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Braun und runzlig, erinnerte es an eine eingeschrumpfte Mispelfrucht, umstanden von schneeweißem, vollem Haar in Büscheln toter Strähnen.
Ihre Augen blinzelten, während sie die Besucherin musterten.
Angélique fragte im Dialekt der Gegend:
»Bist du die Zauberin Melusine?«
»Ich bin’s. Was willst du, Mädchen?«
»Dir dieses bringen.«
Sie reichte der Alten ein Bündel, das Schnupftabak, ein Stück Schinken, einen kleinen Beutel Salz, einen weiteren mit Zucker, Schweineschmalz und eine mit Goldstücken gefüllte Börse enthielt.
Die Alte prüfte aufmerksam die Gaben, dann kehrte sie ihr den runden Rücken zu, der an den einer schwindsüchtigen Katze erinnerte, und verschwand in der Grotte.
Angélique folgte ihr.
Sie gelangte in einen runden, durch eine in der Decke befindliche, von Dornsträuchern geschützte Öffnung schwach erhellten Raum, dessen Fußboden mit Sand bedeckt war. Durch die Öffnung entwich der Rauch eines kleinen Feuers, über dessen Glut ein eiserner Kessel stand.
Die junge Frau setzte sich auf einen flachen Stein und wartete. Genauso war es gewesen, als sie damals die Zauberin Melusine um Rat gefragt hatte. Es war nicht dieselbe wie heute. Sie war noch älter und schwärzer gewesen, und sie war am Ast einer Eiche gestorben, von Bauern gehängt, die sie beschuldigten, ihre Kinder geopfert zu haben. Als man erfuhr, daß sich eine neue Zauberin in den Grotten von Hauts-de-Mère eingenistet habe, hatte man sie aus Gewohnheit Melusine genannt.
Woher kommen die Zauberinnen der Wälder? Welche Wege des Unheils und der Verwünschungen führen sie zu denselben Orten, wo sie sich mit dem Mond und den Pflanzen verbünden? Man behauptete, diese sei die in der geheimen Wissenschaft Erfahrenste und Gefährlichste, die jemals in diese Gegend verschlagen worden sei. Man erzählte auch, daß sie das Fieber durch Schlangensud, die Gicht durch die Salze der Asseln, die Taubheit mit Hilfe von Ameisenöl kuriere und daß sie gleichermaßen imstande sei, einen Dämon der ersten Legion Satans in eine Haselnuß zu bannen. Gab man sie einem Feind zu knacken, durfte man sich daran erfreuen, ihn bis zur Decke springen zu sehen, und wer sich solchem Verhängnis entziehen wollte, mußte wenigstens zur Kirche Notre Dame de la Pitié von Gâtines pilgern, deren Reliquienschrein ein Haar und einen Zehennagel der Jungfrau barg.
Junge Mädchen, die gesündigt hatten, kannten den Weg zu ihrem Schlupfwinkel genausogut wie Leute, denen das Warten auf den natürlichen Tod eines alten Erbonkels zu lange dauerte.
Angélique, die von solchen und anderen Mären gehört hatte, beobachtete interessiert das seltsame Wesen.
»Was willst du, Tochter?« fragte endlich die Alte mit ernster, wie geborsten klingender Stimme. »Willst du, daß ich dir dein Schicksal verrate? Willst du, daß ich dir helfe, Liebe zu gewinnen? Willst du, daß ich dir Tränke bereite, die dir deine durch lange Reisen erschütterte Gesundheit wiedergeben?«
»Was weißt du von meinen langen Reisen?« murmelte Angélique.
»Ich sehe Weite um dich und brennende Sonne. Gib mir deine Hand, ich will deine Zukunft lesen.«
Die junge Frau weigerte sich.
»Ich bin aus anderem Anlaß zu dir gekommen. Du, die alle Bewohner des Waldes kennt, wirst mir sagen können, wo sich die Männer verbergen, die zuweilen mit den Bauern der Weiler zusammentreffen, um ihre Kirchenlieder zu singen. Sie sind in Gefahr. Ich möchte sie warnen, aber ich kenne ihren Treffpunkt nicht.«
Die Zauberin richtete sich auf und bewegte erregt ihre knochigen Arme.
