142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 28

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Angélique, die sich in der damals an den Höfen üblichen galanten Sprache nicht auskannte, verstand nur die Hälfte davon, aber die Reiseetappe war lustig und anregend und entspannte sie. Der Herzog von Lauzun geriet in Begeisterung über ihre Schönheit und machte ihr Komplimente in Versen, die er stehenden Fußes improvisierte.

»O meine Freunde«, rief er aus, »ich frage mich, ob die Goldene Stimme des Königreichs darüber nicht ihren höchsten Ton verlieren wird.«

Auf diese Weise hörte Angélique zum erstenmal von der Goldenen Stimme des Königreichs reden.

»Das ist der größte Sänger von Toulouse«, erklärte man ihr. »Seit den großen Troubadours früherer Zeiten hat das Languedoc seinesgleichen nicht gekannt! Ihr werdet ihn hören, Madame, und nicht umhin können, seinem Reiz zu erliegen.«

Angélique war eifrig bemüht, ihre Gastgeber nicht durch eine verschlossene Miene zu enttäuschen. All diese Leute waren sympathisch, zuweilen ein wenig trivial, aber immer auf witzige Art. Die überhitzte Luft, die Ziegeldächer, die Blätter der Platanen hatten die Farbe des weißen Weins, und der Witz war von dessen Leichtigkeit.

Doch je mehr man sich dem Ziel näherte, desto schwerer wurde es Angélique ums Herz.

Am Abend vor dem Einzug in Toulouse bezogen sie auf einer der Besitzungen des Grafen Peyrac Quartier. Es war ein Schloß aus hellem Stein im Renaissancestil. Angélique genoß den Komfort des Baderaums mit seinem Mosaikbecken und seinem Marmor. Die lange Margot bemühte sich um sie. Sie fürchtete, der Staub und die Hitze der Landstraße könnten den Teint ihrer Herrin, dessen Stumpfheit sie insgeheim mißbilligte, noch dunkler gefärbt haben.

Sie behandelte sie mit den verschiedensten Salben und befahl ihr, auf dem Ruhebett liegenzubleiben, während sie sie mit großem Kraftaufwand massierte und ihr sodann sorgfältig die Körperhaare auszog. Angélique war diese Prozedur nicht zuwider, die im Mittelalter, als es noch in allen Städten römische Bäder gegeben hatte, selbst vom Volke ausgeübt worden war. Jetzt unterzogen sich ihr nur noch die jungen Mädchen der Gesellschaft. Es galt für höchst unschicklich, daß eine große Dame auch nur den geringsten überflüssigen Flaum an sich duldete. Indessen empfand Angélique etwas wie ein Grauen darüber, daß man sich so angelegentlich bemühte, ihren Körper zu vervollkommnen.

»Er soll mich nicht berühren«, sagte sie immer wieder zu sich. »Lieber stürze ich mich aus dem Fenster.«

Aber nichts hielt den Strudel auf, in den sie hineingerissen worden war.

Am nächsten Morgen stieg sie, krank vor Bangigkeit, ein letztes Mal in die Kutsche, die sie in ein paar Stunden nach Toulouse bringen sollte. Der Marquis d’Andijos nahm an ihrer Seite Platz. Er jubilierte und sang vor sich hin. Sein Schnurrbart war wie mit chinesischer Tinte gezogen, so gründlich hatte er ihn mit parfümierter Bartwichse behandelt.

Angélique griff unvermittelt nach seiner Hand.

»Ach, Monsieur d’Andijos, ich wollte, Ihr wäret mein richtiger Gatte! Warum seid Ihr es nicht? Ich kenne Euch jetzt. Ich mag Euch gern.«

»Madame«, erwiderte der Marquis, indem er ihr galant die Hand küßte, »Ihr ehrt mich. Aber laßt es Euch nicht verdrießen und macht Euch wegen meiner Bänder keine Illusionen, wenn mein Wanst Euch gefallen hat. Ihr müßt wissen, daß ich ärmer als ein Bettler bin und daß ich ohne den Grafen Peyrac im bloßen Hemd auf meinem baufälligen Edelhof leben müßte, neben einem Taubenschlag ohne Tauben. Alles, was ich habe, verdanke ich dem Grafen Peyrac. Ich sage es Euch, damit Ihr nichts bedauert. Er ist es, der Gold und schöne Diamanten besitzt.«

»Ich verzichte auf Gold und Diamanten. Ach, Ihr begreift nicht! Ich habe Angst!«

»Ihr habt Angst?« wiederholte er. »Und wovor fürchtet Ihr Euch, mein Herz?«

Sie gab keine Antwort, sondern wandte sich ab und lehnte die Stirn an die staubbeschmutzte Scheibe. Um nicht in Tränen auszubrechen, biß sie sich auf die Lippen.

Perplex und voll guten Willens, glaubte er das Entsetzen ihres beleidigten Schamgefühls zu begreifen.

