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Heftig atmend, ließ er die Peitsche fallen. Im Halbdunkel des Raums, in dem das Mondlicht und der Schein des Leuchters gegeneinander stritten, weckte der Anblick dieser weißen, zerschundenen Schultern, dieses zarten Nackens, dieser zerknirscht an die Wand gelehnten Stirn eine heftige, noch nie gespürte Begierde in ihm. Das war nicht mehr nur das animalische, blinde Verlangen. Es war mit einem ein wenig mysteriösen, fast zärtlichen Gefühl vermischt.
Gewiß, er würde sie nehmen, aber vielleicht würde er diesmal etwas anderes kennenlernen, jene unbekannte, ihm bisher verschlossen gebliebene Seite der Liebe. Sie war nicht wie die andern.
Er trat zu ihr und umfing sie leidenschaftlich. Aber nun war sie es, die sich verletzt fühlte. Angélique war ehrlich genug, ihr Unrecht einzusehen, aber zu stolz, als daß die eben erduldete Mißhandlung sie für Liebesgefühle empfänglich gemacht hätte.
Sie riß sich aus den Armen ihres Gatten los.
»O nein, das nicht!«
Dieser Schrei versetzte ihn von neuem in Wut. Das Traumbild verflüchtigte sich wieder. Dies hier war die widerspenstige, berechnende, rachsüchtige Frau, das ewige und schlechte Weib. Er begann, mit der Faust auf sie einzuschlagen, sie zu schütteln, zu beschimpfen. Schließlich brachte er sie zu Fall, preßte sie mit dem ganzen Gewicht seines Körpers gegen die eisigen Fliesen. Und plötzlich hatte sie das Gefühl, die Beute eines losgelassenen Raubtiers geworden zu sein, das sie erbarmungslos marterte. Sie litt unmenschliche Qualen ... Keine Frau konnte dergleichen lebend überstehen. Er würde sie verstümmeln, zugrunde richten! ... Ein Schuft! Ein grauenhafter Schuft!
Als er endlich von ihr ließ, hatte sie nicht mehr die Kraft, sich zu rühren.
Keuchend, das Gesicht von Schweiß bedeckt, betrachtete er sie. Er hatte seine Perücke verloren, und das kurze Haar gab seinem Kopf ein völlig verändertes Aussehen. Zum erstenmal bemerkte Angélique, wie hart und scharf seine Züge in Wirklichkeit waren.
Verächtlich stieß er sie mit dem Fuß und sagte in einem Ton, in dem sich Groll und Enttäuschung mischten:
»Ihr habt nicht einmal geschrien!«
Dann verließ er schwankend den Raum.
Angélique blieb lange Zeit am Boden liegen, obwohl die Nachtkühle ihren entblößten Körper erschauern ließ. Sie fühlte sich völlig zerschlagen und sehnte sich danach, wie ein Kind weinen zu können. Unwillkürlich überkam sie die Erinnerung an ihre erste Hochzeit unter dem Himmel von Toulouse, und sie dachte an Joffrey, den sie jetzt eben zum zweitenmal verloren hatte. Denn sie spürte dunkel, daß sein Geist sie verleugnete, weil sie ihn verraten hatte.
Angélique mußte an den Tod denken, an die dunkle Oberfläche des Teichs unter den Seerosen. Dann fielen ihr die Worte ein, die Desgray ihr gesagt hatte: »Vermeidet es, in jener Asche zu stochern, die man in alle Winde verstreut hat ... Denn jedesmal, wenn Ihr daran denkt, werdet Ihr Euch nach dem Tode sehnen ... Und ich werde nicht immer dasein .«
Um Desgrays, um ihres Freundes, des Polizisten, willen wies sie abermals die Versuchung des letzten Auswegs von sich. Sie wollte Desgray nicht enttäuschen.
Sie stand auf, schleppte sich zur Tür, schob den Riegel vor und ließ sich erschöpft auf das Bett fallen. Es war besser, nicht zuviel nachzudenken. Hatte Molines ihr im übrigen nicht prophezeit: »Es ist möglich, daß Ihr die erste Runde verliert .«
Das Fieber pochte in ihren Schläfen, und sie wußte nicht, wie sie die brennenden Schmerzen ihres Körpers lindern sollte. Warum verhielten sich alle Männer so schlecht zu ihr? Nein, nicht alle . Aus einem Mondstrahl tauchte das flüchtige Schemen des Poeten vom Pont-Neuf mit dem spitzen Hut und den fahlen Haaren auf. Sie rief es an. Doch schon verschwand es wieder. Sie glaubte Sorbonne bellen und den Schritt Desgrays in der Ferne verhallen zu hören.
