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Andijos benahm sich seltsam gezwungen. Er hatte seine gewohnte Redseligkeit und Umgänglichkeit verloren und warf scheue Blicke auf seine Umgebung. Er erzählte noch, Toulouse sei auf die Verhaftung des Grafen Peyrac hin in große Erregung geraten, und da sich das Gerücht verbreitete, daß der Erzbischof dafür verantwortlich sei, hatten vor dem Bischofspalast Demonstrationen stattgefunden. Ratsherren hatten Andijos aufgesucht und ihn aufgefordert, sich an ihrer Spitze gegen die königliche Autorität zu empören.
Dem Marquis war es nur unter größten Schwierigkeiten gelungen, die Stadt zu verlassen und nach Paris zurückzukehren.
»Und was gedenkt Ihr jetzt zu tun?«
»Eine Weile in Paris zu bleiben. Meine Geldmittel sind leider wie die Eurigen sehr begrenzt. Ich habe einen alten Bauernhof und ein kleines Häuschen verkauft. Vielleicht kann ich bei Hof ein Amt bekommen .«
Auch seine sonst so sprudelnde Redeweise hatte ihre übermütigen Akzente eingebüßt. Der ganze Mann wirkte wie eine Fahne auf halbmast.
»O diese Leute aus dem Süden«, dachte Angélique. »Großer Mund, viel Gelächter, und wenn ein Unglück kommt, erlischt das Feuerwerk.«
»Ich möchte Euch nicht kompromittieren«, sagte sie mit fester Stimme. »Ich danke Euch für all Eure Dienste, Monsieur d’Andijos, und wünsche Euch viel Glück bei Hofe.«
Er küßte ihr wortlos die Hand und machte sich verlegen davon.
Angélique starrte auf die bunt bemalte Haustür. Wie viele Dienstboten hatten sie bereits durch diese Tür verlassen, gesenkten Blicks, aber erleichtert, der in Ungnade gefallenen Herrschaft entronnen zu sein.
Kouassi-Ba kauerte zu ihren Füßen. Sie streichelte den mächtigen, krausen Kopf, und der Riese lächelte kindlich.
In der folgenden Nacht beschloß Angélique, das Haus ihrer Schwester zu verlassen, dessen Atmosphäre allmählich unerträglich geworden war. Die kleine béar-nische Magd und Kouassi-Ba wollte sie mitnehmen. Man würde schon irgendeine bescheidene Herberge finden. Es blieben ihr noch ein paar Schmuckstücke und das Kleid aus golddurchwirktem Stoff. Was würde sie dafür bekommen?
Das Kindchen, das sie erwartete, hatte sich in ihr zu regen begonnen, aber sie dachte kaum daran, und es bewegte sie nicht im gleichen Maße wie damals bei Florimond. Nachdem die erste freudige Aufwallung vorüber war, wurde sie sich klar, daß die Ankunft eines zweiten Kindes in einem solchen Augenblick geradezu einer Katastrophe gleichkam. Aber man durfte nicht zu weit in die Zukunft schauen und mußte all seinen Lebensmut zusammenhalten.
Der nächste Morgen brachte einen Hoffnungsschimmer in Gestalt eines Pagen aus dem Haushalt Mademoiselle de Montpensiers, der in seiner gemsfarbenen Livree mit goldenen und schwarzen Samtbesätzen gar prächtig anzuschauen war. Selbst Hortense war beeindruckt.
Die Grande Mademoiselle forderte Angélique auf, sie am Nachmittag im Louvre zu besuchen. Der Page betonte ausdrücklich, daß Mademoiselle nicht mehr in den Tuilerien, sondern schon im Louvre wohne.
Zitternd vor Ungeduld, überschritt Angélique zur genannten Stunde den Pont Notre-Dame, zur größten Enttäuschung von Kouassi-Ba, der nach dem Pont-Neuf schielte. Doch Angélique wollte sich nicht von den Händlern und Bettlern belästigen lassen. Sie hatte sich ursprünglich überlegt, ob sie Hortense um die fahrbare Sänfte bitten sollte, um ihr letztes halbwegs luxuriöses Kleid zu schonen. Angesichts der verkniffenen Miene ihrer Schwester hatte sie dann
aber davon Abstand genommen.
Schließlich langte sie vor dem massigen Palaste an, dessen mit hohen Kaminen bespickte Dächer und Kuppeln in den grau verhangenen Himmel ragten, und erreichte über den Innenhof und ausladende Marmortreppen den Flügel, den man ihr als derzeitige Wohnung Mademoiselles bezeichnet hatte. Sie erschauerte leise, als sie sich in den langen Gängen wiederfand, die trotz ihrer vergoldeten Kassettendecken, ihrer blumenverzierten Täfelungen und kostbaren Wandteppiche düster wirkten. Blut- und grauenerfüllte Geschichte wurde bei jedem Schritt in diesem alten Königsschloß lebendig, in dem gleichwohl der Hof eines sehr jungen Königs ein wenig Fröhlichkeit zu wecken suchte.
