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»Ich für mein Teil meine«, schloß er, »daß die Werbung eines Mannes, der dich seinerseits nie gesehen hat, einen unverhofften, ungewöhnlichen Glücksfall darstellt .«
Sie schwiegen eine Weile.
»Eben das ist es«, murmelte Angélique. »Ich finde diesen Glücksfall allzu ungewöhnlich. Weshalb sucht sich dieser Graf, der alles Nötige besitzt, um eine reiche Erbin zur Frau wählen zu können, ausgerechnet im hintersten Poitou ein Mädchen ohne Mitgift aus?«
»Ohne Mitgift?« wiederholte Armand de Sancé, dessen Gesicht sich aufhellte. »Komm mit mir heim ins Schloß, Angélique, und zieh dich um. Wir werden unsere Pferde nehmen. Ich will dir etwas zeigen.«
Auf Geheiß des Barons sattelte ein Stallknecht im Hof eilig die beiden Pferde. Obwohl das vorausgegangene Gespräch sie beschäftigte, stellte Angélique keine weiteren Fragen. Während sie sich im Sattel zurechtsetzte, sagte sie sich, daß es ja ihre Bestimmung sei, zu heiraten, und daß tatsächlich die meisten ihrer Gefährtinnen sich auf diese Weise mit Bewerbern verheirateten, die ihnen ihre Eltern präsentierten.
Warum widerstrebte ihr eigentlich dieses Projekt so sehr? Der Mann, den man ihr bestimmte, war kein Greis. Sie würde reich sein ...
Angélique verspürte plötzlich eine wohlige körperliche Empfindung, ohne sich gleich deren Ursprungs bewußt zu sein. Die Hand des Reitknechts, die ihr behilflich gewesen war, sich wie eine Amazone auf das Tier zu setzen, glitt jetzt über ihren Fußknöchel und streichelte sie leise, mit einer Bewegung, die der gutwilligste Mensch der Welt nicht als ungewollt hätte bezeichnen können.
Der Baron war im Schloß verschwunden, um das Schuhwerk zu wechseln und einen sauberen Spitzenkragen umzulegen, so daß sie mit dem Knecht allein war.
Sie zuckte zusammen, und das Pferd tat einige erschreckte Schritte.
»Was kommt dich an, Bauernlümmel?«
Sie errötete und ärgerte sich über sich selbst, denn sie mußte sich eingestehen, daß ein köstlicher Schauer sie unter dieser kurzen Liebkosung durchbebt hatte. Der Knecht, ein Herkules mit breiten Schultern, hob den Kopf. Braune Locken fielen über seine dunklen Augen, die in vertrauter Schelmerei glänzten.
»Nicolas!« rief Angélique aus, während das Vergnügen, ihn wiederzusehen, und die Verlegenheit über die Vertraulichkeit, die er sich erlaubt hatte, in ihr miteinander stritten.
»Aha, du hast Nicolas erkannt«, sagte Baron de Sancé, der mit großen Schritten herankam. »Das ist der schlimmste Teufel in der ganzen Umgegend, und niemand wird mit ihm fertig. Weder die Feldarbeit noch die Maultiere interessieren ihn. Ein Faulpelz und ein Schürzenjäger, da hast du deinen einstigen Kameraden, Angélique.«
Der junge Mann schien sich angesichts solcher Würdigung nicht zu schämen. Er schaute Angélique unverwandt mit einem Lächeln, das seine weißen Zähne entblößte, und einer fast herausfordernden Kühnheit an.
»He, Bursche! Hol ein Maultier und folge uns«, sagte der Baron, der nichts merkte.
»Jawohl, Herr.«
Die drei Reittiere trotteten über die Zugbrücke und schlugen den Weg links von Monteloup ein.
