142424.fb2
Jetzt«, fuhr Desgray mit einem gewissen Zögern fort, »komme ich zu dem Schriftstück, das mir das beunruhigendste und verwunderlichste des ganzen Faszikels zu sein scheint. Es handelt sich um einen von drei Geistlichen verfaßten Bericht über einen Fall von Exorzismus, in dem erklärt wird, Euer Gatte sei der Besessenheit und des Umgangs mit dem Teufel überführt.«
»Das ist doch nicht möglich!« rief Angélique aus, der ein kalter Schauer über den Rücken lief. »Wer sind diese Priester?«
»Der eine ist jener Mönch Becher, den ich neulich schon erwähnte. Ich weiß nicht, ob er als Offizial die Bastille betreten konnte, jedenfalls steht fest, daß diese Zeremonie tatsächlich stattgefunden hat. Und die Zeugen versichern, daß alle Reaktionen des Grafen auf schlagende Weise sein Bündnis mit dem Teufel beweisen.«
»Das kann nicht sein«, wiederholte Angélique. »Ihr selber glaubt doch nicht etwa daran?«
»Ich bin ein Freigeist, Madame. Ich glaube weder an Gott noch an den Teufel.«
»Schweigt«, stammelte sie und bekreuzigte sich hastig. Darauf lief sie zu Florimond und drückte ihn an sich.
»Hast du gehört, was er gesagt hat, mein Engelchen?« flüsterte sie. »Oh, die Männer sind verrückt.«
Nach einer kurzen Stille trat Desgray zu ihr.
»Macht Euch keine unnützen Sorgen«, meinte er. »Ganz bestimmt steckt da ein Schwindel dahinter, und wir müssen zusehen, daß wir ihm zur rechten Zeit auf die Sprünge kommen. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß dieses Schriftstück höchst beunruhigend ist, denn es wird die Richter vermutlich ganz besonders beeindrucken. Die Teufelsbeschwörung ist nach den Riten des Kirchengerichts in Rom durchgeführt worden, und die Reaktionen des Angeklagten sind belastend für ihn. Ich habe mir im besonderen die Reaktionen im Zusammenhang mit den Teufelsflecken und der Behexung anderer notiert.«
»Was bedeutet das?«
»Bezüglich der Teufelsflecken erklären die Dä-monologen, daß gewisse Stellen des Körpers eines Besessenen gegen die Berührung mit einem vorher exorzisierten silbernen Stift empfindlich sind. Nun, im Verlauf dieser Probe haben die Zeugen furchtbare und >wahrhaft infernalische< Schreie vernommen, die der Angeschuldigte immer wieder ausstieß, während ein gewöhnlicher Mensch das leichte Betupfen mit diesem harmlosen Instrument kaum empfindet. Was die Behexung anderer betrifft, so ist eine Person vor ihn geführt worden, die alle bekannten Anzeichen der Besessenheit zeigte.«
»Wenn es sich dabei um Carmencita handelt, traue ich ihr zu, daß sie ihre Komödiantenrolle aufs trefflichste gespielt hat«, sagte Angélique sarkastisch.
»Vermutlich handelt es sich um jene Nonne, aber ihr Name wird nicht erwähnt. Auf jeden Fall steckt dahinter irgendein Betrug, wie ich schon sagte, aber da ich sicher bin, daß die Geschworenen dieser Sache große Bedeutung beimessen werden, muß ich sie Punkt für Punkt widerlegen können. Und vorläufig weiß ich noch nicht, wie.«
»Vielleicht kann Euch mein Gatte selbst Aufklärung geben?«
»Hoffen wir es«, seufzte der Advokat.
In seiner Schneeverbrämung wirkte der riesige Block der Bastille noch düsterer und trübseliger als sonst. Von den Plattformen der Wehrtürme stiegen winzige graue Rauchfahnen zum verhangenen Himmel auf. Wahrscheinlich hatte man beim Gouverneur und in der Wachstube eingeheizt, aber Angélique konnte sich unschwer die eisige Feuchtigkeit der Zellen vorstellen, in denen die >vergessenen< Gefangenen sich auf ihren schimmelnden Strohsäcken zusammenkauerten.
