142424.fb2
»Und?«
»Gar nichts. Vermutlich hätte ich mit einem vom Hof hereingeholten Schneemann mehr Glück gehabt. Er gestand mir schließlich, daß ich ihn absolut nicht reizte, weil er mir gegenüber freundschaftliche Gefühle hege. Ich glaube, er braucht Haß und Jähzorn, um sich in Form zu fühlen.«
»Er ist ein Narr!«
»Möglich . Oder vielmehr: nein. Er hinkt nur seiner Zeit nach. Er hätte fünfzig Jahre früher auf die Welt kommen sollen. Philippe! Wenn ich ihn sehe, werde ich ordentlich rührselig, denn er erinnert mich an meine Jugend.«
»Ninon, redet nicht wie eine Großmutter! Das steht Euch nicht.«
»Ich muß schon einen Großmutterton annehmen, um Euch ein wenig zu schelten, Angélique. Denn ich habe Angst, daß Ihr Euch verirrt . Angélique, Liebste, Ihr, die Ihr wißt, was eine große Liebe ist, werdet mir nicht sagen wollen, daß Ihr in Philippe verliebt seid! Er ist Euch viel zu fern. Er würde Euch mehr als jeder andere enttäuschen.«
Angélique errötete, und ihre Mundwinkel zuckten kindlich.
»Woher wißt Ihr, daß ich eine große Liebe erlebte?«
»Weil das in Euren Augen geschrieben steht. Sie sind so selten, jene Frauen, die dieses melancholische und wunderbare Zeichen tragen. Ja, ich weiß wohl ... für Euch ist es vorbei. Auf welche Weise? Einerlei! Vielleicht habt Ihr erfahren, daß er verheiratet war, vielleicht hat er Euch betrogen, vielleicht ist er tot .«
»Er ist tot, Ninon!«
»Besser so. Eure große Wunde ist nicht vergiftet, aber .«
Angélique richtete sich entschlossen auf.
»Ninon, hört auf, ich bitte Euch. Ich will Philippe heiraten. Ich muß Philippe heiraten. Ihr könnt nicht verstehen, warum. Ich liebe ihn nicht, das stimmt, aber er zieht mich an. Er hat mich immer angezogen. Und ich habe immer gewußt, daß er eines Tages mir gehören würde ... Sagt nichts mehr .«
Die spärlichen, gefühlsbetonten Auskünfte, die Angélique bekommen hatte, änderten nichts an der Situation. Immer wieder stand sie in ihren Zimmern dem gleichen rätselhaften Philippe gegenüber, und ihre Beziehungen entwickelten sich nicht weiter.
Schließlich fragte sie sich, ob er nur Marie-Agnès’ wegen käme; doch auch nachdem ihre Schwester sie verlassen hatte, stellte er sich häufig ein. Sie erfuhr eines Tages, daß er sich rühmte, bei ihr den besten Rossoli von Paris zu trinken. Vielleicht kam er nur, um diesen feinen Likör zu kosten, den sie selbst unter reichlichem Zusatz von Fenchel, Anis, Koriander, Kamille und Zucker bereitete?
Angélique war stolz auf ihre hausfraulichen Talente, und keine Lockspeise durfte außer acht gelassen werden, aber sie ärgerte sich bei diesem Gedanken. Weder ihre Schönheit noch ihre Unterhaltung vermochte offenbar Philippe zu reizen.
Als die ersten Frühlingstage kamen, fühlte sie sich verzweifelt. Sie hatte sich insgeheim zu sehr an dem Gedanken berauscht, Philippe zu heiraten, um nun den Mut aufbringen zu können, darauf zu verzichten. Denn als Marquise du Plessis würde sie bei Hof vorgestellt werden, in ihre Heimat, zu ihrer Familie zurückkehren können und über das schöne, weiße Schloß regieren, das sie in ihrer Kindheit entzückt hatte.
Sie erfuhr die Neuigkeit von Mademoiselle de Para-jonc. Sie war nicht darauf gefaßt gewesen und brauch-te einige Zeit, um den verläßlichen Tatbestand aus dem hin und her streifenden Geschwätz der alten Preziösen zu erraten. Diese war nach ihrer Gewohnheit gegen Abend mit starrem, spähendem Blick wie eine dunkle, zerzauste Eule vor ihrer Tür aufgetaucht, um sie zu besuchen. Gastfreundlich bot ihr Angélique vor dem Kamin Gebäck an. Philonide schwatzte lange über ihrer beider Nachbarin, Madame de Gauffray, die soeben »die Folge der erlaubten Liebe verspürt« hatte, indem sie nämlich nach zehnmonatiger Ehe eines prächtigen Knaben genesen war. Danach verbreitete sie sich weidlich über die Beschwerden ihrer »lieben Leidenden«. Angélique glaubte, es sei von ihren alten Eltern die Rede, aber es handelte sich nur um die Füße Mademoiselles de Parajonc. Die »lieben Leidenden« waren von Hühneraugen geplagt. Nachdem sie sodann beim Anblick des an die Fensterscheiben peitschenden Regens geseufzt hatte: »Das dritte Element fällt«, entschloß sie sich, vom Vergnügen an der zu verkündenden Neuigkeit übermannt, ihre geschraubte Redeweise aufzugeben.
