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Angélique fühlte sich aufgewühlt. Es fiel ihr nicht ein, sich über derartige Ratschläge aus dem Munde eines strengen Hugenotten zu ärgern. Molines’ ganzes Wesen war von einer listigen Weisheit geprägt, die sich nie von Prinzipien hatte leiten lassen, sondern einzig von den Schwankungen der den materiellen Interessen verhafteten menschlichen Natur. Auch diesmal hatte er sicherlich recht. Angélique erinnerte sich plötzlich der Anwandlungen von Angst, die Philippe in ihr ausgelöst hatte, und auch des Gefühls der Hilflosigkeit, das sie angesichts seiner Gleichgültigkeit, seiner eisigen Ruhe empfand. Sie wurde sich bewußt, daß sie insgeheim die Absicht hatte, ihn schon in der Hochzeitsnacht zu unterwerfen. Wenn eine Frau einen Mann in ihren Armen hält, ist sie sehr mächtig. Immer kommt einmal der Augenblick, da die Abwehr des Mannes angesichts des Abgrunds der Lust erlahmt. Er wird schwach und blind. Eine Frau muß diesen Augenblick zu nutzen wissen. Später wird selbst der härteste Mann wider seinen Willen immer zur Quelle seiner Wollust zurückkehren wollen. Angélique wußte es: Wenn sich Philippes wundervoller Körper mit dem ihren vereinigte, wenn dieser gleich einer Frucht nachgiebige und frische Mund mit dem ihren verschmolz, würde sie die feurigste und wissendste aller Geliebten werden. Gemeinsam würden sie in der Anonymität des Liebeskampfes Wonnen genießen, die Philippe am nächsten Tag vielleicht abstreiten würde, die sie aber sicherer miteinander verbinden mußten als irgendeine leidenschaftliche Erklärung.
Ihr Blick kehrte zu Molines zurück. Er mußte ihre Gedankengänge von ihrem Gesicht abgelesen haben, denn er lächelte ironisch und sagte: »Ich meine auch, Ihr seid schön genug, um die Partie zu wagen. Vorausgesetzt freilich, daß es überhaupt dazu kommt.«
»Was wollt Ihr damit sagen?«
»Mein Herr macht sich nichts aus Frauen. Gewiß, er hat sie gekostet, aber für ihn ist eine Frau eine bittere, Übelkeit erregende Frucht.«
»Immerhin sagt man ihm eine ganze Menge Abenteuer nach. Und jene berüchtigten Orgien während seiner Feldzüge, in Norgen .«
»Reflexe eines vom Krieg berauschten Haudegens. Er nimmt die Frauen, wie er ein Haus in Brand stek-ken, wie er mit einem Degenstoß den Leib eines Kindes durchbohren würde ... aus purer Bosheit.«
»Molines, Ihr redet schreckliche Dinge!«
»Ich will Euch nicht erschrecken, sondern warnen. Ihr stammt aus einer adligen, aber gesunden und bäuerlichen Familie. Ihr scheint nicht zu wissen, wie ein junger Edelmann aufwächst, dessen Eltern reich und weltmännisch sind. Von Kindheit an ist er das Spielzeug der Zofen und Lakaien, dann der hochadligen Herren, bei denen man ihn als Pagen unterbringt. Die natürlichen und widernatürlichen Liebespraktiken, die er dort kennenlernt .«
»Oh, schweigt! All das ist so unerfreulich«, murmelte Angélique und blickte verlegen ins Kaminfeuer.
Molines ließ es dabei bewenden und setzte seinen Kneifer wieder auf.
»Soll ich also diese Klausel hinzufügen?«
»Fügt hinzu, was Ihr wollt, Molines, ich .«
Sie wurde durch das Geräusch einer sich öffnenden Tür unterbrochen. Im Halbdunkel des Salons wirkte die in blasse Seide gekleidete Gestalt Philippes wie eine Statue aus Schnee. Weiß und blond, über und über mit Gold bedeckt, schien er im Begriff, zu einem Ball aufzubrechen. Er grüßte Angélique mit einer kühl-nachlässigen Kopfbewegung.
»Wie weit seid Ihr mit Euren Verhandlungen, Molines?«
»Madame Morens ist mit den gestellten Bedingungen vollkommen einverstanden.«
»Ihr seid bereit, auf das Kreuz zu schwören, daß Ihr das Versteck jener Schatulle tatsächlich kennt?«
»Ich kann es beschwören.«
»Monsieur Carette .«
Der Geistliche, dessen schmale, dunkle Silhouette hinter der strahlenden Erscheinung des Marquis kaum zu erkennen gewesen war, trat mit einem Kruzifix in der Hand vor, auf das Angélique schwur, tatsächlich das Versteck der Schatulle zu kennen und sich zu verpflichten, sie nach der Eheschließung Monsieur du Plessis zu übergeben. Sodann nannte Molines die Summe der Rente, die Angélique später ihrem Gatten gewähren sollte. Die Summe war reichlich hoch, aber sie entsprach wohl der Summe der Ausgaben, die der Verwalter jährlich für seinen jungen Herrn errech-nete. Angélique hob ein wenig die Augenbrauen, aber sie fügte sich: Wenn ihre Geschäfte florierten, würde sie es schon schaffen. Andererseits, wenn sie erst Marquise du Plessis war, würde sie schon dafür sorgen, daß man aus Philippes Besitzungen ein Maximum an Erträgnissen herausholte.
