142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 30

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Angélique setzte sich auf den Rand des Diwans und ließ ihren Kopf auf die Balustrade sinken. Ihre kunstvolle, von Diamanten- und Perlennadeln zusammengehaltene Frisur störte sie. Sie mühte sich, sie zu lösen.

»Warum hat diese Person mich nicht ausgekleidet und mir mein Haar gelöst?« dachte sie. »Bildet sie sich ein, mein Mann wird es tun?«

Sie lachte spöttisch und wehmütig vor sich hin.

»Mutter Sainte-Anne würde nicht versäumen, mir eine kleine Rede über die Fügsamkeit zu halten, der man sich allen Wünschen seines Ehegatten gegenüber befleißigen soll. Und wenn sie >allen< sagte, rollten ihre Augen wie Billardkugeln, und wir kicherten los, weil wir genau wußten, woran sie dachte. Aber mir liegt die Fügsamkeit nicht. Molines hatte recht, als er sagte, daß ich mich nicht vor etwas beuge, das ich nicht verstehe. Ich habe gehorcht, um Monteloup zu retten. Was kann man noch von mir verlangen? Die Silbermine gehört dem Grafen Peyrac. Er und Molines werden ihre Geschäfte weiterbetreiben, und mein Vater wird weiterhin Maultiere züchten können, die das spanische Gold transportieren ... Wenn ich sterbe, indem ich mich von diesem Balkon hinunterstürze, wird sich nichts ändern. Jeder hat bekommen, was er haben wollte .«

Endlich war es ihr geglückt, ihr Haar zu lösen. Es breitete sich seidig über ihre bloßen Schultern, und sie schüttelte es mit der etwas verwegenen Bewegung ihrer Kindheit. Da glaubte sie ein leises Geräusch zu hören. Sie wandte sich um und mußte einen Ausruf des Erschreckens unterdrücken. An den Rahmen der Fenstertür gelehnt, betrachtete sie der Hinkende. Er trug nicht mehr sein rotes Gewand, sondern war mit einer Kniehose und einem Wams aus schwarzem Samt bekleidet, das die Taille und die Ärmel eines feinen Leinenhemds unbedeckt ließ.

Er trat näher und verneigte sich tief.

»Erlaubt Ihr, daß ich mich neben Euch setze, Madame?«

Sie nickte wortlos. Er setzte sich, stützte den Ellbogen auf die Steinlehne und schaute gleichmütig vor sich hin.

»Vor mehreren Jahrhunderten«, sagte er, »stiegen unter eben diesen Sternen Edelfrauen und Troubadours auf die Wehrgänge der Burgen, und dort fanden die Minnehöfe statt. Habt Ihr je von den Troubadours des Languedoc reden hören, Madame?«

Angélique war auf eine solche Art von Unterhaltung nicht gefaßt gewesen. Sie hatte sich auf Abwehr eingerichtet und stammelte mit einiger Mühe: »Ja, ich glaube ... So nannte man die Dichter vergangener Jahrhunderte.«

»Die Dichter der Liebe. Langue d’ocl Die weiche Sprache - so verschieden von der rohen Redeweise des Nordens, der langue d’oil[2]. In Aquitanien lernte man die Kunst des Liebens, denn wenn die Ovid gesagt hat, lange vor den Troubadours selbst, ist >die Liebe eine Kunst, die man erlernen und in der man sich vervollkommnen kann, indem man ihre Gesetze erforscht<. Habt Ihr Euch schon einmal für diese Kunst interessiert, Madame?«

Sie wußte nicht, was antworten; sie war zu feinfühlig, um nicht den leicht ironischen Ton in seiner Stimme zu hören. So wie die Frage gestellt war, wäre ein Ja oder ein Nein gleichermaßen lächerlich gewesen. Sie war an Tändelei nicht gewöhnt. Betäubt von allzu vielen Ereignissen, hatte sie ihre gewohnte Schlagfertigkeit im Stich gelassen. Sie konnte nur den Kopf abwenden und mechanisch über die in Schlaf gesunkene Ebene hinwegschauen.

Sie merkte, daß der Mann näher gerückt war, rührte sich aber nicht.

