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»Sie haben mich auf dem Tisch festgehalten ... Sie wollten mich vergewaltigen.«
»Nun und? Sie hätten Schlimmeres tun können.«
Angélique fuhr sich verwirrt über die Stirn.
»Das stimmt! Sie hätten Schlimmeres tun können. Und dann ist Sorbonne gekommen ... zur rechten Zeit.«
»Ich habe immer großes Vertrauen in die Initiative dieses Hundes gesetzt.«
»Habt Ihr ihn geschickt?«
»Freilich.«
Angélique stieß einen tiefen Seufzer aus und lehnte in einer unwillkürlichen, aus dem Gefühl der Schwäche und des Bedauerns geborenen Bewegung ihre Wange an die rauhe Schulter des jungen Mannes.
»Danke.«
»Wißt Ihr«, fuhr Desgray in jenem gleichmütigironischen Tone fort, der Angélique zugleich aufbrachte und beruhigte, »ich gehöre nur zum Schein der Staatspolizei an. Ich bin in erster Linie Polizist des Königs, und es ist nicht meine Sache, die reizvollen Vergnügungen unserer Edelleute zu stören. Und habt Ihr denn noch nicht genug Erfahrungen gesammelt, meine Liebe, um zu wissen, in was für einer Welt Ihr lebt? Jedermann geht mit der Mode. Die Völlerei ist ein Scherz, die zur Ausschweifung gesteigerte Sinnenlust eine harmlose Wunderlichkeit, die bis zum Verbrechen getriebene Orgie ein angenehmer Zeitvertreib. Tagsüber sind’s Bücklinge bei Hofe, in der Nacht Liebe, Spielhäuser, Schenken. Ist das nicht auch eine hübsche Art zu leben? Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, daß diese Leute gefährlich seien. Ihre kleinen Amüsements sind doch so harmlos. Der wirkliche Feind, der schlimmste Feind des Königreichs, ist derjenige, der durch ein Wort ihre Macht brechen kann: der Pamphletist. Und ich, ich spüre den Pamphletisten nach.«
»Nun, Ihr könnt Euch auf die Jagd machen«, sagte Angélique mit zusammengepreßten Zähnen, »denn ich kann Euch Arbeit versprechen.«
Plötzlich war ihr ein Gedanke gekommen. Sie wandte sich ab, entfernte sich einige Schritte, kam jedoch wieder zurück.
»Es waren dreizehn. Von dreien kenne ich die Namen nicht. Ihr müßt sie mir verschaffen.«
Der Polizist nahm seinen Hut ab und verbeugte sich.
»Zu Euren Diensten, Madame«, sagte er im Tonfall und mit dem Lächeln des ehemaligen Advokaten Desgray.
Angélique stöberte Claude Le Petit in einem Heukahn in der Gegend des Arsenals auf. Sie weckte ihn und berichtete ihm die Ereignisse der vergangenen Nacht. Die Mörder in Spitzen hatten abermals ihr Leben verheert, so gründlich, wie eine Armee von Marodeuren das Land verheert, das sie durchquert.
»Du mußt mich rächen«, sagte sie mit fiebrig glänzenden Augen. »Du allein kannst mich rächen. Du allein, denn du bist ihr schlimmster Feind. Desgray hat es gesagt.«
Der Poet gähnte und rieb sich schlaftrunken die Augen.
»Was bist du für eine wunderliche Frau!« sagte er schließlich. »Warum duzt du mich mit einemmal?«
Er schlang seinen Arm um ihre Taille und wollte sie an sich ziehen, aber sie riß sich ungeduldig los.
»Hör mir zu!«
»In fünf Minuten wirst du mich Strolch titulieren. Du bist nicht mehr das kleine Gaunermädel, sondern eine große Dame, die Befehle erteilt. Schön: Ich stehe zu Euren Diensten, Marquise. Im übrigen habe ich alles genau verstanden. Wer soll zuerst drankommen? Brienne? Ich erinnere mich, daß er Mademoiselle de La Vallière den Hof gemacht und davon geträumt hat, sie als büßende Magdalena malen zu lassen. Seitdem ist er dem König ein Dorn im Auge. Da werden wir also Seiner Majestät mit Brienne das Mittagessen würzen.«
Er wandte sein hübsches, bleiches Gesicht der aufgehenden Sonne zu.
»Ja, zum Mittagessen, das wird zu machen sein. Meister Gilberts Druckpresse sputet sich immer, wenn es gilt, meine gegen die Machthaber gerichteten Giftpfeile zu vervielfältigen. Hab’ ich dir erzählt, daß Meister Gilberts Sohn vor Zeiten eines geringfügigen Vergehens wegen zur Galeere verurteilt wurde? Das ist heute von Vorteil für uns.«
Der Schmutzpoet zog aus seiner Rocktasche einen alten, abgenutzten Gänsekiel hervor und begann zu schreiben.
Der Morgen dämmerte. Die Glocken der Kirchen und Klöster läuteten munter das Angelus.
