142424.fb2
»Du, du schenkst ihnen die Wollust«, flüsterte sie. »Bevor ich dich kannte, war ich kalt. Du hast ein Feuer in mir entzündet, das mich verzehrt.«
Angéliques Herz klopfte zum Zerspringen. Sie fürchtete - sie wußte selbst nicht was, vielleicht daß die Hand ihres Gatten sich auf die schöne, golden schimmernde, schamlos dargebotene Schulter legen würde.
Doch der Graf lehnte sich an einen Tisch und rauchte seelenruhig. Er zeigte sich im Profil, und die Versehrte Seite seines Gesichts war unsichtbar. Plötzlich war es ein anderer Mann, den sie da entdeckte, dessen Züge unter der Fülle des dichten Haars rein wie eine Medaille wirkten.
»Erinnere dich der Leitsätze der höfischen Liebe, die dieses Haus dich gelehrt hat«, sagte er, während er lässig eine blaue Rauchwolke ausstieß. »Kehre nach Paris zurück, Carmencita. Das ist die Zuflucht der Leute deiner Art.«
»Wenn du mich fortjagst, werde ich mich ins Kloster zurückziehen. Mein Mann will mich ohnehin dort einschließen.«
»Vortrefflicher Gedanke, meine Liebe. Ich habe mir sagen lassen, daß in Paris derzeitig unzählige fromme Zufluchtsstätten gegründet werden. Eben erst ist das wunderschöne Kloster Val-de-Grâce vollendet worden, das die Königin Anna von Österreich für die Benediktinerinnen gestiftet hat. Auch das Haus der Heimsuchung Maria in Chaillot ist sehr gefragt.«
Carmencitas Augen flammten auf.
»Das ist also alles, was du zu sagen weißt? Ich bin bereit, mich unter einem Schleier zu begraben, und du bedauerst mich nicht einmal?«
»Wenn in dieser ganzen Angelegenheit jemand zu bedauern ist, kann es nur der Fürst Mérecourt, Euer Gatte, sein, der die Torheit besaß, Euch im Gepäckwagen seiner Botschaft aus Madrid mitzunehmen. Gib endlich den Versuch auf, mich mit deiner vulkanischen Existenz zu verquicken, Carmencita.«
»Ist es jene Frau, deine Frau, deretwegen du so mit mir sprichst? Ich glaubte, du habest sie geheiratet, um deine Habgier zu befriedigen. Eine Grundstück sangelegenheit, sagtest du mir. Hast du sie denn zur Geliebten erwählt? ... Oh, ich zweifle nicht, daß sie unter deinen Händen eine bemerkenswerte Schülerin wird. Wie konntest du dich hinreißen lassen, ein Mädchen aus dem Norden zu lieben?«
»Sie stammt nicht aus dem Norden, sondern aus dem Poitou. Ich kenne das Poitou, ich bin dort gereist; es ist ein liebliches Land, das früher zu Aquitanien gehörte. Die langue d’oc erkennt man noch im Dialekt der Bauern, und Angélique hat die gleiche Hautfarbe wie die Mädchen hierzulande.
»Ich merke wohl, daß du mich nicht mehr liebst«, rief unvermittelt die Frau aus. »Oh, ich durchschaue dich mehr, als du ahnst.«
Sie sank in die Knie und klammerte sich an Joffreys Wams.
»Noch ist es Zeit. Liebe mich! Nimm mich! Nimm mich!«
Angélique konnte es nicht mehr mitanhören. Sie lief durch die Galerie, stieg die Wendeltreppe des Turms hinauf, erreichte ihr Zimmer und warf sich auf das Bett.
»Das ist zuviel«, sagte sie immer wieder zu sich. Aber nach und nach mußte sie sich eingestehen, daß sie nicht wußte, weshalb sie so außer Fassung war. Jedenfalls war es unerträglich. So konnte es nicht weitergehen.
Angélique biß zornig in ihr Spitzentaschentuch und schaute verdüsterten Sinnes um sich. Zuviel Liebe, das war es, was sie zur Verzweiflung brachte. Alle Welt sprach von Liebe, diskutierte über die Liebe in diesem Palais.
Sie zog heftig an der Glocke aus vergoldetem Silber, und als Marguerite erschien, befahl sie ihr, eine Sänfte kommen zu lassen, denn sie wolle sich unverzüglich nach dem Lusthaus an der Garonne begeben.
