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»Warum hat man dann Euer Medaillon im Mund der Toten gefunden?«
»Ich weiß es nicht. Aber nach allem, was Ihr mir sagt, möchte ich annehmen, daß sie, die sehr abergläubisch war, versuchte, mich auf diese Weise zu behexen. So werde ich vom Hexer unversehens zum Behexten. Ist das nicht spaßig, Herr Präsident?«
Es schien kaum glaublich, war jedoch nicht zu leugnen: das lange, schlotternde Gespenst begann herzlich zu lachen.
Eine Woge der Entrüstung lief durch den Saal, aber hier und dort klang auch vereinzelt Gelächter auf.
Masseneaus Stirn glättete sich nicht.
»Wißt Ihr nicht, Angeklagter, daß das Auffinden eines Medaillons im Munde einer Toten das sicherste Zeichen für Behexung ist?«
»Wie ich feststellen muß, bin ich in Fragen des Aberglaubens sehr viel weniger beschlagen als Ihr, Herr Präsident.«
Dieser ging über die Bemerkung hinweg.
»Schwört also, daß Ihr nie dergleichen geübt habt.«
»Ich schwöre bei meiner Frau, meinem Kinde und dem König, daß ich mich nie mit derartigen Albernheiten befaßt habe, jedenfalls nicht damit, was man in diesem Königreich darunter versteht.«
»Erläutert die Einschränkung Eures Schwurs.«
»Ich will damit sagen, daß ich auf meinen vielen Reisen in China und Indien Zeuge seltsamer Phänomene gewesen bin, die beweisen, daß Magie und Hexerei tatsächlich existieren, aber nichts mit den Scharlatanerien zu tun haben, die unter diesen Namen in den Ländern Europas getrieben werden.«
»Ihr gebt also zu, daß Ihr daran glaubt?«
»An die echte Hexerei, ja ... Sie weist im übrigen nicht wenige natürliche Phänomene auf, die die kommenden Jahrhunderte zweifellos aufklären werden. Aber was die Jahrmarktschausteller und die sogenannten alchimistischen Gelehrten treiben .«
»Ihr kommt also selbst auf die Alchimie zu sprechen. Nach Eurer Ansicht gibt es, wie bei der Hexerei, die echte und die falsche Alchimie?«
»Allerdings. Gewisse Araber und Spanier bezeichnen die echte Alchimie bereits mit einem besonderen Namen: Chemie. Die Chemie ist eine experimentelle Wissenschaft, innerhalb deren Gegebenheiten alle Vorgänge der Substanzverwandlung dargestellt werden können, wodurch sie sich als unabhängig vom jeweiligen Experimentator erweisen. Vorausgesetzt natürlich, daß dieser sein Handwerk gelernt hat. Dagegen ist ein überzeugter Alchimist schlimmer als ein Hexenmeister!«
»Ich freue mich, das zu hören, denn Ihr erleichtert damit die Aufgabe des Gerichts. Aber was könnte nach Eurer Ansicht schlimmer sein als ein Hexenmeister?«
»Ein Narr und ein Erleuchteter, Herr Präsident.«
Zum erstenmal in dieser feierlichen Sitzung schien der Präsident die Beherrschung zu verlieren.
»Angeklagter, ich fordere Euch auf, Euch eines ehrerbietigen Tones zu befleißigen. Es liegt in Eurem eigenen Interesse. Es ist schon schlimm genug, daß Ihr bei Eurer eidlichen Versicherung die Unverfrorenheit besaßt, Seine Majestät erst nach Eurer Frau und Eurem Kind zu erwähnen. Wenn Ihr weiterhin solche Arroganz an den Tag legt, kann der Gerichtshof sich weigern, Euch anzuhören.«
Angélique sah, wie Desgray sich ihrem Gatten zu nähern suchte, offensichtlich um ihm etwas zu sagen, und von den Wachen daran gehindert wurde. Worauf Masseneau auf der Stelle einschritt und dem Advokaten die Möglichkeit gab, in voller Freiheit seine Funktion zu erfüllen.
»Es liegt mir fern, Herr Präsident, Euch oder einem andern dieser Herren mit meinen Worten zu nahe treten zu wollen«, fuhr Graf Peyrac fort, als der Lärm sich einigermaßen gelegt hatte. »Als Wissenschaftler habe ich lediglich diejenigen angegriffen, die die unheilvolle, Alchimie genannte Wissenschaft betreiben. Ich glaube nicht, daß auch nur ein einziger von Euch, die Ihr mit so wichtigen Aufgaben überhäuft seid, sich ihr insgeheim hingibt .«
Die kleine Ansprache gefiel den Richtern, die ernst einander zunickten, und das Verhör wurde in einer etwas entspannteren Atmosphäre fortgesetzt. »Ihr seid überführt«, sagte Masseneau, nachdem er eine Weile seinen Aktenberg durchstöbert und ihm ein weiteres Blatt entnommen hatte, »bei Euren mysteriösen Verfahren, die Ihr zu Eurer Entlastung mit dem neuen Ausdruck Chemie bezeichnet, Skelette zu verwenden. Wie rechtfertigt Ihr eine so wenig christliche Handlungsweise?«
»Man darf, Herr Präsident, keinesfalls okkulte Verfahren mit chemischen Verfahren verwechseln. Die Tierknochen dienen mir einzig dazu, Asche zu gewinnen, die die Eigenschaft besitzt, die Rückstände des geschmolzenen Bleis zu absorbieren, ohne dabei auf das darin enthaltene Gold und Silber zu wirken.«
»Und haben menschliche Knochen die gleiche Eigenschaft?« fragte Masseneau hinterhältig.
