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Baron Armand, bis zu den Knien verschmutzt, eilte herbei.
»Herr Marquis du Plessis, welche Überraschung! Weshalb habt Ihr mir keinen Boten geschickt, um mir Euer Kommen zu melden?«
»Offen gestanden, Herr Vetter, ich hatte die Absicht, mich direkt nach Schloß Plessis zu begeben, aber unsere Reise ist nicht frei von Mißgeschick gewesen: Wir haben in der Gegend von Neuchaut einen Achsenbruch gehabt. Verlorene Zeit. Es wird Nacht, und wir sind durchgefroren. Als wir an Eurer Besitzung vorbeikamen, fiel mir ein, wir könnten Euch ohne alle Umstände um Gastfreundschaft bitten. Wir haben unsere Betten und unsere Reisekoffer dabei, welche die Diener in den Zimmern aufstellen werden, die Ihr ihnen anweist. Und wir werden so das Vergnügen haben, uns unverweilt zu unterhalten. Philippe, begrüße deinen Onkel de Sancé und die ganze charmante Truppe seiner Erben.«
Solchermaßen angeredet, trat der schöne Jüngling mit resignierter Miene vor und neigte tief seinen blonden Kopf zu einer Begrüßung, die angesichts des rustikalen Äußeren desjenigen, dem sie galt, etwas übertrieben wirkte. Dann küßte er fügsam die dicken und schmutzigen Wangen seiner jungen Verwandten, worauf er abermals sein Spitzentaschentuch hervorzog und es mit hochmütiger Miene vor die Nase hielt.
»Mein Sohn ist ein rechter Höfling, der an das Land nicht gewöhnt ist«, erklärte der Marquis. »Er versteht nur, auf der Gitarre zu klimpern. Aber man kommt in Eurer Halle vor Kälte um, mein Lieber. Kann ich meine reizende Kusine begrüßen?«
Der Baron äußerte, er vermute, daß die Damen sich beim Anblick der Equipagen in ihre Gemächer gestürzt hätten, um sich umzukleiden, daß jedoch sein Vater, der alte Baron, erfreut sein werde, die Gäste zu sehen.
Angélique bemerkte den verächtlichen Blick, den ihr junger Vetter auf den verwohnten, düsteren Salon warf. Philippe du Plessis hatte sehr helle blaue Augen, die aber kalt wie Stahl wirkten. Der gleiche Blick, der die verblichenen Tapeten, das kümmerliche Feuer im Kamin und sogar den alten Großvater mit seiner altmodischen Halskrause gestreift hatte, wandte sich nach der Tür, und die blonden Brauen des Jünglings hoben sich, während sein Mund sich zu einem spöttischen Lächeln verzog: Madame de Sancé trat in Begleitung Hortenses und der beiden Tanten ein. Sie hatten gewiß ihre Staatskleider angelegt, aber die schäbige, längst aus der Mode gekommene Pracht schien auf den Jungen lächerlich zu wirken, denn er begann in sein Taschentuch zu prusten.
Angélique, die ihn nicht aus den Augen ließ, verspürte die größte Lust, ihm mit allen vieren ins Gesicht zu springen. War nicht vielmehr er selber lächerlich mit all seinen Spitzen, den wehenden Bändern auf der Schulter und den von der Schulter bis zu den Handgelenken aufgeschlitzten Ärmeln, die das feine Leinen des Hemdes sichtbar machen sollten?
Sein schlichterer Vater verneigte sich vor den Damen, wobei er mit der schönen, gekräuselten Feder seines Hutes die Fliesen fegte.
»Verehrte Kusine, verzeiht meine Formlosigkeit und meinen bescheidenen Aufzug. Ich falle mit der Tür ins Haus und bitte Euch um die Gastfreundschaft einer Nacht. Dies hier ist mein Ritter Philippe. Er ist gewachsen, seitdem Ihr ihn zum letzten Male saht, aber es ist darum doch kein leichteres Auskommen mit ihm. Ich werde ihm binnen kurzem eine Obristenstelle kaufen; die Armee wird ihm guttun. Die Hofpagen von heutzutage kennen keine Disziplin.«
Die stets höfliche Tante Pulchérie schlug vor: »Ihr nehmt doch gewiß etwas zu Euch. Most oder dicke Milch? Ich sehe, Ihr kommt von weither.«
»Danke. Wir nehmen gern einen Schluck Wein mit frischem Wasser versetzt.«
»Wein ist keiner mehr da«, erklärte Baron Armand, »aber ich werde eine Magd zum Pfarrer schicken, um welchen zu holen.«
Indessen ließ sich der Marquis nieder, und während er mit seinem von einer seidenen Schleife gezierten Ebenholzstock spielte, berichtete er, er käme direkt von Saint-Germain, die Straßen seien Kloaken, und bat abermals um Vergebung wegen seiner bescheidenen Aufmachung.
