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»Wie hast du das kaufen können?«
»Oh, ich habe nicht gekauft. Ich bin in einen Bäk-kerladen gegangen und habe so gemacht« - er schnitt eine grausige Grimasse -, »die Frau und das Fräulein haben sich unter dem Ladentisch versteckt, und ich habe die Kuchen genommen, um sie meinem kleinen Herrn zu bringen.«
»Mein Gott!« seufzte Angélique entsetzt.
»Wenn ich meinen langen, krummen Säbel hätte .«
»Ich habe ihn beim Trödler verkauft«, sagte die junge Frau hastig.
Sie hielt es nicht für ausgeschlossen, daß die Häscher Kouassi-Ba auf der Spur waren. Draußen war schon Stimmengewirr zu hören, und als sie ans Fenster trat, bemerkte sie einen Menschenauflauf vor dem Haus. Ein dunkel gekleideter Herr von respektablem Aussehen sprach streng auf Mutter Cordeau ein. Angélique öffnete das Fenster, um zu erfahren, worum es gehe. Mutter Cordeau rief ihr zu:
»Bei euch soll angeblich ein ganz schwarzer Mann sein?«
Angélique ging eilends hinunter.
»Das ist richtig, Madame Cordeau. Es handelt sich um einen Mohren, um . um einen ehemaligen Diener. Er ist ein sehr ordentlicher Bursche.«
Der respektable Herr stellte sich daraufhin als Amtmann des Temple vor, dessen Aufgabe es war, im Namen des Großpriors innerhalb des Bezirks die Befolgung der Verordnungen zu überwachen. Er erklärte, es ginge nicht an, daß ein Mohr sich hier aufhalte, zumal dieser, wie man ihm berichtet habe, wie ein Bettler gekleidet sei.
Nachdem man eine gute Weile hin und her geredet hatte, verbürgte sich Angélique dafür, daß Kouassi-Ba vor Einbruch der Dunkelheit den Bezirk verlassen werde. Bekümmert stieg sie wieder hinauf.
»Was soll ich nur mit dir anfangen, mein guter Kou-assi-Ba? Deine Anwesenheit verursacht einen richtigen Aufruhr. Und ich habe nicht mehr genügend Geld, um dich zu ernähren und zu erhalten. Und du bist an ein üppiges, sorgloses Leben gewöhnt .«
»Verkauf mich, Médême!«
Und als sie ihn verblüfft anschaute, setzte er hinzu:
»Der Graf hat mich sehr teuer gekauft, und dabei war ich damals noch klein. Jetzt bin ich mindestens tausend Livres wert. Dann hast du eine Menge Geld, um meinen Herrn aus dem Gefängnis zu befreien.«
Angélique sagte sich, daß der Schwarze recht hatte. Genau besehen, war Kouassi-Ba alles, was ihr von ihrem einstigen Besitz blieb. Die Sache widerstrebte ihr, aber war es nicht wirklich der beste Weg, um eine Zuflucht für den armen Burschen zu finden, der Gefahr lief, den Lastern der zivilisierten Welt anheimzufallen?
»Komm morgen wieder«, sagte sie zu ihm. »Bis dahin werde ich eine Lösung gefunden haben. Und sieh dich vor, daß du dich nicht von den Häschern erwischen läßt.«
»Oh, ich weiß schon, wie ich mich verberge. Ich habe viele Freunde in dieser Stadt. Ich mache so, und dann sagen die Freunde: >Du bist einer der Unsrigen<, und sie nehmen mich in ihre Häuser mit.«
Er zeigte ihr, wie man auf eine bestimmte Art die Finger kreuzen mußte, um sich den besagten Freunden gegenüber auszuweisen.
Sie gab ihm eine Decke und schaute lange der dunklen, einsamen Gestalt nach, die sich im rieselnden Regen entfernte. Nach einigem Überlegen beschloß sie, zu ihrem Bruder zu gehen und ihm um Rat zu fragen. Doch der R. P de Sancé war abwesend.
Gedankenverloren machte sie sich auf den Rückweg, als ein junger Mann mit einem Geigenkasten unterm Arm sie, von Pfütze zu Pfütze springend, überholte.
»Giovanni!«
Das war wirklich ein Tag des Wiedersehens! Sie zog den kleinen Musikanten unter die Vorhalle der alten Kirche und fragte ihn, was er treibe.
