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»Das kommt daher, weil er friert und hungert«, warf Angélique rasch ein. »Aber Ihr werdet sehen - sobald er gegessen hat, ist er wieder kohlrabenschwarz.«
Die schöne Frau machte ein enttäuschtes Gesicht. Mit einer raubtierartigen Bewegung richtete sich Kouassi-Ba auf.
»Ich bin noch stark. Schau!«
Er riß die alte Livree auf, und seine breite, mit seltsamen Tätowierungen bedeckte Brust wurde sichtbar. Er stemmte die Schultern zurück, ließ die Muskeln spielen und hob die Arme wie die Ringkämpfer auf dem Jahrmarkt. Lichtreflexe glitten über seine bronzene Haut.
Dann senkten sich die langen Lider über seine elfenbeinfarbenen Augäpfel. Nur ein ganz schmaler Spalt blieb, aus dem er die Herzogin fixierte. Ein leichtes, zugleich arrogantes und zärtliches Lächeln begann um die dicken Lippen des Mohren zu spielen.
Noch nie hatte Angélique Kouassi-Ba so schön gesehen und noch nie, noch niemals so ... angsterregend.
Das Männliche in seiner ganzen primitiven Kraft fixierte seine Beute. Der Schwarze hatte instinktiv erfaßt, was diese weiße, nach neuen Wonnen lüsterne Frau wollte.
Mit halbgeöffneten Lippen stand Olympe de Sois-sons wie bezwungen da. In ihren dunklen Augen lohte eine seltsame Flamme. Das leise Wogen ihres schönen Busens, die Lüsternheit ihres Mundes verrieten die Begierde in solcher Schamlosigkeit, daß sogar die Zofe trotz all ihrer Dreistigkeit die Augen niederschlug und Angélique am liebsten davongelaufen wäre.
Endlich schien die Herzogin sich zu fassen. Sie öffnete ihren Fächer und bewegte ihn mechanisch.
»Wieviel ... wieviel wollt Ihr haben?«
»Zweitausendfünfhundert Livres.«
Die Augen der Zofe leuchteten auf.
Olympe de Soissons, plötzlich ernüchtert, zuckte zusammen.
»Ihr seid wahnsinnig!«
»Zweitausendfünfhundert Livres, oder ich behalte ihn«, erklärte Angélique kühl.
»Meine Liebe .«
»O Madame!« rief Bertille aus, die zaghaft einen Finger auf Kouassi-Bas Arm gelegt hatte. »Wie zart seine Haut ist! Man sollte nicht glauben, daß ein Mann eine so zarte Haut haben kann. Wie ein Blütenblatt.«
Die Herzogin strich ihrerseits mit dem Finger über den glatten, geschmeidigen Arm. Ein wollüstiger Schauer überlief sie. Beherzt berührte sie die Tätowierungen der Brust und brach in Lachen aus.
»Gut, ich kaufe ihn. Es ist eine Torheit, aber ich merke schon, daß ich nicht ohne ihn sein kann. Bertille, sagt La Jacinthe, er soll mir meine Kassette bringen.«
Wie auf Verabredung trat der Lakai mit einem ledernen Kästchen ein.
Während der Mann, der bei der Herzogin die Rolle des Haushofmeisters für ihre heimlichen Vergnügungen zu spielen schien, die Summe vorzählte, gab die Zofe auf Weisung ihrer Herrin Kouassi-Ba ein Zeichen, ihr zu folgen.
»AufWiedersehen, Médême, aufWiedersehen«, sagte der Mohr, indem er sich Angélique näherte. »Und meinem kleinen Herrn Florimond sollst du sagen .«
»Es ist gut, geh!« versetzte sie hart.
Der Blick, den er ihr zuwarf, bevor er den Raum verließ, der Blick eines geprügelten Hundes, traf sie wie ein Dolchstoß ins Herz ...
Nervös zählte sie die Geldstücke und ließ sie in ihre Börse gleiten. Sie hatte jetzt nur einen Wunsch: so rasch wie möglich von hier wegzukommen.
»O meine Liebe, all das ist sehr hart, ich ahne es«, seufzte die Herzogin von Soissons, »aber verliert nicht den Mut, das Rad dreht sich unaufhörlich. Gewiß, man kommt leicht in die Bastille, aber man kommt auch wieder heraus. Wißt Ihr, daß Péguillin de Lauzun wieder vom König in Gnaden aufgenommen worden ist?«
»Péguillin!« rief Angélique aus, die dieser Name und diese Nachricht plötzlich aufheiterten. »Oh, wie freue ich mich! Wie ist das zugegangen?«
»Kommt, setzt Euch, ich werde Euch ein wenig unterhalten«, sagte die andere huldvoll. »Die Geschichte ist unbezahlbar, und da Ihr Péguillin kennt, wird sie Euch im übrigen nicht verwundern. - Ihr wißt, daß dieser dreiste Edelmann, der nie ein Blatt vor den Mund nimmt, dem König so viele Frechheiten gesagt haben soll, daß dieser ihn in die Bastille schickte. Andere behaupten, es sei geschehen, weil Lauzun sich mit Philippe d’Orléans geschlagen habe. Wie dem auch sein mag, Lauzun fehlte Seiner Majestät, die nur nach einem Vorwand suchte, um ihn zurückzurufen. In der vergangenen Woche nun erzählte beim Petit Lever einer der Höflinge Seiner Majestät von dem Kapuzinerbart, den sich der Gefangene habe wachsen lassen. >Oh, das muß ich sehen!< sagte der König, >man soll ihn schleunigst zu mir führen.<
Vier Stunden später stand unser bärtiger Péguillin vor dem König. Dieser lachte so schallend, daß die griesgrämigsten Höflinge und sogar Monsieur de Préfontaines sich verpflichtet fühlten, desgleichen zu tun.
