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Zornerfüllt und gedemütigt betupfte Angélique mit dem Taschentuch ihre zerschundene Lippe.
»Hoffentlich sieht man es nicht zu sehr ... Was soll ich antworten, wenn Joffrey mir eine Frage stellt?
Man muß verhindern, daß er diesen Flegel aufspießt. Vielleicht lacht er nur darüber . Er ist gewiß der letzte, der sich über diese sauberen Edelleute aus dem Norden Illusionen macht .«
Als sie eben im Gedränge des Platzes ihre Sänfte und ihre Diener zu entdecken versuchte, schob sich unversehens ein Arm unter den ihren.
»Meine Gute, ich habe Euch gesucht«, sagte die Grande Mademoiselle, deren gewichtige Erscheinung neben ihr aufgetaucht war. »Ich mache mir die schlimmsten Gewissensbisse, wenn ich an all die Dummheiten denke, die ich heute früh in Eurer Anwesenheit gesagt habe, ohne zu wissen, wer Ihr seid. Ach, wenn man an einem solchen Festtag nicht die gewohnten Bequemlichkeiten zur Verfügung hat, lassen einen die Nerven im Stich, und die Zunge läuft davon, ohne daß man es sich recht versieht.«
»Eure Hoheit möge sich keine Gedanken machen. Ihr habt nichts gesagt, was nicht wahr oder gar schmeichelhaft wäre. Ich entsinne mich nur der letzten Äußerungen.«
»Ihr seid die Güte selbst. Ich bin beglückt, Euch zur Nachbarin zu haben . Ihr werdet mir doch noch einmal Euern Friseur ausborgen, nicht wahr? Könnt Ihr über Eure Zeit verfügen? Wollen wir zusammen im Schatten ein paar Trauben stibitzen? Was denkt Ihr darüber? Diese Spanier lassen ja ewig auf sich warten .«
»Ich stehe Eurer Hoheit zu Diensten«, erwiderte Angélique mit einem Knicks.
Am folgenden Morgen mußte man zur Fasaneninsel fahren, um den König von Spanien speisen zu sehen. Der ganze Hof drängte sich auf den Barken und machte sich die schönen Schuhe naß. Die Damen stießen kleine Schreie aus, während sie ihre Röcke rafften.
Angélique, in Grün und silberbestickte weiße Seide gekleidet, war von Péguillin mitgenommen worden und saß zwischen einer Prinzessin mit klugem Gesicht und dem Marquis d’Humières. Der kleine Monsieur, ebenfalls mit von der Partie, lachte viel und machte sich über die sauertöpfische Miene seines Bruders lustig, der gezwungen war, auf dem französischen Ufer zu bleiben, da er die Infantin nicht sehen durfte, bevor sie durch Hochzeit in Stellvertretung auf dem spanischen Ufer Königin geworden war. Dann erst würde er auf der Fasaneninsel erscheinen, den Frieden besiegeln und seine märchenhafte Eroberung mitnehmen. Die eigentliche Trauung sollte in Saint-Jean-de-Luz durch den Bischof von Bayonne erfolgen.
Die Barken glitten über das ruhige Wasser dahin, beladen mit ihrer buntschillernden Besatzung, und landeten sanft. Während Angéliques wartete, bis sie an der Reihe war auszusteigen, stellte einer der Edelleute den Fuß auf die Bank, auf der sie saß, und quetschte ihr mit seinem hohen, hölzernen Absatz die Finger. Sie unterdrückte einen Aufschrei. Als sie den Blick hob, erkannte sie den Edelmann vom Vortag, der sie so übel belästigt hatte.
»Das ist der Marquis de Vardes«, sagte neben ihr die Prinzessin. »Natürlich hat er es absichtlich getan.«
»Ein rechter Rohling«, beklagte sich Angélique. »Wie kann man einen so ungehobelten Menschen in der Umgebung des Königs dulden?«
»Er amüsiert den König durch seine Keckheit, im übrigen zieht er Seiner Majestät gegenüber die Krallen ein. Aber er ist berüchtigt bei Hofe.«
Angélique mußte in ihrem Zorn an Joffrey denken. Wo war er? Seit gestern hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Er war nach Hause gekommen, um sich umzuziehen und sich rasieren zu lassen, während sie bei der Grande Mademoiselle festgehalten worden war. Sie selbst hatte sich drei- oder viermal in Hast und Erschöpfung umkleiden müssen. Sie hatte kaum ein paar Stunden geschlafen, aber der gute Wein, der bei jeder Gelegenheit gereicht wurde, hielt sie wach. Endlich entdeckte sie Joffrey in der Menge, die sich im Innern des in der Mitte der Insel gelegenen Hauses drängte.
