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»Nein! In meinem tiefen Weh muß ich auch noch von einfältigen Menschen umgeben sein! Wäre ich nicht meines Standes bewußt, nichts könnte mich zurückhalten, mich von diesem Balkon hinunterzustürzen, um endlich diesem Leben ein Ende zu machen.«
Die von einer jammervollen Stimme ausgerufenen bitteren Worte veranlaßten Angélique, auf den Balkon ihres eigenen Zimmers zu eilen. Sie entdeckte auf einem benachbarten Altan eine große Frau im Nachtgewand, die ihr Gesicht in einem Taschentuch barg.
Eine Dame trat zu der schluchzenden Person, die sich bei deren Annäherung wie eine Windmühle gebärdete.
»Laßt mich, sage ich Euch! Dank Eurer Ungeschicklichkeit werde ich nie fertig werden. Im übrigen ist das ja auch ganz gleichgültig. Ich bin in Trauer und habe mich in meinen Schmerz zu vergraben. Was macht es schon aus, wenn ich wie eine Vogelscheuche frisiert bin!«
Sie zerzauste ihr reiches Haar und zeigte ihr trä-nenüberströmtes Gesicht. Es war eine Frau mit edlen, aristokratischen, aber schon ein wenig altersschlaffen Zügen.
»Wer wird mich frisieren, wenn Madame de Valbonne krank ist?« fuhr sie in dramatischem Ton fort. »Ihr habt ja alle plumpere Pfoten als ein Bär auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain!«
»Madame ...«, mischte sich Angélique ein.
Die beiden Balkons berührten sich fast in dieser engen Straße von Saint-Jean-de-Luz mit den von Höflingen überfüllten schmalen Häusern. Jeder nahm an dem teil, was beim Nachbarn vorging, und obwohl der Morgen eben erst dämmerte, summte die Stadt bereits wie ein Bienenkorb.
»Madame«, setzte Angélique abermals an, »kann ich mich Euch nützlich erweisen? Ich höre, daß Ihr wegen Eures Haarputzes in Verlegenheit seid. Ich habe einen geschickten Friseur mit seinen Eisen und verschiedenen Pudersorten hier. Er steht zu Eurer Verfügung.«
Die Dame betupfte ihre lange, rote Nase und stieß einen tiefen Seufzer aus.
»Ihr seid sehr gütig, meine Liebe. Meiner Treu, ich nehme Euer Angebot an. Meine Leute sind heute morgen nicht zu gebrauchen. Die Ankunft der Spanier bringt sie völlig außer Rand und Band. Und dabei frage ich Euch, was ist schon der König von Spanien?«
»Eben der König von Spanien«, sagte Angélique lachend.
»Pah! Genau besehen, kommt seine Familie an Adel der unsrigen nicht gleich. Schön, sie haben Gold die Fülle, aber sie sind Rübenesser, langweiliger als Krähen.«
»O Madame, nehmt mir nicht meine Freude! Ich bin so beglückt, all diese Fürstlichkeiten kennenzulernen. König Philipp IV und seine Tochter, die Infantin, sollen ja heute am spanischen Ufer eintreffen.«
»Mag sein. Jedenfalls werde ich sie nicht begrüßen können, denn bis dahin bin ich niemals mit meiner Toilette fertig.«
»Geduldet Euch, Madame, bis ich mich schicklich angekleidet habe, dann werde ich Euch meinen Friseur bringen.«
Eilends kehrte sie ins Innere ihres Zimmers zurück, wo ein unbeschreibliches Durcheinander herrschte. Margot und die Mägde legten die letzte Hand an das prächtige Kleid, das Angélique später anziehen sollte. Die Truhen standen offen wie auch die Schmuckkästchen, und Florimond kroch mit nackten Hinterbäckchen auf allen vieren zwischen den Köstlichkeiten herum.
»Joffrey muß mir sagen, welchen Schmuck ich zu diesem Kleid aus golddurchwirktem Stoff tragen soll«, dachte Angélique, während sie ihren Morgenrock ablegte und in ein schlichtes Kleid samt einem Umhang schlüpfte.
Sie traf Meister François Binet im Erdgeschoß ihrer Unterkunft an, wo er die Nacht damit verbracht hatte, toulousanischen Damen, den Freundinnen Angéliques, ja sogar den Zofen, die auch schön sein wollten, die Haare zu kräuseln. Er nahm sein Kupferbecken - für den Fall, daß irgendein Edelmann rasiert zu werden wünschte -, seinen von Kämmen, Eisen, Salben und falschen Zöpfen überquellenden Kasten und betrat in Begleitung eines Gehilfen, der das Kohlenbecken trug, hinter Angélique her das Nachbargebäude, das noch überfüllter schien als das Haus, in dem Graf Peyrac von einer weitläufigen Verwandten aufgenommen worden war.
Angélique bemerkte die schöne Livree der Diener und stellte für sich fest, die in Tränen aufgelöste Dame müsse eine Person von hohem Stand sein. Zur Sicherheit verneigte sie sich tief, als sie ihr gegenübertrat.
»Das ist reizend von Euch«, sagte die Dame in schmerzlichem Ton, während Meister Binet seine Utensilien auf einem Schemel ausbreitete. »Ohne Euch hätte ich mir das Gesicht verweint.«
»Das ist kein Tag zum Weinen«, protestierte Angélique.
