142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 73

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Plötzlich sah sie den bändergeschmückten kleinen Mann mit dem roten Gesicht vor sich, der auf der staubigen Landstraße von Salsigne dem unverschämten Grafen Peyrac mit dem Stock gedroht und ihm nachgerufen hatte: »Ich werde dem Statthalter des Languedoc schreiben ... dem Ministerrat des Königs ...!«

»O mein Gott«, murmelte sie, »das ist ein Feind meines Gatten.«

»Ich habe persönlich mit diesem Beamten gesprochen«, sagte die Herzogin von Montpensier, »und obwohl er bürgerlicher Herkunft ist, hat er einen recht ehrlichen und würdigen Eindruck auf mich gemacht. Tatsächlich fürchtet er sehr, in der Angelegenheit des Grafen Peyrac zum Geschworenen bestimmt zu werden, zumal bekannt ist, daß er eine Auseinandersetzung mit ihm hatte. Er sagte, daß Beleidigungen, die man in der Mittagshitze einander an den Kopf werfe, keinen Einfluß auf den Lauf der Gerechtigkeit hätten und daß es ihm sehr peinlich wäre, sich zu einem Scheinprozeß hergeben zu müssen.«

Angélique hatte sich nur ein einziges Wort eingeprägt: Prozeß!

»Man denkt also daran, einen Prozeß zu eröffnen? Ein Advokat, von dem ich mich beraten ließ, sagte mir, es sei schon viel gewonnen, wenn man das erreichte, vor allem, wenn er sich vor einem Tribunal des Parlaments von Paris abspielte. Die Anwesenheit dieses Masseneau, der selbst Parlamentsmitglied ist, beweist ja eigentlich, daß es dazu kommen wird.«

Mademoiselle de Montpensier verzog ihr Gesicht zu einer Grimasse, die sie nicht eben verschönte.

»Ihr wißt ja, meine Liebe, daß ich mich in den Kniffen und Rechtsverdrehungen der Leute vom Gericht ganz gut auskenne. Nun, Ihr könnt mir glauben, daß ein aus Parlamentariern zusammengesetztes Tribunal Eurem Gatten nichts nutzen würde, weil fast alle Parlamentarier Fouquet, dem derzeitigen Oberintendanten der Finanzen, verpflichtet sind und sich nach seinen Anweisungen richten würden, um so mehr, als dieser ein ehemaliger Präsident des Parlaments von Paris ist.«

Angélique erschrak zutiefst. Fouquet! Da zeigte also das unheimliche Eichhörnchen wieder einmal seine scharfen Zähne.

»Weshalb sprecht Ihr mir von Monsieur Fouquet?« fragte Angélique mit unsicherer Stimme. »Ich schwöre Euch, daß mein Gatte nichts getan hat, was ihm dessen Zorn zugezogen haben könnte. Im übrigen hat er ihn nie gesehen!« Mademoiselle zuckte die Schultern. »Ich persönlich habe keine Spione in Fouquets Umgebung. Dergleichen ist nicht meine Sache, wenn ich es auch diesmal im Interesse Eures Gatten bedaure. Aber durch den Bruder des Königs, der, wie ich vermute, ebenfalls in Fouquets Sold steht, habe ich erfahren, daß Ihr beide, Ihr und Euer Gatte, ein Fouquet betreffendes Geheimnis bewahrt.«

Angélique blieb das Herz stehen. Sollte sie sich ihrer großen Beschützerin rückhaltlos anvertrauen? Sie war nahe daran, es zu tun, erinnerte sich aber noch rechtzeitig, wie unbedacht diese war und wie unfähig dazu, den Mund zu halten.

Die junge Frau seufzte und sagte mit abgewandtem Blick:

»Was kann ich über diesen mächtigen Herrn wissen, dem ich nie begegnet bin? Freilich erinnere ich mich, daß man, als ich noch klein war, von einer angeblichen Verschwörung der Edelleute sprach, in die Fouquet, der Fürst Condé und andere große Namen verwickelt waren. Bald darauf kam es zur Fronde.«

Es war recht gewagt, der Grande Mademoiselle gegenüber solche Äußerungen zu machen, aber diese nahm keinen Anstoß an ihnen und versicherte, ihr Vater habe sein Leben auch mit dem Anstiften von Verschwörungen verbracht.

»Das war sein Hauptlaster. Im übrigen war er zu gut und zu weich, um die Zügel des Königreichs in die Hand zu nehmen. Jedenfalls hat er nicht konspiriert, um sich zu bereichern.«

»Wohingegen mein Gatte reich geworden ist, ohne zu konspirieren«, sagte Angélique mit einem matten Lächeln. »Vielleicht ist es das, was ihn verdächtig macht.«

Mademoiselle stimmte zu und gab außerdem zu bedenken, daß die mangelnde Fähigkeit des Schmeichelns bei Hofe als ein schwerwiegender Fehler gewertet werde. Aber das allein rechtfertige noch nicht einen vom König unterschriebenen geheimen Verhaftbefehl.

