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»Wir hätten gewonnenes Spiel, wenn die Richter, die alle sehr religiös sind, überzeugt werden könnten, daß es sich hier um einen Scheinexorzismus handelt.«
»Wir werden Euch behilflich sein, das zu beweisen.«
Raymond de Sancé schlug mit der Handfläche auf den Tisch des Sprechraums und wandte sein edel geformtes, blasses Gesicht dem Advokaten zu. Diese Bewegung und die halbgeschlossenen Augen - das war mit einem Male der auferstandene Großvater de Ridouët. Und Angélique spürte beglückt, wie der schützende Schatten von Monteloup sich über ihr bedrohtes Heim breitete.
»Denn da gibt es etwas, was Ihr nicht wißt, Herr Advokat«, sagte der Jesuit in bestimmtem Ton, »ebensowenig wie viele Kirchenfürsten in Frankreich, deren Wissen auf religiösem Gebiet freilich oft sehr viel geringer als das eines kleinen Landpfarrers ist. So wißt denn, daß es in Frankreich nur einen einzigen Mann gibt, der vom Papst autorisiert worden ist, die Fälle von Besessenheit und Manifestationen des Satans zu prüfen. Dieser Mann gehört dem Jesuitenorden an. Nur dank seines besonnenen Lebenswandels, seiner tiefschürfenden Studien hat er von Seiner Heiligkeit das furchtbare Privileg empfangen, mit dem Höllenfürsten von Angesicht zu Angesicht Zwiesprache zu pflegen. Maître Desgray, ich glaube, Ihr werdet die Richter weitgehend entwaffnen, wenn Ihr ihnen erklärt, daß einzig ein vom R. P Kircher, dem Großexorzisten von Frankreich, unterzeichnetes diesbezügliches Protokoll in den Augen der Kirche Gültigkeit besitzt.«
»Gewiß«, rief Desgray erregt aus, »ich gestehe, daß ich etwas Ähnliches geahnt habe. Dieser Mönch Becher hat jedoch eine infernalische Geschicklichkeit bewiesen, und es ist ihm gelungen, sich beim Kardinal de Gondi, dem Erzbischof von Paris, Glauben zu verschaffen. Aber ich werde diese schändliche Prozedur anprangern, ich werde die Priester anprangern, die durch eine gotteslästerliche Scheinhandlung versucht haben, die Kirche lächerlich zu machen.«
»Wollet Euch einen Augenblick gedulden«, sagte der Pater de Sancé und stand auf. Gleich darauf kam er in Begleitung eines anderen Jesuiten zurück, den er als den Pater Kircher vorstellte.
Angélique war sehr beeindruckt von der Begegnung mit dem Großexorzisten von Frankreich. Sie wußte eigentlich nicht, was sie sich unter ihm vorgestellt hatte, auf jeden Fall aber keinen Mann von so bescheidenem Aussehen. Ohne die schwarze Soutane und das kupferne Kreuz auf der Brust hätte man diesen großen schweigsamen Jesuiten gut und gern für einen friedlichen Bauern gehalten und nicht für
jemanden, der mit dem Teufel umzugehen pflegte.
Angélique spürte, daß auch Desgray seiner angeborenen Skepsis zum Trotz von der Persönlichkeit des Neuankömmlings gefesselt wurde.
Raymond erklärte, er habe Pater Kircher bereits über die Angelegenheit orientiert, und teilte ihm die neuesten Ereignisse mit.
Der Großexorzist hörte mit beruhigendem Lächeln zu. »Die Sache erscheint mir sehr einfach«, sagte er schließlich. »Ich muß meinerseits einen vorschriftsmäßigen Exorzismus durchführen. Das Protokoll, das Ihr dann vor Gericht verlesen und durch meine Aussagen stützen werdet, dürfte das Gewissen jener Herren zweifellos in einen heiklen Konflikt bringen.«
»So einfach ist es nun wieder nicht«, bemerkte Desgray, während er sich nachdenklich den Kopf kratzte. »Euch Eintritt in die Bastille zu verschaffen, selbst in der Eigenschaft des Gefängnisgeistlichen, scheint mir bei diesem scharf bewachten Gefangenen ein aussichtsloses Unterfangen zu sein .«
»Um so mehr, als wir zu dritt sein müssen.«
»Warum das?«
»Der Leibhaftige ist ein zu durchtriebenes Wesen, als daß ein einziger Mensch, und sei er auch mit Gebeten gewappnet, ihn ungefährdet herausfordern könnte. Um mit einem Manne zu reden, der Umgang mit dem Teufel pflegt, bedarf es zumindest des Beistands meiner beiden gewohnten Akoluthen.«
»Aber mein Gatte pflegt gar keinen Umgang mit dem Teufel«, protestierte Angélique.
