatte, aber das Feuer war erloschen.

Mit geschwärzten Wangen starrte Angélique auf die Stätte ihrer Hoffnungen. Neben ihr hielt sich regungslos der Hund Sorbonne.

»Wo ist Desgray? Ach, ich möchte mit ihm sprechen«, dachte Angélique. »Er wird mir sagen, was ich tun soll.«

Sie nahm den Hund am Halsband.

»Führ mich zu deinem Herrn.«

Sie brauchte nicht weit zu gehen. Nach ein paar Schritten erkannte sie im Dunkel eines Torbogens den Hut und den weiten Mantel des Polizisten, der friedlich seinen Tabak rieb.

»Guten Abend«, sagte er mit seiner ruhigen Stimme. »Üble Nacht, nicht wahr?«

»Ihr wart da!« rief Angélique fassungslos aus. »Zwei Schritte entfernt? Und Ihr seid nicht gekommen?«

»Weshalb hätte ich kommen sollen?«

»Habt Ihr mich nicht schreien hören?«

»Ich wußte nicht, daß Ihr es wart, Madame.«

»Das ist doch gleichgültig! Es war eine Frau, die schrie.«

»Ich kann nicht allen schreienden Frauen zu Hilfe eilen«, sagte Desgray in scherzhaftem Ton. »Freilich, wenn ich gewußt hätte, daß es sich um Euch handelt, Madame, wäre ich gekommen, das könnt Ihr mir glauben.«

»Ich bezweifle es!«