142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 24

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Sie bemerkte trocken:

»Und wie komme gerade ich dazu, daß Ihr mir Berechnungen enthüllt, die zehn Meilen gegen den Wind nach der Galeere riechen?«

»Von der Galeere kann gar keine Rede sein, und sollte es einmal mit einem Beamten Schwierigkeiten geben, so würden ein paar Silberstücke die Sache in die Reihe bringen. Sind nicht Mazarin und Fouquet Persönlichkeiten, die mehr Kredit haben als die Fürsten von Geblüt und der König selbst? Aus dem einfachen Grunde, weil sie Besitzer riesiger Vermögen sind. Was Euch betrifft, so weiß ich, daß Ihr Euch gegen die Sänfte sträubt, solange Ihr nicht begriffen habt, weshalb man Euch auffordert, in ihr Platz zu nehmen.«

»Und wenn ich mich weigere zu begreifen?«

»Ihr wollt doch nicht, daß Euer Vater den Schuldturm kennenlernt«, sagte der Verwalter gelassen. »Es braucht gar nicht viel, und Eure Familie fiele in größeres Elend zurück als je zuvor. Und wie sähe Eure eigene Zukunft aus? Ihr würdet wie Eure Tanten in Armut altern. Eure Brüder und Eure kleine Schwester könnten keine Schule besuchen, sie müßten später ins Ausland gehen ...«

Da er sah, daß die Augen des Mädchens zornig blitzten, fügte er in süßlichem Ton hinzu:

»Aber warum zwingt Ihr mich, dieses düstere Bild auszumalen? Ich habe mir gesagt, daß Ihr aus einem andern Stoff gebildet seid als jene Edelleute, die sich in jeder Lebenslage auf ihr Wappen berufen und von den Almosen des Königs leben ... Man überwindet Schwierigkeiten nicht, ohne sie mit beiden Händen anzupacken und ohne ein wenig mit der eigenen Person zu bezahlen. Das heißt, man muß handeln. Ich habe nichts vor Euch verborgen, damit Ihr wißt, in welche Richtung Ihr Eure Anstrengungen lenken müßt.«

Keine anderen Argumente hätten Angélique tiefer treffen können. Sie zuckte wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Sie sah das heruntergekommene Schloß Monteloup von einst, ihre im Schmutz spielenden kleinen Brüder und Schwestern, ihre Mutter mit frosterstarrten Fingern, ihren Vater an seinem kleinen Arbeitstisch sitzend und angestrengt eine Bittschrift an den König schreibend, der nie geantwortet hatte.

Der Verwalter hatte sie aus dem Elend gezogen. Nun hieß es bezahlen.

»Es ist abgemacht, Monsieur Molines«, sagte sie mit leerer Stimme, »ich werde den Grafen Peyrac heiraten.«

Nun ritt sie auf dufterfüllten Wegen zurück, aber sie war völlig in ihre Gedanken versunken und sah nichts.

Nicolas folgte ihr auf seinem Maultier. Sie achtete nicht mehr auf den jungen Knecht. Sie bemühte sich indessen, nicht nach dem Grunde der Beklemmung zu forschen, die sie noch immer empfand. Ihr Entschluß war gefaßt. Was auch kommen mochte, sie würde nicht mehr umkehren. Da war es am vernünftigsten, vorwärts zu schauen und unbarmherzig alles von sich zu weisen, was sie bei der Durchführung jenes so raffiniert aufgestellten Programms wankelmütig machen könnte.

Plötzlich rief eine Männerstimme: »Mademoiselle Angélique!«

Mechanisch zog sie die Zügel an, und das Pferd, das seit ein paar Minuten langsam dahinschritt, blieb stehen. Als sie sich umwandte, sah sie, daß Nicolas abgestiegen war und ihr ein Zeichen gab, zu ihm zu kommen.

»Was gibt es?« fragte sie.