Rasch bedeckte sie ihr Gesicht mit den Händen, um ein krampfhaftes Lachen zu verbergen, das sie plötzlich überkam. Bei der Behauptung, ihr Gatte verkehre mit dem Teufel, stellte sie sich Joffrey vor, wie er vor einem Ladentisch stand und vertraulich mit einem gehörnten und grinsenden Teufel plauderte. Ach, wären sie doch endlich wieder daheim in Toulouse vereinigt
- wie würden sie dann über solche Torheiten lachen! Sie malte sich aus, wie sie auf Joffreys Knien sitzen und ihr Gesicht in Joffreys dichtem, duftendem Haar bergen würde, während seine wunderbaren Hände in endlosen Liebkosungen aufs neue von dem Körper Besitz nahmen, den er so liebte.
Ihr unangebrachtes Lachen endete in einem kurzen Aufschluchzen.
»Faß dich, meine liebe Schwester«, sagte Raymond sanft. »Die Geburt Christi heißt uns hoffen: Friede den Menschen, die guten Willens sind.«
Doch dieses Schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung zermürbte die junge Frau. Wenn sie sich die letzte Weihnacht in Toulouse vergegenwärtigte, wurde sie im Gedanken an den zurückgelegten Weg mit Entsetzen gepackt.
Hätte sie es sich ein Jahr zuvor träumen lassen, daß sie diesen Heiligabend, an dem die Glocken von Paris unter dem grauen Himmel tönten, am armseligen Herd einer Mutter Cordeau verbringen würde? Neben der Alten, die ihre Wolle spann, und dem Henkerlehrling, der harmlos mit dem kleinen Florimond spielte, empfand sie kein anderes Bedürfnis, als ihre Hände zum Feuer auszustrek-ken. Neben ihr, auf derselben Bank, ließ die Witwe Scarron, ebenso jung, ebenso schön, ebenso arm und verlassen wie sie, auf ihrem geflickten Kleid die Perlen ihres Rosenkranzes durch die Finger gleiten, und zuweilen schob sie sanft den Arm um Angéliques Taille und schmiegte sich an sie, in dem fröstelnden Verlangen nach der körperlichen Wärme eines anderen Menschenwesens. - Der alte Modewarenhändler hatte sich gleichfalls an das einzige Feuer des ärmlichen Häuschens geflüchtet und schlummerte in seinem Polsterstuhl, den er heruntergeschafft hatte. Er murmelte im Schlaf und rechnete Zahlen zusammen, auf der hartnäckigen Suche nach den Gründen seines Bankrotts.
Als ihn das Knistern eines Holzscheits weckte, lächelte er und rief bemüht heiter aus:
»Wir wollen nicht vergessen, daß Jesus zur Welt kommen wird. Die ganze Welt ist fröhlich. Laßt uns ein kleines Weihnachtslied singen!«
Und zu Florimonds großem Vergnügen stimmte er mit zittriger Stimme ein Liedchen an. Doch schon nach den ersten Takten klopfte jemand an die Tür. Ein dunkler Schatten wurde sichtbar, der Corde-au-cou ein paar Worte zuflüsterte.
»Es ist für Madame Angélique«, sagte der Junge.
Im Glauben, Desgray vorzufinden, trat sie hinaus und sah im Vorraum einen gestiefelten, in einen weiten Umhang gehüllten Reitersmann, dessen tief in die Stirn gezogener Hut das Gesicht verbarg.
»Ich komme, um Abschied von dir zu nehmen, liebe Schwester.«
Es war Raymond.
»Wohin reist du?« fragte sie verwundert.
»Nach Rom ... Ich kann dir keine Einzelheiten über den Auftrag sagen, der mir erteilt worden ist, aber morgen schon wird alle Welt wissen, daß die Beziehungen zwischen der Französischen Botschaft und dem Vatikan sich verschlechtert haben. Der Botschafter hat es abgelehnt, den Anweisungen des Heiligen Vaters Folge zu leisten, die besagten, daß nur das Personal der diplomatischen Vertretungen zum Bereich der Botschaften Zugang haben sollte. Und Ludwig XIV. hat erklären lassen, er werde jeden Versuch, ihm einen fremden Willen aufzuzwingen, mit der Waffe beantworten. Wir stehen am Vorabend eines Bruchs zwischen der Kirche von Frankreich und dem Papsttum. Eine solche Katastrophe muß um jeden Preis vermieden werden. Ich muß mit verhängten Zügeln nach Rom reiten, um zu versuchen, einen Ausgleich herzustellen und die Gemüter zu besänftigen.«
»Du reist!« wiederholte sie niedergeschlagen. »Auch du läßt mich im Stich? Und der Brief für Joffrey?«
»Ach, mein liebes Kind, ich fürchte sehr, unter den gegebenen Umständen wird jegliches Ersuchen des Papstes von unserm Monarchen übel aufgenommen werden. Aber du kannst dich darauf verlassen, daß ich mich während meines Aufenthalts in Rom um deine Angelegenheit kümmern werde. Komm, hier hast du etwas Geld. Und dann hör zu: ich habe Desgray vor einer knappen Stunde gesprochen. Dein Gatte ist in das Gefängnis des Justizpalasts gebracht worden.«
»Was bedeutet das?«
»Daß sein Fall bald verhandelt werden wird. Aber das ist noch nicht alles. Desgray setzt alle Hebel in Bewegung, um zu bewirken, daß Pater Kircher und seine Akoluthen vorgelassen werden. Heute nacht wollen sie sich einschmuggeln und bis zu dem Gefangenen vordringen. Ich zweifle nicht, daß die Probe von entscheidender Bedeutung sein wird. Hab Vertrauen!«
Sie hörte ihm beklommenen Herzens zu, unfähig, neue Hoffnung zu schöpfen.