»Seht«, begann er von neuem, »da drunten im Garten jenes kleine Bassin mit dem grünen Wasser, in das der Mond taucht wie ein Krötenstein in ein Glas Anis - nun, jenes Wasser hat die gleiche Farbe wie Eure Augen, mein Liebchen. Nirgends auf der Welt bin ich weder so seltsamen noch so verführerischen Augäpfeln begegnet. Und seht diese Rosen, die sich als Girlanden an unsern Balkon klammern. Sie haben den gleichen Ton wie Eure Lippen. Nein, wirklich, nie bin ich solch rosigen Lippen begegnet. Was ihre Sanftheit betrifft ... ich werde sie erproben.«

Plötzlich hatten sie zwei Hände um die Hüfte gefaßt. Angélique fühlte sich mit einer Kraft nach rückwärts gebogen, die sie bei diesem großen, mageren Manne nicht vermutet hätte. Das schreckliche Gesicht beugte sich so dicht über sie, daß es sie fast berührte. Sie schrie auf vor Entsetzen, wand sich, von Widerwillen aufgewühlt. Im gleichen Augenblick fand sie sich befreit. Der Graf hatte sie losgelassen und betrachtete sie lachend.

»So ungefähr habe ich mir das vorgestellt. Ich flöße Euch ein fürchterliches Grausen ein. Ihr möchtet Euch lieber von diesem Balkon hinabstürzen als mir angehören. Ist es nicht so?«

Sie starrte ihn klopfenden Herzens an.

Er erhob sich, und seine spinnenhafte Silhouette reckte sich unter dem mondhellen Nachthimmel auf.

»Ich werde Euch nicht zwingen, armes kleines Jungfräulein. Das ist nicht meine Art. Da hat man Euch also ganz unberührt diesem langen Hinkefuß aus dem Languedoc überliefert? Das ist ja schrecklich!«

Er beugte sich herab, und sie fand sein spöttisches Lächeln abscheulich.

»Ihr sollt wissen, daß ich in meinem Leben viele Frauen besessen habe: weiße, schwarze, gelbe und rote, aber ich habe keine mit Gewalt genommen noch mit Geld gelockt. Sie sind gekommen, und Ihr werdet auch eines Tages, eines Abends kommen .«

»Nie!«

Die Entgegnung kam scharf wie ein Peitschenhieb. Das Lächeln auf dem seltsamen Gesicht erlosch nicht.

»Ihr seid eine kleine Wilde, aber das mißfällt mir nicht. Eine leichte Eroberung macht die Liebe wertlos, eine schwierige macht sie unbezahlbar. Adieu, meine Schöne, schlaft wohl in Euerm breiten Bett, allein mit Euern anmutigen Gliedern, Euern köstlichen kleinen Brüsten, die bekümmert sind, weil sie ungestreichelt bleiben. Adieu!«

An den folgenden Tagen konnte Angélique feststellen, daß das Palais des Grafen Peyrac die am meisten aufgesuchte Stätte von Toulouse war. Es herrschte ein ewiges Kommen und Gehen, und der Hausherr nahm tätigen Anteil an all den Lustbarkeiten, die kein Ende zu finden schienen. Er wanderte von einer Gruppe zur andern, und Angélique wunderte sich, wie belebend allein seine Gegenwart wirkte.

Der Widerwille, den er am ersten Tage in ihr erregt hatte, verflog. Zweifellos war der Gedanke an die körperliche Unterwerfung, die sie ihm schuldete, Ursache ihrer heftigen Gefühle gewesen. Jetzt, da sie beruhigt war, mußte sie zugeben, daß sich die feurige Sprache, das heitere und absonderliche Wesen dieses Mannes überall Sympathien erwarben.

Gleichwohl legte er ihr gegenüber ausgesprochene Gleichgültigkeit an den Tag. Er schien sie kaum zu sehen, wenn er ihr auch die ihrem Stande gebührende Achtung erwies. Er begrüßte sie allmorgendlich, und sie präsidierte ihm gegenüber den Mahlzeiten, an denen stets mindestens ein Dutzend Personen teilnahm, unter ihnen natürlich der unvermeidliche Andijos. Die Frauen benahmen sich geziert, wie es in Paris Mode war.