Nachdem es dunkel geworden war, blieb Angélique lange auf der Terrasse ihres Zimmers.
Allmählich übte die Stille der Landschaft eine beruhigende Wirkung auf ihre Nerven aus.
An diesem Abend wäre sie nicht fähig gewesen, in Toulouse zu bleiben, im Wagen über die Féria spazierenzufahren, um den Sängern zu lauschen, und danach dem großen Diner zu präsidieren, das Graf Peyrac im Garten gab, im Scheine venezianischer Laternen. Sie hatte erwartet, ihr Gatte werde sie mit Gewalt zurückholen, um ihre Gäste zu empfangen, aber kein Bote war aus der Stadt gekommen, den Flüchtling heimzubringen. Damit hatte sie den Beweis, daß er sie nicht brauchte. Niemand brauchte sie hier. Sie war eine Fremde.
Da Marguerite sich enttäuscht gezeigt hatte, dem Fest nicht beiwohnen zu können, hatte sie sie nach Toulouse zurückgeschickt und nur ein junges Kammermädchen und ein paar Wächter zu ihrem Schutz bei sich behalten.
In ihrer Einsamkeit versuchte Angélique sich zu sammeln und in ihrem Innern klar zu sehen.
Ihr Vater hatte ihr oftmals angekündigt, eines Tages werde sie für ihren Mangel an Diskretion bestraft werden. Aber Angélique bereute nichts und empfand nicht einmal Skrupel über ihre Handlungsweise. War es ihre Schuld, wenn sie hinter so manche Dinge kam, die nicht für sie bestimmt waren? Wenn ihr Schritt so leise war, wenn sie jene Gabe besaß, sich unsichtbar zu machen, die einstens die Bauern von Monteloup ihr zugeschrieben hatten?
Jedenfalls war es ihr lieber, gewarnt zu sein.
Gewarnt wovor? Sie mußte Joffrey zubilligen, daß er sie auf keine Weise betrogen hatte. Weshalb war sie dann bis zu Tränen gedemütigt? Ihre Naivität ging nicht so weit, daß sie sich einbildete, der Graf Peyrac habe in mehr als einjähriger Ehezeit nicht an-derswärts ein Glück gesucht, das sie ihm verweigerte. Im übrigen gehörten in Toulouse die hintergangenen Ehemänner und die betrogenen Ehefrauen zur herrschenden Sitte, mit dem einzigen Unterschied, daß man über die hintergangenen Ehemänner lachte und die betrogenen Ehefrauen bedauerte. Aber wie in Paris und am Hof des Königs galt es nicht als schicklich, sich mit ehelicher Treue zu brüsten. Das schmeckte allzu sehr nach Kleinbürgerlichkeit.
Angélique ließ ihre Stirn auf die Balustrade sinken. »Ich für mein Teil werde nie die Liebe kennenlernen«, sagte sie sich melancholisch.
Als sie sich endlich müde in ihr Zimmer zurückziehen wollte, präludierte eine Gitarre unter ihren Fenstern. Angélique beugte sich hinaus, konnte aber zwischen den dunklen Schatten der Gebüsche niemand erkennen.
»Sollte Henrico zu mir herausgekommen sein? Das ist nett von dem Kleinen. Er will mich zerstreuen .«
Doch der unsichtbare Musikant begann zu singen. Seine dunkle, männliche Stimme war nicht die des Pagen.
Schon die ersten Töne griffen der jungen Frau ans Herz. Dieser bald samtene, bald sonore Stimmklang war von einer Vollkommenheit, wie sie die galanten Spielleute, von denen es am Abend in Toulouse wimmelte, nicht oft aufzuweisen hatten. In Languedoc sind die schönen Stimmen nicht selten. Die Melodie springt spontan über die an Lachen und Rezitieren gewöhnten Lippen. Aber dieser Künstler fiel aus dem üblichen Rahmen. Sein Atem war von ungewöhnlicher Kraft. Es schien, als würde der Garten von ihm überflutet, als erbebe der Mond von ihm. Er sang ein altes Klagelied in jener untergegangenen Sprache, deren Feinheit Graf Peyrac so gerne rühmte. Angélique verstand nicht alle Worte, doch eines kehrte immer wieder: Amore! Amore!
