142424.fb2 Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 85

Ang?lique - читать онлайн бесплатно полную версию книги . Страница 85

Madame Cordeau hatte ein Kinderbettchen für Florimond heraufbringen lassen, einen Stapel Holz und eine Schüssel mit Brei.

Nachdem Desgray und Gontran gegangen waren, fütterte die junge Frau den Kleinen und legte ihn schlafen. Florimond quengelte und verlangte nach Barbe und seinen kleinen Vettern. Um ihn auf andere Gedanken zu bringen, summte sie ein Lied: das von der grünen Mühle, das er besonders gern mochte. Die Wunde schmerzte sie kaum mehr, und die Versorgung des Kindes bedeutete eine willkommene Ablenkung. Wenn sie sich auch daran gewöhnt hatte, zahllose Dienstboten zur Verfügung zu haben, war doch andererseits ihre Kindheit so hart gewesen, daß das Verschwinden der letzten Dienerin ihr nicht allzuviel ausmachte.

Im übrigen - hatten die Nonnen sie damals in Poitiers nicht an grobe Arbeiten gewöhnt, >im Hinblick auf die Prüfungen, die der Himmel uns senden kann<?

Als daher das Kind eingeschlafen war und sie selbst sich zwischen den groben, aber sauberen Laken ausstreckte und als der Nachtwächter unter ihrem Fenster vorbeiging mit dem Ruf: »Die Uhr hat zehn geschlagen. Das Tor ist verschlossen. Ihr Leut’ in Temple, schlaft in Frieden .« - da überkam sie schließlich ein Gefühl des Wohlbehagens und der Entspannung, und während draußen der Regen fiel, schlief sie friedlich ein.

Auf der Ballei hatte sie sich unter dem unverfänglichen Namen Madame Martin eintragen lassen. Niemand stellte ihr Fragen. Die folgenden Tage verbrachte sie in dem ungewohnten, aber angenehmen Gefühl, eine junge Mutter aus dem einfachen Volke zu sein, die sich unter ihre Nachbarn mischt und keine anderen Pflichten kennt, als ihr Kind zu versorgen. Sie aß gemeinsam mit Madame Cordeau, deren fünfzehnjährigem Sohn, der Lehrling in der Stadt war, und einem ruinierten Kaufmann, der sich im Temple vor seinen Gläubigern verbarg.

Der Knabe Florimond heimste viele Komplimente ein, und Angélique war sehr stolz darauf. Sie nützte den kleinsten Sonnenstrahl aus, um zwischen den Ständen des Platzes mit ihm spazierenzugehen, wo alle Marktfrauen ihn entzückt mit dem Jesuskind in der Krippe verglichen.

Einer der Schmuckwarenhändler, der seinen Stand dicht bei dem Hause hatte, in dem Angélique wohnte, bot ihr ein kleines Kreuz mit imitierten Rubinen für ihn an. In Erinnerung an bessere Zeiten konnte sie nicht widerstehen und befestigte es am Halse des Kleinen.

Die Hersteller von unechten Edelsteinen gehörten zu den Handwerkern jeglicher Art, die sich im Temple-Bezirk niederließen, um sich den tyrannischen Vorschriften der Zünfte zu entziehen, und da die Goldschmiede von Paris die Fabrikation von Imitationen untersagten, bot nur der Temple die Möglichkeit, all jenen Tand zu kaufen, an dem die Mädchen aus dem Volke so viel Freude hatten. Aus allen Ecken der Hauptstadt kamen sie hierher, munter und hübsch anzusehen in ihren billigen Kleidern, die zumeist aus düsteren, grauen Stoffen geschneidert waren und ihnen den Spitznamen Grisetten einbrachten.

Angélique, die die buntschillernden Farben des Hofs kennengelernt hatte, verwunderte und betrübte sich über das gleichförmige Aussehen der einfachen Leute. Nicht wenige waren noch nach der Mode des vergangenen Jahrhunderts gekleidet. Sie selbst hatte ihre letzten Taft- und Seidenröcke mit einem Kleid aus derber brauner Wolle vertauscht. Für Florimond hatte sie einen Kittel von der gleichen Farbe und einen Kapuzenmantel gekauft.

Auf ihren Spaziergängen mied sie die Straßen des Temple-Bezirks, in denen sich teils aus Neigung, teils aus Sparsamkeit reiche und vornehme Leute niedergelassen hatten. Sie befürchtete, von den Besuchern erkannt zu werden, deren Kutschen mit großem Gepolter über die Brücke fuhren, und vor allem wollte sie sich sehnsüchtige Gedanken ersparen. Ein vollständiger Bruch mit der Vergangenheit schien in jeder Hinsicht ratsam, und im übrigen - war sie nicht die Frau eines armen, von allen verlassenen Gefangenen .?