Gegen Mittag durchschritt der König, nachdem er in der Kapelle die Messe gehört hatte, das Vorzimmer, wo ihn die Bittsteller mit ihren Gesuchen erwarteten. Er bemerkte, daß der Fußboden mit weißen Blättern besät war, die ein Lakai hastig aufsammelte, als habe er sie eben erst entdeckt. Doch als er die Treppe hinabstieg, die zu seinen Gemächern führte, begeg-nete er der gleichen Unordnung, weshalb er seinem Mißfallen Ausdruck verlieh.
»Was soll das? Es regnet hier Flugblätter wie im Herbst Laub auf dem Cours-la-Reine. Bringt mir das einmal her.«
»Majestät«, warf der Herzog von Crequi verlegen ein, »diese Elaborate sind völlig uninteressant .«
»Ich kann mir schon denken, was es ist!« sagte der König, der ungeduldig die Hand ausstreckte. »Wieder eine der Schmierereien dieses verdammten Schmutzpoeten vom Pont-Neuf, der wie ein Aal den Händen der Büttel entgleitet und seinen Unflat sogar bis in meinen Palast trägt. Gebt her, ich bitte Euch ... Ja, es ist sein Werk! Wenn Ihr den Herrn Polizeipräfekten und den Herrn Profos von Paris trefft, könnt Ihr ihnen mein Kompliment übermitteln, Messieurs .«
Als Ludwig XIV sich zu Tische setzte, legte er das Blatt neben sich, dessen noch feuchte Druckerschwärze seine Finger beschmutzte. Der König war ein starker Esser und hatte längst gelernt, seine Reizbarkeit zu beherrschen. So wurde sein Appetit durch das, was er las, nicht beeinträchtigt. Doch nach beendigter Lektüre war das Schweigen, das in dem sonst von heiteren Gesprächen erfüllten Räume herrschte, ebenso bedrückend wie das einer Totengruft.
Das Pamphlet war in jener rohen und plumpen Sprache verfaßt, deren Worte gleichwohl wie Dolche stachen und die seit mehr als zehn Jahren in den Augen von ganz Paris den rebellischen Geist der Stadt charakterisierte.
Es berichtete von den Heldentaten des Monsieur de Brienne, des ersten Hofkavaliers, der, nicht genug damit, daß er den Versuch gemacht hatte, einem Gebieter, dem er alles verdankte, die »Nymphe mit den Mondhaaren« auszuspannen, nicht genug damit, daß er durch seine ehelichen Zwistigkeiten einen Skandal nach dem andern heraufbeschwor, in der vergangenen Nacht eine Bratstube der Rue de la Vallée-de-Misère aufgesucht hatte. Dort hatten der junge Galan und seine Gefährten einem kleinen Oblatenverkäufer Gewalt angetan, ihn sodann durch Degenstiche getötet, den Wirt entmannt, der später daran gestorben war, seinem Neffen den Kopf aufgespalten, die Magd vergewaltigt und ihre Vergnügungen damit beschlossen, daß sie das Gasthaus in Brand steckten, von dem nur noch ein Haufen Asche übrig war.
»Daß nicht Unbekannte begingen die traurigen Heldentaten,
das läßt fürwahr ohne Müh’ sich erraten.
Aus dreizehn Köpfen bestand sie, die lüsterne Meute,
es waren lauter hochadlige Leute.
Ihre Namen, glaubt ihr, wissen wir nicht?
Jeder Tag wird einen neuen bringen ans Licht. Und der letzte gehört dem, der euch allen bekannt:
Wer ist’s, der den Oblatenverkäufer gen Himmel gesandt?«
»Beim heiligen Dionysius«, sagte der König, »wenn die Sache auf Wahrheit beruht, verdient Brienne den Galgen. Hat jemand von Euch über diese Verbrechen reden hören, Messieurs?«
Die Höflinge gaben stammelnd vor, über die Ereignisse der Nacht nicht informiert zu sein. Péguillin und de Vardes, die noch immer ziemlich mitgenommen aussahen, wechselten einen Blick; schließlich faßte sich der Herzog von Lauzun ein Herz und erklärte, er habe tatsächlich von einer Feuersbrunst reden hören, die sich in der Gegend des Pont-au-Change ereignet habe.
Darauf wandte sich der König an einen jungen Pagen, der den Mundschenken behilflich war.
»Und Ihr, mein Kind, der Ihr gewiß ein großer Auskundschafter und Neuigkeitskrämer seid, wie man das in Eurem Alter nun einmal ist, berichtet mir doch ein wenig, was man sich heute morgen auf dem Pont-Neuf erzählte.«
Der Jüngling errötete, aber er stammte aus gutem Hause und antwortete, ohne allzusehr in Verlegenheit zu geraten:
»Sire, man sagt, daß alles den Tatsachen entspricht, was der Schmutzpoet erzählt, und daß die Sache sich heute nacht in der Schenke zur >Roten Maske< zugetragen hat. Ich selbst kam eben von einem Tanzvergnügen zurück, als wir die Flammen sahen, woraufhin wir sofort zur Brandstätte eilten. Aber die Kapuziner waren bereits erschienen. Das ganze Viertel war auf den Beinen.«
»Behauptet man, die Feuersbrunst sei durch Edelleute verursacht worden?«
»Ja, aber man wußte ihre Namen nicht. Sie waren maskiert.«