142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 50

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In der Kirche stieg hinter dem Tabernakel eine mit einer Million Kerzen besteckte Treppe bis hoch ins Gewölbe auf.

Angélique betrachtete geblendet diesen brennenden Wald. Der schwere Weihrauchgeruch verstärkte die ungewöhnliche, morgenländische Atmosphäre der Kathedrale. Im Dunkel der Gewölbe und Seitenschiffe sah man die vergoldeten Balustraden dreier übereinanderliegender Podestreihen schimmern, wo zusammengepfercht auf der einen Seite die Herren, auf der anderen die Damen saßen.

Man mußte lange warten. Die unbeschäftigten Priester unterhielten sich mit den Französinnen, und Madame de Motteville entrüstete sich wieder einmal über die Bemerkungen, die man im Schütze des Halbdunkels an sie richtete.

»Perdone. Dejeme pasar!«[3] sagte plötzlich eine rauhe spanische Stimme neben Angélique.

Sie schaute sich um und erblickte ein bizarres Geschöpf. Es war eine Zwergin, ebenso breit wie hoch, mit einem Gesicht von drolliger Häßlichkeit. Ihre fleischige Hand stützte sich auf den Hals eines großen, schwarzen Hetzhundes. Ein Zwerg folgte ihr, ebenfalls in verbrämtem Gewand und weiter Halskrause, aber er hatte einen verschmitzten Ausdruck, und wenn man ihn anschaute, mußte man lachen.

Die Menge machte Platz, um die kleinen Geschöpfe und den Hund vorbeizulassen.

»Das ist die Zwergin der Infantin und ihr Narr Tomasini«, erklärte jemand. »Offenbar nimmt sie sie mit nach Frankreich.«

»Wozu braucht sie diese Knirpse? In Frankreich wird sie genug zum Lachen haben.«

»Sie sagt, nur die Zwergin könne ihr ihre Zimtschokolade zubereiten.«

Über Angélique reckte sich eine bleiche, imposante Gestalt auf. Monseigneur de Fontenac, in malvenfar-bener Seide und hermelinbesetzter Mozetta, strebte einer der Estraden aus vergoldetem Holz zu. Er beugte sich über das Geländer. In seinen Augen brannte ein zerstörerisches Feuer. Er redete mit jemandem, den Angélique nicht sah.

In plötzlicher Unruhe bahnte sie sich einen Weg in seiner Richtung. Am Fuß der Treppe hob Joffrey de Peyrac sein ironisches Gesicht zum Erzbischof auf.

»Erinnert Euch des >Goldes von Toulouse<«, sagte der letztere mit gedämpfter Stimme. »Als Servilius Cepion die Tempel von Toulouse ausgeraubt hatte, wurde er zur Strafe für seine Gottlosigkeit besiegt. Deshalb wendet man den sprichwörtlichen Ausdruck >das Gold von Toulouse< auf das Unglück an, das auf unredliche Weise erworbene Reichtümer bringen.«

Graf Peyrac lächelte noch immer.

»Ich liebe Euch«, murmelte er, »ich bewundere Euch. Ihr besitzt die Milde und die Grausamkeit der Reinen. Ich sehe in Euren Augen die Flammen der Inquisition brennen. So werdet Ihr mich also nicht verschonen?«

»Adieu, Monsieur«, sagte der Erzbischof mit zusammengepreßten Lippen.

»Adieu, Foulques de Neuilly.« Die Kerzen warfen ihren Schimmer auf Joffreys Gesicht. Er sah in die Ferne.

»Was geht da wieder vor?« flüsterte Angélique.

»Nichts, meine Schöne. Unser alter Streit ...«

Bleich wie der Tod schritt der König von Spanien durch das Kirchenschiff und führte die Infantin an der linken Hand.

Sie hatte eine weiße, vom Halbdunkel der Madrider Paläste gebleichte Haut, blaue Augen, seidiges, durch unechte Zutaten aufgebauschtes Haar, eine ergebene und ruhige Haltung. Sie wirkte eher flämisch als spanisch. Man fand ihr wollenes, kaum besticktes Kleid unmöglich.

Der König führte seine Tochter zum Altar, wo sie niederkniete. Don Luis de Haro, der im Namen des Königs freite, hielt sich in gleicher Höhe mit ihr, doch ziemlich entfernt.

Als der Augenblick für die Gelöbnisse gekommen war, streckten die Infantin und Don Luis einander den Arm entgegen, ohne sich jedoch zu berühren. Mit derselben Bewegung legte die Infantin ihre Hand in die ihres Vaters und küßte ihn. Tränen rannen über die elfenbeinfarbenen Wangen des Monarchen. Die Grande Mademoiselle schneuzte sich geräuschvoll.

»Werdet Ihr für uns singen?« fragte der König.

Joffrey de Peyrac zuckte zusammen. Er warf einen stolzen Blick auf Ludwig XIV. und fixierte ihn, als sei er irgendein Unbekannter, der ihm nicht vorgestellt worden war. Angélique zitterte; sie griff nach seiner Hand. »Sing für mich!« flüsterte sie.

Der Graf lächelte und gab Bernard d’Andijos ein Zeichen, worauf dieser hinauseilte.

