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Angélique war kaum überrascht, als die Nonne eine solche vorzeigte, wobei sie murmelte: »Dienst Seiner Eminenz des Kardinals Mazarin!«
Ein Gerichtsdiener nahm sich daraufhin ihrer an und führte sie in den Saal zu etwas abseits gelegenen Plätzen, von denen aus man jedoch alles sehen und hören konnte, und Angélique stellte überrascht fest, daß sie sich in Gesellschaft zahlreicher Nonnen der verschiedensten Orden befand, die ein hoher Geistlicher insgeheim zu überwachen schien. Angélique fragte sich, was diese Nonnen in einem Prozeß zu schaffen haben mochten, bei dem es um Alchimie und Hexerei ging.
Der Saal, der zu einem der ältesten Teile des Justizpalastes zu gehören schien, zeichnete sich durch hohe Spitzbogengewölbe aus, von denen reichgeschnitzter Deckenzierat herabhing. Infolge der Butzenscheibenfenster herrschte ein trübes Halbdunkel, und ein paar Leuchter trugen zu der unheimlichen Stimmung noch das Ihrige bei. Zwei oder drei mächtige Kachelöfen verbreiteten ein wenig Wärme.
Angélique bedauerte, den Advokaten nicht gefragt zu haben, ob es ihm gelungen sei, Kouassi-Ba und den alten sächsischen Bergmann zu verständigen.
Vergeblich hielt sie in der Menge nach bekannten Gesichtern Ausschau. Noch waren weder der Advokat noch der Gefangene oder die Geschworenen anwesend. Gleichwohl war der Saal besetzt, und viele Leute drängten sich trotz der frühen Stunde in den Gängen. Es ließ sich erkennen, daß manche wie zu einer Theatervorstellung gekommen waren oder vielmehr zu einer Art öffentlichen juristischen Kollegs, denn der größte Teil der Zuschauer bestand aus angehenden Richtern.
Vor ihr saß eine besonders lebhafte Gruppe und gab mit gedämpfter Stimme Kommentare, die offenbar ein noch unerfahrenes Auditorium informieren sollten.
»Worauf wartet man eigentlich?« verlangte ungeduldig ein junger Beamter mit übermäßig gepudertem Haar zu wissen.
Sein Nachbar, dessen breites, finniges Gesicht in einem Pelzkragen steckte, erwiderte gähnend:
»Man wartet darauf, daß die Saaltüren geschlossen werden und der Angeklagte hereingeführt und auf das Sünderstühlchen gesetzt wird.«
»Das Sünderstühlchen ist wohl die einzelstehende Bank dort drunten, die nicht einmal eine Lehne hat?«
Ein Kanzlist mit schmierigen Haaren drehte sich höhnisch lächelnd zu der Gruppe um und versetzte:
»Ihr verlangt doch wohl nicht, daß man für einen Gehilfen des Teufels einen Sessel bereitstellt?«
»Ein Hexenmeister soll ja angeblich auf einer Nadel oder einer Flamme stehen können«, sagte der gepuderte Advokat.
»Soviel wird man von ihm nicht verlangen, aber er wird auf jenem Schemel unter einem Kruzifix knien müssen.«
»Das ist noch viel zu luxuriös für solche Ungeheuer!« rief der Kanzlist mit den schmutzigen Haaren.
Angélique erschauerte. Wenn die allgemeine Stimmung der Menge schon so voreingenommen und feindselig war, was hatte man da erst von den vom König und seinen servilen Sbirren ausgesuchten Richtern zu erwarten?
Aber die ernste Stimme des Mannes im Pelzkragen erhob sich von neuem:
»Für mich ist das ein albernes Possenspiel. Dieser Mann ist nicht mehr Hexenmeister als Ihr oder ich. Wahrscheinlich hat er irgendeine wüste Intrige der hohen Herrn durchkreuzt, die nun einen legalen Vorwand brauchen, um ihn aus dem Wege zu räumen.«
Angélique beugte sich ein wenig vor, um das Gesicht des Sprechers erkennen zu können, der so unverblümt eine gefährliche Ansicht zu äußern wagte. Sie hätte ihn gern nach seinem Namen gefragt. Ihre Gefährtin berührte jedoch leicht ihre Hand, um sie zu größerer Zurückhaltung zu mahnen.
