142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 64

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»Ich duze alle Frauen, die ich mir genommen habe.«

»Ich schere mich nicht um Eure Angewohnheiten. Laßt mich.«

»Hoppla! Vorhin warst du weniger stolz. Ich hatte nicht das Gefühl, dir übermäßig zu mißfallen.«

»Vorhin war vorhin. Jetzt hasse ich Euch.«

Sie wiederholte mehrmals mit zusammengebissenen Zähnen: »Ich hasse Euch!« und spuckte ihn an. Dann setzte sie sich mit unsicheren Schritten in Bewegung.

Es war stockfinster. Nur hie und da beleuchtete eine Laterne das Schild eines Kaufladens, den Torbogen eines Bürgerhauses.

Angélique wußte, daß der Pont-Neuf sich zu ihrer Rechten befand. Sie konnte unschwer die weiße Brüstung erkennen, aber als sie sich in ihre Richtung wenden wollte, schob sich ihr plötzlich eine menschliche Gestalt in den Weg. An ihrem übelkeiterregenden Geruch merkte sie, daß es einer jener Bettler war, die sie am Tage so erschreckt hatten. Sie wich zurück und stieß einen durchdringenden Schrei aus. Hinter ihr erklangen eilige Schritte, und die Stimme des Marquis de Vardes ließ sich vernehmen:

»Zurück, Strolch, oder ich spieße dich auf!«

Der andere blieb mitten im Wege stehen.

»Habt Erbarmen, edler Herr! Ich bin ein armer Blinder.«

»Aber nicht so blind, daß dir meine Börse entgangen wäre!«

Vardes setzte die Spitze seines Degens gegen den Bauch des mißgestalten Wesens, das zusammenzuckte und stöhnend davonlief.

»Vielleicht verratet Ihr mir jetzt, wo Ihr wohnt!« sagte der Offizier hart.

Widerstrebend nannte Angélique die Adresse ihres Schwagers, des Staatsanwalts. Dieses nächtliche Paris beängstigte sie. Man glaubte, das Raunen unsichtbarer Wesen zu vernehmen, ein unterirdisches Leben, dem der Kellerasseln vergleichbar. Stimmen kamen aus den Mauern, Geflüster, höhnisches Gelächter. Hin und wieder drang ein Lichtschein durch die offene Tür einer Schenke oder eines Bordells, und man sah im Pfeifenqualm Musketiere an Tischen sitzen, nackte Mädchen auf dem Schoß. Im nächsten Augenblick schlug das Dunkel der nächtlichen Gassen wieder über ihnen zusammen.

De Vardes sah sich des öfteren um. Von einer zur Seite eines Brunnens versammelten Gruppe hatte sich ein Individuum gelöst und folgte ihnen leisen und geschmeidigen Schrittes.

»Ist es noch weit?«

»Wir sind schon da«, sagte Angélique, die die Wasserspeier und mittelalterlichen Giebel der Häuser der Rue de l’Enfer wiedererkannte.

»Gottlob, denn ich glaube, daß ich genötigt sein werde, ein paar Wänste zu durchbohren. Laßt Euch sagen, meine Kleine, geht nie wieder in den Louvre. Verbergt Euch, bringt Euch in Vergessenheit.«

»Wenn ich mich verberge, werde ich meinen Gatten nie freibekommen.«

Er lachte spöttisch:

»Wie es Euch beliebt, o getreue und tugendhafte Gattin!«

Angélique spürte, wie ihr das Blut ins Gesicht drang. Sie hätte ihn beißen, ihn erwürgen mögen.

Doch in diesem Augenblick tauchte eine zweite Gestalt mit einem Satz aus dem Dunkel der Gasse auf. Der Marquis drängte die junge Frau an die Mauer und stellte sich mit gezogenem Degen vor sie.

Mit vor Entsetzen aufgerissenen Augen starrte Angélique die in Lumpen gehüllten Männer an, die im Lichtkreis der vor dem Hause Maître Fallots aufgehängten großen Laterne auftauchten. Der eine von ihnen trug einen Stock in der Hand, der andere ein Küchenmesser.

»Wir wollen Eure Börsen«, sagte der erstere mit heiserer Stimme.

»Ihr werdet zweifellos etwas bekommen, Messires, nämlich ein paar saftige Degenhiebe.«

Angélique bewegte den bronzenen Türhammer mit verdoppelter Kraft. Endlich öffnete sich die Tür um Spaltbreite. Sie schlüpfte ins Haus, während hinter ihr der Marquis de Vardes zurückblieb und sich mit seinem Degen die beiden gierigen Räuber vom Leibe hielt.

Hortense war es, die ihr die Tür geöffnet hatte. In einem Nachthemd aus grober Leinwand, eine Kerze in der Hand, stieg sie, in scharfem Tone flüsternd, hinter ihrer Schwester die Treppe hinauf.