>Sire<, sagte Péguillin todernst, >man muß schon mein Herr sein, um ungestraft über meinen Bart lachen zu dürfen.<
>Oh, aber dieser Bart ist köstlich!< bemerkte der König.
>Eure Majestät sehen, daß nicht viel dazu gehört, um aus einem Manne von guter Familie einen Ziegenbock zu machen, zumal an einem galanten Hofe.< >Herzog, Ihr treibt es immer zu weit mit Euren Scherzen. Wann werdet Ihr Euch endlich bessern?< >Meiner Treu, Sire, so wie ich bin - vom Bart abgesehen -, habe ich mir die Ehre verdient, Eurer Güte teilhaftig zu werden. Wenn ich mich ändern soll, bitte ich Euch, es mich wissen zu lassen. Eure Majestät und ich, wir werden uns dann gemeinsam bessern.<
>Gut denn, Unbesonnener, ich begnadige Euch. Ihr seid frei.<
>Habt Dank, mein erlauchter Gebieter, aber wollet geruhen, Euch zu erklären: Wird die Gnade dem Nichtsnutz gewährt, der ich war, oder dem vernünftigen Menschen, der ich sein soll?<
>Auf jeden Fall ist es der komische Kerl, der Ihr seid, der daraus Nutzen ziehen wird.<
Worauf der Teufelsbursche von Lauzun die Knie des Königs umschlang, denn niemand versteht besser als er, die Kühnheit eines verwöhnten Günstlings mit der Unterwürfigkeit eines Höflings zu vereinen. Der König hat für ihn die Stelle des Obersten der Dragoner von Frankreich geschaffen, und Péguillin hat sich den Bart abschneiden lassen.«
»Ich freue mich sehr für Lauzun«, seufzte Angélique.
Die Herzogin von Soissons betrachtete sie neugierig.
»Es ist sogar behauptet worden, Lauzun habe sich Euretwegen mit Monsieur geschlagen .«
Angélique durchschauerte es in der Erinnerung an die furchtbare Szene. Noch einmal beschwor sie Madame de Soissons, strengstes Stillschweigen zu bewahren und ihren Zufluchtsort nicht zu verraten. Die Herzogin, die lange Erfahrung gelehrt hatte, daß in Ungnade Gefallene zu schonen waren, solange der Gebieter sie nicht endgültig verworfen hatte, sagte alles zu und verabschiedete sie mit einer Umarmung.
Dem Verkauf Kouassi-Bas und die Vorbereitungen dazu hatten Angélique von der unmittelbaren Sorge um ihren Gatten abgelenkt. Jetzt, da dessen Schicksal nicht mehr von ihren kümmerlichen Bemühungen abhing, fühlte sie sich von einem gewissen Fatalismus überkommen, zu dem ihr Zustand das Seinige beitrug. Gleichwohl verlief ihre Schwangerschaft normal, allen Befürchtungen zum Trotz. Das Kind, das sie trug, schien sogar recht lebhaft, und es gedieh zweifellos, obwohl die junge Frau eine noch immer schlanke Figur hatte. Madame Cordeau versicherte, es würde ein Mädchen werden, und zwar ein etwas scheinheiliges, weil es doch so tat, als ob es gar nicht da sei.
Gontran machte ihr einen Abschiedsbesuch. Er war im Begriff, aufWanderschaft zu gehen. Er hatte einen Maulesel gekauft. »Keinen so schönen wie die bei uns daheim«, sagte er. In den Städten würden die geheimen Bruderschaften der Gesellen ihn aufnehmen. Ob er wohl unter dem Bruch mit seiner Welt litt? Es schien nicht so. Mit melancholischen Gefühlen sah sie ihm nach, bis er verschwand.
Eines Vormittags kam Angélique mit Florimond von einem kleinen Spaziergang in der Gegend des mächtigen Festungsturms zurück, als sie ein Geschrei vernahm.
Gleich darauf sah sie den Sohn ihrer Wirtin hastig über den Markt laufen. Er versuchte dabei, seinen Kopf vor dem Steinhagel zu schützen, mit dem ihn eine Rotte Straßenjungen verfolgte.
»Cordeau! Corde-au-cou![6] Streck die Zunge heraus, Galgenstrick!«
Der Junge schlüpfte wortlos ins Haus.
Wenig später, als es Mittagessenszeit geworden war, fand Angélique ihn in der Küche vor, wo er friedlich seine Portion Erbsensuppe löffelte.
Für den Sohn Mutter Cordeaus hatte Angélique kein sonderliches Interesse. Er war ein kräftiger Bursche von fünfzehn Jahren, stämmig und wortkarg, dessen niedere Stirn mangelhafte Intelligenz verriet, aber er benahm sich seiner Mutter und den Mietern gegenüber zuvorkommend. Seine offensichtlich einzige Unterhaltung bestand darin, am Sonntag mit Florimond zu spielen, dem er in allem zu Willen war.
»Was ist denn da vorhin passiert, mein armer kleiner Cordeau?« fragte die junge Frau, während sie sich vor die derbe Terrine setzte, aus der die Wirtin eben Erbsen und Walfischspeck schöpfte. »Warum hast du dich mit deinen dicken Fäusten nicht gegen die groben Jungen zur Wehr gesetzt, die dich mit Steinen bewarfen?«