»Laßt Euch nicht durch all die fremden Gesichter verdrießen, die in meinem Palais ein und aus gehen, Angélique«, sagte der Graf eines Tages zu ihr. »Wenn sie Euch lästig sind, so könnt Ihr Euch in das Lusthaus an der Garonne zurückziehen.«

Doch Angélique empfand nicht das Bedürfnis, sich abzusondern. Ganz allmählich ließ sie sich vom Reiz dieses beschwingten Lebens gefangennehmen. Einige Damen, die sie zunächst verächtlich über die Schulter angesehen hatten, mußten ihr schließlich doch Geist und Klugheit zubilligen und nahmen sie in ihre Zirkel auf. Angesichts des Erfolges der Empfänge, die der Graf in diesem Heim veranstaltete, das trotz allem auch das ihrige war, fand die junge Frau allmählich Geschmack daran, deren Gestaltung in die Hand zu nehmen. Man sah sie von den Küchen in die Gärten eilen und vom Dachgeschoß in die Keller, stets gefolgt von ihren drei Negerlein.

Sie hatte sich an ihre lustigen runden und schwarzen Gesichter gewöhnt. Es gab viele Negersklaven in Toulouse. Einzig Kouassi-Ba beeindruckte Angélique einigermaßen. Wenn der dunkle Koloß mit den emailweißen Augen vor ihr auftauchte, mußte sie sich jedesmal zusammennehmen, um nicht ängstlich zurückzuweichen. Indessen schien er sehr sanft zu sein. Er ging dem Grafen Peyrac nicht von der Seite, und er war es auch, der die Tür zu dem geheimnisvollen Raum im Innern des Palastes bewachte, in den sich der Graf jeden Abend und zuweilen sogar am Tage zurückzog. Angélique zweifelte nicht, daß dieser verschlossene Bezirk die Retorten und Fielen barg, von denen Henrico der Amme erzählt hatte. Gar zu gern wäre sie dort eingedrungen, aber sie wagte es nicht. Einem der Gäste des Hauses blieb es vorbehalten, ihr diese neue Seite an dem seltsamen Wesen ihres Gatten zu offenbaren.

Der Gast war mit Staub bedeckt. Er reiste zu Pferd und kam aus Lion über Nîmes.

Es war ein ziemlich hochgewachsener Mann von ungefähr fünfunddreißig Jahren. Er redete zuerst italienisch, ging dann zum Lateinischen über, das Angélique schlecht verstand, und drückte sich schließlich auf deutsch aus. In dieser Sprache, die Angélique vertraut war, stellte der Graf den Reisenden vor.

»Professor Bernalli aus Genf erweist mir die große Ehre hierherzukommen, um mit mir wissenschaftliche Probleme zu diskutieren, die seit vielen Jahren Gegenstand eines regen Briefwechsels zwischen uns sind.«

Der Fremde verbeugte sich mit typisch italienischer Galanterie und erging sich in Protesten. Er werde gewiß mit seinen abstrakten Reden und seinen Formeln einer bezaubernden Dame lästig fallen, deren Sorgen vermutlich von weniger gewichtiger Art seien.

Halb aus Trotz, halb aus wirklicher Neugier bat Angélique, ihrer Diskussion beiwohnen zu dürfen. Um sie indessen nicht zu stören, setzte sie sich in die Nische eines hohen, nach dem Hofe geöffneten Fensters.

Es war Winter, aber es herrschte eine trockene Kälte, und die Sonne strahlte noch immer. Aus den Höfen drang der Geruch der kupfernen Kohlenbecken herauf, an denen sich die Diener wärmten.

Angélique, eine Stickerei in der Hand, lauschte dem Gespräch der beiden Männer, die sich am Kamin, in dem ein spärliches Holzfeuer brannte, einander gegenübergesetzt hatten. Ihren Worten entnahm sie, daß der Ankömmling überzeugter Anhänger eines gewissen Descartes war, den ihr Gatte jedoch heftig bekämpfte.