»Zweifellos, Herr Präsident, aber ich gestehe, daß die tierische Asche mich völlig befriedigt und ich mich mit ihr begnüge.«
»Müssen für Eure Zwecke diese Tiere lebendig verbrannt werden?«
»Keineswegs, Herr Präsident. Kocht Ihr Euer Hühnchen in lebendem Zustand?«
Masseneaus Gesicht verdüsterte sich, doch beherrschte er sich und bemerkte, daß Anklage wegen Entweihung und Gottlosigkeit erhoben worden sei und daß sie sich nicht nur auf die Verwendung tierischer Knochen gründe und daß sie zu gegebener Zeit behandelt werden würde.
Er fuhr fort: »Hat Eure Knochenasche nicht den okkulten Zweck, die niedere Materie wie das Blei zu regenerieren, ihr Leben einzuhauchen, indem sie in edles Metall wie Gold und Silber verwandelt wird?«
»Solche Anschauung kommt der Scheindialektik der Alchimisten nah, die vorgeben, mit obskuren Symbolen zu arbeiten, während man tatsächlich keine Materie erschaffen kann.«
»Angeklagter, Ihr gebt gleichwohl die Tatsache zu, Gold und Silber auf andere Weise hergestellt zu haben als durch Sieben von Flußsand?«
»Ich habe nie Gold oder Silber hergestellt, ich habe es nur ausgeschieden.«
»Dennoch findet sich in dem Gestein, aus dem Ihr es angeblich ausscheidet, weder nach dem Zerschroten noch nach dem Waschen Gold oder Silber, wie Leute sagen, die sich darauf verstehen.«
»Das stimmt, aber das geschmolzene Blei verbindet sich mit den vorhandenen, wenn auch unsichtbaren Edelmetallen.«
»Ihr behauptet also, Gold aus jedem beliebigen Gestein gewinnen zu können?«
»Keineswegs. Die meisten Gesteinsarten enthalten keines oder jedenfalls zu wenig. Es ist überhaupt nur mittels langwieriger und komplizierter Verfahren möglich, dieses in Frankreich sehr seltene goldhaltige Gestein zu erkennen.«
»Wie kommt es, wenn dieses Auffinden so schwierig ist, daß gerade Ihr als einziger in Frankreich Euch darauf versteht?«
In gereiztem Ton antwortete der Graf:
»Es ist eine Gabe, Herr Präsident, oder vielmehr eine Wissenschaft und ein mühseliges Handwerk. Ich könnte Euch ebensogut fragen, warum Lully zur Zeit der einzige in Frankreich ist, der Opern zu komponieren versteht, und warum Ihr es nicht auch tut, da doch jedermann die Tonkunst studieren kann.«
Der Präsident machte ein verärgertes Gesicht, wußte aber nichts zu erwidern. Einer der Richter
- es war das kleine Männchen mit den verschlagenen Zügen - hob die Hand.
»Ihr habt das Wort, Monsieur Bourié.«
»Ich möchte den Angeklagten fragen, Herr Präsident, wie es kommt, daß, falls Monsieur Peyrac tatsächlich ein Geheimverfahren entdeckt hat, um Gold und Silber zu mehren, dieser hochmögende Edelmann, der sich so viel auf seine Treue dem König gegenüber zugute tut, es nicht für nötig erachtet hat, dieses Geheimnis dem Herrn dieses Landes, Seiner Majestät dem König, zu offenbaren, was nicht nur seine Pflicht, sondern darüber hinaus ein Mittel gewesen wäre, das Volk, den dritten Stand und selbst den Adel von der erdrückenden Last der Steuern zu befreien?«
Ein zustimmendes Gemurmel lief durch die Zuschauerreihen. Jeder fühlte sich angesprochen und von einem persönlichen Groll gegen diesen hochmütigen und unverschämten Krüppel erfaßt, der seinen sagenhaften Reichtum hatte allein genießen wollen.
Angélique spürte, wie sich der Haß der Zuhörerschaft auf den von der Folterung gebrochenen Mann konzentrierte, der auf seinen beiden Stöcken vor Erschöpfung zu schwanken begann.
Zum erstenmal richtete Peyrac den Blick auf die Menge. Aber es kam der jungen Frau vor, als glitte dieser Blick in die Ferne und sähe niemand. »Fühlt er denn nicht, daß ich da bin und mit ihm leide?« dachte sie.
Der Graf schien zu zögern. Schließlich sagte er ruhig:
»Ich habe geschworen, Euch die volle Wahrheit zu sagen. Die Wahrheit ist, daß in diesem Königreich das persönliche Verdienst nicht nur nicht anerkannt, sondern daß es von einer Bande von Höflingen ausgebeutet wird, die nichts anderes im Sinne haben als ihr persönliches Interesse, ihren Ehrgeiz oder ihre Streitigkeiten. Unter solchen Umständen ist es für jemand, der wirklich etwas schaffen möchte, am besten, im Verborgenen zu bleiben und sein Werk durch Schweigen zu schützen. Denn >man soll die Perlen nicht vor die Säue werfen<.«