»Warum willst du die Gefahr von diesen Männern der Finsternis abwenden, du, die Tochter des Lichts? Laß nur die Raben über ihnen kreisen.«
»Du weißt also, wo sie sich verstecken?«
»Und ob ich es weiß! Wie sollte ich es nicht wissen, da sie die Zweige zerbrechen, meine Schlingen zerstören und meine Pflanzen zertreten? Wenn es so weiter geht, werden mir bald die Kräuter für meine Tränke fehlen. Es werden ihrer immer mehr. Sie schleichen wie die Wölfe, und wenn sie beisammen sind, machen sie sich ans Singen. Die Tiere haben Angst, die Vögel schweigen, und ich muß fliehen, weil ihre Lieder mich krank machen. Warum kommen diese Männer in den Wald?«
»Die Soldaten des Königs verfolgen sie.«
»Sie haben drei Anführer. Drei Jäger. Der Älteste ist auch der schwärzeste, und er ist hart wie Erz. Er ist der Anführer von allen. Er spricht wenig, aber wenn er spricht, mochte man meinen, er durchschnitte die Gurgel einer Hirschkuh mit seinem Dolch. Er spricht immer von Blut und vom Ewigen. Hör zu ...«
Sie beugte sich vor, so daß ihr Atem Angéliques Gesicht streifte.
»Hör zu, Kleine. Eines Abends beobachtete ich aus einem Versteck die versammelten Leute. Ich wollte sehen, verstehen, was sie da taten. Der Anführer stand unter einer Eiche und sprach. Er wandte den Blick in meine Richtung. Ich weiß nicht, ob er mich sah. Aber ich merkte, daß seine Augen aus Feuer waren, denn die meinen begannen zu brennen, und ich mußte fliehen, ich, die dem Wildschwein und dem Wolf ins Gesicht sieht. Da hast du seine Macht. Da siehst du, warum die andern nach seiner Pfeife tanzen. Er trägt einen großen Bart. Er ähnelt dem Bären Troussepoil, der in der Quelle sein blutiges Fell wusch, nachdem er die jungen Mädchen zerrissen hatte.«
»Das ist der Herzog de La Morinière«, sagte Angélique, ein Lächeln unterdrückend, »ein protestantischer Grandseigneur.«
Der Name schien Melusine nichts zu sagen. Sie blieb bei ihrem Troussepoil. Doch nach und nach hellte sich ihre Stimmung auf, ein Lächeln rührte sich um ihre grauen Lippen und entblößte schließlich das fast zahnlose Fleisch ihrer Kiefer. Die wenigen ihr verbliebenen Zähne waren kräftig und ziemlich weiß, als sei es ihre Gewohnheit, sie zu pflegen. Sie verliehen ihr einen seltsamen Ausdruck.
»Warum sollte ich dich nicht zu ihm führen«, meinte sie plötzlich. »Dich wird er nicht dazu bringen, deine Augen zu senken. Du bist schön, und er .«
Sie kicherte.
»Mann ist er, und Mann bleibt er«, murmelte sie spöttisch.
Angélique war weit entfernt davon, den rauhen Herzog de La Morinière, den man auch den Patriarchen nannte, auf die Wege der Verdammnis locken zu wollen. Ihre Erwartungen waren anderer Art. Und es war nötig, schnell zu handeln.
»Ich werd’ schon hingehen«, murmelte Melusine, die heiter schien. »Ich werd’ dich führen. Kleine, dein Schicksal ist schrecklich, gewaltsam und doch so schön . Gib mir deine Hand.«
Was las sie in ihren Linien? ... Sie stieß Angéliques Hand von sich, als traue sie ihren Augen nicht, in deren Staunen dennoch etwas wie ein Funkeln brennender Arglist verblieb.