In einer seiner bevorzugten Posen lässig im Polstersessel zurückgelehnt, wirkte Joffrey de Peyrac kaum ernsthafter, als wenn er sich mit den Damen über Reime eines Sonetts unterhielt. Seine ungezwungene Haltung stand im Kontrast zu der seines Gesprächspartners, der, leidenschaftlich erregt durch ihren Dialog, steif auf dem Rande seines Schemels saß.

»Euer Descartes ist zweifellos ein Genie«, sagte der Graf, »aber seine Theorien strotzen von in die Augen springenden Irrtümern. Nehmen wir, wenn Ihr wollt, das Prinzip der Gravitation, das heißt der gegenseitigen Anziehung der Körper, und im speziellen des Falls der Körper auf die Erde. Descartes behauptet, wenn ein Körper an einen andern stoße, setze er ihn nur dann in Bewegung, wenn seine Masse größer sei als die des andern. Eine Kugel aus Kork, die an eine Kugel aus Gußeisen stoße, könne diese also nicht verrücken.«

»Das ist doch vollkommen evident. Und erlaubt mir, die Formulierung von Descartes zu zitieren: >Die arithmetische Summe der in Bewegung befindlichen Quantitäten der verschiedenen Teile des Universums bleibt konstante«

»Nein«, rief Joffrey de Peyrac und stand so brüsk auf, daß Angélique zusammenfuhr. »Nein, das ist eine trügerische Evidenz, und Descartes hat es nicht experimentell bewiesen. Um seinen Irrtum zu gewahren, hätte er nur mit der Pistole eine Bleikugel vom Gewicht einer Unze auf eine mehr als zweipfündige Kugel aus zusammengeballtem Papier abzuschießen brauchen. Die Papierkugel wäre aus ihrer Lage gebracht worden.«

Bernalli schaute den Grafen verblüfft an.

»Ich gestehe, daß Ihr mich verwirrt. Aber ist Euer Beispiel gut gewählt? Vielleicht tritt bei diesem Experiment mit dem Pistolenschuß ein neues Moment hinzu? Wie soll ich es nennen: die Gewalt, die Kraft .«

»Es ist ganz einfach das Moment der Geschwindigkeit. Aber es ist für das Schießen nicht spezifisch. Jedesmal, wenn ein Körper von der Stelle gerückt wird, tritt dieses Moment in Wirksamkeit. Was Descartes die Quantität der Bewegung nennt, ist das Gesetz der Geschwindigkeit und nicht eine arithmetische Summierung der Dinge.«

Bernalli hielt die Faust an die Lippen und dachte nach.

»Ich habe mir das alles bereits überlegt und auch mit Descartes selbst darüber diskutiert, als ich ihn in Den Haag traf, bevor er nach Schweden aufbrach, wo er ja leider gestorben ist. Wißt Ihr, was er mir erwidert hat? Er hat mir erklärt, dieses Gesetz der Anziehung müsse abgelehnt werden, weil >etwas Okkultes< an ihm sei und es a priori ketzerisch und suspekt erscheine.«

Graf Peyrac brach in schallendes Gelächter aus.

»Descartes wollte die Pension nicht verlieren, die Mazarin ihm bewilligt hat. Er erinnerte sich vermutlich des armen Galilei, der unter den Foltern der Inquisition seine hetzerische Theorie von der Bewegung der Erde< widerrufen mußte und später mit dem Seufzer >Und sie bewegt sich doch!< starb. Descartes hat sich zwar in der reinen Mathematik als ein Genie erwiesen, aber auf dem Gebiet der Dynamik und der allgemeinen Physik hat er nichts Entsprechendes geleistet. Seine Experimente im Zusammenhang mit dem Fallgesetz der Körper, falls er überhaupt je ernsthaft welche angestellt hat, sind embryonal. Er hätte, um sie zu vervollständigen, eine erstaunliche, aber nach meinem Dafürhalten nachweisbare Tatsache berücksichtigen müssen: nämlich, daß die Luft nicht leer ist.«

»Was wollt Ihr damit sagen? Eure Paradoxa verblüffen mich!«