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»Euch heiraten?« wiederholte er.
Seine Verblüffung war ehrlich. Er brach in ein unangenehmes Gelächter aus.
»Ich? Eine Schokoladenverkäuferin heiraten!« sagte er mit tiefer Verachtung.
Angélique schoß heiß das Blut in die Wangen. Sie hätte es nicht für möglich gehalten, daß sie sich nach allem Erlebtem die Fähigkeit bewahrt hatte, so zu erröten. Diesem Philippe würde es immer gelingen, sie vor Scham und Zorn außer Fassung zu bringen.
Mit funkelnden Augen sagte sie:
»Vergeßt nicht, daß ich Angélique de Ridouët de Sancé de Monteloup heiße. Mein Blut ist genauso rein wie das Eurige, Vetter, und noch älter, denn meine Familie geht auf die ersten Capetinger zurück, während Ihr Euch väterlicherseits nur eines gewissen Bastards Heinrichs II. rühmen könnt.«
Ohne eine Miene zu verziehen, betrachtete er sie eine ganze Weile, und in seinem blassen Blick schien leises Interesse zu erwachen.
»Ihr habt mir früher schon einmal dergleichen erzählt. Ich erinnere mich. Es war auf Monteloup, in Eurer baufälligen Festung. Ein kleines, ungekämmtes, zerlumptes Greuel erwartete mich am Fuß der Treppe, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß sein Blut älter als das meine sei. Es war wirklich recht komisch und lächerlich.«
Angélique sah sich in den eisigen Flur von Monteloup zurückversetzt. Sie erinnerte sich, wie kalt ihre Hände gewesen waren, wie ihr Kopf gefiebert, ihr Leib geschmerzt hatte, während sie ihren Vetter die große Steintreppe hatte herabsteigen sehen. Ihr ganzer, vom Mysterium der Pubertät aufgewühlter junger Körper hatte vor der Erscheinung des schönen, blonden Jünglings gebebt. Sie war ohnmächtig geworden. Als sie in dem großen Bett ihres Zimmers wieder zu sich gekommen war, hatte ihre Mutter ihr erklärt, sie sei nun kein kleines Mädchen mehr. Ein Wunder habe sich in ihr vollzogen.
Daß Philippe so mit den ersten Kundgebungen ihres fraulichen Lebens verquickt war, beunruhigte sie nach all den Jahren noch immer. Ja, er hatte recht, es war albern, aber es lag auch etwas Köstliches darin.
Sie sah ihn ein wenig unsicher an und bemühte sich zu lächeln. Wie an jenem Abend fühlte sie sich bereit, vor ihm zu erbeben. Leise und beschwörend murmelte sie:
»Philippe, heiratet mich. Ihr sollt soviel Geld haben, wie Ihr wollt. Ich bin von adliger Herkunft, und daß ich eine Geschäftsfrau war, wird man rasch vergessen. Im übrigen befassen sich heutzutage viele Adlige mit Handelsgeschäften, ohne daß es ihrer Standesehre Abbruch tut. Monsieur Colbert .«
Sie hielt inne. Er hörte ihr nicht zu. Vielleicht dachte er an etwas anderes ... oder an gar nichts. Hätte er sie gefragt: »Warum wollt Ihr mich heiraten?«, dann hätte sie ihm ins Gesicht geschrien: »Weil ich Euch liebe!« Denn in diesem Augenblick entdeckte sie, daß sie ihn mit derselben schwärmerischen und naiven Liebe liebte, mit der sie ihre Kindheit ausgeschmückt hatte. Doch er stellte keine Frage, und sie fuhr ungeschickt und von Verzweiflung erfaßt fort:
»Versteht mich doch ... ich will in mein Milieu zurückkehren, einen Namen, einen großen Namen tragen ... Bei Hofe vorgestellt werden ... in Versailles.«
So hätte sie nicht reden dürfen. Sie bereute alsbald ihr Geständnis, hoffte, er habe nicht zugehört. Aber er murmelte mit dem blassen Anflug eines Lächelns: »Man könnte das Heiraten ja auch als etwas anderes ansehen als eine Geldangelegenheit!«
Dann fügte er in einem Ton hinzu, als lehne er eine dargereichte Konfektdose ab:
»Nein, meine Liebe, nein, wirklich .«
Sie begriff, daß es unwiderruflich war, und schwieg. Sie hatte verloren.
Gleich darauf machte Philippe sie darauf aufmerksam, daß sie den Gruß Madamoiselle de Montpensiers nicht erwidert habe. Die Kutsche war, wie Angélique bemerkte, in die jetzt sehr belebten Alleen des Cours-la-Reine zurückgekehrt, und sie begann, die ihr zugedachten Begrüßungen mechanisch zu erwidern. Es kam ihr vor, als sei die Sonne erloschen, als schmecke das Leben nach Asche. Daß Philippe neben ihr saß und sie so völlig entwaffnet war, bedrückte sie. War denn wirklich nichts mehr zu machen? Man konnte einen Mann nicht zur Heirat zwingen, wenn er einen weder liebte noch begehrte und wenn bei einer anderen Lösung genausoviel für ihn heraussprang. Einzig die Angst konnte ihn zwingen, aber welche Angst würde die Stirn des Gottes Mars zu beugen vermögen?