Der junge Mann erhob keine Einwendungen. Er setzte eine gelangweilte Miene auf. »Es ist gut, Molines«, sagte er, während er ein Gähnen unterdrückte. »Sorgt dafür, daß diese unerfreuliche Angelegenheit so rasch wie möglich in Ordnung kommt.«
Der Verwalter hüstelte und rieb sich verlegen die Hände.
»Da ist noch eine Klausel, Herr Marquis, die die hier anwesende Madame Morens in den Kontrakt eingefügt haben möchte. Nämlich: Die finanziellen Regelungen sind nur bei Vollziehung der Ehe gültig.«
Philippe schien nicht gleich zu begreifen, dann rötete sich sein Gesicht.
»Oh, das ist .«, sagte er, »nein, wirklich .«
Er rang so nach Worten, daß Angélique wieder jenes wunderliche, aus Mitleid und Rührung gemischte Gefühl verspürte, das er ihr zuweilen einflößte.
»Das ist ja wirklich die Höhe!« stieß er schließlich hervor. »Schamlosigkeit mit Frechheit gepaart!«
Nun wurde er kreidebleich vor Wut. »Und könnt Ihr mir vielleicht sagen, Molines, wie ich der Welt beweisen soll, daß ich das Bett dieser Person beehrt habe? Etwa dadurch, daß ich die Jungfräulichkeit einer Dirne raube, die bereits zwei Kinder hat und sich zu jedem Musketier und Finanzmann ins Bett legt? Oder daß ich mich der Kammer präsentiere wie jener Idiot, der vor zehn Personen seine Mannbarkeit zu beweisen hatte? Hat Madame Morens die Zeugen benannt, die dieser Zeremonie beiwohnen sollen?«
Molines machte mit beiden Händen eine beruhigende Geste.
»Ich begreife nicht, Herr Marquis, weshalb diese Klausel Euch in einen solchen Zustand versetzt. Sie ist für Euch tatsächlich, wenn ich so sagen darf, ebenso interessant wie für Eure zukünftige Gattin. Ihr müßt bedenken, daß Madame Morens, falls Ihr Euch in einer Laune oder wohlverständlichen Anwandlung von Groll dazu hinreißen ließet, Eure ehelichen Pflichten zu vernachlässigen, schon in kurzer Frist das Recht hätte, die Annullierung der Eheschließung zu verlangen und Euch in einen peinlichen und kostspieligen Prozeß zu verwickeln. Ich gehöre der reformierten Religion an, aber ich glaube zu wissen, daß die Nichtvollziehung der Ehe einer der von der Kirche anerkannten Annullierungsgründe ist. Nicht wahr, Herr Pfarrer?«
»Ganz recht, Monsieur Molines. Die christliche und katholische Ehe hat nur ein Ziel: die Fortpflanzung.«
»Aha«, sagte der Verwalter in leise ironischem Ton. »Was den Beweis Eures guten Willens betrifft, so ist der beste wohl der, daß Eure Gattin Euch alsbald einen Stammhalter schenkt.«
Philippe wandte sich Angélique zu, die während dieses Gesprächs gelassen zu bleiben versuchte. Als er sie jedoch anstarrte, hob sie unwillkürlich die Augen zu ihm auf. Der tückische und harte Ausdruck dieses schönen Gesichts ließ sie erschauern.
»Also, es ist abgemacht«, sagte Philippe träge, während sich seine Lippen zu einem grausamen Lächeln verzogen. »Ich werde sehen, was sich machen läßt .«
»Ihr habt mich eine abscheuliche Rolle spielen lassen«, sagte Angélique zu Molines.
»Ein bißchen mehr oder weniger abscheulich, was macht das schon aus? Wenn man sich zu einer abscheulichen Rolle entschlossen hat, soll man sich nicht um Nuancen kümmern, sondern seine Position sichern.«
Er geleitete sie zu ihrer Kutsche zurück. Mit seinem schwarzen Käppchen, der ein wenig verschmitzten Art, seine trockenen Hände zu reiben, war er wie ein vertrautes Symbol ihrer frühen Jugend.
»Ich kehre zu den Meinen zurück«, sagte sich Angélique in einem Gefühl der Fülle, das die durch Philippes Verhalten verursachten Wunden schloß. »Ich werde wieder Fuß fassen, in meine frühere Welt wieder Einlaß finden.«
Auf der Türschwelle schien der Verwalter angelegentlich den bestirnten Himmel zu betrachten, während Madame Morens’ Kutsche umständlich im Hof wendete, bevor sie endlich vor ihnen hielt.
»Ich frage mich«, sagte er bekümmert, »wie ein solcher Mann sterben konnte.«
»Welcher Mann, Molines?«
»Der Herr Graf Peyrac .«
Angéliques Herz krampfte sich zusammen. Seit einiger Zeit fügten sich der Verzweiflung, die sie jedesmal erfaßte, wenn sie an Joffrey dachte, unklare Gewissensbisse zu. Auch ihre Augen wanderten unwillkürlich zum nächtlichen Firmament.
»Glaubt Ihr, daß ... er mir böse ist ... wenn ich Philippe heirate?« fragte sie kindlich.
Der Greis schien sie nicht zu hören.
»Daß ein solcher Mann sterben mußte, geht über jeden Menschenverstand«, fuhr er kopfschüttelnd fort. »Vielleicht hat der König das rechtzeitig eingesehen .«
Angélique griff in einer impulsiven Aufwallung nach seinem Arm.
»Molines ... wißt Ihr etwas?«
»Ich habe sagen hören, daß der König ihn begnadigt hatte ... im letzten Augenblick.«