»Was wollt Ihr, meine Liebe, ich bin nicht in der Stimmung für solche Lustbarkeiten. Habt Ihr mein schwarzes Kleid nicht bemerkt? Ich habe kürzlich meinen Vater verloren.« - »Oh, das tut mir leid .« - »Wir haben einander so verabscheut und uns so oft gestritten, daß ich seinen Tod doppelt beklage. Wie ärgerlich, sich bei einem solchen Fest in Trauer zu befinden! Da ich den bösartigen Charakter meines Vaters kenne, habe ich ihn im Verdacht .«
Sie hielt inne, um ihr Gesicht in die Tüte zu tauchen, die Binet ihr hinhielt, während er das Haar seiner Klientin ausgiebig mit parfümiertem Puder bestreute. Angélique mußte niesen.
». habe ich ihn im Verdacht, daß er es absichtlich getan hat«, fuhr die Dame fort, nachdem sie den Inhalt der Tüte geprüft hatte.
»Absichtlich getan? Was denn, Madame?«
»Zu sterben, natürlich! Aber gleichviel. Ich vergesse alles. Ich bin immer großmütig gewesen, was man auch reden mag. Und mein Vater ist auf christliche Art gestorben. Das ist ein großer Trost für mich. Aber was mich ärgert, ist, daß man seinen Leichnam nur von ein paar Gardisten und Geistlichen nach Saint-Denis hat begleiten lassen, ohne Pomp und ohne Aufwand ... Findet Ihr das schicklich?«
»Gewiß nicht«, versicherte Angélique, der es allmählich dämmerte, daß sie fast eine Unschicklichkeit begangen hatte. Dieser Edelmann, der in Saint-Denis beigesetzt worden war, mußte ein Mitglied der königlichen Familie gewesen sein. Wofern sie sich nicht verhört hatte .
»Wäre ich dabeigewesen, so wäre die Sache anders vonstatten gegangen, das könnt Ihr mir glauben«, schloß die Dame mit einer stolzen Kopfbewegung. Sie schwieg, um sich im Spiegel zu betrachten, den François Binet ihr kniend vorhielt, und ihr Gesicht strahlte.
»Aber das ist ja ausgezeichnet!« rief sie. »Euer Friseur ist ein wahrer Künstler, meine Gute. Dabei weiß ich sehr wohl, daß ich recht widerspenstiges Haar habe.«
»Eure Hoheit haben feines, aber schmiegsames und reiches Haar«, sagte der Friseur in fachmännischem Ton, »und gerade mit einem solchen lassen sich die schönsten Frisuren formen.«
»Wirklich? Ihr schmeichelt mir. Ich werde Euch hundert Silberstücke geben lassen. Meine Damen!
. Meine Damen! Dieser Mann muß unbedingt den Kleinen die Haare kräuseln.«
Mit Mühe zerrte man aus einem anstoßenden Raum, in dem Kammerzofen und Mägde schwatzten, die »Kleinen«, zwei junge Mädchen im Backfischalter.
»Das sind gewiß Eure Töchter, Madame?« erkundigte sich Angélique.
»Nein, das sind meine kleinen Schwestern. Sie sind unerträglich. Schaut Euch die jüngere an: Das einzig Schöne an ihr ist der Teint, und sie hat es fertiggebracht, sich von einer tückischen Mückenart stechen zu lassen. Nun ist sie völlig verschwollen; zudem heult sie in einem fort.«
»Sicher ist sie auch über den Tod ihres Vaters traurig.«
»Keine Spur. Aber man hat ihr zu oft gesagt, sie würde den König heiraten; man nannte sie nur die >kleine Königin<. Jetzt ist sie verstört, weil er eine andere nimmt.«
Während Meister Binet sich mit den Mädchen beschäftigte, ließ sich ein Geräusch auf der engen Treppe vernehmen, und ein junger Edelmann erschien auf der Türschwelle. Er war von sehr kleinem Wuchs und hatte ein Puppengesicht, das aus einem Spitzenjabot herausragte. Auch an den Ärmeln und Knien trug er mehrere Spitzenbesätze. Trotz der frühen Morgenstunde war er höchst gepflegt gekleidet.
»Kusine«, sagte er in geziertem Ton, »ich habe gehört, hier sei ein Friseur, der wahre Wunder verrichte.«
»O Philippe, Ihr seid hellhöriger als eine eitle Frau. Sagt mir wenigstens, daß Ihr mich schön findet.«
Der junge Mann kräuselte seine allzu roten und fleischigen Lippen und prüfte mit halbgeschlossenen Augen die Frisur.
»Ich muß zugeben, daß dieser Künstler Eurem Gesicht einen Vorteil abgewonnen hat, den man nicht erhoffen konnte«, sagte er schließlich mit durch ein kokettes Lächeln kaum gemilderter Unverschämtheit.
Er kehrte in den Vorplatz zurück und beugte sich über das Treppengeländer.
»De Guiche, Liebster, kommt nur herauf. Wir sind hier richtig.«
In dem eintretenden Edelmann - einem hübschen, schlanken und sehr brünetten Jüngling - erkannte Angélique den Grafen de Guiche, den ältesten Sohn des Herzogs von Gramont. Der besagte Philippe nahm de Guiche beim Arm und lehnte sich zärtlich an seine Schulter.
»Oh, wie bin ich glücklich! Wir werden bestimmt die bestfrisierten Leute des Hofs sein. Péguillin und der Marquis d’Humières werden vor Neid erblassen. Ich habe gesehen, wie sie sich verzweifelt auf die Suche nach ihrem Barbier machten, den de Vardes ihnen dank seiner gewichtigeren Geldbörse abspenstig gemacht hatte.«