Das Fest näherte sich seinem Ende. Neben der Königin-Mutter, dem Kardinal, dem König und seinem Bruder saß die Infantin in starrer Haltung und schlug die Augen vor dem Manne nieder, mit dem die Zeremonien des folgenden Tages sie verbinden würden. Ihre Trennung von Spanien war vollzogen. Philipp IV. und seine Hidalgos kehrten wehen Herzens nach Madrid zurück und hinterließen die stolze und reine Infantin als Pfand des neugewonnenen Friedens .

Der kleine Violinist Giovanni drängte sich zwischen den Höflingen hindurch und reichte dem Grafen Peyrac seine Gitarre und die Samtmaske.

»Weshalb maskiert Ihr Euch?« fragte der König.

»Die Stimme der Liebe hat kein Gesicht«, erwiderte Peyrac, »und wenn die schönen Augen der Damen träumen, darf nichts Häßliches sie stören.«

Er präludierte und begann zu singen, indem er die alten Weisen in der langue d’oc mit modischen Liebesliedern mischte.

Schließlich ließ er sich neben der Infantin nieder und stimmte einen verwegenen spanischen Refrain an, den rauhe arabische Schreie unterbrachen und in dem die ganze Leidenschaftlichkeit und das Feuer der Iberischen Halbinsel brannten.

Das ausdruckslose perlmutterfarbene Gesicht begann aufzublühen; die Lider der Infantin hoben sich, und man sah ihre Augen leuchten. Vielleicht erlebte sie ein letztes Mal das eingeschlossene Dasein einer kleinen Gottheit, wie sie es kannte, zwischen ihren Frauen und ihren Zwergen, die sie lachen machten; ein düsteres, schales, aber geruhsames Dasein: Man spielte Karten, empfing weissagende Nonnen, veranstaltete Nachmittagseinladungen mit Konfekt, Orangenblüten- und Veilchenkuchen.

Ihre Miene nahm einen verstörten Ausdruck an, als sie sich plötzlich unter all den französischen Gesichtern wiederfand.

»Ihr habt uns bezaubert«, sagte der König zu dem Sänger. »Ich wünsche mir nur das eine, daß wir noch oft Gelegenheit haben werden, Euch zu hören.«

Joffreys Blick funkelte seltsam hinter seiner Maske.

»Niemand hofft das so sehr wie ich, Sire. Aber alles hängt von Eurer Majestät ab. Ist es nicht so?«

Angélique glaubte zu bemerken, daß der Monarch leicht die Stirn runzelte.

»So ist es. Ich freue mich, Euch das sagen zu hören, Monsieur de Peyrac«, bemerkte er ein wenig trocken.

Nachdem Angélique zu vorgerückter Stunde in ihr Quartier zurückgekehrt war, streifte sie hastig ihre Kleider ab, ohne auf die Hilfe der gähnenden Zofe zu warten, und warf sich mit einem Seufzer auf das Bett. »Ich fühle mich völlig zerschlagen, Joffrey. Ich glaube, ich bin dem Hofleben noch nicht gewachsen. Wie machen es nur diese Leute, daß sie sich in so viele Vergnügungen stürzen und doch die Zeit finden, in der Nacht einander zu betrügen?«

Der Graf streckte sich neben ihr aus, ohne zu antworten. Es war so heiß im Raum, daß schon die Berührung eines Leintuchs lästig wurde. Durch das offene Fenster fiel zuweilen der rötliche Schein von Fackeln bis auf das Bett, dessen Vorhänge sie nicht zugezogen hatten. Saint-Jean-de-Luz war noch eifrig mit den Vorbereitungen für den kommenden Tag beschäftigt.

»Wenn ich nicht ein wenig schlafe, werde ich morgen bei der Zeremonie zusammenbrechen«, meinte Angélique gähnend. Sie streckte sich, dann schmiegte sie sich an den braunen, trockenen Körper ihres Gatten.

Er streichelte die runde Hüfte, die im Halbdunkel wie Alabaster leuchtete, folgte der sanften Krümmung der Taille und fand die kleine, feste Brust. Seine Finger bebten, wurden drängender, kehrten zum geschmeidigen Leib zurück. Als er eine kühnere Liebkosung wagte, wehrte Angélique im Halbschlaf ab: »O Joffrey, ich bin so müde!«

Er ließ ab, und sie warf ihm zwischen halbgeschlos-senen Lidern einen Blick zu, um zu sehen, ob er ärgerlich war. Auf seinen Ellbogen gestützt, betrachtete er sie lächelnd.

»Schlaf, Liebes«, flüsterte er.

Als sie wieder aufwachte, hätte sie meinen können, er habe sich nicht gerührt, denn er betrachtete sie noch immer. Sie lächelte ihn an.

Es war kühl, und der Morgen begann eben zu dämmern. Schlaftrunken drängte sie sich an ihn, und sie umschlangen einander mit ihren Armen.

Er hatte sie den kunstvollen Genuß gelehrt, den raffinierten Kampf mit seinen Finten, seinen Verzögerungen, seinen Verwegenheiten, das geduldige Werk, bei dem die beiden Körper sich gegenseitig dem Paroxysmus der Wollust entgegenführen. Als sie endlich voneinander ließen, erschöpft, gesättigt, stand die Sonne schon hoch am Himmel.

»Sollte man meinen, daß wir einen anstrengenden Tag vor uns haben?« fragte Angélique lachend.

Margot klopfte an die Tür.

»Madame, Madame, es ist Zeit! Die Kutschen fahren bereits zur Kathedrale, und Ihr werdet keinen Platz mehr finden, um den Aufzug zu sehen.«