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Grollend schlief sie schließlich dennoch ein.
Sie erwachte, als der Schein einer Kerze auf sie fiel, und erblickte Joffrey, der sich gerade ausgezogen hatte, neben dem Bett. Sie setzte sich brüsk auf und verschränkte die Arme um die Knie.
»Muß das sein?« fragte sie. »Ich höre schon die Vögel im Garten erwachen. Findet Ihr es nicht besser, Ihr würdet diese so wohl begonnene Nacht vollends in Euerm Laboratorium verbringen und eine dickbäuchige Glasretorte an Euer Herz drücken?«
Er lachte, ohne die geringste Zerknirschung zu bekunden.
»Ich bin untröstlich, Liebste, aber ich war in ein Experiment vertieft, das ich unmöglich im Stich lassen konnte. Wißt Ihr, daß unser gräßlicher Erzbischof gewissermaßen wieder daran schuld ist? Er hat mir ein Ultimatum gestellt, seinem idiotischen Mönch Becher mein Geheimnis zu enthüllen. Und da ich ihn schließlich nicht über meinen spanischen Handel aufklären kann, habe ich beschlossen, Becher nach Salsigne mitzunehmen, wo er der Förderung und der Umwandlung des goldhaltigen Gesteins beiwohnen soll. Vorher werde ich den Sachsen Fritz Hauer zurückbeordern und außerdem einen Boten nach Genf schicken. Bernalli brennt darauf, diese Vorgänge kennenzulernen, und wird bestimmt kommen.«
»Das interessiert mich alles gar nicht«, unterbrach Angélique verstimmt. »Ich will schlafen.«
Sie war sich wohl bewußt, daß sie mit ihren weich über das Gesicht fallenden Haaren und in ihrem Hemdchen, dessen Spitzenvolant über ihren bloßen Arm heruntergeglitten war, sehr viel weniger streng wirkte als ihre Worte.
Er streichelte die zarte, weiße Schulter, aber mit einer raschen Kopfbewegung grub sie ihre spitzen Zähne in seine Hand. Er gab ihr einen Klaps und warf sie in geheucheltem Zorn auf das Bett zurück. Sie kämpften eine kurze Weile, dann unterlag Angélique Joffreys Kraft, die sie jedesmal mit der gleichen Überraschung empfand. Doch ihr Widerstandsgeist war noch nicht erlahmt, und sie wehrte sich gegen die Umklammerung, bis ihr Blut rascher zu kreisen begann. Ein Funke der Wollust entzündete sich in ihrem tiefsten Innern und teilte sich ihrem ganzen Wesen mit. Sie kämpfte weiter, doch sie suchte in keuchender Begier das wunderliche Gefühl zurückzugewinnen, das sie eben verspürt hatte. Ihr Körper fing Feuer. Die Wogen der Lust trugen sie von Gipfel zu Gipfel, in einem Rausch, wie sie ihn noch nie empfunden hatte.
»O Joffrey!« seufzte sie. »Mir ist, als müsse ich sterben. Warum ist es jedesmal wunderbarer?«
»Weil die Liebe eine Kunst ist, in der man sich vervollkommnet, Liebste, und weil Ihr eine wunderbare Schülerin seid.«
Gesättigt suchte sie jetzt den Schlaf, indem sie sich an ihn schmiegte. Wie braun Joffreys Brust zwischen den Spitzen des Hemdes wirkte! Und wie so ganz besonders und berauschend dieser leise Tabakgeruch doch war!
Angélique dachte, daß sie ewig glücklich sein würden ...
Ungefähr zwei Monate danach bewegte sich eine kleine Reitertruppe, der eine Kutsche mit dem Wappen des Grafen Peyrac folgte, auf einer Uferstraße dem kleinen Ort Salsigne im Departement Aude zu.
Angélique, der diese Reise zunächst großes Vergnügen bereitet hatte, begann zu ermüden. Es war sehr heiß und staubig. Und da der wiegende Schritt ihres Pferdes sie zum Nachsinnen veranlaßte, hatte sie zuerst mit einigem Mißfallen den Mönch Conan Becher beobachtet, der auf einem Maultier saß und seine langen, dürren Beine herunterhängen ließ, und sodann über die Folgen des starrköpfigen Grolls des Erzbischofs nachgedacht. Und als schließlich bei dem Gedanken an Salsigne die vierschrötige Gestalt Fritz Hauers vor ihrem geistigen Auge auftauchte, war ihr der Brief ihres Vaters eingefallen, den der Sachse ihr gebracht hatte, nachdem er in Toulouse mit seinem Gepäckwagen, seiner Frau und seinen drei blonden Kindern angekommen war, welch letztere trotz des langen Aufenthalts im Poitou nur einen rauhen deutschen Dialekt sprachen.
