142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 80

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Gontran erklärte, er sei kein Feinschmecker. Im allgemeinen begnüge er sich mit einem einfachen Landwein. Sonntags gehe er in die Vororte hinaus und lasse sich etwas Besseres vorsetzen, denn dort seien die Bordeaux- und Bourgogneweine billiger, weil der städtische Zollaufschlag wegfiele. Dieser Ausflug bilde seine einzige Zerstreuung.

Angélique fragte ihn, ob er mit Freunden dorthin ginge. Er verneinte es. Er habe keine Freunde, aber es mache ihm Spaß, unter einer Laube zu sitzen und die Gesichter der Arbeiter und ihrer Familien zu betrachten. Er fand die Menschheit erfreulich und sympathisch.

»Du hast es gut«, murmelte Angélique, die plötzlich den bitteren Geschmack des Gifts auf der Zunge spürte. Sie fühlte sich nicht krank, aber müde und zugleich überreizt.

Eng in den von Mariedje entliehenen Mantel aus grober Wolle gehüllt, betrachtete sie mit großen Augen das ihr ungewohnte Bild einer hauptstädtischen Kneipe.

In den an der Place de Montorgueil, nahe dem Palais Royal gelegenen »Drei Mohren« sah man viele Komödianten, die mit noch geschminkten Gesichtern und falschen Nasen nach der Vorstellung hierherkamen, um sich »die Eingeweide anzufeuchten« und die von den Leidenschaftsausbrüchen heiser gewordenen Kehlen zu erfrischen. Italienische Possenspieler in grellbuntem Flitterzeug, Jahrmarktsgaukler und zuweilen sogar unheimliche Zigeuner mit dunkelglühenden Augen mischten sich unter die Stammgäste aus der Nachbarschaft.

An diesem Abend führte ein Greis, offenbar ein Italiener, dessen Gesicht sich hinter einer roten Samtmaske verbarg und dessen weißer Bart bis zum Gürtel reichte, den Anwesenden einen kleinen, höchst possierlichen Affen vor. Nachdem das Tier kurze Zeit einen der Gäste beobachtet hatte, begann es ihn auf drollige Weise nachzuahmen: wie er seine Pfeife rauchte, seinen Hut trug oder sein Glas zum Munde führte.

Die Wänste der Zuschauer schlitterten vor Lachen.

Gontran verfolgte die Szene mit leuchtenden Augen. »Schau doch, ist das nicht wunderbar: die rote Maske und der schimmernde Bart!«

Angélique wurde allmählich unruhiger. Sie fragte sich, wie lange ihre Geduld wohl noch auf die Probe gestellt werden würde.

Endlich, als wieder einmal die Tür aufging, erschien die riesige Dogge des Advokaten Desgray. Mit einem einzigen Satz sprang sie auf das Äffchen zu und hätte es zerfleischt, wäre sie nicht durch einen gebieterischen Ruf ihres Herrn, der ihr unmittelbar folgte, zurückgehalten worden. Ein bis unter die Nase in einen weiten mausgrauen Mantel gehüllter Mann begleitete den Advokaten. Verwundert erkannte Angélique den jungen Cerbaland, der sein blasses Gesicht unter einem tief in die Stirn gedrückten Hut verbarg.

Sie bat Gontran, den Neuankömmlingen entgegenzugehen und sie unauffällig an ihren Tisch zu führen.

»Mein Gott, Madame«, seufzte der Advokat, während er sich neben sie auf die Bank setzte, »seit heute früh habe ich Euch zehnmal erdrosselt, zwanzigmal ertränkt und hundertmal verscharrt gesehen.«

»Ein einziges Mal würde genügen, Maître«, sagte sie lachend. Aber es befriedigte sie doch ein wenig, ihn so besorgt zu sehen.

»Habt Ihr tatsächlich um eine Mandantin gebangt, die Euch so schlecht bezahlt und darüber hinaus noch in so gefährlicher Weise kompromittiert?« Er schnitt eine verdrießliche Grimasse.

»Die Gefühlsduselei ist ein Leiden, das man nicht so leicht los wird; wenn dann noch Abenteuerlust hinzukommt, ist einem das böse Ende gewiß. Kurz, je mehr sich Eure Angelegenheit kompliziert, desto mehr fesselt sie mich. Wie steht es mit Eurer Verletzung?«

»Ihr wißt schon davon?«

»Wie es sich für ein Mittelding zwischen einem Polizisten und einem Advokaten gehört. Aber dieser Herr hier hat mir wertvolle Dienste geleistet, das muß ich gestehen.«

Cerbaland, dessen malvenfarbene Augen übernächtigt aus seinem wachsbleichen Gesicht hervorstachen, berichtete das Ende der Tragödie im Louvre, in die er durch einen seltsamen Zufall verwickelt worden war.

Er war nämlich in jener Nacht in den Ställen der Tuilerien auf Wache gewesen, als ein keuchender Mann, der seine Perücke verloren hatte, aus den Gärten auf tauchte: Bernard d’Andijos. Der Marquis war zuvor gestreckten Laufs durch die Große Galerie gerannt, hatte mit seinen klappernden Holzabsätzen das Echo des Louvre und der Tuilerien geweckt und unterwegs die Posten beiseite gestoßen, die ihn aufzuhalten versuchten.

Während er in größter Hast ein Pferd sattelte, hatte er erklärt, Madame de Peyrac sei mit knapper Not der Ermordung entgangen, und er selbst, Andijos, habe sich soeben mit Monsieur d’Orléans geschlagen. Ein paar Augenblicke danach war er wie der Teufel in Richtung der Porte Saint-Honoré davongaloppiert, nachdem er ihm zugeschrien hatte, er werde das Languedoc gegen den König aufwiegeln.