»Da muß noch etwas anderes im Spiel sein«, versicherte die Grande Mademoiselle und wiederholte damit unbewußt den Ausspruch des Advokaten Desgray. »Jedenfalls kann einzig und allein der König einschreiten. Oh, er ist nicht leicht zu beeinflussen! Mazarin hat ihn auf die florentinische Diplomatie dressiert. Man kann ihn lächeln und sogar mit einer Träne im Auge sehen, denn er ist zartfühlend . während er gleichzeitig den Dolch zückt, um einen Freund ins Jenseits zu befördern.«

Da sie sah, daß Angélique erblaßte, legte sie den Arm um ihre Schulter und sagte in jovialem Ton:

»Ich rede dummes Zeug, wie immer. Man darf mich nicht ernst nehmen. Niemand nimmt mich mehr ernst in diesem Königreich. Deshalb komme ich zum Ende: Wollt Ihr den König sprechen?«

Und als Angélique sich unter der Einwirkung der unaufhörlichen kalten Duschen der Grande Mademoiselle zu Füßen warf, brachen beide in Tränen aus. Worauf Mademoiselle de Montpensier ihr mitteilte, die hochnotpeinliche Audienz sei bereits anberaumt und der König werde Madame de Peyrac in zwei Stunden empfangen.

Weit davon entfernt, außer Fassung zu geraten, fühlte sich Angélique von einer merkwürdigen Ruhe durchdrungen. Dieser Tag würde, das wußte sie nun, von entscheidender Bedeutung für sie sein.

Da ihr keine Zeit blieb, nach Saint-Landry zurückzukehren, bat sie Mademoiselle um die Erlaubnis, sich deren Puder und Schminke bedienen zu dürfen, um einigermaßen präsentabel zu sein. Mademoiselle lieh ihr bereitwillig eine ihrer Kammerfrauen dazu.

Vor dem Spiegel des Frisiertischs fragte sich Angélique, ob sie wohl noch hübsch genug sei, um den König günstig zu stimmen. Ihre Taille war stärker geworden, ihr einstmals kindlich-rundes Gesicht jedoch wesentlich schmaler. Zarte Ringe umgaben ihre Augen, und ihr Teint war blaß. Nach strenger Prüfung fand sie, daß das länglichere Gesicht und die durch die bläulichen Schatten größer wirkenden Augen ihr gar nicht übel standen. Es verlieh ihr einen pathetischen, rührenden Ausdruck, der nicht ohne Reiz war.

Sie legte ganz wenig Schminke auf, befestigte ein schwarzes Schönheitspflästerchen in der Schläfengegend und überließ sich den geschickten Händen der Friseuse.

Das Kleid sah noch sehr schön aus, nur sein Saum war durch den zähen Pariser Straßenschmutz verdorben. Doch sagte sie sich, daß der König ja schließlich wußte, daß man ihren gesamten Besitz versiegelt hatte, und sich nicht darüber wundern würde, daß sie in Bedrängnis war.

Sie bedauerte, keine Zeit zu haben, sich vorher mit Desgray zu besprechen. Sollte sie sich dem König gegenüber in plumpen, höfischen Schmeicheleien ergehen? Solche Worte würden in ihrem Munde unecht klingen! Sie beschloß, eine vertrauensvolle Haltung einzunehmen, ihrem festen Glauben an den Gerechtigkeitssinn des Monarchen Ausdruck zu geben. Sie würde ihm die Schuldlosigkeit ihres Gatten darlegen, ihm begreiflich machen, daß es einem König wie Ludwig XIV. übel anstünde, wenn er sich weigerte, Milde walten zu lassen.

Angélique betrachtete sich noch immer im Spiegel, und sie sah ihre grünen Augen funkeln wie die einer Katze in der Nacht.

»Das bin nicht mehr ich«, sagte sie zu sich. »Aber es ist gleichwohl eine verführerisch schöne Frau. Oh, der König kann unmöglich unbeeindruckt bleiben. Nur empfinde ich nicht genug Demut vor ihm. O mein Gott, mach, daß ich demütig bin!«

Angélique richtete sich klopfenden Herzens aus ihrem tiefen Knicks auf.

Der König stand vor ihr. Seine hohen, lackierten Holzabsätze verursachten kein Geräusch auf dem dicken Wollteppich.

Angélique bemerkte, daß die Tür des kleinen Kabinetts sich wieder geschlossen hatte und daß sie mit dem Monarchen allein war. Sie empfand ein Gefühl der Befangenheit, ja geradezu der Panik. Bisher hatte sie den König immer nur inmitten einer dichten Menschenmenge gesehen. So war er ihr nicht eigentlich echt und lebendig erschienen; er hatte wie ein Schauspieler auf der Bühne gewirkt.

