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»Ich stehe im Dienste Monseigneurs«, erwiderte er.
Und dank der Macht der Gewohnheit setzte er hinzu: »Wenn Frau Gräfin vergeben wollen.«
»Ich vergebe Euch gern«, sagte Angélique, die plötzlich einen nervösen Lachreiz verspürte, »aber weshalb haltet Ihr eine Pistole in der Hand?«
Der Haushofmeister sah verlegen auf seine Waffe, trat jedoch zum Bett, an das Angélique sich noch immer lehnte.
Philippe d’Orléans hatte die Schublade des Nachttischchens herausgezogen und entnahm ihr ein zur Hälfte mit einer schwärzlichen Flüssigkeit gefülltes Glas.
»Madame«, sagte er feierlich, »Ihr werdet sterben.«
»Wirklich?« antwortete Angélique.
Sie betrachtete die drei, die da vor ihr standen. Es war ihr, als teile sich ihr Wesen. Tief drinnen in ihr rang eine zur Verzweiflung getriebene Frau die Hände und rief: »Erbarmen, ich will nicht sterben!« Eine andere, überlegenere dachte: »Wie lächerlich sie sind! All das ist ein übler Scherz.«
»Madame, Ihr habt uns zum Narren gehalten«, erklärte der kleine Monsieur, in dessen Gesicht es ungeduldig zuckte. »Ihr werdet sterben, aber wir sind großmütig: Ihr dürft zwischen Gift, Stahl und Feuer wählen.«
Ein Windstoß rüttelte heftig an der Tür und drückte aus dem Kamin beizenden Rauch ins Innere des Raums. Angélique hatte hoffnungsvoll den Kopf gehoben.
»O nein, es wird niemand kommen!« lachte der Bruder des Königs höhnisch. »Dieses Bett ist Euer Sterbebett, Madame. Man hat es für Euch gerichtet.«
»Aber was habe ich denn getan?« rief Angélique, der der Angstschweiß auszubrechen begann. »Ihr redet von meinem Tode wie von einer natürlichen, unumgänglichen Sache. Erlaubt mir, anderer Meinung zu sein. Der größte Verbrecher hat das Recht zu erfahren, wessen man ihn beschuldigt, um sich zu verteidigen.«
»Die geschickteste Verteidigung wird auf den Urteilsspruch keinen Einfluß haben, Madame.«
»Nun, wenn ich sterben muß, sagt mir wenigstens, weshalb«, erwiderte die junge Frau heftig. Es kam darauf an, Zeit zu gewinnen.
Der junge Prinz warf einen fragenden Blick auf seine Genossen.
»Da ohnehin Eure letzte Stunde geschlagen hat, sehe ich nicht ein, warum wir unnötig unmenschlich sein sollten«, sagte er in zuckersüßem Ton. »Madame, Ihr seid nicht so ahnungslos, wie Ihr tut. Ihr wißt doch, in wessen Auftrag wir hier sind?«
»Des Königs?« fragte Angélique, Respekt heuchelnd.
Philippe d’Orléans hob seine schwächlichen Schultern.
»Der König taugt gerade noch dazu, Leute ins Gefängnis zu schicken, auf die man ihn eifersüchtig macht. Nein, Madame, es handelt sich nicht um Seine Majestät.«
»Von wem sonst läßt sich der Bruder des Königs Aufträge erteilen?«
Der Prinz zuckte zusammen.
»Ich finde Eure Sprache reichlich kühn, Madame. Ihr macht mich ärgerlich.«
»Und ich finde, daß Ihr und Eure Familie reichlich empfindliche Leute seid«, gab Angélique zurück, deren Zorn die Angst besiegte. »Ob man Euch feiert oder hätschelt, Ihr ärgert Euch, weil der Edelmann, der Euch bei sich empfängt, reicher zu sein scheint als Ihr. Wenn man Euch Geschenke darbringt, so ist das eine Unverschämtheit; wenn man Euch nicht ehrerbietig genug grüßt, desgleichen. Wenn man nicht wie ein Bettler lebt und nicht so lange die Hand hinhält, bis der Staat ruiniert ist, wie das so üblich ist, dann ist das verletzende Arroganz. Wenn man seine Steuern auf Heller und Pfennig bezahlt, so ist das eine Herausforderung ... Eine Bande von Zänkern, das ist es, was Ihr seid, Ihr, Euer Bruder, Eure Mutter und Eure ganze heimtückische Vetternschaft: Condé, Montpensier, Soissons, Guise, Lorraine, Vendôme ...«
Sie hielt, völlig außer Atem gekommen, inne.
Philippe d’Orléans spreizte sich auf seinen hohen Holzhacken wie ein junger Hahn und warf einen empörten Blick auf seinen Günstling.
»Habt Ihr jemals auf so unverschämte Weise über die königliche Familie reden hören?«
Der Chevalier de Lorraine lächelte grausam.
