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»Jemand, der es gut mit Euch meint.«
»Es scheint so. Wer ist es?«
Die andere kam näher und sagte in vertraulichem Ton:
»Ein reicher Edelmann, der sich in Eure schönen Augen verliebt hat.«
»Hört zu, Madame«, sagte Angélique, die sich alle Mühe gab, ernst zu bleiben, um die gute Dame nicht zu verletzen, »ich bin diesem Herrn sehr dankbar, wer er auch sein mag, aber ich fürchte, man versucht meine Naivität zu mißbrauchen, indem man mir solche fürstlichen Angebote macht. Dieser Herr kennt mich sehr schlecht, wenn er meint, daß allein die Schilderung solchen Glanzes mich bestimmen könnte, ihm anzugehören.«
»Lebt Ihr denn in Paris in so bequemen Verhältnissen, daß Ihr es Euch erlauben könnt, die Stolze zu spielen? Ich habe mir sagen lassen, daß Euer Besitz versiegelt sei und Ihr Eure Equipagen verkauft.«
Ihr böses Elsternauge wich nicht von dem Gesicht der jungen Frau.
»Ich sehe, daß Ihr gut informiert seid, Madame. Ich habe jedoch noch nicht die Absicht, meinen Körper zu verkaufen.«
»Wer redet denn davon, kleine Törin?« stieß Madame de Beauvais zwischen ihren schadhaften Zähnen hervor.
»Ich glaubte zu verstehen ...«
»Pah! Ihr nehmt einen Liebhaber oder Ihr laßt es bleiben. Ihr könnt meinetwegen als Nonne leben, wenn Euch das Spaß macht. Alles, was man von Euch verlangt, ist, daß Ihr auf dieses Angebot eingeht.«
»Aber ... was soll die Gegenleistung sein?« erkundigte sich Angélique verblüfft.
»Das ist doch ganz einfach«, erklärte sie in gütig-großmütterlichem Ton. »Ihr laßt Euch in jenem wunderbaren Schloß nieder. Ihr geht zum Hof. Ihr geht nach Saint-Germain, nach Fontainebleau. Nicht wahr, das wird Euch sicher Freude machen, an den Festen des Hofs teilzunehmen, umschwärmt, verwöhnt, verehrt zu werden? Natürlich, wenn Ihr großen Wert darauf legt, könnt Ihr Euch weiterhin Madame de Peyrac nennen . Aber vielleicht zieht Ihr es vor, den Namen zu wechseln. Beispielsweise in Madame de Sancé. Das klingt sehr hübsch. Es wird heißen: >Oh, da geht die schöne Madame de Sancé vorbei!< ... Na? Na? Ist das nicht nett?«
Angélique wurde ungeduldig.
»Ja, aber ... Ihr glaubt doch nicht etwa, daß ich so dumm bin, mir einzubilden, ein Edelmann würde mich mit Reichtümern überschütten, ohne eine Gegenleistung zu fordern?«
»Tja, gleichwohl trifft das beinahe zu. Alles, was man von Euch verlangt, ist, daß Ihr nur noch an Eure Toiletten, Euren Schmuck, Eure Vergnügungen denkt. Ist denn das so schwer für ein hübsches Mädchen? Ihr versteht doch?« sagte sie mit einigem Nachdruck und schüttelte Angélique dabei ein wenig. »Ihr versteht mich doch?«
Angélique starrte auf das Gesicht, das dem einer bösen Fee glich und an dessen haarigem Kinn weißer Puder haftete.
»Ihr versteht mich! An nichts mehr denken! Vergessen ...!«
»Ich soll Joffrey vergessen«, sagte sich Angélique. »Ich soll vergessen, daß ich seine Frau bin, soll die Erinnerung an ihn auslöschen, jegliche Erinnerung in mir auslöschen. Ich soll schweigen, vergessen .«
Die Vision des Giftkästchens tauchte vor ihr auf. Hier lag, das wußte sie jetzt genau, der Ursprung des Dramas. Wer konnte an ihrem Schweigen interessiert sein? An höchster Stelle stehende Persönlichkeiten: Fouquet, Fürst Condé, all jene Adligen, deren sorgfältig ausgeklügelte Verräterei seit Jahren in dem Kästchen aus Sandelholz beschlossen lag.
Angélique schüttelte gelassen den Kopf.
»Ich bedaure unendlich, Madame, aber ich bin offenbar schwer von Begriff, denn ich verstehe kein einziges Wort von alldem, was Ihr mir da auseinandergesetzt habt.«
»Nun, Ihr werdet es Euch überlegen, Teuerste, Ihr werdet es Euch überlegen. Aber nicht gar zu lange. Ein paar Tage, nicht wahr? Sagt doch selbst, mein Kind, ist es genau besehen nicht immer noch besser ...«
Sie näherte sich Angéliques Ohr und flüsterte:
». als das Leben zu verlieren?«
»Könnt Ihr Euch denken, Monsieur Desgray, mit welcher Absicht ein anonymer Edelmann mir ein Schloß und hunderttausend Livres Rente anbietet?«
»Meiner Treu«, sagte der Advokat, »ich vermute, es geschieht mit der gleichen Absicht, die ich ins Auge fassen würde, wenn ich Euch hunderttausend Livres Rente anbieten könnte.«
Angélique starrte ihn verständnislos an, dann errötete sie ein wenig unter dem kühnen Blick des jungen Mannes. Sie war noch nie darauf verfallen, ihren Advokaten von diesem speziellen Blickwinkel aus zu betrachten. In leiser Unruhe stellte sie fest, daß seine abgetragene Kleidung einen kräftigen, wohlproportionierten Körper verhüllen mußte. Mit seiner großen Nase und seinen unregelmäßigen Zähnen war er nicht hübsch, aber er hatte eine ausdrucksvolle Physiognomie. Maître Fallot behauptete, abgesehen von Talent und Bildung fehlten ihm alle Voraussetzungen für einen ehrenwerten Beamten. Er pflege keinen Umgang mit seinen Kollegen und treibe sich noch immer wie in seiner Studentenzeit in den verrufensten Kneipen herum. Das war auch der Grund, weshalb man ihm gewisse Fälle anvertraute, die Nachforschungen an Stätten erforderlich machten, wohin sich jene Herren aus der Rue Saint-Landry aus Angst um ihr Seelenheil nicht trauten.