Sie bahnte sich einen Weg bis zu ihm und berührte ihn mit dem Fächer. Er warf ihr einen zerstreuten Blick zu.
»Ah, da seid Ihr ja!«
»Ich sehne mich so schrecklich nach Euch, Joffrey. Aber Ihr scheint wenig beglückt, mich wiederzusehen. Findet Ihr es etwa auch lächerlich, wenn Ehegatten einander in Liebe zugetan sind?«
Er lächelte auf seine herzliche Art und legte den Arm um sie.
»Nein, Liebste. Aber ich sah Euch in so fürstlicher und angenehmer Gesellschaft .«
»Oh, angenehm!« wiederholte Angélique und strich sich über die gequetschte Hand. »Man läuft dabei Gefahr, zum Krüppel zu werden. Was habt Ihr seit gestern getan?«
»Ich habe Freunde getroffen, über dieses und jenes geschwatzt. Habt Ihr den spanischen König gesehen?«
»Nein, noch nicht.«
»Gehen wir in jenen Saal. Gerade wird sein Gedeck aufgelegt. Der spanischen Etikette gemäß muß er allein speisen, unter Beobachtung eines höchst komplizierten Zeremoniells.«
Der Saal war bis zur Decke mit Wandteppichen bespannt, die in gedämpften Farben die Geschichte des Königreichs Spanien erzählten. Es herrschte ein fürchterliches Gedränge.
Die beiden Höfe überboten einander an Luxus und Pracht. Die Spanier waren den Franzosen an Gold und Edelsteinen überlegen, aber diese taten sich durch den Schnitt und die Eleganz ihrer Kleidung hervor. Die jungen Leute aus dem Gefolge Ludwigs XIV trugen an diesem Tage Mäntel aus grauem, mit goldener Spitze bedecktem Moire; das Futter bestand aus Goldleinen, das Wams aus Goldbrokat. Die mit weißen Federn garnierten Hüte waren an der Seite mit Diamantnadeln hochgesteckt.
Lachend machte man einander auf die langausgezogenen, altmodischen Schnurrbärte der spanischen Granden und ihre mit schweren, altertümlichen Stickereien besetzten Gewänder aufmerksam.
»Habt Ihr diese flachen Hüte mit den kümmerlichen kleinen Federn gesehen?« flüsterte Péguillin kichernd.
»Und die Damen? Eine Galerie alter Hopfenstangen, bei denen man die Knochen unter den Mantillen erkennen kann.«
»In diesem Lande halten sich die Ehefrauen im Hause hinter Gittern verborgen.«
»Die Infantin soll noch Hüftpolster tragen und so große eiserne Reifen, daß sie sich seitwärts drehen muß, wenn sie durch eine Tür geht.«
»Ihr Schnürleib zwängte sie dermaßen ein, daß sie gar keinen Busen zu haben scheint, während sie in Wirklichkeit einen sehr schönen haben soll«, steuerte Madame de Motteville bei und bauschte ein paar Spitzen auf, die ihre magere Brust einrahmten.
Joffrey wandte ihr seinen boshaftesten Blick zu.
»Die Madrider Schneider müssen wirklich wenig geschickt sein«, sagte er, »wenn sie das Schöne dermaßen verunstalten, während die Pariser sich doch so glänzend darauf verstehen, das vorzutäuschen, was nicht mehr da ist.«
Angélique kniff ihn in den Samtärmel. Er lachte und küßte mit verständnisinnigem Augenzwinkern ihre Hand. Sie hatte das Gefühl, daß er etwas Unangenehmes vor ihr verbarg, wurde aber abgelenkt und dachte bald nicht mehr daran. Plötzlich trat Stille ein. Der König von Spanien war eingetreten. Angélique, die nicht sehr groß war, gelang es, rasch auf einen Schemel zu klettern.
»Wie eine Mumie«, flüsterte Péguillin.