»Ängstigt Euch nicht, mein Vögelchen«, rief er in jovialem Ton. »Alle Frauen aller Zeiten haben das durchmachen müssen. Nun ja, die Sache geht nicht ohne einen kleinen Schrei vor sich, aber bald ertönt eine andere Melodie. Und der Graf, Euer Gatte, ist ein Meister der Wollust. Glaubt mir, in der Grafschaft Toulouse werden heute viele schöne schwarze Augen weinen und andere Euch mit eifersüchtigen Blicken peitschen ...«

Aber sie hörte ihm nicht mehr zu. Seit einigen Augenblicken sah sie den Kutscher die Zügel anziehen. In kurzer Entfernung versperrte eine Ansammlung von Leuten zu Fuß und zu Pferd die Straße. Als die Kutsche mit einem letzten Ächzen der Achsen stehenblieb, vernahm man deutlich Gesang und Rufe, zu denen Tamburine den Takt schlugen.

»Beim heiligen Severin«, rief der Marquis aus, »ich glaube gar, da kommt Euer Gatte uns entgegen.«

»Schon!«

Angélique fühlte sich erbleichen. Die Pagen öffneten den Wagenschlag. Sie mußte in den Sand der Straße hinabsteigen, in die sengende Sonne. Der Himmel war von azurnem Blau. Ein heißer Brodem stieg von den reifenden Maisfeldern zu beiden Seiten des Weges auf. In übermütigem Tanzschritt kam eine Schar von Kindern daher, die in seltsamen Kostümen mit großen roten und grünen Rautenmustern steckten. Sie schlugen wilde Purzelbäume und stolperten gegen die Pferde der Reiter, die ihrerseits in ungewöhnliche Livreen aus rosa Seide mit weißen Federn gekleidet waren.

»Die Fürsten der Liebe! Die Komödianten aus Italien!« jubelte der Marquis und breitete die Arme zu einer begeisterten, seine Nachbarn gefährdenden Geste aus. »Ah! Toulouse! Toulouse!«

Nun wich die Menge zur Seite, und eine große, schlottrige und schwankende Gestalt in purpurnem Samt erschien, die sich auf einen Stock aus Ebenholz stützte. Im Rahmen einer umfänglichen schwarzen Perücke war ein Gesicht zu erkennen, das einen nicht weniger unerfreulichen Anblick bot wie die ganze Gestalt. Zwei tiefe Narben saßen an der linken Schläfe und Wange und zogen sich noch über das halbe Augenlid. Die Lippen waren kräftig und vollkommen rasiert, was gegen die herrschende Mode verstieß und das Aussehen dieser Vogelscheuche noch unheimlicher machte.

»Das kann er nicht sein«, betete Angélique. »Lieber Gott, mach, daß er es nicht ist!«

»Euer Ehegemahl, der Graf Peyrac, Madame«, sagte neben ihr der Marquis d’Andijos.

Sie neigte sich zur einstudierten Reverenz. Ihr verzweifelter Geist notierte lächerliche Einzelheiten: die Diamantenschleifen auf den Schuhen des Grafen; den höheren Absatz an einem von ihnen, der das Hinken mildern sollte; aber auch die Seidenstrümpfe, das prächtige Gewand, den Degen, den riesigen weißen Spitzenkragen.

Man redete sie an. Sie wußte nicht, was sie antwortete. Das mit wilden Trompetenstößen vermischte Tamburingetrommel betäubte sie.

Als sie wieder in ihrer Kutsche Platz nahm, landeten ein Rosengebinde und Veilchensträuße auf ihren Knien.

»Die Blumen oder vernehmlichsten Freuden<«, sagte eine Stimme. »Sie herrschen über Toulouse.«

Angélique merkte, daß nicht mehr der Marquis d’Andijos neben ihr saß, sondern der andere. Um das grausige Gesicht nicht sehen zu müssen, beugte sie sich über die Blumen.

Bald darauf tauchte die Stadt auf, bespickt mit roten Tor- und Glockentürmen.

Im Palais des Grafen Peyrac wurde Angélique eilends in ein wundervolles Kleid aus weißem Samt mit weißen Seideneinsätzen gehüllt. Die Schleifen und Knöpfe waren mit Diamanten besetzt. Während ihre Mädchen sie ankleideten, reichten sie ihr eisgekühlte Getränke, denn sie kam vor Durst um. Gegen Mittag begab sich der Zug unter Glockengeläut zur Kathedrale, wo der Erzbischof das Hochzeitspaar am Portal erwartete.

Nach Erteilung des Segens durchschritt Angélique, der Sitte gemäß, allein das Kirchenschiff. Der hinkende Edelmann schritt voraus, und die lange, rote und schwankende Gestalt kam ihr unter den von Weihrauch erfüllten Gewölben so unheimlich vor, als sei sie der Leibhaftige selbst. Draußen herrschte festlicher Trubel. Sie konnte es sich einfach nicht vorstellen, daß er dem so privaten Ereignis galt, das ihre Vermählung mit dem Grafen Peyrac darstellte. Aber aller Augen waren auf sie gerichtet. Vor ihr verneigten sich feurig blickende Edelleute und prächtig geschmückte Damen.