»Du bist zu mir gekommen, du ... Du hast mir Salz und Tabak gebracht. Du bist meine Schwester, meine Tochter. Ah, deine Macht ist groß!«
Auch die einstige Zauberin hatte so zu dem Kind Angélique gesprochen, das ein wenig furchtsam auf dem gleichen Platz gesessen hatte; sie hatte die gleichen Worte benutzt, um ihre Verblüffung vor den Dingen auszudrücken, die um dieses junge Haupt geschrieben standen. Das Erschrecken und die Teilnahme der Zauberinnen hatten Angélique stets mit naivem Stolz erfüllt. Damals hatte sie die Gewißheit daraus gewonnen, daß sie eines Tages alles besitzen würde, was man sich nur wünschen konnte: Glück, Schönheit, Reichtum ... Und heute? Was erweckte dieses Versprechen der Macht heute in ihr, da sie längst wußte, daß man alles besitzen und dennoch nicht erfüllt sein konnte?
Sie betrachtete ihre Hand.
»Sag mir, sag mir noch, Melusine, werde ich über den König triumphieren? Werde ich seiner Verfolgung entkommen? Sag mir, werde ich meine Liebe wiederfinden?«
Diesmal war es die Zauberin, die sich entzog.
»Was könnte ich sagen, das du nicht schon im Grund deines Herzens weißt?«
»Willst du mir nicht verraten, was du gesehen hast, um mir nicht den Mut zu nehmen?«
»Komm, komm. Der Mann mit dem schwarzen Bart wird schon warten«, kicherte die andere.
Bevor sie aus der Grotte glitt, kramte sie ein Säckchen hervor und reichte es Angélique.
»Es sind Pflanzen. Weiche sie jeden Abend in heißem Wasser, setze sie den Mond aus und trinke davon bei Sonnenaufgang. Du wirst die Kraft deiner Glieder und deines Fleisches zurückgewinnen, und deine Brüste werden schwellen wie im Steigen der Milch. Aber es wird nicht die Milch sein, die sie spannen wird, sondern das Blut deiner Jugend .«
Sie gingen hintereinander, nachdem sie der Schlucht entstiegen waren. Die Zauberin folgte keinem Pfad. Sie erkannte die Fährten an unsichtbaren Zeichen.
Über den Zweigen verdüsterte sich der Himmel.
Angélique dachte an ihren Wächter Montadour. Würde er ihre Abwesenheit bemerken? Es war wenig wahrscheinlich. Er bestand darauf, sie jeden Morgen zu begrüßen, eine Maßnahme, die ihm die Herren de Marillac und de Solignac empfohlen hatten. Die Gefangene sollte nicht belästigt, aber auch nicht aus der täglichen Wachsamkeit entlassen werden. Der dik-ke Kapitän hätte offensichtlich nichts lieber getan, als dieser Verpflichtung häufiger nachzukommen, aber Angéliques stolze Haltung verwirrte ihn. Ihr eisiger Blick erstickte jeden Versuch zur Konversation oder zu Späßen schon im Keim. Sie sah ihn seine schwerfälligen Komplimente unterdrücken, verlegen an seinem roten Schnurrbart kauen und sich schließlich abwenden, indem er sagte, er werde sich nun an seine zweite Aufgabe, die Ketzerjagd, machen. Jeden Nachmittag kletterte er auf seinen stämmigen Apfelschimmel und galoppierte davon, von einer Schar Reiter begleitet, um einigen Bekehrungen in den umliegenden Dörfern beizuwohnen. Zuweilen brachte er einen besonders widerspenstigen Reformierten mit, um ihn sich selber vorzunehmen, und dann hallten die Gesinderäume des Schlosses von Stockschlägen und heiseren Schreien wider: »Schwöre ab! Schwöre ab!«
Wenn er hoffte, durch seinen Eifer für die Sache Gottes die Bewunderung der Marquise du Plessis zu erzwingen, täuschte sich der Kapitän Montadour schwer. Er begann ihr Abscheu einzuflößen. Vergeblich versuchte er, sie für seine Aufgabe zu interessieren. Aber als sie ihn an diesem Morgen von einem gewissen, aus Genf gekommenen Pastor hatte sprechen hören, den er dank seiner Spione am gleichen Abend im Schloß Grandhier würde festnehmen können, hatte sie doch aufgehorcht.