Monsieur de Préfontaines, der sie bei Mademoiselle de Montpensier empfing, machte sich unbewußt zum Echo von Angéliques düsteren Gedanken.
Da Mademoiselle bei ihrem Maler in der Großen Galerie war, geleitete er die junge Frau dorthin.
Zerknirscht schritt er an ihrer Seite einher. Er war ein Mann in mittlerem Alter, verständig und klug, dessen Ratschlägen die Grande Mademoiselle so viel Wert beimaß, daß die Königin-Mutter, um sie zu ärgern, bereits zweimal die Verbannung des armen Mannes verlangt hatte.
Obwohl ihr nicht danach zumute war, bemühte sich Angélique, ihn zu unterhalten, und erkundigte sich nach den Plänen Mademoiselles. Ob sich denn die Prinzessin nicht bald im Luxembourg-Palais niederlassen werde, wie es vorgesehen sei?
Monsieur de Préfontaines seufzte. Mademoiselle habe sich’s in den Kopf gesetzt, ihre Wohnung im Luxembourg-Palais neu richten zu lassen, obwohl sie doch sehr schön und fast neu sei. In der Zwischenzeit habe sie sich im Louvre einquartiert, da sie das Zusammenwohnen mit Monsieur, dem Bruder des Königs, in den Tuilerien nicht ertrage. Andererseits hoffe Mademoiselle immer noch, in die Tuilerien zurückkehren zu können, da ja viel von der ehelichen Verbindung zwischen Monsieur und der jungen Henriette von England und von der Übersiedlung des jungen Paars in das Palais Royal geredet werde.
»Ich für meine Person, Madame«, schloß Monsieur de Préfontaines, »bin der Ansicht: ob Luxembourg oder Tuilerien, alles andere ist besser, als im Louvre zu wohnen.«
Sie waren im dunklen und feuchten Tunnel der unteren Galerie angelangt, im Erdgeschoß der Großen Galerie. Seit den Zeiten Heinrichs IV. waren hier Künstlern und Handwerkern Räume vorbehalten. Bildhauer, Maler, Uhrmacher, Edelsteingraveure, Waffenschmiede, die geschicktesten Vergolder, Da-maszierer, Instrumentenmacher, Tapezierer, Buchdrucker wohnten hier mit ihren Familien auf Kosten des Königs. Hinter den Türen aus massivem, lak-kiertem Holz hörte man das Klopfen der Hämmer, das Klappern der Webstühle, den dumpfen Stoß der Druckerpressen.
Der Maler, von dem Mademoiselle de Montpensier sich porträtieren ließ, war ein blondbärtiger, hochgewachsener Holländer, mit frischen, blauen Augen in einem rosigen Gesicht. Als bescheidener und begabter Künstler setzte van Ossel den Launen der Damen des Hofes die Festung eines friedlichen Wesens und eines mangelhaften Französisch entgegen. Wenn die Mehrzahl der Großen ihn duzte, wie es einem Diener oder Handwerker gegenüber üblich war, so ließ er nichtsdestoweniger seine Klienten nach seiner Pfeife tanzen.
So hatte er gewünscht, Mademoiselle mit einer entblößten Brust zu malen, und im Grunde hatte er gar nicht so unrecht, denn eben dies war das vollkommenste, was die robuste Junggesellin auf zuweisen hatte. Wenn, wie zu vermuten stand, das Gemälde für irgendeinen neuen Bewerber bestimmt war, würde die Beredtheit dieser runden, weißen verführerischen Fülle den Wert ihrer Mitgift und ihrer Adelstitel um ein bedeutendes steigern.
Mademoiselle, mit einem üppigen, faltenreichen dunkelblauen Samtstoff drapiert und von Perlen und Geschmeide starrend, lächelte Angélique zu. »Einen Augenblick noch, mein Kind. Van Ossel, entschließe dich endlich, meiner Marter ein Ende zu bereiten!«
Der Maler brummelte etwas in seinen Bart und setzte um der Form willen der einzigartigen Brust, dem Hauptobjekt seiner Sorgfalt, noch einige Glanzlichter auf.
Während eine Kammerzofe Mademoiselle de Mont-pensier beim Ankleiden behilflich war, überließ der Maler seine Pinsel einem kleinen Jungen, der sein Sohn zu sein schien und ihm als Gehilfe diente. Er betrachtete Angélique und ihren Gefolgsmann Kouassi-Ba mit großem Interesse. Schließlich zog er seinen Hut und vollführte eine tiefe Verbeugung vor Angélique. »Madame, wollt Ihr, daß ich Euch male? Oh, sehr schön! Die helle Frau und der kohlschwarze Mohr. Die Sonne und die Nacht ...«
Angélique lehnte das Anerbieten mit einem Lächeln ab. Es war nicht der geeignete Moment. Vielleicht später einmal .
Sie stellte sich das große Gemälde vor, das in einem der Salons des Palastes im Stadtviertel Saint-Paul aufgehängt werden sollte, wenn sie sich erst nach dem Sieg mit Joffrey dort niederlassen würde.