Danach kehrte der Festzug zu Fuß von der Kathedrale zum Palais zurück. Der Weg, der dem Ufer der Garonne folgte, war mit Blumen besät, und Kavaliere in rosafarbenen Gewändern, die der Marquis d’Andijos die »Fürsten der Liebe« genannt hatte, streuten immer noch ganze Körbe voller Blütenblätter aus.

Der tiefblaue Himmel und der Duft der zertretenen Blumen machten Angélique trunken. Unversehens bemerkte sie, daß ihre goldbestickte weiße Brokatschleppe von drei kleinen Pagen mit pechschwarzen Gesichtern gehalten wurde. Sie glaubte, sie trügen Masken, dann erkannte sie, daß es wirklich Mohrenknaben waren, und hätte beinahe einen Schrei ausgestoßen. Sie hatte sie bis dahin nicht bemerkt.

Und noch immer humpelte vor ihr in der Sonne die groteske Silhouette jenes Mannes, den man ihren Gatten nannte und dem man zujubelte.

Was sie da erlebte, war unwirklich und verrückt! Sie war einsam, unsagbar einsam einem wirren Traum ausgeliefert, dessen sie sich beim Erwachen vielleicht nur mit größter Mühe entsinnen würde.

Im Garten des Palais waren unter den Bäumen lange weiße Tafeln aufgebaut. Wein floß aus den Springbrunnen vor den Toren, und die Leute von der Straße durften ihn trinken. Adlige und hochgestellte Bürger hatten Zutritt zum Innern.

Angélique, die zwischen dem Erzbischof und dem roten Manne saß und nicht fähig war, etwas zu sich zu nehmen, sah eine Unmenge von Gerichten vorüberziehen. Erstarrt in Beklemmung und Groll, fühlte sie sich von all dem Lärm und Überfluß erschöpft. Ihr angeborener Stolz verbot ihr, es zu zeigen, und sie lächelte und fand für jeden ein liebenswürdiges Wort. Nur war sie unfähig, sich dem Grafen Peyrac zuzuwenden, und obwohl sie sich ihres bizarren Verhaltens bewußt war, konzentrierte sie ihre Aufmerksamkeit auf ihren andern Nachbarn, den Erzbischof. Dieser war ein sehr schöner Mann in der Blüte der Vierzigerjahre. Er besaß viel Salbung, weltliche Grazie und sehr kalte blaue Augen. Als einziger der Versammelten schien er an der allgemeinen Munterkeit nicht teilzunehmen.

»Welche Verschwendung! Welche Verschwendung!« seufzte er, indem er um sich blickte. »Wenn ich an all die Armen denke, die sich täglich am Tor des erzbischöflichen Palastes drängen, an die Kranken ohne Pflege, an die Kinder in den Ketzerdörfern, die man mangels Geld nicht ihrem Unglauben entreißen kann, dann zieht sich mir das Herz zusammen. Seid Ihr den frommen Werken zugetan, meine Tochter?«

»Ich komme eben erst aus dem Kloster, Eminenz. Aber ich wäre glücklich, wenn ich mich unter Eurer Leitung meiner Parochie widmen dürfte.«

Er senkte seinen klaren Blick auf sie und verzog sein Gesicht zu einem winzigen Lächeln.

»Ich danke Euch für Eure Fügsamkeit, meine Tochter. Aber ich weiß, wie sehr das Leben einer jungen Hausherrin von Neuartigem erfüllt ist, das ihre ganze Aufmerksamkeit beansprucht. Ich werde Euch ihm daher nicht entziehen, solange Ihr nicht den Wunsch danach äußert. Liegt nicht die größte Leistung einer Frau in dem Einfluß, den sie auf den Geist ihres Gatten nehmen soll? Eine liebende, geschickte Frau vermag heutigentags alles über ihren Gatten.«

Er neigte sich ihr zu, und die Edelsteine seines Bischofskreuzes leuchteten auf.

»Eine Frau vermag alles«, wiederholte er, »aber unter uns gesagt, Madame, Ihr habt Euch einen recht merkwürdigen Gatten erwählt .«

»Ich habe erwählt«, dachte Angélique ironisch. »Hat mein Vater ein einziges Mal diesen gräßlichen Hampelmann gesehen? Ich bezweifle es. Vater hat mich auf richtig geliebt. Um nichts in der Welt hätte er mein Unglück verursachen wollen. Aber seine Augen sahen mich reich; ich selbst sah mich geliebt. Schwester Sainte-Anne würde wieder einmal predigen, man dürfe nicht romantisch sein ... Ich werde die ganze Nacht tanzen, aber auf gar keinen Fall bleibe ich auch nur einen Augenblick mit ihm allein .«

Nervös warf sie einen Blick auf ihren Gatten. Jedesmal, wenn sie ihn anschaute, wurde ihr vor dem narbigen Gesicht, in dem zwei kohlschwarze Augäpfel glänzten, übel. Das linke Lid, das infolge der Narbe halbgeschlossen war, gab ihm einen ironischbösen Ausdruck.

In seinen Polstersessel zurückgelehnt, hatte der Graf Peyrac eben einen kleinen, braunen Stab zum Munde geführt. Ein Diener eilte herbei und hielt eine Zange mit einer glühenden Kohle an das Ende des Stäbchens.