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Eine scharfe Stimme rief:
»Zeigt uns die Taten Luzifers!«
Eine Bewegung ging durch die Reihen. Die Wachen stürzten sich auf den unehrerbietigen Zuschauer, packten ihn und führten ihn samt einiger seiner Kollegen sofort hinaus.
Dann wurde es wieder still.
»Angeklagter, leistet den Eid!« sagte der Präsident Séguier und glättete dabei ein Schriftstück, das ein kleiner Kanzlist ihm kniend reichte.
Angélique schloß die Augen. Nun würde er reden. Sie erwartete, eine gebrochene, schwache Stimme zu vernehmen, und zweifellos erwartete jeder der Zuschauer das gleiche, denn als die volle und reine Stimme erklang, gab es ein verwundertes Aufhor-chen.
Zutiefst bewegt, erkannte Angélique die verführerische Stimme, die ihr in den heißen toulousanischen Nächten so viele Liebesworte zugeflüstert hatte.
»Ich schwöre, die volle Wahrheit zu sagen. Indessen weiß ich, daß mir nach dem Gesetz das Recht zusteht, dieses Gericht für inkompetent zu erklären, denn als Parlamentarier unterstehe ich dem Gerichtshof des Parlaments ...«
Der Präsident schien einen Augenblick zu zögern, dann erklärte er mit einiger Hast:
»Das Gesetz läßt keinen eingeschränkten Eid zu. Schwört, und das Gericht wird sodann in der Lage sein, Euch zu richten. Schwört Ihr nicht, so wird man Euch >stumm< richten, nämlich in contumaciam, als wäret Ihr abwesend.«
»Ich sehe, Herr Präsident, daß dies ein abgekartetes Spiel ist. Deshalb und um Euch Eure Aufgabe zu erleichtern, verzichte ich auf die Inanspruchnahme all der juristischen Klauseln, die mir erlauben würden, dieses Tribunal in Bausch und Bogen für inkompetent zu erklären. Ich vertraue also auf seinen Gerechtigkeitssinn und bekräftige meinen Eid.«
Séguier verbarg seine Befriedigung nicht.
»Der Gerichtshof wird die eingeschränkte Ehre gebührend zu schätzen wissen, die Ihr ihm zu erweisen scheint, indem Ihr seine Kompetenz anerkennt. Vor Euch hat der König selbst geruht, seiner Justiz Vertrauen zu schenken, und das allein zählt. Was Euch betrifft, meine Herren vom Gericht, so seid Euch in jedem Augenblick des Vertrauens bewußt, das Seine Majestät in Euch gesetzt hat. Erinnert Euch, meine Herren Geschworenen, daß Ihr die hohe Ehre habt, hier die Macht über Leben und Tod zu verkörpern, die unser Monarch in seinen erhabenen Händen hält. Nun, es gibt zwei Gerechtigkeiten: diejenige, die sich auf die Handlungen der gewöhnlichen Sterblichen bezieht, und wären sie auch Leute von hoher Abkunft, und diejenige, die sich auf die Entscheidungen eines Königs bezieht, dessen Titel sich vom göttlichen Recht ableitet. Möge Euch die Bedeutung dieser Verbindung nicht entgehen, meine Herren. Indem Ihr im Namen des Königs Recht sprecht, tragt Ihr die Verantwortung für seine Größe. Und indem Ihr den König ehrt, ehrt Ihr zu gleicher Zeit den ersten Verteidiger der Religion in diesem Königreich.«
Nach dieser reichlich konfusen Rede, in der sich die Qualitäten des demagogischen Parlamentariers und des Höflings verbanden, zog sich Séguier majestätischen Schrittes zurück. Als er verschwunden war, nahmen alle Platz. Die Kerzen, die ihr kümmerliches Licht noch über die Pulte gestreut hatten, wurden gelöscht. Im Saal war es jetzt so düster wie in einer Krypta, und als die bleiche Wintersonne durch die Scheiben sickerte, lag plötzlich auf einigen Gesichtern ein blauer oder roter Schimmer.