Angélique hatte beim Empfang dieses Briefs bittere Tränen vergossen, denn ihr Vater teilte ihr den Tod des alten Wilhelm Lützen mit. Sie war in einen dunklen Winkel gegangen und hatte sich ausgeweint. Selbst Joffrey konnte sie nicht erklären, was sie empfand und warum ihr weh ums Herz wurde, wenn sie sich das alte, bärtige Gesicht mit seinen hellen, strengen Augen vergegenwärtigte, die gleichwohl die kleine Angélique so sanft angeschaut hatten. Doch als am Abend ihr Gatte sie gestreichelt und sanft umschmeichelt hatte, ohne Fragen zu stellen, hatte sich ihr Schmerz ein wenig gemildert. Die Vergangenheit blieb eben Vergangenheit. Aber der Brief des Barons Armand hatte die Vorstellung von kleinen, barfüßigen Geistern mit Haarschöpfen voller Stroh in den eisigen Gängen des Schlosses Monteloup geweckt, in deren Schatten sich im Sommer die Hühner flüchteten.
Der Baron beklagte sich auch. Das Leben war noch immer schwierig, wenn auch jedermann dank dem Maultierhandel und der Großzügigkeit des Grafen Peyrac das Notwendigste hatte. Aber das Land war von einer furchtbaren Hungersnot heimgesucht worden; dies zusammen mit den Verfolgungen der Salzschleichhändler durch die Fiskalbeamten hatte zu einer Revolte der Bewohner des Moorgebiets geführt. Sie waren plötzlich aus ihrem Schilf aufgetaucht, hatten mehrere Marktflecken geplündert, die Abgaben verweigert und Steuereintreiber umgebracht. Man hatte die Soldaten des Königs gegen sie, die sich »wie Aale in den Wassergräben davonmachten«, einsetzen müssen. Es gab viele Gehängte an den Straßenkreuzungen.
Angélique erkannte mit einem Male, was es bedeutete, eines der größten Vermögen der Provinz zu »sein«. Sie hatte diese unterdrückte, von der Angst vor den Steuern und der Zwangseintreibung verfolg-te Welt vergessen. War sie im Glanz ihres Glücks und ihres Luxus nicht sehr egoistisch geworden? Vielleicht hätte sich der Erzbischof weniger querköpfig gezeigt, wenn sie ihn zu umgarnen verstanden und sich seinen mildtätigen Werken gewidmet hätte?
Sie hörte den armen Bernalli stöhnen.
»Oh, diese Straße! Das ist ja schlimmer als unsere Abruzzen! Und Eure schöne Kutsche! Es werden nur Späne von ihr übrigbleiben. Ein wahres Verbrechen!«
»Ich habe Euch ja beschworen, sie zu besteigen«, sagte Angélique. »Dann wäre sie wenigstens zu etwas nütze gewesen.«
Doch der galante Italiener protestierte, nicht ohne sich die schmerzende Hüfte zu reiben.
»Pfui über Euch, Signora! Ein Mann, der dieses Namens würdig ist, kann sich nicht in einer Kutsche breitmachen, während eine junge Dame zu Pferde reist.«
»Eure Skrupel sind altmodisch, mein guter Bernalli. Heutzutage macht man keine solchen Umstände mehr. Ich kenne Euch allmählich gut genug, um zu wissen, daß Ihr nur unsere wippende und Wasser ausschleudernde hydraulische Maschine zu erblicken braucht, um alsbald von Eurer Zerschlagenheit kuriert zu sein.«
Das Gesicht des Gelehrten hellte sich auf.
»Wirklich, Madame, Ihr erinnert Euch meiner Vernarrtheit in jene Wissenschaft, die ich Hydraulik nenne? Euer Gatte hat mich geködert, indem er mir mitteilte, er habe in Salsigne eine Maschine konstruiert, die das Wasser eines in einer tiefen Schlucht fließenden Gebirgsbachs hochpumpt. Mehr brauchte es nicht, um mich wieder auf die Landstraßen zu jagen. Ich frage mich, ob er da nicht das Perpetuum mobile entdeckt hat.«
»Ihr täuscht Euch, mein Lieber«, sagte hinter ihnen die Stimme Joffrey de Peyracs, »es handelt sich lediglich um eine Nachahmung jener Stoßheber, die ich in China gesehen habe und die das Wasser aus einer Tiefe von mehr als hundertfünfzig Klaftern heraufzuschaffen vermögen. Aha, seht dort drüben! Wir sind angelangt.«
Sie hatten das Ufer eines kleinen Gießbachs erreicht und bemerkten in einiger Entfernung eine Art Wippkasten, der sich in beträchtlicher Geschwindigkeit um eine Achse drehte und periodisch in einer schönen Parabel einen Wasserstrahl hochschleuderte. Dieser Wasserstrahl fiel in ein höher liegendes Bassin zurück, dessen Inhalt wiederum durch hölzerne Leitungen sanft abfloß.