Geheimnistuerisch flüsterte er:

»Steigt ab, ich möchte Euch etwas zeigen.«

Sie gehorchte, und nachdem der Knecht die Zügel der beiden Tiere um den Stamm einer jungen Birke geschlungen hatte, trat er unter das Laubdach eines kleinen Gehölzes. Sie folgte ihm. Ein Buchfink sang unbekümmert im dichten Gebüsch.

Mit gesenkter Stirn schritt Nicolas dahin, während er aufmerksam umherschaute. Dann kniete er nieder, und als er sich wieder erhob, reichte er Angélique in den geöffneten Händen rote, duftende Früchte.

»Die ersten Erdbeeren«, murmelte er, und der Spott seines Lächelns entzündete eine Flamme in seinen dunkelbraunen Augen.

»O Nicolas, das ist nicht recht«, protestierte Angélique.

Aber in plötzlicher Rührung füllten sich ihre Augen mit Tränen, denn in dieser Geste lag der ganze Zauber ihrer Kindheit beschlossen, die er ihr zurückgab, der Zauber von Monteloup, die Streifzüge durch die Wälder, die Kühle der Wassergräben, zu denen Valentin sie mitnahm, die Bäche, in denen man Krebse fing, Monteloup, das keiner Stätte auf Erden glich, weil sich in ihm das süßduftende Mysterium des Moors mit dem herben der Wälder vereinigte .

»Du bist töricht«, sagte sie mit weicher Stimme. »Das solltest du nicht, Nicolas .«

Aber schon pickte sie auf altgewohnte Art die zarten und köstlichen Früchte aus seinen Händen. Er stand wie in alten Zeiten ganz dicht neben ihr, aber jetzt überragte sie der früher so hagere und behende Junge mit dem Eichhörnchengesicht um Haupteslänge, und sie spürte den bäuerlichen Geruch dieser sonnengebräunten und schwarzbehaarten Männerbrust, der aus seinem offenen Hemd drang. Sie sah diese kräftige Brust in langsamen Zügen atmen, und das verwirrte sie in solchem Maße, daß sie nicht mehr den Kopf zu heben wagte, denn sie war des kühnen und heißen Blicks allzu sicher, dem sie dann begegnen würde.

Sie kostete weiter die Erdbeeren, indem sie sich ganz dem Genuß hingab, und sie bedeuteten ihr unendlich viel.

»Das letztemal Monteloup«, sagte sie sich. »Das letztemal, daß ich es schmecke. Was es an Schönem für mich gegeben hat, liegt in diesen Händen beschlossen, in den braunen Händen von Nicolas.«

Als sie die letzte Frucht verzehrt hatte, schloß sie die Augen und lehnte ihren Kopf gegen den Stamm einer Eiche.

»Hör zu, Nicolas .«

»Ich höre dir zu«, erwiderte er.

Und sie spürte seinen heißen Atem, der nach Apfelmost roch, auf ihrer Wange. Er stand so nah, fast an sie gedrängt, daß er sie in seine massive Gegenwart einhüllte. Gleichwohl berührte er sie nicht, und plötzlich merkte sie, daß er die Hände hinter dem Rücken hielt, wie um der Versuchung aus dem Wege zu gehen, sie zu ergreifen, sie an sich zu pressen. Sie empfing den beängstigenden, jeden Lächelns baren und von einer Bitte verdüsterten Blick, die nur eine einzige Deutung zuließ. Nie hatte Angélique so die Begierde eines männlichen Wesens geweckt, nie hatte sie ein klareres Geständnis der Wünsche empfangen, die ihre Schönheit weckte. Die Liebelei des Pagen in Poitiers war nur ein Spiel gewesen, der Versuch eines jungen Raubtiers, das seine Krallen erproben will.

Dies hier war etwas anderes, es war machtvoll und hart, alt wie die Welt, wie die Erde, wie das Gewitter.