Sie habe es ja immer gesagt. Eine Herumtreiberin, das sei Angélique schon seit ihrer frühen Kindheit gewesen. Eine Intrigantin. Eine ehrgeizige Person, die nur auf das Vermögen ihres Mannes aus gewesen sei und obendrein noch vorgebe, ihn zu lieben, während sie sich nicht entblöde, sich mit Wüstlingen in den verrufensten Gegenden von Paris herumzutreiben.

Angélique hatte kein Ohr für sie. Sie horchte angespannt auf die Straße hinaus und vernahm ganz deutlich Waffengeklirr, dann einen dumpfen Schrei und eilig sich entfernende Schritte.

»Hör doch«, murmelte sie und packte Hortense ängstlich beim Arm.

»Was denn?«

»Dieser Schrei! Sicher ist jemand verwundet worden.«

»Na und? Die Nacht gehört den Räubern und Raufbolden. Keine anständige Frau würde auf den Gedanken kommen, sich nach Sonnenuntergang in Paris herumzutreiben. Außer meiner leiblichen Schwester!«

Sie hob die Kerze hoch, um Angéliques Gesicht zu beleuchten.

»Du solltest dich nur im Spiegel betrachten. Puh! Du siehst aus wie eine Dirne, die eine geschäftige Nacht hinter sich hat.«

Angélique riß ihr den Leuchter aus den Händen.

»Und du siehst wie eine alte Jungfer aus, deren Nächte zu ruhig sind. Leg dich doch wieder zu deinem eheherrlichen Staatsanwalt, der nichts Besseres zu tun weiß als zu schnarchen.«

Sie blieb lange am Fenster sitzen und konnte sich nicht entschließen, sich hinzulegen und zu schlafen. Sie weinte nicht. Sie erlebte ein zweites Mal die verschiedenen Etappen dieses furchtbaren Tages. Es kam ihr vor, als sei ein Jahrhundert seit jenem Augenblick vergangen, da Barbe mit den Worten ins Zimmer getreten war: »Hier ist gute Milch für den Kleinen.« Inzwischen war Margot ums Leben gekommen, und sie selbst hatte Joffrey betrogen.

»Wenn es mir nur nicht solches Vergnügen gemacht hätte!« sagte sie sich immer wieder; und aufs neue überkam sie ein Schauer der Wollust und des Grausens.

Die Begierde ihres Körpers entsetzte sie. Solange sie an Joffreys Seite gewesen war, hatte sie nicht gewußt, in welchem Maße sein häufig wiederholter Ausspruch zutraf: »Ihr seid für die Liebe geschaffen.«

Zuweilen hatte sich Joffrey über ihre von ihm selbst geweckte Sinnlichkeit ein wenig beunruhigt gezeigt. Sie erinnerte sich eines Sommernachmittags, als sie, seinen Liebkosungen wollüstig hingegeben, auf dem Bett gelegen hatte. Plötzlich hatte er innegehalten und unvermittelt zu ihr gesagt: »Wirst du mich betrügen?«

»Nein, niemals. Ich liebe nur dich.«

»Wenn du mich betrügst, werde ich dich töten!«

»Nun, so soll er mich töten!« dachte Angélique, sich jäh aufrichtend. »Es wird schön sein, von seiner Hand zu sterben. Ihn ganz allein liebe ich.«

In der Stille des Raums waren die regelmäßigen Atemzüge des Kindes vernehmbar. Schließlich gelang es Angélique, eine Stunde zu schlafen, aber schon im Morgengrauen war sie wieder auf den Beinen. Nachdem sie ein Tuch um ihr Haar geschlungen hatte, schlich sie auf Zehenspitzen hinunter und verließ das Haus.

Sie mischte sich unter die Mägde, unter die Handwerker- und Kaufmannsfrauen und machte sich auf den Weg nach Notre-Dame, um die Frühmesse zu hören.

In den Gassen, über denen die Nebel der Seine im Licht der ersten Sonnenstrahlen wie Zauberschleier golden erglänzten, atmete man noch die muffige Nachtluft ein. Vagabunden und Langfinger suchten ihre Schlupfwinkel auf, während Bettler, Stelzfüße, Musikanten sich an den Straßenecken zu ihrem Broterwerb niederließen. Scheele Blicke verfolgten die sittsamen Frauen, die zu ihrem Herrn beten gingen, bevor sie ihr Tagewerk begannen. Die Handwerker schlossen ihre Ladengitter auf. Die Lehrlinge der Perückenmacher liefen, Pudersäckchen und Kamm in der Hand, zu ihrer Kundschaft, um die Perücke des Herrn Rats oder des Herrn Staatsanwalts in Ordnung zu bringen.

Angélique schritt durch das düstere Hauptschiff der Kathedrale, in der die farbigen Fenster aufzuglühen begannen. In ihren Filzpantoffeln schlurfend, richteten die Küster die Monstranzen und Meßkännchen auf den Altären, füllten die Weihwasserkessel auf und reinigten die Leuchter.