142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 83

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»Laßt mir um Gottes willen ein paar Tropfen«, beschwor ihn Angélique. »Ich hab’ die größte Lust, dich völlig aussaugen zu lassen«, sagte der Barbier mit wild rollenden Augen. »Hinterher verrat’ ich dir das Rezept, nach dem du dir deine Adern wieder mit frischem und edlem Blut füllen kannst. Hier ist es: ein gutes Glas Rotwein und eine Liebesnacht.«

Er gab sie endlich frei, nachdem er ihr einen festen Verband angelegt hatte. Zwei Mädchen halfen ihr, sich zu frisieren und wieder anzuziehen. Sie gab ihnen ein Trinkgeld, das sie verblüfft in Empfang nahmen.

»He, Marquise«, rief die Jüngere aus, »ist es etwa gar dein Prinz vom Federkiel im fadenscheinigen Wams, der dir so schöne Geschenke macht?«

Eine der alten Frauen stieß sie an, und nachdem sie Angélique nachgeschaut hatte, die mit zitternden Knien die Holztreppe hinunterstieg, flüsterte sie:

»Hast du nicht gemerkt, daß sie eine große Dame ist, die in der Hoffnung hierherkommt, sich nach den faden kleinen Edelleuten mal mit etwas Leckerem zu verlustieren?«

»Für gewöhnlich verkleiden sie sich nicht«, meinte die andere. »Sie setzen eine Maske auf, und Meister Georges läßt sie durch eine Hintertür ein.«

Im Laden fand Angélique Desgray frisch rasiert und mit geröteter Haut vor.

»Sie ist soweit«, sagte der Barbier mit verständnisinnigem Augenblinzeln zu Desgray, »aber seid nicht so brutal wie gewöhnlich, solange die Wunde an ihrer Schulter nicht vernarbt ist.«

Diesmal mußte die junge Frau lachen. Sie fühlte sich zu jeglicher Gegenwehr unfähig.

»Wie fühlt Ihr Euch?« fragte Desgray, als sie wieder auf der Straße waren.

»Ich fühle mich schwach wie ein kleines Kätzchen«, erwiderte Angélique, »aber eigentlich ist das gar nicht unangenehm. Ich habe den Eindruck, als stände ich über den Dingen. Ich weiß nicht, ob die Pferdekur, der ich mich eben unterzogen habe, der Gesundheit zuträglich ist, aber jedenfalls beruhigt sie die Nerven. Ihr braucht Euch keine Sorgen zu machen - einerlei, was für eine Haltung mein Bruder Raymond mir gegenüber einnimmt, er wird eine demütige und fügsame Schwester vor sich haben.«

»Gut so. Ich habe immer ein wenig Angst vor Eurem rebellischen Geist. Werdet Ihr wieder ins Bad gehen, bevor Ihr das nächste Mal dem König gegenübertretet?«

»Ach, hätte ich es doch getan!« seufzte Angélique. »Es wird kein nächstes Mal geben. Nie mehr werde ich dem König gegenübertreten.«

»Man soll nicht sagen: nie mehr. Das Leben ist veränderlich, das Rad dreht sich unentwegt.«

Ein Windstoß löste das Tuch, das die junge Frau um ihr Haar geschlungen hatte. Desgray blieb stehen und knüpfte es wieder fest. Bewegt nahm Angélique die beiden braunen und warmen Hände mit den langen, edelgeformten Fingern zwischen die ihren.

»Ihr seid sehr gut, Desgray«, flüsterte sie und hob ihre müden Augen zu ihm.

»Ihr täuscht Euch sehr, Madame. Seht Euch diesen Hund an.«

Er deutete auf Sorbonne, der mutwillig um sie herumsprang. Er hielt ihn auf, packte ihn beim Kopf und entblößte das kräftige Gebiß der Dogge.