Das junge Mädchen in ihr erschauerte. Wäre sie erfahrener gewesen, so hätte sie einem solchen Ruf nicht widerstehen können. Ihre Beine zitterten, aber sie schrak zurück wie die Hündin vor dem Jäger. Das Ungekannte, das sie erwartete, und das verhaltene Ungestüm des Bauern flößten ihr Furcht ein. »Schau mich nicht so an, Nicolas«, sagte sie mit bemüht fester Stimme, »ich will dir sagen .«

»Ich weiß, was du mir sagen willst«, unterbrach er in dumpfem Ton. »Ich lese es von deinen Augen und von der Art ab, wie du den Kopf hochreißt. Du bist Baronesse Sancé, und ich bin ein Knecht ... Und nun sind die Zeiten vorüber, in denen wir einander ins Gesicht sahen. Mir geziemt es, den Kopf zu senken und >Sehr wohl, gnädiges Fräulein, jawohl, gnädiges Fräulein< zu sagen, während deine Augen über mich hinweggehen, ohne mich zu sehen . Nicht mehr als ein Stück Holz, weniger als ein Hund. So manche Marquise in ihrem Schloß läßt sich von ihrem Lakaien waschen, weil ja nichts dabei ist, wenn man sich vor einem Lakaien nackt zeigt ... Ein Lakai ist kein Mann, sondern ein Möbelstück, dessen man sich bedient. Ist das die Art, in der du mich jetzt behandeln wirst?«

»Schweig, Nicolas!«

»Jawohl, ich werde schweigen.«

Er atmete heftig, aber mit geschlossenem Mund wie ein krankes Tier.

»Ich will dir ein Letztes sagen, bevor ich schweige«, begann er von neuem, »nämlich, daß es nur dich in meinem Leben gab. Ich habe es erst begriffen, als du fortgingst, und ein paar Tage lang war ich wie irre. Es ist richtig, daß ich faul, daß ich ein Schürzenjäger bin und daß ich einen Widerwillen vor der Landarbeit und dem Vieh habe. Ich bin wie etwas, das nirgends daheim ist und ewig unschlüssig in der Welt herumirren wird. Mein einziges Daheim warst du. Als du zurückkamst, habe ich kaum erwarten können zu erfahren, ob du noch immer mir gehörst, ob ich dich verloren habe. Ja, ich bin dreist und hemmungslos, ja, wenn du nur willig gewesen wärst, hätte ich dich genommen, hier auf dem Moos, in diesem kleinen Gehölz, das uns gehört, auf dieser Erde von Monteloup, die uns gehört, uns beiden ganz allein wie einstmals«, schrie er.

Die verängstigten Vögel im Laubwerk waren verstummt.

»Du faselst, mein guter Nicolas«, sagte Angélique sanft.

»Keineswegs«, erwiderte der Mann, der unter seiner Sonnenbräune erblaßte.

Sie schüttelte ihr langes Haar, das sie noch offen trug, und eine Spur von Zorn stieg in ihr auf.

»Wie soll ich denn mit dir reden?« sagte sie. »Ob es mir paßt oder nicht, es steht mir nicht mehr an, den galanten Reden eines Hirten zuzuhören. Ich muß bald den Grafen Peyrac heiraten.«

»Den Grafen Peyrac!« wiederholte Nicolas verblüfft.

Er wich ein paar Schritte zurück und schaute sie schweigend an.

»Es ist also wahr, was man sich in der Gegend erzählt?« hauchte er. »Den Grafen Peyrac? Ihr! ... Ihr! Ihr werdet diesen Mann heiraten?«

»Ja.« Sie wollte keine Fragen stellen; sie hatte ja gesagt, das genügte. Sie würde bis zum Ende blind ja sagen.

Sie schlug den kleinen Pfad ein, der sie auf die Landstraße zurückbrachte, und ihre Reitpeitsche hieb ein wenig nervös die zarten Triebe am Wegrand ab. Das Pferd und das Maultier grasten einträchtig am Waldrand. Nicolas machte sie los. Mit gesenkten Augen half er Angélique in den Sattel. Plötzlich hielt sie die rauhe Hand des Knechtes fest.

»Nicolas ... sag mir, kennst du ihn?«

Er hob die Augen zu ihr auf, und sie sah eine böse Ironie in ihnen blitzen.