Der Teint Philipps IV. war tatsächlich pergamentfarben. Mit automatenhaften Schritten begab er sich zu seinem Tisch. Seine großen düsteren Augen blickten starr. Das vorspringende Kinn stützte eine rote Lippe, die zusammen mit dem spärlichen kupferblonden Haar sein kränkliches Aussehen noch unterstrich. Durchdrungen von seiner geradezu göttlichen Größe als Souverän machte er keine Geste, die nicht der strengen Verpflichtung der Etikette entsprach. Gelähmt durch die Fesseln seiner Macht, einsam an seinem kleinen Tisch, speiste er, als hielte er Gottesdienst.
»Wer würde glauben, daß dieses Gespenst mit der Unbekümmertheit eines Hahnes zeugt?« ließ sich der unverbesserliche Péguillin de Lauzun vernehmen, als die Mahlzeit beendet war und man sich draußen wiederfand. »Seine Bastarde greinen auf den Gängen seines Palasts, und seine zweite Frau bringt unaufhörlich schwächliche Kinder zur Welt, die alsbald von ihrer Wiege in die Abdeckerei des Eskorials wandern.«
»Das letzte ist während der Botschaftertätigkeit meines Vaters in Madrid gestorben, als er um die Hand der Infantin bat«, erklärte Louvigny, der zweite Sohn des Herzogs von Gramont. »Ein weiteres ist inzwischen geboren worden, und sein Leben hängt nur an einem Faden.«
Der Marquis d’Humières rief mit Emphase aus: »Es wird sterben, und wer wird damit Erbin des Throns Karls V. werden? Die Infantin, unsere Königin!«
»Das sind wohl allzu kühne Gedankengänge, Marquis«, meinte der Herzog von Bouillon pessimistisch.
»Wer sagt Euch, daß dergleichen nicht von Seiner Eminenz dem Kardinal und sogar von Seiner Majestät vorausbedacht worden ist?«
»Gewiß, aber ein allzu großer Ehrgeiz ist dem Frieden nicht zuträglich.«
»Der Frieden! Der Frieden!« knurrte der Herzog von Bouillon. »In längstens zehn Jahren wackelt er.«
Er tat es nach knapp zwei Stunden. Plötzlich war alles aus, und man flüsterte, die Hochzeit fände nicht statt.
Don Luis de Haro und Kardinal Mazarin hatten zu lange gezögert, die letzten Einzelheiten des Friedensschlusses zu klären und sich über die neuralgischen Punkte zu einigen, die gewisse Dörfer, Straßen und Grenzlinien darstellten. Niemand wollte nachgeben. Der Krieg ging weiter. Ein halber Tag angstvollen Zauderns folgte. Man ließ den Gott der Liebe zwischen den beiden Verlobten, die einander nie gesehen hatten, intervenieren, und Ondedeï gelang es, der Infantin eine Botschaft zuzustecken, in der er ihr zu wissen tat, wie ungeduldig der König sei, sie kennenzulernen. Eine Tochter ist allmächtig über das Herz ihres Vaters. Bei all ihrer Fügsamkeit hatte die Infantin keine Lust, nach Madrid zurückzukehren, nachdem sie der Sonne so nahe gewesen war ...
Sie gab Philipp IV. zu verstehen, daß sie ihren Gatten haben wolle, und die für einen Augenblick in Verwirrung geratenen Zeremonien nahmen ihren Fortgang.
Die in Stellvertretung vorzunehmende Hochzeit fand auf dem spanischen Ufer in San Sebastian statt, und die Grande Mademoiselle nahm Angélique dorthin mit. Die Tochter des Gaston d’Orléans, in Trauer um ihren Vater, durfte nach der Sitte an der Feierlichkeit nicht teilnehmen, doch beschloß sie, »inkognito« zu erscheinen, das heißt, sie schlang ein Seidentuch um ihr Haar und legte keinen Puder auf.
Die Prozession durch die Straßen der Stadt schien den Franzosen wie ein seltsames Bacchanal. Hundert weißgekleidete Tänzer mit Schellen an den Beinen zogen degenschwingend voraus, dann folgten drei riesige, bis zum ersten Stockwerk der Häuser reichende Figuren aus Weidengeflecht, die man als Mohrenkönige ausstaffiert hatte, ein ebenso riesiger heiliger Christophorus, ein schrecklicher Drache, umfänglicher als sechs Walfische, fünfzig maskierte junge Burschen, die auf ihre baskischen Trommeln schlugen, und schließlich, unter einem Baldachin, das Allerheiligste in einer gigantischen goldenen Monstranz, vor der die Menge in die Knie sank.