»Wie sähen sie erst aus, wenn sie prächtig gekleidet wären?« dachte Angélique.
Der Großvater, den das wiederholte Gerede über Kleidung reizte, berührte mit dem Ende seines Stocks die Stiefelstulpen seines Besuchers.
»Nach den Spitzen Eures Schuhwerks und Eures Kragens zu schließen, ist das Edikt in Vergessenheit geraten, mit dem der Herr Kardinal im Jahre 1633 allen Flitterkram verboten hat.«
»Pah!« seufzte der Marquis. »Was glaubt Ihr! Die Regentin ist arm und streng. So mancher von uns ruiniert sich, damit dieser frömmlerische Hof ein wenig Originalität bewahrt. Monsieur de Mazarin hat Sinn für Prunk, aber er trägt das Priesterkleid. Seine Finger sind mit Diamanten überladen, aber wegen ein paar Bändern, die sich die Adligen ans Wams stecken, wettert er wie sein Vorgänger Monsieur de Richelieu. Die Stulpen ... ja.«
Er kreuzte die Beine und beaugenscheinigte sie mit ebensoviel Aufmerksamkeit, wie Baron Armand es bei seinen Maultieren tat.
»Weshalb sind Eure Stiefel unten so lang und am Ende viereckig?« fragte Madelon.
»Weshalb? Das weiß kein Mensch, kleine Nichte, aber es ist der letzte Schrei und eine nützliche Mode. Während kürzlich Monsieur de Condé jemandem mit Feuereifer etwas auseinandersetzte, schlug ihm Monsieur de Rochefort durch das Ende seiner beiden Schuhe einen Nagel. Als der Fürst sich entfernen wollte, fand er sich am Boden festgenagelt. Man stelle sich vor - wären seine Schuhe weniger lang gewesen, so wären seine Füße durchbohrt worden.«
»Das Schuhzeug ist nicht für Leute geschaffen worden, die Nägel durch die Füße anderer schlagen«, brummte der Großvater. »Das ist ja geradezu lächerlich.«
»Wißt Ihr, daß der König in Saint-Germain ist?« fragte ungerührt der Marquis.
»Nein«, sagte Armand de Sancé. »Inwiefern ist diese Nachricht von Bedeutung?«
»Aber mein Lieber, wegen der Fronde.«
Dieser Ausspruch amüsierte die Damen und die Kinder, doch die beiden Edelmänner fragten sich, ob sich ihr geschwätziger Verwandter nicht wie üblich über sie lustig mache.
»Die Fronde? Aber das ist doch ein Spiel für Kinder!«
»Ein Spiel für Kinder! Wo denkt Ihr hin, Vetter! Ich meine nicht die Schleudern. Was wir Fronde bei Hofe nennen, ist ganz einfach die Revolte des Pariser Parlaments gegen den König. Habt Ihr je dergleichen gehört? Schon seit mehreren Monaten zanken sich diese Herren mit den viereckigen Mützen mit der Regentin und ihrem italienischen Kardinal herum ... Steuerfragen, die ihre Privilegien nicht einmal berühren. Aber sie schwingen sich zu Beschützern des Volkes auf, das Barrikaden in den Straßen errichtet hat.«
»Und die Königin und der kleine König?« fragte die gefühlvolle Pulchérie besorgt.