»Oh, der gute Marquis d’Andijos!« sagte Angélique lachend. »Der und das Languedoc gegen den König aufwiegeln ...!«

»So? Glaubt Ihr, daß er das nicht fertigbringt?« fragte Cerbaland, dessen Stimme plötzlich einen aufbegehrenden Akzent bekam. Bedeutungsvoll hob er den Finger:

»Madame, Ihr scheint die Seele der Gaskogner nicht zu kennen: Lachen und Zorn folgen rasch aufeinander, aber man weiß nie, was von beiden siegt. Und wenn es der Zorn ist, dann gnade Gott!«

»Es ist wahr, daß ich den Gaskognern mein Leben verdanke. Wißt Ihr, was dem Herzog von Lauzun geschehen ist?«

»Er ist in der Bastille.«

»Mein Gott!« murmelte Angélique. »Wenn man ihn dort nur nicht vierzig Jahre lang vergißt!«

»Er wird sich nicht vergessen lassen, seid unbesorgt. Ich habe auch gesehen, wie die Leiche Eures ehemaligen Haushofmeisters von zwei Lakaien weggeschafft wurde.«

»Der Teufel möge seine Seele holen!«

»Als ich dann nicht mehr an Eurem Tod zweifeln konnte, begab ich mich zu Eurem Schwager, dem Staatsanwalt. Dort fand ich Monsieur Desgray vor, Euren Advokaten. Mit ihm gingen wir ins Châtelet und sahen uns alle Leichen von Ertrunkenen oder Ermordeten an, die man heute morgen in Paris gefunden hat. Ein böses Geschäft, von dem mir jetzt noch übel ist. Und hier bin ich nun, Madame - was werdet Ihr tun? Ihr müßt so rasch wie möglich fliehen.«

Angélique betrachtete ihre auf der braunen, rissigen Tischplatte neben dem Glase liegenden Hände. Der Wein im Glas, den sie noch nicht angerührt hatte, leuchtete wie ein dunkler Rubin.

Ihre Hände kamen ihr ungewöhnlich klein, weiß und zerbrechlich vor. Unwillkürlich verglich sie sie mit den männlichen Händen ihrer Gefährten. Sie fühlte sich einsam und sehr schwach.

Gontran sagte unvermittelt:

»Wenn ich recht verstanden habe, bist du in eine üble Geschichte verwickelt, bei der du dein Leben aufs Spiel setzt. Eigentlich überrascht es mich nicht, denn das sind wir seit jeher von dir gewohnt!«

»Monsieur de Peyrac ist in der Bastille und der Hexerei beschuldigt«, klärte Desgray ihn auf, der eine Dose aus Horn vor sich hingelegt hatte und sich eine Pfeife stopfte.

»Das verwundert mich nicht«, wiederholte Gontran. »Aber du kannst dich noch aus der Affäre ziehen. Wenn du kein Geld hast, werde ich dir welches leihen. Ich habe für meine Wanderschaft einiges zurückgelegt, und Raymond, unser Jesuitenbruder, wird dir bestimmt auch helfen. Pack deine Sachen zusammen und nimm die Postkutsche nach Poitiers.

Von dort aus fährst du nach Monteloup. Bei uns hast du nichts zu befürchten!«

Einen Augenblick lang tauchten vor Angélique die Silhouette des Schlosses Monteloup, die stillen Moore und Wälder auf. Florimond würde mit den Truthähnen an der Zugbrücke spielen ...

»Und Joffrey?« fragte sie. »Wer wird dafür sorgen, daß ihm Gerechtigkeit widerfährt?«

Ein lastendes Schweigen trat ein, in das sich das Grölen einer Gruppe Betrunkener und die ungeduldigen Rufe der wartenden Speisegäste senkten, die mit den Messern auf ihre Teller klopften. Als Meister Corbasson, der Garkoch, erschien und in hocherhobenen Händen eine braungebratene, noch brutzelnde Gans hereintrug, verstummten die Rufe. Der Lärm ebbte ab, und auf dem Untergrund befriedigter Brummlaute hörte man den Würfelbecher eines Spielerquartetts klappern.

Desgray rauchte derweilen gleichmütig seine lange holländische Pfeife.

»Hängst du denn so an deinem Mann?« fragte Gontran.

Angélique preßte die Zähne zusammen.

»Eine Unze seines Hirns ist mehr wert als Eure drei Hirne zusammen«, erklärte sie unverblümt. »Ich weiß wohl, daß es lächerlich klingt, aber ich liebe ihn, obwohl er mein Gatte ist, obwohl er lahm und entstellt ist.«

Ein trockener Schluchzer schüttelte sie.

»Und gerade ich bin es, die seinen Untergang verursacht hat. Durch diese üble Giftgeschichte. Und gestern, als ich mit dem König sprach, habe ich sein Todesurteil unterschrieben, ich habe ...«

Plötzlich erstarrte Angéliques Blick. Eine grausige Vision war hinter der Fensterscheibe aufgetaucht, ein gespenstisches Gesicht, über das lange, fettige Haarsträhnen fielen. Die leichenblasse Wange war von einer violetten Geschwulst gezeichnet. Eine schwarze Binde verdeckte das eine Auge; das andere funkelte wie das eines Wolfs, und die grauenhafte Erscheinung starrte Angélique grinsend an.

»Was ist denn?« fragte Gontran, der mit dem Rücken zum Fenster saß.

Desgray folgte dem verstörten Blick der jungen Frau, sprang jäh auf, pfiff seinem Hund und lief zur Tür.

Das Gesicht am Fenster verschwand. Ein paar Augenblicke später kehrte der Advokat unverrichteterdinge zurück.

»Er ist wie eine Ratte in ihrem Loch verschwunden.«