Ein künstlicher Regenbogen verlieh dieser Vorrichtung mit seinen irisierenden Farben einen gewissen Nimbus, und Angélique fand den Stoßheber sehr hübsch, während Bernalli enttäuscht schien und vorwurfsvoll erklärte:
»Ihr verliert da neunzehn Zwanzigstel des Bachwassers. Das hat mit dem Perpetuum mobile absolut nichts zu tun!«
»Es kommt mir gar nicht darauf an, Wasser und Kraft zu verlieren«, bemerkte der Graf. »Die Hauptsache ist, daß ich hier oben Wasser habe, und das kleine Quantum genügt mir, um mein zerschrotetes goldhaltiges Gestein zusammenzubacken.«
Der Besuch des Bergwerks wurde auf den folgenden Tag verschoben. Bescheidene, aber ausreichende Unterkünfte waren vom Dorfschulzen vorbereitet worden. Ein Gepäckwagen hatte Betten und Koffer gebracht. Der Graf stellte die Häuser Bernalli, dem Mönch Becher und Andijos zur Verfügung, während er selbst den Schutz eines großen Zeltes mit doppeltem Dach vorzog, das er aus Syrien mitgebracht hatte.
»Ich glaube, wir haben von den Kreuzfahrern die Vorliebe für das Biwakieren geerbt. Ihr werdet sehen, Angélique, daß man bei dieser Hitze und in diesem Land, das das trockenste ganz Frankreichs ist, in einem Zelt besser aufgehoben ist als in einem Bau aus Steinen und gestampfter Erde.«
Tatsächlich genoß sie, als es Abend wurde, die frische Luft, die von den Bergen herabkam. Die hochgeschlagenen Zeltbahnen erlaubten den Blick auf den von der untergehenden Sonne rosig verfärbten Himmel, und vom Ufer des Gebirgsbachs klangen die traurigen und getragenen Lieder der sächsischen Bergleute herüber.
Joffrey de Peyrac schien entgegen seiner Gewohnheit besorgt.
»Ich mag diesen alchimistischen Mönch nicht«, rief er plötzlich heftig aus. »Er wird nicht nur nichts begreifen, sondern alles seiner verschrobenen Mentalität gemäß auslegen. Ich hätte mich lieber noch dem Erzbischof gegenüber erklärt, aber der will einen wissenschaftlichen Zeugen<. Was für ein Witz! Jeder andere wäre besser als dieser Kuttenträger!«
»Immerhin«, protestierte Angélique ein wenig schockiert, »habe ich sagen hören, daß viele hervorragende Wissenschaftler ebenfalls Ordensgeistliche seien.«
Der Graf unterdrückte mühsam eine ärgerliche Geste.
»Ich leugne es nicht, und ich gehe sogar noch weiter. Ich möchte sagen, daß die Kirche jahrhundertelang das kulturelle Erbe der Welt verwaltet hat. Aber augenblicklich verdorrt sie in der Scholastik. Die Wissenschaft ist Erleuchteten ausgeliefert, die bereit sind, in die Augen springende Tatsachen zu leugnen, sobald sie keine theologische Erklärung für ein Phänomen finden, das sich einzig auf natürliche Weise deuten läßt.«
Er verstummte, und während er unvermittelt seine Frau an seine Brust drückte, sprach er einen Satz aus, den sie erst später begreifen sollte:
»Auch Euch habe ich als Zeugen gewählt.«
Am nächsten Morgen fand sich der Sachse Fritz Hauer ein, um die Besucher zum Goldbergwerk zu führen.
Dieses bestand aus einer weiträumigen Ausschachtung am Fuße der Vorberge von Corbières. Ein riesiges, linsenförmiges Terrain von fünfzig Klafter Länge und fünfzehn Klafter Breite war abgetragen, und seine graue Gesteinsmasse hatte man mittels hölzerner und eiserner Keile in kleinere Blöcke zerteilt, die dann auf Karren geladen und zu den Mühlsteinen transportiert wurden.
Hydraulische Stößer erregten Bernallis besondere Aufmerksamkeit.
»Ich habe sie nur den Chinesen nachgemacht, bei denen diese Vorrichtungen, wie man mir dort versicherte, seit drei- oder viertausend Jahren im Gebrauch sind«, erklärte der Graf. »Sie benützen sie vor allem, um den Reis zu schälen, der ihre Hauptnahrung darstellt.«
»Aber wo ist bei all dem das Gold?« bemerkte der Mönch Becher. »Ich sehe da nur ein graues, schweres Pulver, das Eure Arbeiter aus dem zerstoßenen grünen und grauen Gestein gewinnen.«
»Ihr werdet die Erklärung im sächsischen Gießhaus finden.«
Die kleine Gruppe begab sich ein Stück abwärts, wo in einem mauerlosen Schuppen gedeckte Frischfeueröfen installiert waren.
Von jeweils zwei jungen Burschen betätigte Blasebälge erzeugten einen heißen, erstickenden Lufthauch. Zuckende Flammen, die einen scharfen Knoblauchgeruch verbreiteten, sprangen zuweilen aus den geöffneten Mäulern der Öfen und hinterließen eine Art rußigen, schweren Dampfs, der sich in der ganzen Umgebung in Form weißen Schnees niederschlug.