»Was soll ich Euch sagen? Sie empfing die Herren vom Parlament hoheitsvoll, dann gab sie nach. Seitdem hat man sich wiederholt gestritten und von neuem versöhnt. Die Herren fürchteten immer, die Königin würde den kleinen König aus der Stadt bringen, und kamen dreimal des Abends in hellen Haufen und baten, den schönen Knaben schlafen sehen zu dürfen, in Wirklichkeit aber, um sich zu vergewissern, ob er noch da sei. Doch Mazarin ist sehr schlau. Am Dreikönigstag nämlich tranken und schmausten wir bei Hofe und verspeisten ohne Hintergedanken den traditionellen Fladen. Gegen Mitternacht, als ich mich eben mit einigen Freunden in die Schenken zu verfügen gedachte, gab man mir den Befehl, meine Leute, meine Equipagen zu versammeln und mich an eins der Tore von Paris zu begeben. Von dort nach Saint-Germain. Hier fand ich bereits die Königin und ihre beiden Söhne, ihre Hofdamen und Pagen vor, die ganze Gesellschaft im zugigen alten Schloß auf Stroh gebettet. Auch Monsieur de Mazarin erschien bald darauf. Inzwischen wird Paris vom Fürsten Condé belagert, der sich an die Spitze der Armee des Königs gestellt hat. Das Parlament in der Hauptstadt schwingt weiterhin die Fahne der Empörung, aber es ist ihm nicht mehr sehr wohl dabei. Der Koadjutor von Paris, Fürst Gondy, Kardinal de Retz, der Mazarins Stelle einnehmen möchte, steht auch auf Seiten der Rebellen. Ebenso Elbeuf, Beaufort und viele andere. Ich selbst bin Monsieur de Condé gefolgt.«
»Das freut mich zu hören«, seufzte der alte Baron.
»Seit den Zeiten Heinrichs IV hat man kein solches Durcheinander erlebt. Parlamentarier, Fürsten im Aufruhr gegen den König von Frankreich! Da erkennt man wieder einmal den Einfluß der umstürzlerischen Ideen von jenseits des Kanals. Heißt es nicht, daß auch das englische Parlament das Banner der Revolte gegen seinen König schwingt, ja daß es wagt, ihn einzusperren?«
»Sie haben sogar sein Haupt auf den Block gelegt. Seine Majestät Karl I. ist im vergangenen Monat in London hingerichtet worden.«
»Wie entsetzlich!« riefen alle Anwesenden erschüttert aus.
»Wie sich vermuten läßt, hat die Nachricht am französischen Hof, wo sich übrigens die unglückliche Witwe des englischen Königs mit ihren beiden Kindern aufhält, nicht eben zur Beruhigung beigetragen. Folglich hat man beschlossen, hart und unnachgiebig gegen Paris zu sein. Jetzt eben bin ich als Bevollmächtigter Monsieur de Saint-Maurs ins Poitou gesandt worden, um Truppen auszuheben und sie Monsieur de Turenne zuzuführen, der gewiß der tüchtigste Armeeführer im Dienste des Königs ist. Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn ich nicht in meinem Bereich und im Eurigen, mein lieber Vetter, mindestens ein Regiment für meinen Sohn auf die Beine stellen könnte. Schickt also Eure Faulpelze und Taugenichtse zu meinem Sergeanten, Baron, und man wird Dragoner aus ihnen machen.«
»Muß denn wieder von Krieg die Rede sein?« sag-te der Baron zögernd. »Es sah so aus, als würden die Dinge in die Reihe kommen. Hat man nicht erst im Herbst in Westfalen einen Vertrag unterzeichnet, der die Niederlage Österreichs und Deutschlands bestätigt? Wir glaubten, ein wenig aufatmen zu können. Und doch finde ich, daß wir uns in unserer Gegend nicht einmal beklagen dürfen, wenn ich an die Picardie und an Flandern denke, wo noch die Spanier sind, und das seit dreißig Jahren .«
»Jene Leute sind daran gewöhnt«, sagte der Marquis obenhin. »Mein Lieber, der Krieg ist ein notwendiges Übel, und es ist geradezu ketzerisch, einen Frieden zu fordern, den Gott den sündigen Menschen nicht bestimmt hat. Man muß nur sehen, daß man bei denen ist, die den Krieg machen, und nicht bei denen, die ihn erdulden.«
Er hielt heftig hustend inne, denn der zum Kammerdiener aufgerückte Stallknecht hatte, um das Feuer zu beleben, ein riesiges Bündel feuchten Strohs in den Kamin geworfen.
»Sapperment, Herr Vetter«, rief der Marquis aus, nachdem er wieder zu Atem gekommen war, »ich verstehe Euer Bedürfnis, ein wenig aufzuatmen. Euer Holzkopf da verdiente eine tüchtige Tracht Prügel.«
Er nahm die Sache mit Humor, und Angélique fand ihn trotz seiner herablassenden Art sympathisch. Sein Geplauder hatte sie gefesselt. Es war, als sei das alte, erstarrte Schloß aufgewacht und habe seine schweren Portale nach einer andern, lebenerfüllten Welt geöffnet.