Desgray hatte sie in eine kleine Schenke der Vorstadt Saint-Antoine geführt, wo sie auf ihn warten sollte. Der Wirt und noch mehr dessen Tochter schienen ihm wohlbekannt zu sein.
Von ihrem Ausguck neben dem Fenster konnte Angélique alles beobachten, ohne bemerkt zu werden. Das Gefängnis ragte genau ihr gegenüber auf. Sie sah deutlich die Posten des Außenwerks, die in die Hände bliesen und durch Stampfen ihre Füße zu wärmen suchten. Zuweilen rief ihnen einer ihrer Kameraden von der Höhe der Zinnen ein Wort zu, und ihre hallenden Stimmen durchschnitten die eisige Luft.
Die Schenke lag an der morastigen Rue de la Contrescarpe, die am Zeughauskanal und den Gräben der Bastille entlangführte. Trotz der Kälte war die Luft durch den faden Geruch der fauligen Gewässer verpestet.
Reiter und Kaufleute, die die Stadtgrenze an der Porte Saint-Antoine erreichten, machten halt, um den Zoll zu entrichten. Eine Weile wurde Angélique durch die Ankunft eines Zigeunertrupps abgelenkt, auf dessen mageren Kleppern Frauen und Kinder mit dunklen, glühenden Augen saßen.
Die Männer, die mit arroganter Miene Rapiere und Federhüte trugen, stritten sich lange mit dem Zöllner. Schließlich ließen sie zwei Äffchen vor ihm tanzen, und da der Mann seinen Spaß daran hatte, brauchten sie nichts zu bezahlen.
Gleich darauf fuhr, von Läufern begleitet, eine Kutsche vorüber, und Angélique erkannte im Innern die Gesichter Madame Fouquets und ihrer Tochter. Es fiel ihr ein, daß der Oberintendant zur Zeit im Zeughaus wohnte, wo er glänzende Gesellschaften gab.
»Ich wünschte«, dachte Angélique, »ich wünschte von ganzem Herzen, dieser Mann würde eines Tags den Lohn für all seine Schurkereien ernten. Schließlich ist das Zeughaus nicht allzu weit von der Bastille entfernt.«
Endlich erkannte sie Desgray, der von der Zugbrücke her zwischen den Pfützen der Straße auf die Schenke zuschritt. Ihr Herz begann in unerklärlicher Beklommenheit zu klopfen.
Sein Verhalten und sein Gesichtsausdruck kamen ihr merkwürdig vor. Er bemühte sich zu lächeln, dann sprach er überstürzt und in einem Ton, der Angélique unecht erschien. Er sagte, es sei ihm ohne sonderliche Mühe gelungen, Monsieur de Peyrac zu sprechen, und der Gouverneur habe sie sogar eine Weile allein gelassen. Sie waren übereingekommen, daß Desgray die Verteidigung übernehmen sollte.
Zuerst hatte der Graf keinen Advokaten haben wollen und behauptete, wenn er darauf eingehe, bedeute das zugleich seine Zustimmung, vor ein gewöhnliches Gericht gestellt zu werden und nicht, wie er es verlange, vor den Gerichtshof des Parlaments. Er wolle sich selbst verteidigen. Aber nach kurzer Unterhaltung mit dem Advokaten hatte er dessen Mitwirkung zugestimmt.
»Ich wundere mich, daß ein so argwöhnischer Mensch wie er so rasch nachgegeben hat«, meinte Angélique. »Eigentlich hatte ich erwartet, Ihr würdet einen richtigen Kampf mit ihm ausfechten müssen.«
Der Advokat zog die Stirn in Falten, als litte er an heftigen Kopfschmerzen, und bat die Tochter des Wirts, ihm einen Schoppen Bier zu bringen.
