142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 180

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»Raymond, woher hast du erfahren, daß ich im Hôtel du Beautreillis unter dem Namen Madame Morens lebe?«

»Es ist mir nicht schwergefallen, dich ausfindig zu machen. Ich bewundere dich, Angélique. Die furchtbare Geschichte, deren Opfer du gewesen bist, liegt nun weit zurück.«

»Doch nicht so sehr weit«, seufzte sie in bitterem Ton, »da ich mich noch nicht wieder in der Gesellschaft zeigen kann. Viele Adlige von niedrigerer Herkunft als ich betrachten mich als emporgekommene Schokoladenhändlerin. Ich werde weder an den Hof zurückkehren noch nach Versailles gehen können.«

Er schaute sie durchdringend an. Er kannte alle Mittel, mit den weltlichen Schwierigkeiten fertig zu werden.

»Weshalb heiratest du nicht einen großen Namen? Es fehlt dir nicht an Bewerbern, wie ich weiß, und dein Vermögen, wenn nicht deine Schönheit könnten mehr als einen Edelmann in Versuchung führen. So würdest du wieder zu Rang und Namen kommen.«

Angélique dachte plötzlich an Philippe, und sie fühlte sich bei diesem neuen Gedanken erröten. Ihn heiraten? Marquise du Plessis-Bellière? Das wäre wunderbar .

»Warum habe ich nicht schon früher daran gedacht, Raymond?«

»Weil du vielleicht noch nicht richtig erfaßt hast, daß du Witwe und frei bist«, erwiderte er. »Es ist eine Situation, die viele Vorteile mit sich bringt, und ich kann dir dank meiner Beziehungen vielleicht dabei helfen, auf ehrbare Weise zu hohem Rang aufzusteigen.«

»Danke, Raymond. Es wäre wunderbar«, wiederholte sie versonnen. »Ich habe viel hinter mir, du würdest es dir nicht vorstellen können. Von der ganzen Familie bin ich am tiefsten gesunken, und dabei kann man nicht behaupten, daß die Schicksale der unsrigen sonderlich glänzend waren. Warum haben wir es zu nichts Rechtem gebracht?«

»Ich bedanke mich für dieses >wir<«, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln.

»Oh, Jesuit werden ist auch eine Art, es zu nichts Rechtem zu bringen. Erinnere dich, unser Vater war keineswegs sehr glücklich darüber. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn du ein gutes und gesichertes kirchliches Amt bekommen hättest. Josselin ist in Amerika verschollen. Denis, der einzige Soldat in der Familie, steht im Ruf eines Hitzkopfs und vom Spielteufel Besessenen, was noch schlimmer ist. Gontran? Reden wir nicht von ihm. Er hat sich um des Vergnügens willen, wie ein Handwerker Leinwände vollzuklecksen, aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Albert ist Page beim Marschall de Rochant. Er ist dem Chevalier zu Willen, wofern er sich nicht von den fragwürdigen Reizen der korpulenten Marschallin umgarnen läßt. Und Marie-Agnès .«

Sie hielt inne und horchte auf die kaum vernehmbaren Atemzüge, die aus dem Alkoven kamen.

Dann fuhr sie in gedämpftem Tone fort:

»Freilich hat sie sich schon in früher Jugend mit den Bauernjungen im Stroh gewälzt. Doch am Hof ist sie erst richtig auf den Geschmack gekommen. Hast du eine Vermutung, wer der Vater jenes Kindes sein könnte?«

»Ich glaube, daß sie es selbst nicht weiß«, sagte der Jesuit unverhohlen. »Aber was du vor allem in Erfahrung bringen solltest, ist, ob es sich um eine Abtreibung oder eine heimliche Entbindung handelt. Ich zittere bei dem Gedanken, sie könnte ein lebendiges kleines Wesen in den Händen dieser Catherine Monvoisin gelassen haben.«

»Ist sie zur Voisin gegangen?«

»Ich glaube. Sie hat diesen Namen gestammelt.«

»Wer geht nicht alles zu ihr?« sagte Angélique achselzuckend. »Kürzlich ist der Herzog von Vendôme als Savoyarde verkleidet bei ihr gewesen, um von ihr etwas über einen Schatz zu erfahren, den Monsieur de Turenne versteckt haben soll. Und Monsieur, der Bruder des Königs, hat sie nach Saint-Cloud kommen lassen, damit sie ihm den Teufel zeige. Ich weiß nicht, ob es ihr gelungen ist, jedenfalls hat er sie bezahlt, als ob er ihn gesehen hätte. Wahrsagerin, Abtreiberin, Gifthändlerin - sie hat viele Talente .«

Ohne zu lächeln, hörte sich Raymond diese Geschichten an. Er schloß die Augen und seufzte tief.