Philippe aber runzelte immer mehr die Stirn. Steif auf seinem Stuhl sitzend, die blonden Locken wohlgeordnet über den breiten Spitzenkragen fallen lassend, warf er von Ekel erfüllte Blicke auf Josselin und Gontran, die angesichts der Wirkung, die ihr Treiben hervorrief, ihr ungehöriges Benehmen noch betonten und mit dem Finger in der Nase zu bohren und sich den Kopf zu kratzen begannen. Ihr Gehabe brachte Angélique außer Fassung und verursachte ihr fast so etwas wie Übelkeit. Übrigens fühlte sie sich schon seit einiger Zeit nicht recht wohl; sie litt an Leibschmerzen, und Pulchérie hatte ihr verboten, rohe Möhren zu essen, was sie so gerne tat. Heute abend jedoch, nach all dem Umtrieb, den der ungewöhnliche Besuch mit sich brachte, hatte sie das Gefühl, richtig krank zu werden. Aber sie äußerte nichts und blieb ganz still auf ihrem Stuhl sitzen. Jedesmal, wenn sie ihren Vetter Philippe du Plessis anschaute, schnürte ihr etwas die Kehle zusammen, und sie wußte nicht, war es Abscheu oder Bewunderung. Nie hatte sie einen so schönen Jüngling gesehen.
Sein Haar, dessen seidiger Saum sich über die Stirn wölbte, war von einem leuchtenden Gold, neben dem ihre eigenen Locken braun wirkten. Seine Züge waren von vollendetem Ebenmaß. Das Gewand aus grauem Tuch, mit Spitzen und blauen Bändern verziert, paßte zu seinem weißen und rosigen Teint. Ohne den harten Blick, der nichts Feminines hatte, hätte man ihn ohne weiteres für ein Mädchen halten können.
Seinetwegen wurden der Abend und das Nacht-mahl für Angélique zu einer Marter. Jedes Versehen der Diener, jede Ungeschicklichkeit quittierte der Jüngling mit einem Augenzucken oder einem spöttischen Lächeln.
Jean-der-Küraß, der das Amt des Majordomus versah, legte die Serviette auf die Schulter, wenn er die Gerichte brachte. Der Marquis lachte schallend und erklärte, diese Art, die Serviette zu tragen, sei nur an der Tafel des Königs und der Fürsten von Geblüt üblich. Er fühle sich zwar geschmeichelt über die Ehre, die man ihm erweise, begnüge sich aber mit einer schlichteren Bedienung, nämlich mit der über den Unterarm geschlungenen Serviette. Der Fuhrknecht gab sich daraufhin alle erdenkliche Mühe, das fettige Tuch um seinen haarigen Arm zu schlingen, aber seine Ungeschicklichkeit und seine Seufzer steigerten nur die Heiterkeit des Marquis, die sich alsbald auf seinen Sohn übertrug.
»Das ist ein Mann, den ich lieber als Dragoner denn als Lakaien sehen möchte«, sagte der Marquis, indem er Jean-der-Küraß musterte. »Was meinst du dazu, mein Junge?«
Der verschüchterte Fuhrknecht antwortete nur mit einem Bärengebrummel, das der Zungenfertigkeit seiner Mutter keine Ehre antat.
Schließlich erschien zu allem Überfluß der Bursche, den man in den Pfarrhof um Wein geschickt hatte, und berichtete, der Pfarrer sei nach einem benachbarten Weiler gegangen, um Ratten auszutreiben, und die Magd habe sich geweigert, auch nur das kleinste Fäßchen abzugeben.
»Macht Euch nichts daraus, Frau Base«, erklärte sehr galant der Marquis du Plessis. »Wir werden eben Apfelmost trinken, und wenn es meinem Herrn Sohn nicht paßt, so soll er es bleiben lassen. Würdet Ihr mir hingegen einige Aufklärungen über das soeben Vernommene geben? Der Pfarrer soll Ratten austreiben gegangen sein? Was ist das für eine merkwürdige Geschichte?«
»Nichts Verwunderliches, Herr Vetter. Die Leute eines benachbarten Weilers beklagen sich seit einiger Zeit, von Ratten geplagt zu sein, die ihr Korn auffressen. Der Pfarrer ist vermutlich mit Weihwasser dorthin gegangen und spricht die üblichen Gebete, damit die bösen Geister weichen, die diese Tiere bewohnen, und fürderhin keinen Schaden mehr anrichten.«