»Wohin reiten wir, Vater?«
»Nach der alten Bleigrube.«
»Den eingestürzten Schächten in der Nähe der Abtei von Nieul .?«
»Eben denen.«
»Ich verstehe nicht, wieso dieses Fleckchen unfruchtbaren Landes .«
»Dieses Fleckchen Landes, das nicht mehr unfruchtbar ist und jetzt >Silbermine< heißt, stellt, kurz gesagt, deine Mitgift dar. Du erinnerst dich, daß Molines mich aufgefordert hatte, die Erneuerung des Ausbeutungsrechts meiner Familie wie auch die Steuerbefreiung für ein Viertel der Produktion zu beantragen. Nachdem dies erreicht war, ließ er sächsische Facharbeiter kommen. Da ich sah, welche Bedeutung er diesem bis dahin vernachlässigten Grunde beimaß, sagte ich ihm eines Tages, daß ich ihn dir als Mitgift geben würde. Ich glaube, damals ist in seinem fruchtbaren Kopf der Gedanke an eine Heirat mit dem Grafen Peyrac aufgekeimt, denn tatsächlich möchte dieser Edelmann das Gebiet erwerben. Ich habe die Art der Transaktion nicht recht verstanden, die er mit Molines abgesprochen hat; ich glaube, er ist mehr oder weniger der Mittelsmann für die Maultiere und Metalle, die wir auf dem Seeweg nach Spanien schik-ken. Das beweist, daß es viel mehr Edelleute gibt, als man glaubt, die sich für den Handel interessieren. Ich würde freilich meinen, Graf Peyrac habe es angesichts seines ausgedehnten Grundbesitzes nicht nötig, sich mit solch bürgerlichen Geschäften abzugeben. Aber vielleicht tut er es zu seiner Zerstreuung. Er soll ein Original sein.«
»Wenn ich recht begriffen habe«, sagte Angélique ruhig, »wußtet Ihr, daß man diese Mine haben wollte, und gabt zu verstehen, daß man die Tochter dazunehmen müsse.«
»Wie bizarr du die Dinge immer darstellst, Angélique! Ich finde, die Lösung, dir die Mine als Mitgift zu geben, war ausgezeichnet. Meine Töchter gut untergebracht zu sehen war mein und auch deiner armen Mutter vordringlichster Wunsch. Nun, bei uns verkauft man sein Land nicht; trotz aller bösen Schwierigkeiten ist es uns geglückt, unser elterliches Erbgut unangetastet zu erhalten. Und meine Tochter nicht nur standesgemäß, sondern auch reich zu verheiraten, das ist es, wonach ich trachte. Das Land bleibt in der Familie. Es geht nicht an einen Fremden, sondern an einen neuen Zweig, an eine neue Verbindung.«
Angélique ritt eine halbe Pferdelänge hinter ihrem Vater; so konnte er den Ausdruck ihres Gesichts nicht sehen. Die kleinen, weißen Zähne des Mädchens bissen in ohnmächtigem Zorn auf die Lippen. Sie konnte um so weniger ihrem Vater erklären, wie demütigend ihr die näheren Umstände dieser Werbung vorkamen, als dieser davon überzeugt war, aufs geschickteste für das Glück seiner Tochter gesorgt zu haben. Dennoch gab sie den Kampf nicht auf.
»Wenn ich mich recht erinnere, hattet Ihr die Grube für zehn Jahre an Molines verpachtet. Es bleiben also noch ungefähr vier Pachtjahre. Wie kann man ein Gelände, das verpachtet ist, als Mitgift geben?«
»Molines ist nicht nur einverstanden, sondern wird auch weiterhin für die Rechnung des Grafen Peyrac ausbeuten. Im übrigen hat die Arbeit bereits vor drei Jahren begonnen, wie du sehen wirst. Da sind wir!«
Vater und Tochter stiegen ab, und Nicolas trat herzu, um die Zügel der Pferde zu halten.
Der Ort, der einstens einen so trostlosen Anblick geboten hatte, war von Grund aus verändert. Ein Kanalsystem führte Wasser zu, das mehrere Steinmühlen antrieb. Stößer zermalmten Steine unter dumpfem Getöse, während dicke Felsbrocken mit dem Päuschel zerkleinert wurden.
Zwei Schmelzöfen glühten rötlich, und riesige Blasebälge fachten die Flammen an. Schwarze Holzkohlenberge türmten sich zu Seiten der Öfen, und der übrige Teil des Platzes war mit Steinhaufen bedeckt.
In die hölzernen Rinnen, in denen Wasser sprudelte, warfen Arbeiter mit Schaufelnden aus den Mühlen kommenden Gesteinssand. Andere harkten mit Hacken über den Grund der Kanäle gegen die Strömung. An einem ziemlich großen Schuppen weiter im Hintergrund waren die Türen mit Eisenstangen und Gittern, die wiederum mit dicken Hängeschlössern versperrt waren, gesichert. Zwei mit Musketen bewaffnete Männer bewachten die Zugänge.
»Der Vorrat an Silber- und Bleibarren«, erklärte stolz der Baron und fügte hinzu, er werde nächstens Molines bitten, ihr den Vorrat zu zeigen.
Dann führte er sie zum angrenzenden Steinbruch. Riesige Stufen von jeweils vier Meter Höhe bildeten jetzt eine Art römischen Amphitheaters. Da und dort führten Gänge in das Gestein, aus denen man von Eseln gezogene kleine Wagen auftauchen sah.