»Was haltet Ihr von diesen Fangzähnen?«

»Sie sind fürchterlich!«

»Wißt Ihr, worauf ich diesen Hund dressiert habe? Wenn der Abend sich über Paris herabsenkt, gehen wir beide auf die Jagd. Ich lasse ihn an einem alten Tuchfetzen schnüffeln, an einem Gegenstand, der dem Strolch gehört, hinter dem ich her bin. Und wir ziehen los; wir gehen zu den Uferböschungen der Seine, wir streichen unter den Brücken und Pfahlmauern umher, wir irren durch die Vorstädte und die alten Befestigungsanlagen, wir schauen in die Höfe, wir steigen in die Kloaken hinunter, wo es von Bettlern und Banditen wimmelt. Und plötzlich stürmt

Sorbonne davon. Wenn ich ihn eingeholt habe, hält er meinen Mann an der Gurgel fest - oh, ganz zart, nur eben so, daß der andere sich nicht rühren kann. Ich sage zu meinem Hund auf deutsch: >Warte!<, denn ich habe ihn von einem deutschen Söldner gekauft. Ich trete auf den Mann zu, verhöre ihn und fälle das Urteil. Manchmal lasse ich Gnade walten, manchmal hole ich Polizisten, die ihn ins Châtelet bringen, und manchmal sage ich mir: >Wozu die Gefängnisse und die Herren von der Justiz bemühen?< Und ich sage zu Sorbonne: >Faß an!< Und es gibt einen Strolch weniger in Paris.«

»Und ... Ihr macht das oft?« fragte Angélique, der ein Schauer über den Rücken lief.

»Ziemlich oft, ja. Ihr seht also, daß ich keineswegs gut bin.«

Nach kurzem Schweigen murmelte sie: »In einem Menschen sind so viele verschiedene Dinge vereinigt. Man kann sehr böse und zugleich sehr gut sein. Weshalb betreibt Ihr dieses schreckliche Handwerk?«

»Ich habe es Euch bereits gesagt: ich bin zu arm. Mein Vater hat mir nur seine Advokatenzulassung und seine Schulden vererbt. Er hat sich Tag und Nacht in den Spielhäusern herumgetrieben. Ich selbst habe immer nur die Armut gekannt. Ich habe in einem jener Kollegien des Universitätsviertels Latein gelernt, in denen sich einem im Winter vor Kälte die Haut abschält. Dort ist meine Vorliebe für die Schenken gewachsen, denn glaubt mir, es gibt für einen armen Studenten nichts Herrlicheres, als sich die Hände aufzuwärmen, indem man einen safttriefenden Braten am Spieße dreht. Meine Liebschaften sind die ein wenig reiferen Freudenmädchen gewesen, die meine Füße zwischen ihre dicken Schenkel nahmen, um sie aufzuwärmen, und die keinen Sol von mir verlangten, weil ich jung und stürmisch war.

Meine Domäne sind die Gassen von Paris und ihr Leben bei Nacht. Möglich, daß ich ein gewitzter Advokat werde, falls ich einen großen Prozeß gewinne. Aber wie die Dinge liegen, sieht’s viel eher so aus, als würde ich als verruchter Bösewicht, als >Schleicher< von der schlimmsten Sorte enden.«

»Was ist denn das?«

»Der Name, den die Untertanen Seiner Majestät des Großen Coesre, Fürsten der Bettler, den Leuten von der Polizei geben.«

»Kennen sie Euch schon?«

»Sie kennen vor allem meinen Hund.«

Die Rue du Temple öffnete sich vor ihnen, von Schlammlöchern unterbrochen, über die man Bretter gelegt hatte. Noch vor wenigen Jahren hatte dieses Viertel lediglich aus Gemüsegärten bestanden, und jetzt noch sah man zwischen den neuen Häusern Kohlfelder und kleine Ziegenherden.

Die vom finsteren Wartturm der einstigen Tempelherrn überragte Umfassungsmauer tauchte auf.