Der Nachbar des Mannes mit dem Pelzkragen flüsterte, nachdem er sich umgeschaut hatte:
»Ich meinte, die Edelleute hätten es nicht nötig, einen Prozeß anzustrengen, wenn sie jemanden aus dem Weg räumen wollten.«
»Man muß eben das Volk zufriedenstellen und von Zeit zu Zeit beweisen, daß der König auch einmal einen Mächtigen straft.«
»Wenn Eure Hypothese zuträfe, Maître Gallemand, daß man nämlich das Sühneverlangen des Volks befriedigen wolle, wie Nero es einstens tat, dann hätte man eine große öffentliche Sitzung anberaumt und nicht die Öffentlichkeit ausgeschlossen«, meinte der andere.
»Man merkt, daß du in diesem verdammten Handwerk noch ein blutiger Anfänger bist«, versetzte der berühmte Advokat, von dem Desgray gesagt hatte, daß seine Einfälle das Gericht erzittern ließen. »Bei öffentlicher Sitzung riskiert man das Aufbegehren des Volks, das sentimental und gar nicht so dumm ist, wie man meint. Nun, der König ist in Verfahrensdingen an sich schon gewitzt und fürchtet obendrein, die Dinge könnten einen ähnlichen Verlauf wie in England nehmen, wo das Volk nicht davor zurückschreckte, den Kopf eines Königs auf den Block zu legen. Bei uns bringt man diejenigen, die eine eigene oder unbequeme Meinung haben, auf sanfte und geräuschlose Weise zum Schweigen. Danach erst wirft man ihr noch zuckendes Gerippe den niedersten Instinkten des Gesindels zum Fraß vor. Dann beschuldigt man den Pöbel der Bestialität, die Priester reden von der Notwendigkeit, seine üblen Gelüste zu zähmen, und, wohlgemerkt, vorher und nachher wird eine Messe gelesen.«
»Die Kirche ist an diesen Übergriffen unschuldig«, protestierte ein nahebei sitzender Geistlicher, indem er sich den Wortführern zuwandte. »Ich möchte feststellen, Ihr Herren, daß heutzutage allzuoft Laien in Unkenntnis des kanonischen Rechts sich anmaßen, das göttliche Recht umzubiegen. Und ich glaube Euch versichern zu können, daß die Mehrzahl der hier anwesenden Mönche tief beunruhigt ist über die Eingriffe der weltlichen Macht in die kirchliche Sphäre.«
»Aber die Kirche ihrerseits darf die Einheit des französischen Staats nicht untergraben, deren Verteidiger der König ist«, mischte sich ein alter Herr rechthaberisch ein.
Die Leute sahen sich nach ihm um und mochten sich fragen, was er wohl hier tat. In den meisten stieg leiser Argwohn auf, und sie wandten sich ab; sie bereuten offensichtlich, sich vor einem Manne geäußert zu haben, der vielleicht ein Spitzel seiner Majestät war.
Nur Maître Gallemand versetzte, nachdem er ihn fixiert hatte:
»Nun, so verfolgt aufmerksam diesen Prozeß, Monsieur. Ihr werdet hier zweifellos ein kleines Abbild jenes großen Konflikts sehen, der bereits zwischen dem König und der römischen Kirche besteht.«
Plötzlich erstarrte das Amphitheater in lautloser Stille. Angélique stockte das Herz. Sie hatte Joffrey erblickt.
Auf zwei Stöcke gestützt, kam er mühsam humpelnd herein, und bei jedem Schritt hatte man das Gefühl, er werde das Gleichgewicht verlieren.
Er erschien ihr zugleich sehr groß und sehr gebeugt, grauenhaft abgemagert. Sie war zutiefst betroffen. Nach den langen Monaten der Trennung, in denen die Umrisse dieser einmaligen Gestalt sich in ihrer Erinnerung verwischt hatten, sah sie ihn jetzt mit den Augen der Menge wieder, und entsetzt erkannte sie die Veränderungen, die mit ihm vorgegangen waren. Sein üppiges schwarzes Haar, das ein verwüstetes, gespensterhaft bleiches Gesicht umrahmte, in dem die Narben rote Furchen bildeten, die abgenutzte Kleidung, die gespenstige Magerkeit, all das verfehlte seine Wirkung auf die Menge nicht.
