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»Ich begreife vor allem, daß ihr krank seid«, sagte Desgray. »Bleibt Ihr bei Eurer Feststellung von neulich?«
»Bei welcher Feststellung?«
»Daß Ihr kein Vertrauen zu mir habt?«
»In diesem Augenblick gibt es nur Euch, zu dem ich Vertrauen haben kann.«
»So kommt. Ich führe Euch an einen Ort, wo man Euch pflegen wird. Ihr könnt nicht vor einen gestrengen Jesuiten treten, ohne im Vollbesitz aller Eurer Kräfte zu sein.«
Er nahm sie beim Arm und zog sie durch das Gewühl der morgendlichen Stadt. Der Lärm ringsum war ohrenbetäubend. Alle Händler straßauf und straßab priesen zu gleicher Zeit unter gewaltigem Stimmaufwand ihre Waren an. - Angélique hatte große Mühe, ihre verletzte Schulter vor Püffen zu schützen, und sie biß mehr als einmal die Zähne zusammen, um vor Schmerz nicht aufzuschreien.
In der Rue Saint-Nicolas machte Desgray vor einem riesigen Schilde halt, auf dem auf königsblauem Grund ein kupfernes Schälchen zu sehen war. Dampf wölken entquollen den Fenstern des ersten Stockwerks. Angélique begriff, daß sie sich bei einem Badstübner befand, und es wurde ihr im voraus wohlig zumute bei dem Gedanken, in eine Wanne mit heißem Wasser zu steigen.
Meister Georges, der Inhaber, forderte sie auf, vorläufig erst einmal Platz zu nehmen. Er werde ihnen in wenigen Minuten zur Verfügung stehen. Er rasierte gerade einen Musketier und erging sich dabei in langen Reden über das Elend des Friedens, des größten Mißgeschicks, das einem tapferen Krieger zustoßen könne.
Endlich überließ er den »tapferen Krieger« seinem Lehrling mit dem Auftrag, ihm den Kopf zu waschen, was kein leichtes Geschäft war, und trat, während er die Klinge des Rasiermessers an seiner Schürze abtrocknete, dienstfertig lächelnd zu Angélique.
»Aha, ich sehe schon, was los ist! Wieder ein Opfer der galanten Krankheiten. Ich soll sie dir wohl instand setzen, bevor du sie gebrauchst, unverbesserlicher Schürzenjäger? Eine Vorsichtsmaßnahme, die ich durchaus billige. Vertrau dich mir ruhig an, mein hübsches Kind. Zuerst ein gutes Bad, das kann keinem schaden, was auch die Herren Ärzte sagen mögen. Dann drei Schröpfköpfe, um das schlechte Blut herauszuziehen, und schließlich ein Pflaster aus verschiedenen Kräutern, das wir auf die bewußte Stelle legen werden, auf jenen lieblichen Altar der Venus, auf dem Maître Desgray hernach unbesorgt sein Opfer darbringen kann.«
»Darum geht es nicht«, sagte der Advokat ganz ruhig. »Diese junge Frau hat sich eine Verletzung zugezogen, und ich möchte, daß Ihr ein wenig Linderung verschafft. Dann soll sie ein Bad bekommen.«
Angélique, die bei den Reden des Barbiers trotz ihrer Blässe errötet war, geriet bei dem Gedanken, sich vor den beiden Männern entkleiden zu müssen, in tiefste Verlegenheit. Sie hatte sich immer nur von Frauen behandeln lassen, und da sie nie krank gewesen war, kannte sie die Untersuchungsmethoden der Ärzte nicht, geschweige denn die der Bader.
Aber noch bevor sie sich dagegen zur Wehr setzen konnte, hatte Desgray auf die selbstverständlichste Weise der Welt und mit der Geschicklichkeit eines Mannes, für den weibliche Kleidungsstücke nichts Geheimnisvolles haben, ihr Mieder aufgehakt und das Band ihres Hemdes gelöst, das ihr daraufhin über die Arme bis zur Taille hinabglitt.
Meister Georges beugte sich über sie und nahm vorsichtig das Salbenpflaster ab, das Mariedje auf die lange, vom Degen des Chevaliers de Lorraine verursachte Hiebwunde gelegt hatte.