Auf dem Weg zu ihrem Appartement nahm die Grande Mademoiselle Angélique beim Arm und schnitt alsbald in ihrer gewohnten ungestümen Art das Thema an.
»Mein liebes Kind, ich hoffte, Euch nach einigen Nachforschungen bestätigen zu können, daß es sich bei der Angelegenheit Eures Gatten um ein Mißverständnis handelt, bewirkt durch einen gekränkten Höfling, der sich beim König wichtig tun wollte, oder durch Verleumdungen eines von Monsieur de Peyrac abgewiesenen Bittstellers, der sich zu rächen suchte. Aber ich fürchte jetzt, daß die Sache ziemlich langwierig und kompliziert ist.«
»Um Gottes willen, Hoheit, was habt Ihr in Erfahrung gebracht?«
»Wartet, bis wir bei mir sind und keine Lauscher zu befürchten haben.«
Als sie auf einem bequemen Ruhebett nebeneinander Platz genommen hatten, fuhr Mademoiselle fort:
»Offen gesagt, ich habe sehr wenig erfahren, und wenn man bedenkt, wieviel sonst bei jeder Gelegenheit am Hofe geklatscht wird, muß ich gestehen, daß eben dieses Schweigen mich beunruhigt. Die Leute wissen nichts oder tun so, als ob sie nichts wüßten.« Sie fügte zögernd und mit gedämpfter Stimme hinzu: »Euer Gatte ist der Hexerei angeklagt.«
Um die gute Prinzessin nicht zu verstimmen, unterdrückte Angélique die Bemerkung, daß sie es bereits wisse.
»Das ist nicht schlimm«, fuhr Mademoiselle de Montpensier fort, »und die Sache hätte sich mühelos erledigt, wäre Euer Gatte einem Kirchengericht übergeben worden, wie es der Gegenstand der Anklage eigentlich vorschreibt. Ich will Euch nicht verheimlichen, daß ich die Leute von der Kirche zuweilen einigermaßen empfindlich und rücksichtslos finde, aber man muß anerkennen, daß ihre Rechtsprechung, wenn sie sich mit Dingen befaßt, die innerhalb ihres Kompetenzbereichs liegen, meistens gerecht und klug ist. Aber das Entscheidende ist die Tatsache, daß man Euern Gatten trotz dieser speziellen Anschuldigung der weltlichen Gerichtsbarkeit unterstellt hat. Und da mache ich mir keine Illusionen. Wenn es zu einem Verfahren kommt, was keineswegs sicher ist, wird der Ausgang einzig von der Persönlichkeit der Geschworenen abhängen.«
»Wollt Ihr damit sagen, Hoheit, daß die weltlichen Richter voreingenommen sein könnten?«
»Das hängt davon ab, wen man dazu bestimmt.«
»Und wer bestimmt sie?«
»Der König.«
Angesichts der verängstigten Miene der jungen Frau erhob sich die Prinzessin, legte die Hand auf Angéliques Schulter und bemühte sich, sie aufzuheitern. Alles würde gut enden, dessen war sie gewiß. Aber man mußte auf den Grund der Sache vorstoßen. Ohne Anlaß sperrte man einen Mann von der Stellung und dem Range eines Monsieur de Peyrac nicht unter solchen Geheimhaltungsmaßregelnein. Sie war bei ihren Nachforschungen bis zum Erzbischof von Paris vorgedrungen, dem Kardinal de Gondi, einem ehemaligen Anhänger der Fronde, der mit Monseigneur de Fontenac auf gespanntem Fuß stand.
Durch diesen Kardinal, von dem kaum anzunehmen war, daß er die Handlungen seines mächtigen toulousanischen Rivalen billigte, hatte sie erfahren, daß zwar der Erzbischof von Toulouse tatsächlich die erste Anklage wegen Hexerei veranlaßt zu haben schien, dann aber auf undurchsichtige Weise gezwungen worden war, zugunsten der königlichen Gerichtsbarkeit auf seinen Angeklagten zu verzichten.
»Die Eminenz von Toulouse hatte in Wirklichkeit nicht die Absicht, die Dinge so weit zu treiben, und da sie zumindest im Fall Eures Gatten nicht an Hexerei glaubte, hätte sie sich damit begnügt, ihm entweder vor dem Kirchentribunal oder vor dem Parlament von Toulouse einen Verweis zu erteilen. Aber man hat ihr den Angeklagten durch einen speziellen und von langer Hand vorbereiteten Verhaftbefehl aus den Händen gerissen.«
Mademoiselle erklärte dann, sie sei, während sie ihre Nachforschungen auf ihre hohe Verwandtschaft ausgedehnt habe, immer mehr zur Überzeugung gekommen, daß man Joffrey de Peyrac der geplanten Aktion des Parlamentstribunals von Toulouse gewaltsam entzogen habe.
»Ich weiß es aus dem Munde von Monsieur Masse-neau selbst, einem ehrenwerten Parlamentarier des Languedoc, der soeben aus mysteriösen Gründen nach Paris beordert wurde und vermutet, daß es sich dabei um die Angelegenheit Eures Gatten handelt.«
»Masseneau?« sagte Angélique nachdenklich.