»Angélique, meine Schwester, ich bin entsetzt«, sagte er müde. »Das Jahrhundert, in dem wir leben, ist Zeuge so infamer Sittenlosigkeit, so grausiger Verbrechen, daß künftige Zeiten darob erschauern werden. Allein in diesem Jahr haben sich in meinem Beichtstuhl Hunderte von Frauen bezichtigt, sich ihrer Leibesfrucht auf gewaltsame Weise entledigt zu haben. Was nicht weiter verwunderlich ist, da es sich aus der allgemeinen Sittenverwilderung ergibt. Aber nahezu die Hälfte meiner Beichtkinder vertraut mir an, einen der Ihren oder sonst jemand Lästigen aus dem Wege geräumt zu haben, sei es durch Gift, sei es durch Verdächtigung des Besessenseins. Sind wir denn noch immer Barbaren? Haben die Ketzereien, indem sie die Schranken des Glaubens verrückten, unsere wahre Natur enthüllt? Es besteht ein furchtbarer Zwiespalt zwischen den Gesetzen und den Neigungen. Und der Kirche obliegt es, die Menschheit aus diesem Wirrwarr wieder auf den richtigen Weg zu führen .«

Angélique lauschte verwundert den Bekenntnissen des großen Jesuiten.

»Warum erzählst du das gerade mir, Raymond? Vielleicht bin ich eine jener Frauen, die .«

Der durchdringende Blick des Geistlichen kehrte zu ihr zurück. Er schien sie zu prüfen, dann schüttelte er den Kopf.

»Du, du bist wie der Diamant«, sagte er, »ein edler, harter, unnachgiebiger Stein ... aber schlicht und durchscheinend. Ich weiß nicht, was für Fehler du im Lauf jener Jahre begangen hast, in denen du verschollen warst, aber ich bin überzeugt, daß du, wenn du sie begangen hast, sehr oft nicht anders handeln konntest. Du bist wie die wahrhaft armen Menschen, meine Schwester Angélique, du kennst die willkürliche Sünde nicht, jene Verderbtheit der Reichen und Großen .«

Naive Dankbarkeit erfüllte Angéliques Herz bei diesen verwunderlichen Worten, aus denen göttliches Verzeihen zu sprechen schien.

Die Nacht war still. Weihrauchduft schwebte in der Zelle, und der Schatten dieses Kreuzes, das zwischen ihnen beiden am Lager ihrer bedrohten Schwester wachte, wirkte zum erstenmal seit langen Jahren wohltuend und beruhigend auf sie.

In einer spontanen Bewegung sank sie auf den Fliesen in die Knie.

»Raymond, willst du mir die Beichte abnehmen?«

Im Hôtel du Beautreillis machte Marie-Agnès’ Genesung befriedigende Fortschritte. Indessen blieb das junge Mädchen wehleidig und für jegliches Scherzwort unzugänglich. Sie schien ihr kristallklares Lachen verlernt zu haben, das einstens den Hof bezaubert hatte, und sie zeigte sich ausschließlich von ihrer anspruchsvollen und launischen Seite. Anfangs bewies sie keinerlei Dankbarkeit für Angéliques Fürsorglichkeit. Aber nachdem sie wieder zu Kräften gekommen war und Angélique diesen Umstand nutzte, um ihr bei erstbester Gelegenheit eine gehörige Ohrfeige zu versetzen, fand Marie-Agnès, Angélique sei die einzige Frau, mit der sie auskommen könne. Sie hatte eine anmutige Art, sich schmeichelnd an ihre Schwester zu schmiegen, während man sich an den langen Winterabenden vor dem Kamin mit Mandolinenspiel und Stickarbeiten die Zeit vertrieb. Sie tauschten ihre Eindrücke von den Leuten aus, die sie kannten und sie besuchten, und da sie eine scharfe Zunge und einen regen Geist hatten, lachten sie zuweilen aus vollem Halse über ihre Feststellungen.

Eines Abend nahmen sie Philippe unter die Lupe. Der wunderliche junge Mann, der in seinen makellos hellen Atlasgewändern und mit seinem blonden Haar wie aus Eis geformt wirkte, war ein regelmäßiger Gast des Hôtel du Beautreillis. Er erschien in lässiger Haltung und sprach wenig. Beim Anblick seiner höhnisch-stolzen Schönheit fühlte sich Angélique immer wieder in das kleine Mädchen zurückverwandelt, das den eleganten Vetter zugleich gehaßt und bewundert hatte. Und immer, wenn sich seine hellen Augen auf sie richteten, wurde ihr deprimierend klar, daß dem jungen Mann ihre Schönheit noch nie bewußt geworden war. Er machte ihr auch nicht das banalste Kompliment, war wenig umgänglich, und die Kinder fürchteten ihn, statt sich von seinem Aussehen fesseln zu lassen.