Maître Gallemand flüsterte seinen Nachbarn zu: »Der alte Fuchs will nicht einmal die Verantwortung auf sich nehmen, die Anklagepunkte bekanntzugeben. Er macht es wie Pontius Pilatus, und im Falle der Verurteilung wird er die Schuld auf die Inquisition oder die Jesuiten schieben.«
»Das kann er ja nicht, da es ein weltlicher Prozeß ist.«
»Pah! Die Kurtisane Justitia muß den Befehlen ihres Meisters gehorchen und dabei auch noch dem Volk bezüglich seiner Motive Sand in die Augen streuen.«
Angélique hörte die aufrührerischen Reden in einem Zustand halber Bewußtlosigkeit. Keinen Augenblick schien es ihr, als könne all dies wahr sein. Es war ein Wachtraum, vielleicht, ja, ein Theaterstück? Sie hatte nur für ihren Gatten Augen, der ein wenig gebeugt und mühsam auf seine beiden Stöcke gestützt dastand. Ein noch vager Gedanke begann sich in ihrem Kopf zu formen. »Ich werde ihn rächen. Alles, was diese Folterknechte ihn haben erleiden lassen, werde ich sie wiederum erleiden lassen. Und wenn der Teufel existiert, wie die Religion es lehrt, so möchte ich mitansehen, wie er ihre falschen Christenseelen holt.«
Nun bestieg der Mann in Rot, der Generaladvokat Denis Talon, die Tribüne und erbrach die Siegel eines großen Umschlags. Mit schneidender Stimme begann er die Anklagepunkte zu verlesen:
»Der Sieur Joffrey de Peyrac, durch Sonderverfügung der Königlichen Kammer bereits seiner sämtlichen Titel und Güter für verlustig erklärt, ist unserem Gerichtshof überstellt worden, um wegen Hexerei, Zauberei und anderer Handlungen abgeur-teilt zu werden, die sowohl die Religion verletzen als auch die Sicherheit von Staat und Kirche bedrohen, und zwar durch die Gesamtheit seiner Betätigungen auf dem Gebiet der alchimistischen Herstellung von Edelmetallen. Wegen all dieser und noch weiterer Vergehen, die ihm in der Anklageschrift vorgeworfen werden, fordere ich, daß er gemeinsam mit seinen etwaigen Helfershelfern auf der Place de Grève verbrannt und daß ihre Asche verstreut wird, wie es den des Umgangs mit dem Teufel überführten Schwarzkünstlern zukommt. Zuvor verlange ich, daß er der peinlich und hochnotpeinlichen Befragung unterworfen wird, damit er seine Komplicen offenbart .«
Das Blut klopfte so heftig in Angéliques Ohren, daß sie das Ende der Verlesung nicht mehr in sich aufnahm. Sie kam erst wieder zur Besinnung, als die klangvolle Stimme des Angeklagten sich zum zweiten Male erhob:
»Ich schwöre, daß all dies unwahr und tendenziös ist und daß ich in der Lage bin, meine Behauptungen allen Menschen guten Glaubens zu beweisen.«
Der Staatsanwalt preßte seine dünnen Lippen zusammen und faltete seine Papiere zusammen, als ginge ihn der weitere Verlauf dieser Zeremonie nichts an. Er machte seinerseits Anstalten, sich zurückzuziehen, als der Advokat Desgray sich erhob und laut verkündete:
»Hohes Gericht, der König und Ihr habt mir die hohe Ehre verschafft, der Verteidiger des Angeklagten zu sein. So möchte ich mir erlauben, Euch vor dem Abgang des Herrn Generalstaatsanwalts eine Frage zu stellen: Wie kommt es, daß diese Anklageschrift vorher verfaßt und fix und fertig, sogar versiegelt, überreicht wurde, während die gültige Prozeßordnung nichts dergleichen vorsieht?«
Der gestrenge Denis Talon musterte den jungen Advokaten von oben bis unten und sagte mit mitleidiger Herablassung:
»Junger Maître, ich sehe, daß Ihr Euch nicht genügend informiert habt. Wißt, daß es zuerst der Präsident de Mesmon und nicht Monsieur de Masseneau war, der vom König damit beauftragt wurde, diesen Prozeß zu leiten .«
»Die Vorschrift hätte verlangt, daß der Herr Präsident Mesmon selbst seine Anklageschrift verliest!«
»Ihr wißt offenbar nicht, daß der Präsident de Mesmon gestern plötzlich gestorben ist. Indessen hat er noch die Zeit gehabt, diese Anklageschrift abzufassen, die gewissermaßen sein Testament darstellt. Ihr mögt darin, meine Herren, ein schönes Beispiel für das Pflichtgefühl eines großen Beamten des Königreichs erblicken!«
Alle Anwesenden erhoben sich zu ehrendem Gedenken Mesmons. Doch hörte man einige Rufe in der Menge:
»Ein Teufelsstreich, dieser plötzliche Tod!«
»Giftmord!«
»Das fängt gut an!«
Abermals schritten die Wachen ein. Masseneau ergriff das Wort und brachte in Erinnerung, daß die Öffentlichkeit ausgeschlossen sei. Bei der geringsten Störung werde er alle nicht unmittelbar am Prozeß Beteiligten hinausweisen lassen.