»Da ist Madame de Montespan«, sagte Philippe. »Gestern hat sie in Versailles getanzt. Der König hatte sie eingeladen.«
Angélique überwand sich zu der Frage, ob das bedeute, daß Mademoiselle de La Vallière nächstens den Abschied erhalten werde. Sie ertrug diesen Hofklatsch nur mit Widerwillen. Es war ihr vollkommen gleichgültig, daß Monsieur de Montespan Hahnrei wurde und ihre wagemutige Freundin Mätresse des Königs: Sorgen einer Welt, die ihr für immer verschlossen sein würde.
»Der Fürst Condé macht Euch ein Zeichen«, murmelte ihr Gefährte.
Mit ihrem Fächer winkte Angélique zurück.
»Ihr scheint die einzige Frau zu sein, der Seine Exzellenz noch einige Galanterie erweist«, stellte der Marquis mit einem Lächeln fest, von dem sich nicht sagen ließ, ob es spöttisch oder bewundernd gemeint war. »Nach dem Tode seiner zärtlichen Freundin, Mademoiselle Le Vigean, schwor er, von nun an von den Frauen nur noch rein physisches Vergnügen zu verlangen. Ich möchte wissen, was er früher anderes von ihnen verlangen konnte.«
Und nachdem er ein Gähnen unterdrückt hatte:
»Seine Exzellenz hat nur noch einen Wunsch: wieder ein militärisches Kommando zu bekommen. Seitdem von einem neuen Feldzug die Rede ist, bleibt sein Platz am Spieltisch des Königs nie leer, und er begleicht seine Verluste mit Goldpistolen.«
»Welch ein Heroismus!« sagte Angélique brüsk und mit spöttischem Lachen. Allmählich geriet sie in Zorn über Philippes blasierten und preziösen Ton. »Was tut dieser vollendete Höfling nicht alles, um wieder in Gnaden aufgenommen zu werden? Wenn man bedenkt, daß es einmal eine Zeit gab, in der er versuchte, den König und seinen Bruder zu vergiften!«
»Was sagt Ihr da, Madame?« protestierte Philippe empört. »Daß Seine Exzellenz sich gegen Monsieur de Mazarin aufgelehnt hat, leugnet er nicht. Sein Abscheu hat ihn weiter getrieben, als ihm selbst lieb war. Aber dem König nach dem Leben zu trachten, das ist ihm nie im Traum eingefallen. Das übliche törichte Frauengeschwätz, weiter nichts.«
»Oh, spielt doch nicht den Ahnungslosen, Philippe! Ihr wißt so gut wie ich, daß es wahr ist, denn das Komplott wurde in Eurem eigenen Schloß geschmiedet.«
Er schwieg, und sie spürte, daß sie ihn zutiefst getroffen hatte.
»Ihr seid wahnsinnig!« flüsterte er erregt.
Angélique wandte sich ihm jäh zu. Hatte sie so rasch den Weg zu seiner Angst gefunden, seiner einzigen Angst .?
Sie sah, daß er bleich geworden war, sah in den Augen, die sie belauerten, endlich den Ausdruck gespannten Interesses. Wilde Freude keimte in ihr auf, und sie sagte mit leiser Stimme:
»Ich war dort. Ich habe sie belauscht. Ich habe sie gesehen. Ihn, den Mönch Exili, die Herzogin von Beaufort, Euren Vater und viele andere, die heute noch am Leben sind und die sich jetzt bei Hofe beliebt zu machen suchen. Ich habe gehört, wie sie sich Monsieur Fouquet verkauften.«
»Das ist nicht wahr!«
Mit halbgeschlossenen Augen zitierte sie:
»>Ich, Ludwig II., Herzog von Enghien, Fürst Condé, gebe Monseigneur Fouquet die Versicherung, daß ich nie zu jemand anderem als zu ihm halten, ausnahmslos nur ihm gehorchen, ihm meine Städte, Befestigungen und sonstiges übergeben werde, wann immer ...<«
»Schweigt!« schrie er entsetzt.
>»Gegeben zu Plessis-Bellière am 20. September 1649.<«
Frohlockend sah sie ihn erblassen.
»Kleine Törin«, sagte er mit verächtlichem Achselzucken, »was grabt Ihr diese alten Geschichten aus? Was vergangen ist, ist vergangen. Selbst der König würde sich weigern, ihnen Glauben zu schenken.«
»Der König hat noch nie solche Beweisstücke in Händen gehabt. Er hat nie erfahren, wie weit die Verräterei der Großen gehen kann.«
Sie hielt inne, um die Kalesche Madame d’Alençons zu grüßen, dann fuhr sie in überaus sanftem Tone fort:
»Es sind noch keine fünf Jahre vergangen, Philippe, seitdem Monsieur Fouquet verurteilt wurde .«
»Und? Worauf wollt Ihr hinaus?«
»Darauf, daß dem König auf lange Zeit hinaus alle die verhaßt sein werden, die mit Monsieur Fouquet in Verbindung standen.«
»Er wird sie nicht sehen. Diese Dokumente sind vernichtet worden.«
»Nicht alle.«
Der junge Mann rückte ihr auf der gepolsterten Bank näher. Sie hatte sich eine solche Geste erträumt, aber dies war ja wohl kaum der Augenblick für einen Liebeskuß. Er griff nach ihrem Handgelenk und preßte es in seiner schmalen Hand. Angélique biß sich vor Schmerz in die Lippen, aber das Gefühl der Freude war mächtiger. Tausendmal lieber sah sie ihn so, gewalttätig und roh, als geistesabwesend, ausweichend, unangreifbar in seiner verachtungsvollen Zurückhaltung.