»Du hast eine Art, den schönen Plessis anzuschauen, die mich beunruhigt«, erklärte Marie-Agnès. »Du, die du die vernünftigste Frau bist, die ich kenne, wirst ihm doch nicht verfallen, diesem ...?«

Sie schien nach einem lapidaren Ausdruck zu suchen, fand keinen und ersetzte ihn durch eine Grimasse des Abscheus.

»Was wirfst du ihm vor?« verwunderte sich Angélique.

»Was ich ihm vorwerfe? Nun, daß er so schön und verführerisch ist und dabei nicht einmal weiß, wie man eine Frau in die Arme nimmt. Zugegeben, nicht viele Männer verstehen sich darauf, aber jeder tut zumindest sein Bestes. Während Philippe es nicht einmal versucht. Er kennt nur eine Art, mit den Frauen umzugehen: Er vergewaltigt sie. Er muß die Liebe auf den Schlachtfeldern gelernt haben. Selbst Ninon hat da nichts auszurichten vermocht. Alle Frauen verabscheuen ihn in dem Maße, wie er sie enttäuscht.«

Angélique, die sich über das Kaminfeuer beugte, in dem sie Kastanien röstete, beunruhigte sich über die Unruhe, die die Worte der Schwester in ihr auslösten. Sie hatte beschlossen, Philippe du Plessis zu heiraten. Das war die beste Lösung, die, die alles ins Lot brachte und die Krönung ihres Aufstiegs und ihrer Rehabilitierung darstellen würde. Aber sie hätte sich gern Illusionen über denjenigen gemacht, den sie sich zum zweiten Gatten erwählt hatte, und über die Gefühle, die sie für ihn hegte. Sie hätte ihn gern »liebenswert« gefunden, um das Recht zu haben, ihn zu lieben.

Ein plötzlich in ihr aufkeimendes Bedürfnis nach Ehrlichkeit sich selbst gegenüber veranlaßt sie, am nächsten Tag zu ihrer Freundin Ninon de Lenclos zu eilen und ohne Umschweife das sie bewegende Thema anzuschneiden.

»Was denkt Ihr über Philippe du Plessis?«

Die Kurtisane legte nachdenklich einen Finger an die Wange.

»Wenn man ihn gut kennt«, erklärte sie, »merkt man, daß er viel weniger nett ist, als er aussieht. Wenn man ihn jedoch besser kennt, merkt man, daß er viel netter ist, als er aussieht.«

»Ich kann Euch nicht folgen, Ninon.«

»Ich will damit sagen, daß er keine der Eigenschaften besitzt, die seine Schönheit erwarten läßt, nicht einmal das Bedürfnis, geliebt zu werden. Andererseits, so man den Dingen auf den Grund geht, flößt er Achtung ein, weil er das Musterexemplar einer so gut wie ausgestorbenen Kaste darstellt: Er ist der Adlige par excellence. Er nimmt es in Fragen der Etikette peinlich genau. Er fürchtet einen Schmutzfleck auf seinem Seidenstrumpf Aber er fürchtet den Tod nicht. Und wenn er dereinst stirbt, wird er einsam sein wie ein Wolf und niemanden um Beistand bitten. Er gehört nur dem König und sich selbst.«

»Ich wußte nicht, daß er soviel Größe besitzt.«

»Aber Ihr seht auch seine Niedrigkeit nicht, meine Liebe. Die Erbärmlichkeit eines wahren Adligen ist erblich. Sein Wappen hat seit Jahrhunderten die übrige Menschheit vor ihm verborgen. Warum bildet man sich immer ein, eine Tugend und ihr Gegenteil könnten sich in ein und demselben Wesen nicht vereinigt finden? Ein Aristokrat ist zugleich groß und erbärmlich.«

»Und was hält er von den Frauen?«

»Philippe? Liebste, wenn Ihr es in Erfahrung gebracht habt, kommt und sagt es mir.«

»Es scheint, daß er furchtbar brutal mit ihnen verfährt?«

»Man sagt so .«

»Ninon, Ihr werdet mir doch nicht einreden wollen, daß er nicht mit Euch geschlafen habe!«

»Leider doch, meine Liebe, ich rede es Euch ein. Ich muß wohl oder übel zugeben, daß alle meine Talente bei ihm versagten.«

»Ninon, Ihr erschreckt mich!«