Jetzt spürte sie die ein wenig massige Gegenwart des Menschen, sie roch das diskrete Parfüm des Irispuders, mit dem er sein üppiges braunes Haar bleichte. Und dieser Mensch war der König.

Sie zwang sich, den Blick zu ihm zu erheben. Ludwig XIV. war ernst und ungerührt. Man hätte meinen mögen, er suche sich des Namens dieser jungen Frau zu erinnern, obgleich die Grande Mademoiselle sie kurz zuvor angemeldet hatte. Angélique fühlte sich unter seinem kalten Blick wie gelähmt.

Sie wußte nicht, daß Ludwig XIV. zwar nicht die Schlichtheit seines Vaters, wohl aber dessen Schüchternheit geerbt hatte. Empfänglich für Prunk und Ehrerbietung wie er war, beherrschte er nach bestem Vermögen dieses Minderwertigkeitsgefühl, das mit der Erhabenheit seines Titels so wenig in Einklang stand. Aber obwohl verheiratet und bereits höchst galant, verlor er noch immer die Fassung, wenn er einer schönen Frau gegenübertrat.

Nun, Angélique war schön. Sie hatte vor allem, was sie nicht wußte, eine stolze Kopfhaltung und in ihrem Blick einen zugleich zurückhaltenden und kühnen Ausdruck, den man zuweilen als Herausforderung auslegen konnte, aber auch als die Unschuld eines unberührten, lauteren Wesens. Ihr Lächeln verwandelte sie und offenbarte ihre Aufgeschlossenheit dem Leben gegenüber.

Doch in diesem Augenblick lächelte Angélique nicht. Sie mußte warten, bis der König das Wort an sie richtete, und angesichts des langen Schweigens wuchs ihre Beklommenheit.

Endlich ließ sich der König vernehmen:

»Ich erkenne Euch kaum wieder, Madame. Habt Ihr das wundervolle Goldkleid nicht mehr, das Ihr in Saint-Jean-de-Luz trugt?«

»Ich schäme mich wirklich, Sire, in einem so schlichten und abgetragenen Kleid vor Euch erscheinen zu müssen. Aber es ist das einzige, das ich noch besitze. Euer Majestät ist gewiß bekannt, daß mein gesamter Besitz versiegelt ist.«

Das Gesicht des Königs nahm einen kühlen Ausdruck an, dann entschloß er sich plötzlich zu einem Lächeln.

»Ihr kommt sehr rasch auf Euer Thema zu spre-chen, Madame. Aber eigentlich habt Ihr ganz recht. Ihr erinnert mich daran, daß die Zeit eines Königs kostbar ist und daß er sie nicht mit albernen Umschweifen vertrödeln sollte. Ihr seid ein wenig streng, Madame.«

Zarte Röte stieg in die blassen Wangen der jungen Frau, und sie lächelte verlegen.

»Nichts liegt mir ferner, als Euch an die ernsten Pflichten zu erinnern, die auf Euch lasten, Sire. Ich habe nur in aller Bescheidenheit Eure Frage beantworten wollen und möchte nicht, daß Eure Majestät mich für nachlässig hält, weil ich in so abgetragener Kleidung und mit allzu schlichtem Schmuck vor Euch erscheine.«

»Ich habe keinen Befehl erlassen, Euren persönlichen Besitz zu beschlagnahmen. Und ich habe sogar ausdrücklich Anweisung gegeben, Madame de Peyrac volle Bewegungsfreiheit zu lassen und sie in keiner Weise zu belästigen.«

»Ich bin Eurer Majestät für die mir erwiesene Aufmerksamkeit unendlich dankbar«, sagte Angélique mit einer Verneigung. »Aber ich habe nichts, was mir persönlich gehört, und da ich so rasch wie möglich in Erfahrung bringen wollte, was mit meinem Gatten geschehen war, bin ich mit nichts anderem als meinem Reisebedarf und einigen Schmuckstücken nach Paris gefahren. Aber ich komme nicht zu Euch, um zu klagen, Sire. Meine einzige Sorge ist das Schicksal meines Gatten.«

Sie verstummte und unterdrückte die Flut von Fragen, die ihr auf der Zunge lagen: Weshalb habt Ihr ihn verhaftet? Was werft Ihr ihm vor? Wann gebt Ihr ihn mir zurück?

Ludwig XIV. betrachtete sie mit unverhohlener Neugier.

»Es ist mir unbegreiflich, Madame, wie eine so schöne Frau in einen so abstoßenden Gatten vernarrt sein kann!«

Der verächtliche Ton des Monarchen wirkte auf Angélique wie ein Dolchstoß. Sie verspürte quälenden Schmerz. Empörung funkelte in ihren Augen.