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Das Echo warf ihren Aufschrei zurück, und plötzlich fühlte sie sich verlassen, die Nerven vor Angst und ohnmächtigem Zorn verkrampft. Der Herzog hatte sich ihr genähert. Sie hörte sein schweres Atmen. Seine harte Hand fiel auf ihre Schulter und packte sie mit ihren Lederfingern. Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie wollte das Joch abschütteln und vermochte es nicht. Er war ihr gefährlich nahe, verstellte ihr das Licht. Keiner Regung fähig, blieb sie unbeweglich stehen und sog, fast schon betäubt, seinen Geruch ein: den Geruch eines Kriegers und Jägers.
»Was sagt Ihr?« murmelte er. »Ihr haßt uns? Was tut’s? Ihr werdet uns dennoch weiter helfen.«
Er beharrte darauf.
»Ihr werdet uns nicht verraten!«
»Ich habe niemals jemand verraten«, sagte sie stolz, ihre Tränen hinunterschluckend. Ihre Beine zitterten. Sie fürchtete, schwach zu werden und gegen ihn zu sinken. Sie straffte sich, um der Hand zu entgehen, die sie peinigte.
»Laßt mich«, sagte sie mit schwacher Stimme. »Ihr macht mir Angst.«
Der Schraubstock seiner Finger löste sich, und er zog langsam seine Hand zurück.
Angélique setzte sich wieder in Bewegung. Ihr Herz schlug. Sie hatte sich gefürchtet. Vor ihm, aber auch vor sich selbst. Gefürchtet, in jenen Schatten ohne Namen zu gleiten, den das Gehege des Waldes der Begierde öffnet. Bei Morgengrauen, das sich zuerst grau, dann rostfarben zwischen den Bäumen zeigte, gelangten sie zum Lager der Köhler. Angélique fror und zog ihren Umhang fröstelig um sich.
»Holla, ihr Burschen«, rief der Herzog, »habt ihr Brühe, Brot, Käse?«
In der geschwärzten Hütte eines von ihnen setzten sie sich auf wacklige Schemel vor einen Tisch, auf den die Frau eine Schüssel Milch stellte. Sie fügte einen Teller heißgemachter, mit Speck und Zwiebeln garnierter Bohnen hinzu. Die halbnackten und bis zu den Augen schwarzen Kinder beobachteten erstaunt die beiden schweigend essenden Besucher. Den Mann mit dem schwarzen Bart, die Frau mit dem goldenen, taufeuchten, auf die Schultern fallender Haar, die sie wie Spukgestalten der Nacht aus den Nebeln der Dämmerung hatten auftauchen und das Aschenfeld überqueren sehen.
Angélique streifte den Herzog mit einem verstohlenen Blick. Zweifellos fühlte sie sich von ihm angezogen, weil etwas an seiner kraftvollen, breitschultrigen Gestalt sie an Colin Paturel erinnerte. Aber Colin Paturel war Adam, der Mann des verlorenen Paradieses. Dieser da war der Mann des Sündenfalls, ein Verdammter der Hölle.
»Er ist bis zu Eurer Kammertür gekommen«, flüsterte ihr Bertille, die kleine Dienerin, zu, als sie nach Plessis zurückkehrte.
»Wer?«
»Gargantua! Er hat gekratzt, geklopft, gerufen ...
Aber Ihr habt nicht geantwortet.«
»Aus guten Gründen«, dachte sie.
Kapitän Montadour kam auch in der folgenden Nacht. Er rief:
»Marquise! Marquise!«
Seine Hände irrten über die Füllung der Tür, und sie hörte die Knöpfe, die seinen Uniformrock über dem Bauch zusammenhielten, über das Holz kratzen.
Sie lauschte, halb aufgerichtet, auf einen Ellbogen gestützt. Die keuchende Gier Montadours vor ihrer Tür verursachte ihr weniger Angst als Unruhe.
Er war es im Grunde, der Angst zu verspüren begann. Immerhin lauerte zuweilen des Nachts ein seltsames Schweigen hinter jener Tür, und es fehlte nicht viel, daß er an die Geschichten der Dienerschaft glaubte, in denen es hieß, ihre Herrin verwandele sich bei aufgehendem Mond in eine Hirschkuh, um die Wälder zu durchstreifen .
Die Äpfel röteten sich auf den Bäumen. Und plötzlich galoppierten die drei Brüder La Morinière durch die Provinz. Und von Tiffanges im Norden bis Mon-contour im Osten nahm die Verteidigungsbewegung der Protestanten unerwarteten Umfang an.