»Ich bin noch nicht im Orchester Monsieur Lullys«, sagte er, »aber Mademoiselle de Montpensier hat mich, als sie nach Saint-Fargeau zog, an Madame de Soissons abgetreten, die zur Verwalterin des Hauses der Königin ernannt worden ist. Ich habe also glänzende Beziehungen«, schloß er mit gewichtiger Miene, »dank denen ich meine Nebeneinkünfte vermehren kann, indem ich jungen Damen aus guter Familie Musik- und Tanzunterricht gebe. Ich komme gerade von Mademoiselle de Sévigné, die im Palais Boufflers wohnt.«
Nach einem scheuen Blick auf die bescheidene Kleidung seiner einstigen Herrin setzte er verlegen hinzu:
»Und Ihr, Madame? Darf ich fragen, wie Eure Angelegenheiten stehen? Wann werden wir den Herrn Grafen wiedersehen?«
»Bald. Es ist nur eine Frage von Tagen«, erwiderte Angélique, die an etwas anderes dachte. »Giovanni«, fuhr sie fort, indem sie den Jungen bei den Schultern faßte, »ich habe mich entschlossen, Kouassi-Ba zu verkaufen. Ich erinnere mich, daß die Herzogin von Soissons ihn zu erwerben wünschte, aber ich kann den Temple-Bezirk nicht verlassen, geschweige denn, mich in die Tuilerien begeben. Willst du die Sache vermitteln?«
»Ich stehe immer zu Euren Diensten, Madame«, sagte der kleine Musikant artig.
Er schien sich beeilt zu haben, denn kaum zwei Stunden danach, als Angélique eben Florimonds Mahlzeit richtete, klopfte jemand an ihre Tür. Sie machte auf und stand einer großen, rothaarigen Frau mit arroganter Miene und einem Lakaien gegenüber, der die kirschrote Livree des herzoglichen Hauses Soissons trug.
»Wir kommen auf Veranlassung Giovannis«, sagte die Frau, unter deren Umhang ein höchst kokettes Kammermädchenkleid hervorschaute. Sie hatte den zugleich gerissenen und kecken Gesichtsausdruck der bevorzugten Zofe einer großen Dame.
»Meine Herrin ist bereit, der Sache näherzutreten«, fuhr sie fort, nachdem sie Angélique und das Zimmer abschätzend gemustert hatte, »aber erst wollen wir wissen, was für uns dabei abfällt.«
»Vielleicht bemühst du dich um einen anständigen Ton, mein Kind«, versetzte Angélique mit einer Kühle, die sofort die geziemende Distanz herstellte.
Sie setzte sich und ließ die beiden vor ihr stehen.
»Wie heißt du?« fragte sie den Lakaien.
»La Jacinthe, Frau Gräfin.«
»Schön. Immerhin hast du scharfe Augen und ein waches Gedächtnis. Warum soll ich zwei Leute bezahlen?«
»Nun ja, bei Vermittlungsgeschäften arbeiten wir immer zusammen.«
»Ein beachtliches Gespann. Ein Glück, daß nicht das ganze Haus des Herrn Herzogs sich daran beteiligt! Folgendes sollt ihr tun: der Frau Herzogin sagen, daß ich ihr meinen Mohren Kouassi-Ba verkaufen möchte. Aber ich kann mich nicht in die Tuilerien begeben. Eure Herrin muß mir also irgendein Haus im Temple nennen, wo wir uns zu einer Besprechung treffen können. Aber ich bestehe darauf, daß die Sache mit größter Diskretion behandelt und daß auch mein Name nicht genannt wird.«
»Das wird sich schon deichseln lassen«, sagte die Zofe nach einem Blick auf ihren Spießgesellen.
»Ihr bekommt zwei Livres auf zehn Livres. Das bedeutet also, daß ihr um so besser fahrt, je höher der Preis ist. Und Madame de Soissons muß dermaßen darauf erpicht sein, diesen Mohren zu bekommen, daß sie vor keiner Zahl zurückschreckt.«
»Wird gemacht«, versprach die Zofe. »Übrigens hat die Frau Herzogin erst neulich bedauert, als ich sie frisierte, diesen scheußlichen Teufel nicht in ihrem Gefolge zu haben! Wohl bekomm er ihr! Viel Vergnügen!« schloß sie, indem sie die Augen zum Himmel aufschlug.
Angélique und Kouassi-Ba warteten in einem kleinen Kabinett des Palais Boufflers.
Gelächter und lebhaftes Stimmengewirr drangen aus den Salons herein, in denen Madame de Sévigné heute empfing. Wenn Angélique es sich auch nicht eingestehen wollte, schmerzte es sie doch, sich ausgeschlossen zu wissen, während wenige Schritte entfernt die Frauen ihrer Welt sorglos ihr unbeschwertes Leben weiterführten.
Neben ihr rollte Kouassi-Ba seine großen, angsterfüllten Augen. Sie hatte für ihn bei einem der Trödler des Temple eine alte Livree mit verblichenem Goldbesatz ausgeliehen, in der er eine reichlich unglückliche Figur machte.
Endlich wurde die Tür von der Zofe Madame de Soissons’ geöffnet, und die letztere rauschte lebhaft herein.
»Aha, das ist die Frau, von der du mir gesprochen hast, Bertille ...«
Sie hielt inne, um Angélique ‘aufmerksam zu betrachten.
»Großer Gott!« rief sie aus. »Ihr seid das, meine Liebe?«
»Ich bin’s«, sagte Angélique lachend, »aber, bitte, verwundert Euch nicht. Ihr wißt, daß mein Gatte in der Bastille ist. Da fällt es mir schwer, in besseren Verhältnissen zu leben als er.«