Desgray bat Angélique, einen Augenblick zu warten, und betrat den Laden eines Krämers. Gleich darauf kam er wieder zum Vorschein, mit einem sauberen, aber spitzenlosen Kragen und einem violetten Leibstrick versehen. Weiße Manschetten zierten seine Handgelenke. Die Tasche seines Rocks wölbte sich auf seltsame Weise. Er entnahm ihr ein Taschentuch und hätte dabei fast einen dicken Rosenkranz fallen lassen. Ohne daß er die Kleidung gewechselt hatte, wirkten sein Rock und seine abgetragene Kniehose jetzt beinahe vornehm. Der Gesichtsausdruck tat offenbar das Seinige hinzu, denn Angélique widerstrebte es mit einem Male, den gewohnten vertraulichen Ton beizubehalten.

»Ihr seht aus wie ein frommer Beamter«, sagte sie einigermaßen verblüfft.

»Muß ein Advokat nicht so aussehen, der eine junge Dame zu ihrem Jesuitenbruder begleitet?« erkundigte sich Desgray, indem er respektvoll den Hut lüftete.

Als Angélique sich der mit Zinnen versehenen Mauer des Temple näherte, ahnte sie nicht, daß dies derjenige Stadtteil von Paris war, in dem man am freiesten lebte.

Dieser befestigte Bezirk hatte ursprünglich den kriegerischen Mönchen gehört, die sich Tempelritter und später Malteserritter nannten. Noch jetzt besaß der Orden uralte Privilegien, die selbst der König anerkannte: hier bezahlte man keine Steuern, hier hatten weder die verwaltungsmäßigen noch die polizeilichen Vorschriften Geltung, hier waren die zahlungsunfähigen Schuldner vor der Verfolgung sicher. Seit mehreren Generationen war der Temple das Leibgedinge der großen Bastarde von Frankreich. Der gegenwärtige Großprior, der Herzog von Vendôme, stammte in direkter Linie von Heinrich IV. und seiner Mätresse, der berühmten Gabrielle d’Estrées, ab.

Angélique, der die besonderen rechtlichen Verhältnisse dieser inmitten der Hauptstadt ihre Selbständigkeit bewahrenden kleinen Gemeinde unbekannt waren, empfand eine gewisse Beklemmung, während sie die Zugbrücke überschritt. Doch auf der anderen Seite des Torgewölbes umfing sie eine ebenso überraschende wie beruhigende Stille.

Der Temple hatte sich seit langem seiner militärischen Tradition begeben. Er war nur noch so etwas wie ein friedlicher Zufluchtsort, der seinen glücklichen Bewohnern alle Annehmlichkeiten eines zugleich zurückgezogenen und mondänen Lebens bot.

Im Schutz des massiven Cäsarturms besaßen die Jesuiten ein behagliches Haus, in dem insbesondere diejenigen Mitglieder ihres Ordens lebten, die bei hohen Persönlichkeiten des Hofs das Amt des Hausgeistlichen versahen.

Desgray bat den Seminaristen, der sie einließ, den R. P de Sancé zu benachrichtigen, daß ein Rechtskonsulent ihn in der Angelegenheit des Grafen Peyrac zu sprechen wünsche.

Sie wurden in ein kleines Besuchszimmer geführt und brauchten nur wenige Minuten zu warten, bis Pater de Sancé lebhaften Schrittes über die Schwelle trat. Er erkannte Angélique auf den ersten Blick.

»Meine liebe Schwester!« sagte er und küßte sie brüderlich.

»O Raymond!« flüsterte sie, gestärkt durch diese Begrüßung.

Er bedeutete ihnen, Platz zu nehmen.

»Wie steht die unerfreuliche Angelegenheit?«

Desgray ergriff das Wort und gab eine knappe Darstellung der Situation. Graf Peyrac befinde sich unter der geheimen Anklage der Hexerei in der Bastille. Als erschwerend komme hinzu, daß er das Mißfallen des Königs und den Argwohn einflußreicher Persönlichkeiten erregt habe.

»Ich weiß, ich weiß!« murmelte der Jesuit.