Der Saal beruhigte sich.
Maître Desgray seinerseits begnügte sich mit der Erklärung, die man ihm geliefert hatte und die einen Fall von höherer Gewalt darstellte. Er fügte hinzu, er erkenne den Wortlaut dieser Anklageschrift an, unter der Voraussetzung, daß gegen seinen Mandanten unter strenger Einhaltung dieser Grundlage verhandelt werde.
Nach einigen mit Flüsterstimme gewechselten Worten fand diese Ausgangsposition des Prozesses allgemeine Billigung. Denis Talon stellte Masseneau als Präsidenten des Gerichtshofes vor und verließ feierlich den Saal.
Angélique suchte ängstlich das runde Gesicht des Parlamentsmitglieds von Toulouse zu erforschen. Im Lichtbündel, das es vom Fenster her traf, wirkte es genauso rot wie damals unter der heißen Sonne des Languedoc.
Während er nun den Vorsitz bei diesem Verfahren übernahm, erinnerte er sich gewiß des arroganten Edelmanns, der ihn von seinem Pferd herab zugerufen hatte: »Zurück, Monsieur Masseneau! Laßt das Vermögen vorbei!«
Zweifellos würde er ein sehr rachsüchtiger Richter sein. Deshalb hatte man ihn gewählt. Und welche Haltung würde Maître Fallot einnehmen, der sich bedenkenlos zum Richter über ein Mitglied seiner Familie erhob?
Wer hätte gedacht, daß dieser galante, offenherzige König es so glänzend verstehen würde, sich die Zwistigkeiten seiner Untertanen zunutze zu machen? War dieser Prozeß nur die Frucht seiner Eifersucht und seiner gekränkten Eitelkeit, oder glaubte er wirklich an die Gefährlichkeit des großen, allzu reichen Vasallen?
Aber Angélique wollte hoffen. Alles war nur ein furchtbares Mißverständnis. Außerdem hatte Joffrey einen Anwalt. Entgegen ihren Erwartungen und Befürchtungen zeigte sich ihr Gatte versöhnlich und sogar ehrerbietig. Das würde eine günstige Wirkung auf das Gericht haben.
Schließlich und vor allem beschränkte sich die Anklage strikt auf Hexerei. Das war sehr günstig, und Angélique begriff das Vorgehen des jungen Advokaten, der diesen einzigen Anklagepunkt als alleinige Verhandlungsbasis bestätigt hatte. Denn es war verhältnismäßig einfach, die Unsinnigkeit dieser Beschuldigung darzulegen. Die praktische Demonstration, die Joffrey mit Hilfe des alten Fritz Hauer und Kouassi-Bas bewerkstelligen würde, konnte ihren Eindruck auf Richter nicht verfehlen, die alle recht gebildet waren.
Und zuallerletzt würde der Großexorzist von Frankreich, Pater Kircher, mit seinen eigenen Worten das Zeugnis der Kirche bekräftigen und erklären, daß es sich hier keineswegs um einen Fall von Hexerei handle. Ein solches Zeugnis mußte an das schließlich doch empfindliche Gewissen der Richter rühren.
Angélique fühlte sich ruhiger. Mit Kaltblütigkeit folgte sie dem Gang der Verhandlung.
Der Präsident begann mit dem Verhör.
»Gebt Ihr die Fälle von Hexerei und Zauberei zu, die Euch zur Last gelegt werden?«
»Ich leugne sie in ihrer Gesamtheit.«
»Das steht Euch nicht zu. Ihr habt auf jede einzelne Frage zu antworten, die die Anklageschrift enthält. Überdies liegt es in Eurem eigenen Interesse, denn einige von ihnen lassen sich einfach nicht abstreiten, und es ist besser, wenn Ihr Euch zu ihnen bekennt, denn Ihr habt ja geschworen, die volle Wahrheit zu sagen. Also: Gebt Ihr zu, Gift hergestellt zu haben?«
»Ich gebe zu, zuweilen chemische Produkte hergestellt zu haben, von denen einige schädlich sein könnten, wenn sie verzehrt würden. Aber ich habe sie weder zum Verzehr bestimmt noch verkauft, noch habe ich mich ihrer bedient, um jemand zu vergiften.«