»Nun, es ist absolut nicht so, wie Ihr denkt«, sagte Angélique. »Ich will die Frage anders stellen: Weshalb hat man zweimal versucht, mich zu ermorden, was eine viel zuverlässigere Art ist, mich zum Schweigen zu bringen?«
Das Gesicht des Advokaten verfinsterte sich jäh.
»Aha, hab’ ich mir’s doch gedacht!« sagte er.
Er gab die ungezwungene Haltung auf, in der er auf dem Tischrand in Maître Fallots kleinem Büro gehockt hatte, und ließ sich mit ernster Miene Angélique gegenüber nieder.
»Madame«, fuhr er fort, »ich flöße Euch als Rechtsberater vielleicht nicht allzuviel Vertrauen ein. Trotzdem dürfte, wie die Dinge nun einmal liegen, Euer Herr Schwager keine schlechte Wahl getroffen haben, indem er Euch an mich verwies, denn die Angelegenheit Eures Gatten erfordert eher die Fähigkeiten eines Privatdetektivs, der ich zwangsläufig geworden bin, als die Kenntnis der Paragraphen und der Prozeßordnung. Ich kann dieses Imbroglio aber nur entwirren, wenn Ihr mich über all seine einzelnen Elemente aufklärt. Zunächst eine Frage, die mir ganz besonders wichtig erscheint .«
Er stand auf, schaute hinter die Tür, hob einen Vorhang hoch, der einen Aktenschrank verbarg, kehrte zu der jungen Frau zurück und fragte mit gedämpfter Stimme:
»Von welchem Geheimnis wißt Ihr, Ihr und Euer Gatte, das imstande ist, einer der höchsten Persönlichkeiten des Königreichs Furcht einzujagen? Ich will sie nennen: Fouquet.«
Angélique erbleichte bis in die Lippen. Sie starrte den Advokaten entgeistert an.
»Ich habe mich also nicht getäuscht, wie ich sehe«, fuhr Desgray fort. »Ich erwarte täglich den Bericht eines Spitzels, den ich in Mazarins Umgebung eingeschmuggelt habe. Inzwischen hat mich ein anderer auf die Spur eines Bedienten namens Clément Tonnel gesetzt, der früher einmal im Dienste des Fürsten Condé stand .«
»Er war auch Haushofmeister bei uns in Toulouse.«
»Richtig. Dieser Bursche steht außerdem in enger Verbindung mit Fouquet. Tatsächlich arbeitet er ausschließlich für ihn, während er von Zeit zu Zeit beträchtliche Zuwendungen von seinem ehemaligen Herrn, dem Fürsten, bezieht, die er sich vermutlich durch Erpressung ergaunert. Nun eine andere Frage: Durch welche Mittelsperson hat man Euch jenen Vorschlag gemacht, Euch in solch fürstliche Verhältnisse zu begeben?«
»Durch Madame de Beauvais.«
»Aha! Diesmal ist die Sache klar. Dahinter steckt Fouquet. Er zahlt dieser alten Megäre riesige Summen, um alle Hofgeheimnisse zu erfahren. Früher stand sie im Sold Mazarins, der sich jedoch weniger großzügig zeigte als der Oberintendant. Ich füge hinzu, daß ich einer weiteren hohen Persönlichkeit auf die Spur gekommen bin, die Eures Gatten Untergang und auch den Eurigen beschlossen hat.«
»Und das wäre?«
»Monsieur, der Bruder des Königs.«
Angélique stieß einen Schrei aus. »Ihr seid verrückt!«
Der junge Mann verzog sein Gesicht zu einer hämischen Grimasse:
»Glaubt Ihr, ich habe Euch um Eure fünfzehnhundert Livres geprellt? Ich mag Euch als Hanswurst erscheinen, Madame, aber wenn die Auskünfte, die ich einhole, viel Geld kosten, so deshalb, weil sie immer stimmen. Der Bruder des Königs ist es, der Euch im Louvre eine Falle stellte und versuchte, Euch ermorden zu lassen. Ich weiß es von dem Burschen selbst, der Eure Dienerin Margot erdolchte, und es hat mich nicht weniger als zehn Finten Wein im >Roten Hahn< gekostet, um ihm dieses Geständnis zu entreißen.«
Angélique legte die Hand an die Stirn. In abgerissenen Sätzen berichtete sie Desgray den seltsamen Zwischenfall, dessen Zeuge sie einige Jahre zuvor im Schloß Plessis-Bellière gewesen war.
»Wißt Ihr, was aus Eurem Verwandten, dem Marquis du Plessis, geworden ist?«