»Beleidigungen töten nicht, Monseigneur. Machen wir Schluß, Madame.«
»Ich will wissen, warum ich sterbe«, sagte Angélique hartnäckig. Zu allem entschlossen, um ein paar Minuten zu gewinnen, setzte sie überstürzt hinzu:
»Ist es wegen Monsieur Fouquet?«
Der Bruder des Königs konnte ein befriedigtes Lächeln nicht unterdrücken. »Euer Gedächtnis läßt Euch also doch nicht ganz im Stich? Ihr wißt, weshalb Monsieur Fouquet soviel an Eurem Schweigen liegt?«
»Ich weiß nur eines, nämlich daß ich vor Jahren den Giftanschlag zum Scheitern brachte, der Euch aus dem Wege räumen sollte, Euch, Monsieur, sowie den König und den Kardinal, und daß ich heute zutiefst bedauere, daß der von Monsieur Fouquet und dem Fürsten Condé eingefädelte Anschlag nicht geglückt ist.«
»Ihr gesteht also?«
»Ich habe nichts zu gestehen. Der Verrat dieses Bedienten hat Euch weitgehend darüber informiert, was ich wußte und was ich meinem Gatten anvertraute. Ich habe Euch einmal das Leben gerettet, Monseigneur, und das ist nun der Dank!«
Einen Augenblick lang schien es, als sei der junge Mann von Angéliques Worten beeindruckt. Sein egozentrisches Wesen machte ihn für alles empfänglich, was ihn betraf.
»Was vergangen ist, ist vergangen«, sagte er zögernd. »Seitdem hat mich Monsieur Fouquet mit Wohltaten überhäuft. Es ist nur gerecht, wenn ich die Drohung beseitige, die auf ihm lastet. Wirklich, Madame, mir blutet das Herz, aber es ist zu spät. Warum seid Ihr nicht auf den vernünftigen Vorschlag eingegangen, den Monsieur Fouquet Euch durch Vermittlung von Madame de Beauvais gemacht hat?«
»Ich glaubte zu verstehen, daß ich dann meinen Gatten seinem traurigen Schicksal überlassen müßte.«
»Allerdings. Man kann einen Grafen Peyrac nur dadurch zum Schweigen bringen, daß man ihn zwischen Gefängnismauern einschließt. Aber eine Frau, die von Luxus und Ruhm umgeben ist, vergißt rasch die Erinnerungen, die sie vergessen soll. Doch es ist zu spät. Also, Madame .«
»Und wenn ich Euch sagte, wo jenes Kästchen sich befindet?« schlug Angélique vor, indem sie ihn an den Schultern packte. »Ihr, Monseigneur, Ihr ganz allein hieltet die Macht in Händen, Monsieur Fouquet in Schrecken zu setzen, zu beherrschen, und dazu den Beweis des Verrats so vieler großer Herren, die Euch über die Schulter ansehen und nicht ernst nehmen .«
Ein Funke des Ehrgeizes blitzte in den Augen des jungen Prinzen auf, und er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Doch nun packte ihn der Chevalier de Lorraine und zog ihn zu sich, als wolle er ihn Angéliques unheilvoller Unklammerung entreißen.
»Seht Euch vor, Monseigneur. Laßt Euch von dieser Frau nicht erweichen. Sie sucht sich uns durch lügnerische Versprechungen zu entwinden. Es ist besser, sie nimmt ihr Geheimnis mit ins Grab. Besäßet Ihr es, so würdet Ihr zweifellos sehr mächtig sein, aber Eure Tage wären gezählt.«
An die Brust seines Günstlings geschmiegt, beglückt über diesen männlichen Schutz, dachte Philippe d’Orléans nach.
»Ihr habt recht wie immer, Liebster«, seufzte er. »Nun, so laßt uns unsre Pflicht tun. Madame, wofür entscheidet Ihr Euch: das Gift, den Degen oder die
Pistole?«
»Entschließt Euch rasch«, fiel der Chevalier de Lorraine drohend ein. »Andernfalls werden wir für Euch wählen.«
Der Augenblick der Hoffnung war für Angélique vorüber. Ihre Lage war nicht weniger grausig und ausweglos als zuvor.
Die drei Männer standen vor ihr. Sie hätte sich nicht von der Stelle zu rühren vermocht, ohne vom Degen des Chevaliers oder von Cléments Pistole aufgehalten zu werden. Kein Klingelzug war in Reichweite. Kein Laut kam von draußen. Einzig das Knistern der Holzscheite im Kamin und das Prasseln der Regentropfen an den Fensterscheiben unterbrachen die erdrückende Stille. In ein paar Sekunden würden ihre Mörder sich auf sie stürzen. Angéliques Augen hefteten sich auf die Waffen. Durch die Pistole oder den Degen würde sie zuverlässig sterben. Aber vielleicht konnte das Gift ihr nichts anhaben? Seit über einem Jahr nahm sie täglich die winzige Dosis toxischer Produkte zu sich, die Joffrey ihr zubereitet hatte.
Sie streckte die Hand aus und bemühte sich, sie ruhig zu halten.
»Gebt!« flüsterte sie.