»Bleibt, wo Ihr seid«, schrieb Marillac dem Kapitän Montadour. »Die Region, in der Ihr Euch befindet, ist ohne Zweifel als Herd des Aufruhrs anzusehen. Versucht, die Anführer der Banden in Eure Hand zu bekommen.«
Und als Postscriptum fügte er hinzu:
»Überwacht genauestens die Person, die in Eurer Obhut steht. Die Unruhe wächst ständig, und sie ist möglicherweise nicht ganz unbeteiligt.«
Sodann stellte sich der Gouverneur der Provinz an die Spitze seiner Pikeniere. Vier protestantische Dörfer im Norden des Poitou, die lange einer regelrechten Belagerung durch die zu ihrer Besetzung kommandierten Soldaten widerstanden hatten, wurden in Brand gesteckt. Die Männer, die man ergriff, wurden gehängt. Die andern hatten sich davongemacht, um die von La Morinière rekrutierten Truppen zu verstärken. Frauen und Kinder trieb man auf die Straßen, nachdem eine sie betreffende Verordnung erlassen worden war: »Es ist verboten, die ketzerischen Frauen der Dörfer Noireterre, Pierrefitte, Quingé und Arbec mit Rat und Hilfe zu unterstützen. Weder dürfen sie aufgenommen noch verpflegt, noch darf ihnen Wasser oder Feuer gegeben noch sonst ein menschlicher Dienst erwiesen werden.«
Danach drangen die Truppen des Gouverneurs ins Innere des Poitou, um dort die protestantischen Banden zu verfolgen. Da sie wußten, daß es den drei Brüdern de La Morinière gelungen war, bedeutende Kräfte um sich zu sammeln, forderten sie die Unterstützung der Miliz von Bressuire. Diese vorwiegend protestantische Stadt stellte jedoch nur wenige Männer. Monsieur de Marillac erfuhr alsbald, daß sich die kleine Armee de La Morinières in das seiner Verteidiger entblößte Bressuire geworfen und die Waffenarsenale geplündert hatte.
Der Gouverneur hielt es für unter seiner Würde, die Stadt wieder einzunehmen. Er mochte sich noch nicht eingestehen, daß diese blutigen Scharmützel allmählich den Charakter eines Religionskriegs, wenn nicht gar eines Bürgerkriegs annahmen. Er kam nach Plessis, um Montadour zu konsultieren.
In den Ausläufern des Waldes von Nieul verborgen, konnten die Hugenotten die graue Schlange der Armee mit den dichten Gattern ihrer Piken über die römische Straße ziehen sehen.
Doch schon am folgenden Tage zogen sich die Truppen wieder zurück, nachdem sie den Dragonern Montadours einige Verstärkungen dagelassen hatten. Die Feindseligkeit selbst der katholischen Bevölkerung, die den Soldaten Brot und Wein verweigert und sie mit Steinwürfen empfangen hatte, beunruhigte den Gouverneur. Es schien unmöglich, die ganze Truppe in der Umgebung zu halten, ohne größere Unruhen zu riskieren. Infolgedessen führte er seine Soldaten bis hinter Poitiers zurück und reiste nach Paris, um mit dem Minister Louvois über die zu treffenden Maßnahmen zu sprechen.
Wie eine Wahnwitzige brach Angélique durch das Buschwerk, wütend an ihrem Umhang zerrend, um sich, ohne auf die ihr ins Gesicht peitschenden Zweige zu achten, aus der Verstrickung zu lösen.
»Ihr habt unsere Vereinbarungen gebrochen!« rief sie dem Herzog zu, sobald sie seiner ansichtig wurde.
Düster neben dem Stein der Feen stehend, schien er ihr hassenswert, die Verkörperung des Bösen. Und je mehr er ihr Angst einflößte, desto heftiger gab sie sich.
»Ihr habt mich getäuscht! Ihr habt das Bündnis mit den Katholiken gefordert, um sie desto leichter vernichten zu können. Ihr seid ein Mensch ohne Ehre.«
Sie verstummte, gelähmt, wie betäubt, und der runde Mond, der über den Wipfeln der Eichen am Rande der Lichtung schwamm, schien wie in wilden Sprüngen zu tanzen. Die Berührung mit dem Stein brachte sie wieder zu sich.
»Ihr habt mich geschlagen«, hauchte sie erstickt.
Er hatte seinen Handschuh ausgezogen und sie mit der nackten Hand ins Gesicht geschlagen.
»Ihr habt mich geschlagen!«
Ein grimmiges Lächeln erhellte die dunklen Züge des Patriarchen.
»So geht man mit unverschämten Frauen um. Niemals hat eine von ihnen gewagt, in solchem Ton mit mir zu sprechen.«
Die Demütigung ließ Angélique den einzigen Pfeil finden, der imstande war, die Selbstgerechtigkeit dieses Fanatikers zu durchdringen.
»Die Frauen? ... Glaubt mir, sie würden die Huldigungen Satans den Euren vorziehen!«
Sie bedauerte ihre Worte, als er sie brutal bei den Armen packte und heftig zu schütteln begann.
»Meine Huldigungen! ... Wer spricht von Huldigungen, gemeines Geschöpf der Sünde, unheilvolle Kreatur!«
Er preßte sie unbeherrscht an sich, und sein glühender Atem fegte über ihr Gesicht. Sie wußte nun, warum sie ihn immer gefürchtet hatte. Unbewußt hatte sie vorausgeahnt, daß er sie töten, daß sie von seiner Hand sterben würde. Er würde sie erwürgen oder erdolchen. Es würde ihm leichtfallen in diesem abgelegenen Winkel des Waldes, und der Opferstein war nahe.
Verzweifelt wehrte sie sich gegen seine Umarmung. Doch allmählich überwältigte sie die Kraft ihres Gegners, und ihre Furcht verlor sich in der aufquellenden Woge eines anderen Gefühls, aus dem das animalische Verlangen des Fleisches, blind und gierig, nicht ausgeschlossen war. Das erotische Fieber, das sich des Mannes bemächtigt zu haben schien, lähmte ihren Widerstand, unterminierte ihren Willen, ihm zu entkommen.
Sie lag auf dem Boden, die Kehle schmerzend vom keuchenden Atmen, die Augen vom Licht des Mondes geblendet, das voll auf ihrem Gesicht lag.
Ihre Bewegungen wurden matt und ziellos.