Desgray, der Schmutzpoet, sie vermengte die beiden ein wenig in ihrem Geist, den Jäger und den Gejagten. Beide Söhne des großen Paris, beide spöttisch und zynisch. Aber wenn sie auch noch so beschwörend nach ihnen rief, sie verschwanden, verloren den letzten Rest von Wirklichkeit. Sie gehörten nicht mehr zu ihrem Leben. Angélique hatte sich auf immer von ihnen gelöst.
In jähem Erwachen fuhr sie auf, und war sich doch nicht bewußt, eingeschlafen zu sein. Sie horchte gespannt. Das Schweigen des Forsts von Nieul hüllte das weiße Schloß ein. In einem der Zimmer schlief wohl der schöne Peiniger, erschlafft vom Wein. Ein Käuzchen klagte, und sein gedämpfter Ruf trug Angélique die ganze Poesie der Nacht und des Waldes zu.
Eine große Ruhe überkam sie. Sie wandte sich auf die andere Seite und suchte nun bewußt den Schlaf. Wohl hatte sie die erste Runde verloren, aber sie war immerhin die Marquise du Plessis-Bellière geworden.
Der Morgen brachte ihr eine neue Enttäuschung. Als sie hinunterging, nachdem sie sich, um Javottes Neugier zu entgehen, allein angekleidet hatte, erfuhr sie, daß der Marquis, ihr Gatte, im Morgengrauen nach Paris zurückgekehrt sei. Oder vielmehr nach Versailles, wo sich der Hof zu den letzten Festen vor der ruhigen Sommerzeit versammelte.
Angélique schoß das Blut zum Herzen. Bildete Philippe sich etwa ein, daß seine Frau die Absicht habe, in der Provinz zu verkümmern, während man in Versailles Feste feierte .?
Vier Stunden später jagte eine mit sechs Pferden bespannte Kutsche über die steinigen Landstraßen des Poitou dahin.
Auch Angélique kehrte, mit steifen Gliedern, aber gestrafft durch einen trotzigen Willen, nach Paris zurück. Sie hatte nicht gewagt, sich Molines’ scharfem Blick auszusetzen, und ihm nur einen Brief hinterlassen, in dem sie ihn bat, hin und wieder nach ihren Kindern zu sehen. Sie brauchte sich keine Sorgen zu machen. Florimond und Cantor würden von Barbe, der Amme, dem Großvater und dem Verwalter nur zu sehr umsorgt werden.
In Paris nistete sie sich bei Ninon de Lenclos ein, die seit drei Monaten dem Herzog von Gassempierre zugetan war. Da der Herzog für eine Woche bei Hofe war, fand Angélique bei ihrer Freundin die erhoffte Zuflucht. Achtundvierzig Stunden lang ruhte sie in Ninons Bett, einen Perubalsam-Umschlag auf dem Gesicht, zwei Alaunkompressen auf den Augenlidern, während man ihr den Körper mit verschiedenen Ölen und Salben einrieb.
Sie hatte die zahlreichen blauen Flecke und Hiebwunden, die ihr Gesicht und die Schultern verunstalteten, mit einem unglückseligen Wagenunfall erklärt, und die schöne Kurtisane besaß ein solches Maß an Takt, daß Angélique nie dahinterkam, ob sie es geglaubt hatte oder nicht.
Ninon sprach völlig ungezwungen über Philippe, dem sie begegnet war, als er sich nach Versailles begeben hatte. Man hatte dort ein überaus kurzweiliges und glanzvolles Vergnügungsprogramm aufgestellt: Ringelstechen, Ballette, Komödien, Feuerwerk und andere schöne Dinge. Die Stadt hallte wider von den Prahlereien derer, die geladen waren, und vom Zähneknirschen der andern, die es nicht waren.
Ninon saß an Angéliques Bett und sprach unermüdlich, um ihre Patientin nicht in Versuchung zu führen, selbst den Mund aufzutun, denn sie brauchte Ruhe, um rasch wieder einen rosigen Teint zu bekommen. Ninon meinte, ihr selbst mache es nichts aus, Versailles nicht zu kennen, wo man sie infolge ihres schlechten Rufs nicht empfing. Ihre Domäne war ein anderer Ort, nämlich jenes kleine Palais im Marais, wo sie wie eine wahre Königin herrschte. Es genügte ihr, zu wissen, daß der König bei diesem oder jenem Vorfall am Hofe oder in den literarischen Zirkeln zuweilen fragte: »Und was sagt die schöne Ninon dazu?«
»Aber wenn man Euch in Versailles feiert, werdet Ihr mich doch nicht vergessen, Liebste?« fragte sie.
Unter ihren Pflastern machte Angélique ein verneinendes Zeichen.
Am 21. Juni 1667 machte sich die Marquise du Plessis-Bellière nach Versailles auf. Sie war nicht geladen, besaß aber den größten Wagemut der Welt.