»Wißt Ihr, daß Madame de Lamoignon ihre Tochter verheiraten wird?«
»Möge es ihr zum Segen gereichen! Die Kleine ist nicht hübsch, aber sie hat genügend Geld, um eine glänzende Partie zu machen.«
»Ihr habt, wie immer, den Nagel auf den Kopf getroffen, Liebste. Das Geld ist tatsächlich der einzige Vorzug dieses kleinen Schwarzkopfs, der einen schönen Edelmann wie Philippe du Plessis zu locken vermag.«
»Philippe?«
»Habt Ihr denn nicht davon munkeln hören?« fragte Philonide, deren aufmerksame Augen blinzelten.
Angélique hatte sich wieder gefaßt. Sie sagte achselzuckend:
»Schon möglich ... Aber ich habe dem keine Bedeutung beigemessen. Philippe du Plessis kann sich nicht so weit erniedrigen, die Tochter eines Präsidenten zu heiraten, der gewiß eine hochgestellte Persönlichkeit ist, aber doch von bürgerlicher Herkunft.«
Die alte Jungfer lachte spöttisch: »Ein Bauer auf meinen Gütern pflegte mir zu sagen: >Das Geld kann man nur auf der Erde auflesen, und um es aufzulesen, muß man sich bücken.< Jedermann weiß, daß der kleine du Plessis ständig in Schwierigkeiten ist. Er verspielt sein Geld in Versailles, und für die Ausrüstung seines letzten Feldzugs hat er ein Vermögen ausgegeben. Zehn Maulesel zogen hinter ihm drein, die sein goldenes Service und ich weiß nicht was sonst noch trugen. Die Seide seines Zelts war so reich bestickt, daß die Spanier es sogleich erkannten und aufs Korn nahmen ... Ich gebe im übrigen zu, daß dieser charmante Gefühllose verteufelt schön ist .«
Angélique ließ sie schwatzen. Nachdem ihr die Nachricht im ersten Augenblick höchst unglaubwürdig erschienen war, fühlte sie nun, wie die Entmutigung sie überwältigte. Diese letzte Schwelle, die es zu überschreiten galt, um wieder im Licht des Sonnenkönigs zu erscheinen - die Verheiratung mit Philippe -, erwies sich als zu hoch. Übrigens, sagte sie sich jetzt, hatte sie immer gewußt, daß es zu schwierig sein, daß sie nicht genug Kraft haben würde. Sie war verbraucht, am Ende ... Sie war nur eine Schokoladeverkäuferin und würde niemals vom Adel anerkannt werden. Man empfing sie, aber man nahm sie nicht auf . Versailles! Versailles! Der Glanz des Hofs, der strahlende Sonnenkönig! Philippe! Der schöne, unnahbare Gott Mars ...! Sie würde auf das Niveau eines Audiger zurückgleiten, und ihre Kinder würden nie Edelleute werden ...
Sie war so in ihre Gedanken versponnen, daß sie nicht merkte, wie die Zeit verrann. Das Feuer erlosch im Kamin, die Kerze blakte.
Angélique hörte, wie Philonide Flipot, der an der Tür Wache hielt, scharf anfuhr:
»Unnütz, beseitigt den Überfluß dieser Leuchte.« Da Flipot verständnislos dreinblickte, übersetzte Angélique mit müder Stimme:
»Putz die Kerze, Lakai.«
Philonide de Parajonc erhob sich befriedigt. »Meine Liebe, Ihr scheint nachdenklich. Ich überlasse Euch Euren Musen .«
In der Nacht tat Angélique kein Auge zu, und des Morgens wohnte sie der Messe bei. In ausgeglichener Stimmung kehrte sie nach Hause zurück. Gleichwohl hatte sie noch keinen Entschluß gefaßt, und als am Nachmittag die Stunde des Korsos kam und sie in ihre Kutsche stieg, wußte sie noch nicht, was sie tun würde. Aber sie hatte sich mit ganz besonderer Sorgfalt angekleidet.