Endlich sagte er in wunderlichem Ton:
»Euer Gatte hat allein beim Anblick Eurer Schriftzüge nachgegeben.«
»Er hat meinen Brief gelesen? Hat er sich über ihn gefreut?«
»Ich habe ihn ihm vorgelesen.«
»Warum hat er .«
Sie hielt inne und sagte dann mit tonloser Stimme:
»War er denn nicht fähig, selbst zu lesen? Weshalb? Ist er krank? Redet doch! Ich habe das Recht, es zu erfahren!«
Unbewußt hatte sie den jungen Mann beim Handgelenk gepackt und bohrte ihm die Nägel ins Fleisch.
Desgray wartete, bis das Mädchen, das ihm das Bier brachte, sich wieder entfernt hatte.
»Faßt Euch«, sagte er mit einem Mitgefühl, das nicht geheuchelt war, »es ist besser, Ihr erfahrt alles. Der Gouverneur der Bastille hat mir nicht verheimlicht, daß Graf Peyrac die Folter erlitten hat.«
Angélique wurde leichenblaß.
»Was hat man ihm angetan? Hat man ihm die abgezehrten Glieder gebrochen?«
»Nein, wohl haben ihn die Folterung mit den spanischen Stiefeln und das Stäupen sehr geschwächt, und seitdem kann er nur liegen. Aber das ist noch nicht das schlimmste. Er benutzte die Abwesenheit des Gouverneurs, um mir Einzelheiten über die Prüfung mitzuteilen, die der Mönch Becher mit ihm vorgenommen hat. Er versicherte, daß der Stift, dessen sich dieser dabei bediente, mit einer langen Nadel versehen war, die Becher ihm immer wieder tief ins Fleisch stieß. Von jähem Schmerz erfaßt, schrie er ein paarmal auf, was von den Zeugen ungünstig ausgelegt wurde. Was die besessene Nonne betrifft, so hat er sie nicht einwandfrei erkannt, da er halb ohnmächtig war.«
»Leidet er sehr? Ist er verzweifelt?«
»Er ist sehr gefaßt, obwohl er sich nach nahezu dreißig Verhören erschöpft fühlt.«
Nachdem er eine Weile nachdenklich vor sich hin gestarrt hatte, setzte Desgray hinzu:
»Darf ich es Euch gestehen? Im ersten Augenblick hat mich sein Anblick abgestoßen. Ich konnte mir nicht vorstellen, daß Ihr die Frau dieses Mannes seid. Als wir aber einige Worte miteinander gewechselt hatten und ich seinen leuchtenden Augen begegne-te, erkannte ich die Seelenverwandtschaft ... Oh, ich vergaß! Graf Peyrac hat mir etwas für seinen Sohn Florimond aufgetragen. Er läßt ihm sagen, daß er ihm bei seiner Rückkehr zwei kleine Spinnen mitbringen wird, die er das Tanzen gelehrt hat.«
»Puh! Ich hoffe, Florimond wird sie nicht anrühren«, sagte Angélique, die sich mühsam beherrschte, um nicht in Tränen auszubrechen.
»Jetzt sehen wir klarer«, sagte der R. P de Sancé nach Anhören des Berichts, den ihm der Advokat über seine letzten Schritte erstattet hatte. »Nach Eurer Ansicht, Maître, wird sich die Anklage auf den Vorwurf der Hexerei beschränken und auf das von dem Mönch Becher verfaßte Protokoll stützen?«
»Ich bin fest davon überzeugt, denn gewisse Behauptungen, die den Grafen Peyrac des Verrats am König zu beschuldigen suchten, haben sich als haltlos erwiesen. Notgedrungen kehrt man zur ursprünglichen Anschuldigung zurück: ein Hexenmeister ist es, den das Zivilgericht abzuurteilen gedenkt.«