Ihre reich vergoldete, innen und außen mit grünem Samt und goldenen Fransen verzierte Kutsche wurde von zwei kräftigen Apfelschimmeln gezogen. Sie selbst trug ein Kleid aus graugrünem Brokat mit silbernem Blumenmuster. Als Schmuck eine mehrmals um den Hals geschlungene, prachtvolle Perlenkette, die ihr der Fürst Condé geschenkt hatte.
Ihr von Binet geputztes Haar war gleichfalls mit Perlen sowie mit zwei seidig-leichten, makellos weißen Federn geschmückt, die wie ein Schmuck aus Schneegespinst wirkten. Ihr sorgfältig, aber diskret geschminktes Gesicht wies keine Spuren der Gewalttätigkeiten mehr auf, deren Opfer sie einige Tage zuvor gewesen war. Nur an der Schläfe war ein blaues Mal zurückgeblieben, das Ninon durch ein herzförmiges Schönheitspflästerchen verdeckt hatte.
Sie streifte ihre Handschuhe über, schlug ihren handgemalten Fächer auf und beugte sich aus dem Wagenfenster. »Nach Versailles, Kutscher!«
Ihre Spannung und ihre Freude machten sie so nervös, daß sie Javotte mitgenommen hatte, um während der Fahrt mit jemandem plaudern zu können.
»Wir fahren nach Versailles, Javotte«, sagte sie zu der Kleinen, die in Musselinhaube und bestickter Schürze vor ihr saß.
»Oh, da bin ich schon einmal gewesen, Madame! Mit dem Schiff, an einem Sonntag ... um den König speisen zu sehen.«
»Das ist nicht dasselbe, Javotte, aber das kannst du nicht verstehen.«
Die Fahrt kam ihr endlos vor. Die Straße war schlecht, ausgehöhlt von den zweitausend Karren, die täglich von Paris nach Versailles und wieder zurück fuhren, um Steine und Gips für den Bau des Schlosses sowie Bleiröhren und Statuen für die Gärten heranzuschaffen.
Alle Augenblicke steckte Angélique ungeduldig den Kopf durch das Wagenfenster, auf die Gefahr hin, Binets kunstvollen Aufbau zu zerstören und mit Straßenkot bespritzt zu werden.
»Beeil dich, Kutscher, potztausend! Deine Pferde sind die reinen Schnecken!«
Aber schon sah sie am Horizont einen hohen, rosigen, glitzernden Felsen aufragen, der ein blendendes Licht in den Frühlingsmorgen auszustrahlen schien. »Was ist das, Kutscher? Das dort drüben?«
»Madame, das ist Versailles.«
Eine Reihe frisch gepflanzter Bäume beschattete dürftig die letzten Meter der Allee. Kurz vor dem ersten Tor mußte Angéliques Kutsche halten, um eine Equipage vorbeizulassen, die sich in gestrecktem Galopp aus der Richtung von Saint-Cloud her näherte. Das rote, von sechs Pferden gezogene Fahrzeug wurde von Berittenen eskortiert. Man sagte, es sei Monsieur. Madames Kutsche folgte, mit sechs Schimmeln bespannt.
Angélique befahl dem Kutscher, sich den beiden anzuschließen. Sie glaubte nicht mehr an unglückverheißende Befürchtungen, an Behexung. Eine Gewißheit, die stärker war als alle Befürchtungen, sagte ihr, daß die Stunde ihres Triumphs gekommen sei. Sie hatte sie teuer genug bezahlt.
Indessen wartete sie eine Weile, bis sich der durch die Ankunft der hohen Herrschaften verursachte Trubel gelegt hatte, dann verließ sie den Wagen und stieg die Stufen hinauf, die zum Marmorhof führten. Flipot, in die blaugelbe Livree der du Plessis gesteckt, hielt die Schleppe ihres Mantels.
»Wisch dir nicht die Nase an deinem Ärmel ab«, sagte sie zu ihm. »Denk daran, daß wir in Versailles sind.«
»Jawohl, Madame«, seufzte der ehemalige Küchenjunge der »Roten Maske«, der vor Verwunderung über das, was es da ringsum zu sehen gab, den Mund nicht zubekam.
Versailles präsentierte sich noch nicht in der erdrük-kenden Großartigkeit, die ihm die beiden weißen, von Mansart gegen Ende der Regierungszeit Ludwigs XIV. hinzugefügten Flügel verleihen sollten. Es war ein Märchenpalast, der sich da auf dem schmalen, kleinen Erdhügel erhob, mit seiner heiteren, rosa- und mohnfarbenen Architektur, seinen schmiedeeisernen Balkons, seinen hohen, hellen Kaminen. Die Zinnen waren vergoldet und funkelten wie der Juwelenbesatz eines kostbaren Kästchens.