Der Geistliche nahm die junge Frau bei den Schultern, drückte sie an sich und küßte brüderlich ihre kalten Wangen.
»Hab Vertrauen, liebe Schwester«, wiederholte er.
Dann lauschte sie den vom Schnee gedämpften Hufschlägen zweier Pferde, die sich in Richtung des Torturms entfernten. Durch die Porte Saint-Antoine würden sie die Straße nach Lyon erreichen und mit verhängten Zügeln den Alpen, dann Italien zustreben.
Ein Schauer überlief Angélique. In dieser Nacht noch, während die Weihnachtsglocken läuteten und die Orgeln von Notre-Dame und der anderen Kirchen ihre fröhlich brausenden Fluten über die Pelze vermummter Fürstlichkeiten ergossen, würden drei Männer in das grausige Dunkel eines Verlieses schleichen, um dort den Teufel herauszufordern.
Stumm befestigte sie die Börse, die Raymond ihr zugeschoben hatte, an ihrem Gürtel, kehrte auf ihren Platz neben Madame Scarron zurück und versuchte zu beten.
Der Advokat Desgray bewohnte auf dem Petit-Pont, der die Cité mit dem Universitätsviertel verbindet, eines jener schmalen, alten Häuser mit spitzem Dach, deren Fundamente seit Jahrhunderten von der Seine bespült werden und die all den Überschwemmungen zum Trotz noch immer standhalten.
Da Angélique ihre Ungeduld nicht mehr beherrschen konnte, suchte sie ihn schließlich auf, obwohl er ihr geraten hatte, den Temple-Bezirk sowenig wie möglich zu verlassen. Sie hatte seine Adresse vom Wirt der »Drei Mohren« bekommen. Seit Raymonds Abreise hatte sie den jungen Mann nicht mehr gesehen und auch keine Nachricht von ihm erhalten. Die Jesuiten empfingen sie freundlich, aber auch sie wußten nichts oder wollten nichts sagen. Pater Kircher war unauffindbar, und man gab ihr zu verstehen, daß der Großexorzist nicht dauernd belästigt werden dürfe. So machte sie sich, nachdem sie eine Maske aufgesetzt und sich in ihren Umhang gehüllt hatte, endlich auf die Suche nach dem Advokaten.
An dem Ort angekommen, den man ihr bezeichnet hatte, zögerte sie einen Augenblick. Wirklich, dieses Haus paßte zu Desgray: ärmlich, verkommen und ein ganz klein wenig arrogant.
Der Schatten der Gefängnismauern des Kleinen Châtelet, in dem die randalierenden Studenten eingesperrt zu werden pflegten, fiel auf seine verwahrloste Fassade. Im Erdgeschoß beschützte eine von alten Skulpturen umgebene Statue des heiligen Nikolas den Laden eines Wachsziehers. Bei ihm kauften die Beter der nahe gelegenen Kathedrale von Notre-Dame ihre Weihkerzen ein.
Der Wachszieher gab der jungen Frau Auskunft: der »Unglückskanzlist« wohne im obersten Stockwerk. Das sei eben gut genug für ein übles Individuum, das sich mit dem Hinweis auf seinen blutdürstigen Hund weigere, Miete zu zahlen, und für einen verkommenen Trunkenbold, der in alles seine Nase stecke und die ehrlichen Leute nicht in Frieden lasse. Ganz bestimmt werde man ihn eines Tages in der Seine wiederfinden, und - beim heiligen Nikolaus! - alle Welt werde sich geradezu darum reißen, ihn dort hineinzuwerfen.
Nicht ganz unberührt durch diese Schmähungen kletterte Angélique die Wendeltreppe hinauf, deren morsches Holzgeländer mit seltsamen grinsenden Skulpturen verziert war. Im obersten Stockwerk gab es nur eine Tür. Da sie an der Schwelle den Hund Sorbonne schnuppern hörte, klopfte sie. Ein üppiges Frauenzimmer mit geschminktem Gesicht und einem Halstuch, das den ausladenden Busen nur mangelhaft verhüllte, öffnete ihr.
Angélique zuckte zurück. Auf dergleichen war sie nicht gefaßt gewesen.
»Was willst du?« fragte die andere.