Als er den Kopf hob und seine schwarzen, funkelnden Augen in einer Art spöttischer Überlegenheit durch das Halbrund wanderten, da schwand das Mitleid, das manche angerührt hatte, und ein feindseliges Gemurmel erhob sich im Saal. Dieser Anblick übertraf alle Erwartungen. Das war tatsächlich ein echter Hexenmeister!
Von den Wächtern eingerahmt, blieb Graf Peyrac vor dem Sünderstühlchen stehen, auf dem er nicht niederknien konnte.
In diesem Augenblick erschienen einige zwanzig bewaffnete Gardisten und verteilten sich über den riesigen Saal. Die Verhandlung sollte beginnen.
Eine Stimme verkündete:
»Ihr Herren, das hohe Gericht!«
Die Zuhörerschaft erhob sich, und aus der Tür im Hintergrund traten hellebardenbewehrte Gerichtsdiener im Kostüm des 16. Jahrhunderts mit Halskrause und Federbarett. Ihnen folgte eine Prozession von Richtern in Robe, Hermelinkragen und viereckigen Mützen.
Der die kleine Schar Anführende war ziemlich bejahrt, ganz in Schwarz gekleidet, und Angélique erkannte in ihm nur mit Mühe den Kanzler Séguier wieder, den sie in so prächtiger Aufmachung beim festlichen Einzug des Königs gesehen hatte. Der ihm Folgende war groß, hager und trug ein rotes Amtskleid. Danach kamen sechs Männer in Schwarz. Einer vor ihnen trug eine rote Mantille. Es war der Sieur Masseneau, Präsident des Parlaments von Toulouse, strenger gekleidet als bei der Begegnung auf der Straße von Salsigne.
Vor ihr erläuterte Maître Gallemand mit gedämpf-ter Stimme:
»Der Alte in Schwarz, der vorangeht, ist der erste Präsident des Gerichtshofs, Séguier. Der Mann in Rot ist Denis Talon, Generaladvokat der Königlichen Kammer und Hauptankläger. Die rote Mantille gehört Masseneau, einem Parlamentarier aus Toulouse, der für diesen Prozeß zum Vorsitzenden ernannt worden ist. Unter den übrigen befindet sich - der jüngste dort
- der Staatsanwalt Fallot, der sich Baron Sancé nennt und sich bei Hofe dadurch beliebt machen möchte, daß er über den Angeklagten zu Gericht sitzt, der ein angeheirateter Verwandter von ihm sein soll.«
»Wie bei Corneille«, bemerkte der Gelbschnabel mit den gepuderten Haaren.
»Freund, ich sehe, daß du dich wie all die flatterhaften jungen Leute deiner Generation zu diesen Theatervorstellungen begibst, denen kein Jurist beiwohnen würde, der etwas auf sich hält. Aber glaub mir, die schönste aller Komödien wirst du heute erleben.«
Im allgemeinen Lärm konnte Angélique nichts weiter verstehen. Sie hätte gern gewußt, wer die übrigen Geschworenen waren. Aber schließlich kam es darauf nicht an, denn außer Masseneau und Fallot waren sie ihr alle fremd.
Wo blieb ihr Advokat?
Sie sah ihn durch dieselbe Tür in der Rückwand eintreten, die schon die Geschworenen benutzt hatten. Einige ihr unbekannte Ordensgeistliche folgten ihm, von denen die meisten der ersten Zuschauerreihe zustrebten, wo man ihnen offensichtlich Plätze reserviert hatte.
Angélique wurde unruhig, als sie Pater Kircher nicht entdeckte. Aber auch der Mönch Becher war nicht anwesend, und die junge Frau atmete erleichtert auf.
Endlich herrschte vollkommene Stille. Einer der Geistlichen sprach ein Segensgebet, dann hielt er dem Angeklagten das Kreuz entgegen, der es küßte und sich bekreuzigte.