Als sie indessen eines Tages mit Florimond auf dem Arm die Treppe hinunterstieg, begegnete sie ihrer Zimmernachbarin, deren Gesicht ihr irgendwie vertraut vorkam. Madame Cordeau hatte ihr gesagt, sie beherberge auch eine sehr arme, aber ziemlich zurückhaltende junge Witwe, die es vorzöge, sich gegen einen kleinen Zuschlag die Mahlzeiten auf ihr Zimmer bringen zu lassen. Im Vorbeigehen blickte Angélique flüchtig in ein reizvolles, brünettes Gesicht mit sehnsuchtsvollen, rasch gesenkten Augen, das sie nicht mit einem Namen verbinden konnte, obwohl sie sicher war, ihm schon einmal begegnet zu sein.

Bei der Rückkehr vom Spaziergang schien die junge Witwe auf sie zu warten.

»Seid Ihr nicht Madame de Peyrac?« fragte sie.

Ärgerlich und ein wenig beunruhigt bedeutete ihr Angélique, in ihr Zimmer zu treten.

»Ihr saßet an jenem Tag, als der König in Paris einzog, zusammen mit mir in der Kutsche meiner Freundin Athénaïs de Rochechouart. Ich bin Madame Scarron.«

Jetzt erkannte Angélique die ebenso schöne wie unscheinbare junge Frau wieder, die damals in ihrem dürftigen Kleid mit von der Partie gewesen war und deren sie sich alle ein wenig geschämt hatten.

Sie hatte sich inzwischen kaum verändert, außer daß ihr Kleid noch abgenutzter und geflickter war.

Aber sie trug einen schneeweißen Kragen und wahrte eine Dezenz, die etwas Rührendes hatte.

Trotz allem beglückt, sich mit einem Menschen aus dem Poitou unterhalten zu können, bot Angélique ihr vor dem Kamin Platz an, und sie verzehrten mit Florimond zusammen ein wenig Gebäck.

Françoise d’Aubigné gestand ihr, sie habe sich im Temple eingemietet, weil man hier drei Monate lang wohnen könne, ohne Miete zu bezahlen. Nun ja, sie sei mit ihren Mitteln völlig am Ende und stehe vor der Aussicht, von ihren Gläubigern auf die Straße gesetzt zu werden. Doch hoffe sie, im Verlaufe dieser drei Monate beim König oder bei der Königin-Mutter durchsetzen zu können, daß man die Rente von zweitausend Livres, die Seine Majestät ihrem Gatten zu dessen Lebzeiten gewährt hatte, auf sie übertrage.

»Ich gehe fast jede Woche in den Louvre und stelle mich an den Weg zur Kapelle. Ihr wißt doch, daß Seine Majestät, wenn sie ihre Gemächer verläßt, um die Messe zu hören, eine Galerie durchquert, in der die Bittsteller sie anreden dürfen. Es gibt dort immer eine Unmenge von Mönchen, Kriegswaisen und ausgedienten Soldaten ohne Pension. Wir müssen manchmal sehr lange warten. Endlich erscheint der König. Ich muß gestehen, jedesmal, wenn ich meine Bittschrift in die königliche Hand lege, klopft mein Herz so heftig, daß ich fürchte, der König könnte es hören.«

»Bisher hat er nicht einmal Eure Bitte gehört!«

»Allerdings, aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß er eines Tages einen Blick darauf wirft.«

Die junge Witwe war über alles orientiert, was bei Hofe vorging. Sie erzählte von Mademoiselle de Montpensier, die wieder einmal in Ungnade gefallen und vom König aus unerfindlichen Gründen auf ihre Besitzung Saint-Fargeau verbannt worden sei, von der in aller Stille gefeierten Hochzeit Monsieurs mit Henriette von England, bei der die beiden Ehegatten nach übereinstimmender Ansicht recht sauere Gesichter gezogen hätten. Philippe d’Orléans habe heimlich bei dem Gedanken an die Pflichten geseufzt, denen er seiner reizenden jungen Gattin gegenüber würde nachkommen müssen. Henriette von England habe dagegen ihren königlichen Schwager mit Blicken verfolgt, die unzweideutig erkennen ließen, auf wen sich ihre Enttäuschung bezogen habe und daß ihr lange gehegter Wunsch, Schwiegertochter Anna von Österreichs zu werden, auf nicht eben beglückende Weise in Erfüllung gegangen sei. Indessen habe am anderen Morgen der ganze Louvre zugegeben, daß der zuvor von seinem Bruder gehörig ins Gebet genommene kleine Monsieur sein Bestes getan zu haben scheine und daß die junge Gattin offenbar nicht ausgesprochen enttäuscht gewesen sei. Zur Belohnung habe Ludwig XIV. die Rückkehr des anläßlich des Ereignisses entfernten Chevaliers de Lorraine erlaubt.

Angélique amüsierte sich höchlichst. Françoise d’Aubigné plauderte mit sehr viel Witz und Geist, und wenn sie sich ihrer Zurückhaltung begab, strahlte sie ungewöhnlichen Charme aus. Es schien sie nicht zu überraschen, die prunkgewohnte Madame de Peyrac in einem solch kümmerlichen Milieu wiederzusehen, und sie schwatzte, als befände sie sich in einem Salon.