»Hm, hm«, brummte der Barbier, »ich sehe schon, um was es sich handelt. Ein galanter Edelmann, dem die Geschichte zu kostspielig war und der deshalb mit >eiserner Münze< zahlte, wie wir zu sagen pflegen. Weißt du nicht, mein Herzchen, wie man dafür sorgt, daß ihr Degen hübsch unter dem Bett bleibt, bis sie zur Börse greifen?«
»Und was haltet Ihr von der Wunde?« fragte Desgray, ohne auf das Geschwätz zu achten, während Angélique vor Scham verging.
»Tja, sie schaut weder gut noch schlecht aus. Ein unwissender Apotheker hat sie mit seiner ranzigen Salbe verschmiert. Wir werden das beseitigen und durch eine heilende und erfrischende Mixtur ersetzen.«
Er entfernte sich, um von einem Gestell eine Dose zu holen.
Angélique fand es unerträglich, halbnackt in diesem jedermann zugänglichen Raum sitzen zu müssen, in dem sich der verdächtige Geruch der Drogen mit dem scharfen Duft der Seifen mischte.
Ein Kunde kam herein, um sich rasieren zu lassen. Bei ihrem Anblick rief er:
»O welch hübsche Nestchen! Schade, daß ich sie nicht zur Hand habe, wenn der Mond aufgeht!«
Auf ein unmerkliches Zeichen Desgrays sprang der Hund Sorbonne den Schwätzer an und verbiß sich in dessen Kniehose.
»Au weh, verdammt noch mal!« rief der Mann aus. »Der Mann mit dem Hund! Du also, Desgray, du Tausendsasa, bist der Besitzer dieser beiden göttlichen Liebesäpfel?«
»Wenn Ihr nichts dagegen habt, Messire«, sagte Desgray ungerührt.
»Dann will ich nichts gesagt und nichts gesehen haben. O Messire, vergebt und bedeutet Eurem Untier, meine armen, fadenscheinigen Hosen loszulassen.«
Mit einem leisen Pfiff rief Desgray den Hund zurück.
»Ich möchte fort von hier«, flüsterte Angélique mit bebenden Lippen und versuchte, sich wieder anzuziehen. Der junge Mann zwang sie, sich hinzusetzen.
Mit barscher, wenn auch gedämpfter Stimme sagte er:
»Spielt nicht die Prüde, kleine Törin! Muß ich Euch an die Redensart der Soldaten erinnern: Krieg ist Krieg? Ihr habt Euch auf einen Kampf eingelassen, bei dem nicht nur das Leben Eures Gatten, sondern auch Euer eigenes auf dem Spiel steht. Ihr müßt alles tun, um ihn zu bestehen, und Zierereien könnt Ihr Euch dabei nicht leisten. Schaut einmal mich an«, setzte er gebieterisch hinzu.
Sie zwang sich, die Augen zu diesem Männergesicht zu erheben: einem jener Gesichter, denen man in belebten Straßen auf Schritt und Tritt begegnet. Weder schön noch häßlich, Lippen, die sich in spöttischem Lächeln über unregelmäßigen Zähnen kräuselten, buschige Augenbrauen, die den Glanz der wachsamen Augen verbargen, ein stoppelbedecktes Kinn. Ein Mann, der wie die andern zu sein schien und der dennoch dank irgendeiner geheimnisvollen Gabe mehrere Leben zu leben vermochte.
»Ich bin ein armseliger Kanzlist«, fuhr er leise fort, »und alle, die uns umgeben, sind arme Leute aus dem Volk. Sie sind plump, aber weniger lasterhaft als so mancher Edelmann, der seinen Blick auf Eurer Brust ruhen ließ, ohne dadurch Euer Mißfallen zu erregen. Ihr habt mir vorhin gesagt: >Es gibt keine Madame de Peyrac mehr.< Nun, dann müßt Ihr lernen, eine andere Frau zu werden, sonst ...«
Er machte eine fegende Armbewegung.
»Ich glaube, ich werde einen Einschnitt ins Fleisch machen müssen«, verkündete Meister Georges, der mit einem funkelnden Messer in der Hand herzutrat. »Ich bemerke unter der Haut eine weißliche Flüssigkeit, die heraus muß. Du brauchst dich nicht zu fürchten, Herzchen«, setzte er hinzu, als rede er mit einem Kind, »niemand hat eine leichtere Hand als Meister Georges.«
Trotz ihrer Angst mußte Angélique feststellen, daß er recht hatte, denn er ging sehr geschickt zu Werke. Nachdem er eine Flüssigkeit auf die Wunde gegossen hatte, die sie zusammenzucken ließ und die nichts anderes als Branntwein war, schickte er sie in die Badestuben hinauf. Er werde sie hinterher verbinden.