Während sie über die Seide ihrer Röcke strich, machte sie sich in der Einsamkeit des Wagens Vorwürfe. Warum hatte sie gerade heute dieses neue Kleid mit den drei verschiedenfarbigen Röcken zum erstenmal angezogen? Eine mit Perlen besetzte goldene Filigranstickerei bedeckte gleich einem funkelnden Netz den Oberrock, das Mantelkleid und das Mieder. Die Spitzen des Kragens und der Ärmel hatten das gleiche Muster wie die Stickereien. Angélique wußte, daß das Kleid wunderbar zu ihrem Teint und ihren Augen paßte, wenn es sie auch ein wenig älter machte.
Ja, warum hatte sie es angezogen, als sie sich für den Korso hergerichtet hatte? Hoffte sie, den unerschütterlichen Philippe mit ihm zu blenden? Oder ihm durch die Strenge ihrer äußeren Erscheinung Vertrauen einzuflößen ...? Sie betätigte nervös ihren Fächer, um die Glut zu mildern, die ihr in die Wangen stieg.
Chrysanteme rümpfte seine kleine, feuchte Nase und warf ihr einen verblüfften Blick zu.
»Ich glaube, ich bin im Begriff, eine Dummheit zu begehen, Chrysanteme«, sagte die junge Frau melancholisch zu dem Hündchen, »aber ich kann nicht anders, nein, ich kann wirklich nicht anders.«
Dann schloß sie zu Chrysantemes großer Verwunderung die Augen und sank in den Fond des Wagens zurück, als habe sie all ihre Kraft verloren. Als sie indessen vor den Tuilerien anlangte, wurde sie plötzlich wieder munter. Mit glänzenden Augen griff sie nach dem kleinen Zierspiegel, der an ihrem Gürtel hing, und betrachtete sich prüfend. Schwarze Wimpern, rote Lippen: Das war die einzige Nachhilfe, die sie sich zugestand. Ihre sorgfältig mit Ginsterblütenpulver eingeriebenen und mit Branntwein gespülten Zähne hatten einen feuchten Glanz.
Sie lächelte sich zu, nahm Chrysanteme unter den Arm und betrat die Tuilerien. Während eines kurzen Augenblicks sagte sie sich, daß sie den Kampf aufgeben würde, falls Philippe nicht dasein sollte. Aber er war da. Sie entdeckte ihn vor dem großen Springbrunnen in Gesellschaft des Fürsten Condé, der mit Vorliebe an diesen Ort kam, um sich den Müßiggängern zu zeigen.
Angélique näherte sich beherzt der Gruppe. Nun wußte sie, daß sich erfüllen würde, was sie beschlossen hatte, denn das Schicksal hatte Philippe in die Tuilerien geführt.
Der späte Nachmittag war mild und frisch. Ein leichter Regenschauer hatte den Sand dunkel gefärbt und den ersten Blättern an den Bäumen Glanz verliehen.
Angélique grüßte lächelnd. Mißmutig stellte sie fest, daß ihr Kleid auf krasse Weise von dem Gewand abstach, das Philippe trug. Er, der stets blasse Farben bevorzugte, präsentierte sich an diesem Abend in einem ungewöhnlichen pfauenblauen Kostüm mit reichem Goldbesatz. Stets der Mode voraus, hatte er seinem Anzug bereits die neue Form eines weiten Rocks gegeben, der hinten vom Degen hochgehoben wurde.
Seine Handkrausen waren schön, aber er trug keine Stulpen, und die Hosen lagen an den Knien eng an. Unter dem Arm hielt Philippe einen feinen, kleinen Kastorhut, daß man hätte meinen können, er bestünde aus altem, poliertem Silber. Der Federnkranz war himmelblau, und da der junge Mann eben erst angekommen war, hatte der Frühlingsregen diesem Meisterwerk keinen Schaden zugefügt.
Mit der über die Schultern fallenden seidig-blonden Perücke wirkte Philippe du Plessis-Bellière wie ein stolzierender, schillernder Vogel.
Angélique hielt nach der kleinen Lamoignon Umschau, aber ihre armselige Rivalin war nicht anwesend. Mit einem Seufzer der Erleichterung trat sie rasch auf den Fürsten Condé zu, der jedesmal, wenn er ihr begegnete, den enttäuschten und resignierten Liebhaber spielte.
»Nun, meine Hübsche«, seufzte er und rieb seine lange Nase an Angéliques Stirn, »werdet Ihr uns die Ehre erweisen, mit uns in unserer Kutsche über den Korso zu fahren?«
Angélique gab ein bedauerndes »Oh!« von sich, dann glitt ihr Blick in geheuchelter Verlegenheit zu Philippe, und sie murmelte:
»Eure Hoheit mögen verzeihen, aber Monsieur du Plessis hat mich bereits zur Promenade aufgefordert.«