Liebe!
Immer mehr wurde es ihr zur Gewißheit: »Er ist es, der letzte der Troubadours, es ist die Goldene Stimme des Königreichs!«
Nie hatte sie so singen hören. Man sagte ihr zuweilen: »Ach, wenn Ihr die Goldene Stimme des Königreichs hören würdet! Er singt nicht mehr. Wann wird er von neuem singen?« Und dabei warf man ihr einen maliziös-mitleidigen Blick zu, weil sie diese Berühmtheit der Provinz noch nicht kannte.
»Er ist es! Er ist es!« sagte sich Angélique immer wieder. »Wie kommt er nur hierher? Um meinetwillen?«
Sie sah ihr Spiegelbild im großen Spiegel ihres Zimmers. Die eine Hand lag auf ihrer Brust, und ihre Augen waren weit aufgerissen. Sie machte sich über sich selbst lustig: »Wie albern ich bin! Vielleicht ist es nur Andijos oder irgendein anderer Verehrer, der mir einen bezahlten Musiker schickt, um mir ein Ständchen zu bringen .!«
Dennoch öffnete sie die Tür. Mit über dem Mieder gekreuzten Händen, wie um ihr pochendes Herz im Zaum zu halten, schlich sie sich durch die Vorzimmer, stieg die weiße Marmortreppe hinunter und betrat den Garten. Sollte nun das Leben für Angélique de Sancé de Monteloup, Gräfin Peyrac, beginnen: Denn die Liebe war das Leben!
Die Stimme kam von einer Laube her, die sich am Ufer des Flusses erhob und eine Statue der Göttin Pomona barg. Als die junge Frau sich näherte, verstummte der Sänger, doch er fuhr fort, gedämpft die Saiten seiner Gitarre zu zupfen.
Der Mond war an diesem Abend noch nicht voll. Er hatte die Form einer Mandel. Sein Licht genügte indessen, den Garten zu erhellen, und Angélique glaubte im Innern der Laube eine auf dem Sockel der Statue sitzende Gestalt zu erkennen.
Bei ihrem Erscheinen rührte sich der Unbekannte nicht.
»Es ist ein Neger«, dachte Angélique enttäuscht.
Doch sie erkannte bald ihren Irrtum. Der Mann trug eine samtene Maske, aber die sehr weißen, auf seinem Instrument ruhenden Hände erlaubten keinen Zweifel über seine Rassenzugehörigkeit. Ein schwarzseidenes, auf italienische Art im Nacken zusammengeknüpftes Kopftuch verbarg sein Haar. Soweit sich im Dunkel der Laube erkennen ließ, war sein ein wenig abgetragenes Gewand ein seltsames Mittelding zwischen dem eines Dieners und dem eines Komödianten. Er hatte dicke Kastorschuhe, wie Leute sie tragen, die viel zu Fuß gehen, doch hingen Spitzenbesätze von den Ärmeln seiner Jacke herab.
»Ihr singt wundervoll«, sagte Angélique, da sie sah, daß er keine Bewegung machte, »aber ich wüßte gern den Namen dessen, der Euch geschickt hat.«
»Niemand hat mich geschickt, Madame. Ich bin hierhergekommen, weil ich wußte, daß dieses Lusthaus eine der schönsten Frauen von Toulouse beherbergt.«
Der Mann sprach mit einer tiefen und sehr leisen Stimme, als fürchte er, gehört zu werden.
»Ich kam heute abend in Toulouse an und begab mich in das Palais des Grafen Peyrac, wo ich eine lustige und zahlreiche Gesellschaft versammelt fand, um meine Lieder zum besten zu geben. Doch als ich hörte, daß Ihr nicht anwesend wäret, ging ich wieder fort, um Euch zu treffen, denn der Ruhm Eurer Schönheit ist so groß in unsrer Provinz, daß es mich schon lange verlangt, Euch zu begegnen.«
»Auch Euer Ruhm ist groß. Seid Ihr es nicht, den man die Goldene Stimme des Königreichs nennt?«
»Ich bin es, Madame. Und bin Euer ergebener Diener.«
Angélique setzte sich auf die Marmorbank, die innen an der Wand der Laube entlanglief.