Die Badestuben Meister Georges’ stellten eines der letzten Etablissements dar, wie sie noch zahlreich im Mittelalter bestanden hatten, als die Kreuzfahrer zurückgekehrt waren, die im Orient nicht nur an den türkischen Bädern Geschmack gefunden hatten, sondern auch daran, sich zu waschen. In ihnen schwitzte und reinigte man sich nicht nur, sondern ließ sich auch »enthaaren«, womit das Ausrupfen der Haare am ganzen Körper gemeint war. Oft konnte man sich dort auch schröpfen lassen. Sie waren rasch in üblen Ruf geraten, denn zu ihren mannigfaltigen Spezialitäten gehörten auch solche, für die sich hauptsächlich die verrufenen Häuser der Rue du Val d’amour interessierten. Besorgte Priester, strenge Hugenotten, Ärzte, die in diesen Bädern eine Brutstätte der Hautkrankheiten erblickten, hatten sich verbündet, um ihre Auflösung durchzusetzen. Und von da an gab es in Paris, abgesehen von den schmutzigen Lokalen einiger Barbiere, kaum mehr eine Möglichkeit, sich gründlich zu reinigen.
Selbst Meister Georges sprach zuweilen davon, seine Badestuben zu schließen, die den Argwohn der Frömmler des Stadtviertels auf ihn lenkten. Sie brächten ihm mehr Ärger als Geld ein, behauptete er.
Trotz seiner Klagen bestand kein Zweifel, daß es ihm nicht an Kunden fehlte, und als Angélique im Vorbeigehen durch eine Türspalte ein auf einem Ruhebett liegendes Pärchen erblickte, wurde ihr klar, daß der Argwohn vermutlich nicht ganz unbegründet war.
Die Badestuben bestanden aus zwei großen, mit Fliesen ausgelegten Räumen, die durch Holzwände in kleine Kabinen unterteilt waren. Im Hintergrunde jedes der beiden Säle erhitzte ein Junge Steinkugeln in einem Ofen.
Angélique wurde von einer der Wärterinnen, die im Frauensaal Dienst taten, völlig entkleidet. Man schloß sie in eine der Kabinen ein, in der sich eine Bank und eine kleine Wanne befanden, in die man gerade glühende Steinkugeln geworfen hatte. Das Wasser zischte und entwickelte kochend heißen Dampf.
Sie war schweißüberströmt und glaubte, ersticken zu müssen, als man sie endlich herausholte und ihr gebot, in einen Kübel mit kaltem Wasser zu tauchen. Dann hüllte die Wärterin sie in ein Laken und brachte sie in einen anstoßenden Raum, in dem sich bereits andere halbnackte Frauen befanden. Wärterinnen, die zumeist alt und von ziemlich abstoßendem Äußeren waren, rasierten sie oder kämmten ihnen die langen Haare, wobei sie wie eine Schar Hühner gackerten. Dem Tonfall und den Themen der Unterhaltungen entnahm Angélique, daß die Mehrzahl der Badegäste einfache Frauen waren, Mägde oder Marktweiber, die nach der Messe in die Bäder gingen, um hier die neuesten Klatschgeschichten zu erfahren, bevor sie zu ihrer Arbeit eilten.
Man hieß sie, sich auf eine Bank zu legen. Nach einer Weile erschien Meister Georges, ohne daß die Versammlung im geringsten daran Anstoß zu nehmen schien. Ein spitzes Messer funkelte in seiner Hand, und ein kleines Mädchen, das einen Korb mit Schröpfköpfen trug, folgte ihm.
Angélique protestierte erbittert:
»Ihr werdet mir kein Blut abzapfen! Ich habe schon genug verloren. Seht Ihr denn nicht, daß ich schwanger bin? Ihr tötet mir mein Kind!«
Ungerührt machte ihr der Bader ein Zeichen, sich umzudrehen.
»Halt still, sonst lass’ ich deinen Freund holen, damit er dir was auf dein Hinterteil gibt.«
Erschreckt durch die Vorstellung, daß der Advokat sie in dieser Lage sehen könne, blieb sie steif liegen.
Der Barbier ritzte ihren Rücken an drei Stellen mit seinem Messer und setzte die Schröpfköpfe an.
»Schaut Euch das schwarze Blut an, das da herausläuft«, sagte er begeistert. »Solch schwarzes Blut in einem so weißen Mädchen, wie ist das nur möglich?«