Um jeglicher Indiskretion vorzubeugen, klärte Angélique sie mit einigen Worten über ihre Situation auf: Sie warte unter einem angenommenen Namen auf den Prozeß und die Rehabilitierung ihres Gatten, um erst dann wieder unter die Menschen zu treten. Sie vermied es, ihr zu sagen, wessen der Graf Peyrac beschuldigt wurde, denn trotz der ein wenig schlüpfrigen Geschichten, die sie erzählte, schien Françoise Scarron sehr fromm zu sein. Sie war eine konvertierte Protestantin, die in ihren Prüfungen Trost bei der Religion suchte.

Angélique schloß:

»Ihr seht, daß meine Situation noch schwieriger ist als die Eurige, Madame. Deshalb habe ich leider keine Möglichkeit, Euch bei Euren Bemühungen behilflich zu sein. Denn so mancher Mensch, der noch vor wenigen Monaten tief unter mir stand, hat jetzt das Recht, auf mich herabzublicken.«

»Man könnte die Leute in zwei Kategorien einteilen«, erwiderte die Witwe des geistreichen Krüppels: »Solche, die sich einem nützlich erweisen können, und solche, die einem nutzlos sind. Mit den ersteren verkehrt man, um sich Protektion zu verschaffen, mit den letzteren zu vergnüglichem Zeitvertreib.«

Beide brachen in fröhliches Gelächter aus.

»Weshalb sieht man Euch so selten?« fragte Angélique. »Ihr könnt doch mit uns zusammen essen?«

»Oh, ich bringe es einfach nicht über mich!« sagte die Witwe erschauernd. »Ich muß gestehen, daß mir beim Anblick dieser Mutter Cordeau und ihres Sohnes himmelangst wird ...!«

Angélique wollte sich eben über diesen Ausspruch verwundern, als sie durch ein merkwürdiges Geräusch, etwas wie ein animalisches Grunzen, das von der Treppe kam, abgelenkt wurde.

Madame Scarron öffnete die Tür und prallte entgeistert zurück.

»Mein Gott, da drunten ist ein Teufel!«

»Was wollt Ihr damit sagen?«

»Jedenfalls ist es ein ganz schwarzer Mann.«

Angélique stieß einen Schrei aus und stürzte zum Treppengeländer.

»Kouassi-Ba!« rief sie.

»Médême«, antwortete Kouassi-Ba von unten.

Wie ein düsteres Gespenst erschien er auf der dunklen, engen Treppe. Er war in jämmerliche, durch Schnüre zusammengehaltene Lumpen gekleidet. Seine Haut war grau und schlaff. Doch als er Flori-mond erblickte, stieß er wilde Freudenrufe aus und stürzte zu ihm.

Françoise Scarron verließ mit allen Zeichen des Entsetzens das Zimmer und flüchtete in das ihrige. Angélique hatte ihr Gesicht in den Händen vergraben, um nachzudenken. Wann eigentlich ... ja, wann eigentlich war Kouassi-Ba verschwunden? Sie konnte sich nicht mehr erinnern. Alles verwirrte sich. Endlich fiel ihr ein, daß er sie am Morgen jenes schrecklichen Tages, an dem sie vom König empfangen worden und beinahe durch die Hand des Herzogs von Orléans ums Leben gekommen war, in den Louvre begleitet hatte. Von diesem Augenblick an hatte sie, wie sie sich eingestehen mußte, Kouassi-Ba völlig vergessen!

Sie warf ein Reisigbündel ins Feuer, damit er seine regendurchnäßten Lumpen trocknen konnte, und tischte ihm auf, was sie nur aufzutreiben vermochte. Während er alles heißhungrig in sich hineinschlang, berichtete er ihr seine Odyssee.

In jenem großen Schloß, in dem der König von Frankreich wohnt, hatte Kouassi-Ba lange, lange auf Médême gewartet. Schrecklich lange! Die vorbeikommenden Mägde hatten sich über ihn lustig gemacht.

Dann war es Nacht geworden. Dann hatte er viele, viele Stockhiebe bekommen. Er war im Wasser aufgewacht, jawohl im Wasser, das an dem großen Schloß vorbeifließt.

»Man hat ihn niedergeschlagen und in die Seine geworfen«, sagte sich Angélique.

Kouassi-Ba war geschwommen; dann hatte er das Ufer erreicht. Beim Aufwachen hatte er geglaubt, in seine Heimat zurückgekehrt zu sein. Drei Mohren hatten sich über ihn gebeugt. Männer wie er, keine von den kleinen Negerknaben, die den vornehmen Damen als Pagen dienten.

»Bist du sicher, nicht geträumt zu haben?« fragte Angélique verwundert. »Mohren in Paris! Ich habe hier noch nie ausgewachsene gesehen.«

Durch vieles Fragen brachte sie schließlich heraus, daß er von Schwarzen aufgelesen worden war, die auf dem Jahrmarkt von Saint-Germain als Wunder gezeigt wurden und mit dressierten Bären umherzogen. Kouassi-Ba war nicht zu überreden gewesen, bei ihnen zu bleiben. Er hatte Angst vor den Bären gehabt.