»Hier sind zehn sächsische Bergmannsfamilien tätig, Gießer und Steinbrecher. Mit ihnen hat Molines die Nutzung in Betrieb genommen.«
»Und wieviel bringt das im Jahr ein?« fragte Angélique.
»Tja, das ist freilich eine Frage, die ich mir noch nie vorgelegt habe ...«, gestand Armand de Sancé einigermaßen verlegen. »Du verstehst: Molines bezahlt mir regelmäßig die Pacht. Er hat die gesamten Unkosten der Einrichtung getragen. Er hat Ofensteine aus England kommen lassen, vermutlich sogar aus Spanien, wahrscheinlich im Austausch gegen Schmuggelwaren aus dem Languedoc.«
»Wahrscheinlich, so wollt Ihr sagen, durch Vermittlung desjenigen, den Ihr mir zum Ehegemahl bestimmt habt?«
»Das ist möglich. Es scheint, daß er sich mit tausend verschiedenen Dingen beschäftigt. Er ist übrigens auch Wissenschaftler, denn er hat die Konstruktionsskizze für diese Dampfmaschine entworfen.«
Der Baron führte seine Tochter zum Eingang eines der Stollen. Er zeigte ihr eine Art riesigen Eisenkessels, unter dem ein Feuer brannte und von dem aus zwei dicke, umwickelte Rohre in einen Brunnen führten. In regelmäßigen Abständen stieg aus ihm ein Wasserstrahl auf.
»Das ist eine der ersten bisher auf der Welt konstruierten Dampfmaschinen. Sie dient dazu, das Wasser aus den Stollen zu pumpen. Es ist eine Erfindung, die Graf Peyrac bei einem seiner Aufenthalte in England vervollkommnet hat. Sieh da, guten Tag, Fritz Hauer!«
Einer der Arbeiter bei der Maschine nahm seine Mütze ab und verbeugte sich tief. Sein Gesicht hatte durch den in seiner Haut verkrusteten Gesteinsstaub eine bläuliche Farbe bekommen - die Folge jahrelanger Bergmannsarbeit. An seiner einen Hand fehlten zwei Finger. Da er untersetzt und bucklig war, wirk-ten seine Arme überlang. Haarsträhnen fielen über seine kleinen, glänzenden Augen.
»Ich finde, er gleicht ein wenig dem italischen Gott Vulcanus«, sagte Monsieur de Sancé. »Kein Mensch kennt die Eingeweide der Erde besser als dieser sächsische Arbeiter. Deshalb sieht er vielleicht auch so seltsam aus. Es wird behauptet, er kenne ein Verfahren, um Blei in Gold zu verwandeln. Jedenfalls arbeitet er seit mehreren Jahren beim Grafen Peyrac, der ihn nach dem Poitou schickte, um die >Silbermine< in Gang zu bringen.«
»Graf Peyrac! Immer wieder Graf Peyrac!« dachte Angélique ein wenig unwillig.
Sie sagte mit fester Stimme:
»Vielleicht ist er deshalb so reich, dieser Graf Peyrac. Er verwandelt das Blei, das ihm sein mißgestalteter Helfershelfer schickt, in Gold. Es würde mich gar nicht wundernehmen, wenn er mich eines Tages in einen Frosch verwandelte.«
»Wirklich, du bekümmerst mich, Tochter. Weshalb dieser spöttische Ton? Du tust ja, als ob ich dein Unglück im Sinne hätte! Nichts an diesem Projekt rechtfertigt dein Mißtrauen und deinen Groll. Ich habe Freudenrufe erwartet und höre nur Sarkasmen.«
»Ihr habt recht, Vater, vergebt mir«, sagte Angélique, bestürzt und bekümmert über die Enttäuschung, die sie auf dem ehrlichen Gesicht des Edelmanns las. »Die Nonnen haben oft gesagt, ich sei nicht wie die andern und hätte eine verwirrende Art zu reagieren. Ich halte nicht damit hinter dem Berge, daß dieser Heiratsantrag mich nicht nur nicht freut, sondern mir überaus peinlich ist. Gebt mir Zeit zum Nachdenken ...«
Während des Gesprächs waren sie zu den Pferden zurückgekehrt. Angélique schwang sich rasch in den Sattel, um der allzu dienstfertigen Hilfe von Nicolas zuvorzukommen, aber sie konnte nicht verhindern, daß die braune Hand des Knechts sie berührte, als er ihr die Zügel übergab.