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». mein unvergeßliches Kind, hört nicht mehr auf die Narrheiten Eures Herzens. Kommt zu mir zurück, Angélique. In der äußersten Not, in der Ihr Euch befandet, habt Ihr mich durch den R. P. de Valombreuze um Vergebung gebeten. Um die Aufrichtigkeit Eurer Reue zu erproben, möchte ich ihr Bekenntnis von Euren eigenen Lippen hören. Man könnte Euch fürchten, schöne Angélique. So viele Kräfte schlummern in Euch, die die Feinde der meinen sind. Kommt und legt Eure Hände in meine Hände. Ich bin ein einsamer König, der auf Euch wartet. Alles wird Euch zurückgegeben werden, und ich werde nicht zulassen, daß Euch irgend jemand Schaden zufügt. Ihr werdet nichts zu fürchten haben, denn ich weiß, daß Ihr eine ebenso aufrichtige Freundin wie aufrichtige Feindin sein könnt .«
Er fuhr in dieser Weise fort, und es entging ihr nicht, daß er ihr weder zu schmeicheln noch sie heimlich in eine Falle zu locken suchte. Er schrieb ihr: »Ihr werdet meine Mätresse sein, und für Euch allein ermesse ich heute die ganze Bedeutung dieses Wortes. Ich vertraue auf Eure Loyalität, vertraut auf die meine ... Sprecht zu mir, ich werde Euch hören. Gehorcht mir, ich werde Euch gehorchen .«
Sie schloß die Augen, müde und besiegt. Sie hatte richtig gehandelt, als sie Molines’ Drängen gefolgt war. Morgen würde der Kampf gegen die Ungerechtigkeit beginnen. Sie würde alle ihre Kräfte darauf verwenden ...
Florimond trieb sich verloren unter den Bäumen der großen Allee umher und versuchte, mit seiner Schleuder Eichhörnchen zu treffen. Angélique verspürte Mitleid mit ihm und lief hinunter, um ihn zu trösten. Sie würde ihm vom König erzählen, würde vor seinen Augen den Titel glitzern lassen, die man ihm zurückgeben, die Ämter, die sie für ihn erlangen würde.
Doch als sie in den Garten gelangte, war Florimond verschwunden. Sie entdeckte nur Charles-Henri, der vom Ufer des Teichs aus die Schwäne betrachtete. Der weiße Satin seines Anzugs leuchtete nicht weniger als das Federkleid der schönen Vögel, und sein Haar hatte den gleichen schimmernden Goldton wie die Blätter der Weide über seinem Kopf.
Irgend etwas in der Haltung der drei in der Nähe des Ufers wartenden Schwäne beunruhigte Angélique. Sie wußte, daß diese Tiere sehr tückisch waren und daß sie Kinder ins Wasser zogen, um sie zu ertränken. Sie lief rasch hinzu und nahm ihn bei der Hand.
»Bleib nicht so nah am Wasser, mein Liebling! Die Schwäne sind böse.«
»Böse?« fragte er, indem er seine blauen Augen zu ihr hob. »Sie sind doch so schön, so weiß .«
Seine rundliche Hand lag sanft und vertrauensvoll in der ihren. Er ging mit kleinen Schritten neben ihr her, ohne den Blick von ihr zu wenden. Sie hatte immer geglaubt, daß er nur Philippe ähnlich sähe, doch Gontran hatte recht. In dem ihr zugewandten rosigen Gesichtchen erkannte sie etwas, das sie an Cantor erinnerte, eine zarte Linie, eine Rundung des Kinns, die auch einigen der Sancé-Kindern eigen gewesen war: Josselin, zum Beispiel, Gontran, Denis, Madelon, Jean-Marie .
»Aber auch du bist mein Sohn«, dachte sie, »auch du, mein kleiner, lieber Junge.«
Sie setzte sich auf eine der Marmorbänke und zog ihn auf ihre Knie. Während sie zärtlich über sein Haar strich, fragte sie ihn, ob er brav gewesen sei, ob er mit Florimond gespielt habe und ob er schon auf einem Esel reiten könne.
Er antwortete:
»Ja, Mutter. Ja, Mutter.« Seine Stimme klang bewegt und zart wie die einer Flöte.
War er dumm? Gewiß nicht. In seinem von dichten Wimpern beschatteten Blick lag der rätselhafte, leise melancholische Ausdruck, den sie von seinem Vater kannte. War er nicht, was Philippe einstmals gewesen war: ein kleiner, einsamer Herrensohn auf dem Besitz, den er eines Tages erben sollte? Sie drückte ihn an sich. Sie dachte an Cantor, den sie sowenig verzärtelt hatte und der nun tot war. Das Leben verstrich in den machtgierigen Intrigen der Erwachsenen, und sie hatte nicht einmal Zeit ge-habt, eine gute Mutter zu sein. Früher, als sie noch arm gewesen waren, hatte sie mit Florimond und Cantor in dem kleinen Haus der Freibürger gespielt. Seitdem hatte sie sich wenig um Charles-Henri gekümmert, und das war schlimm, denn sie vermochte die Liebe nicht zu verleugnen, die sie für Philippe empfunden hatte. Eine andere Liebe als die zu ihrem ersten Mann, aber dennoch eine Liebe, in der sich die Erfüllung eines Jugendtraums, der Triumph über eine geglückte schwierige Eroberung und eine aus den Gemeinsamkeiten ihrer Kindheit, ihrer Herkunft gewachsene geschwisterliche Bindung mischten.
Sie hob sein Kinn und küßte ihn zart auf die runde Wange.
»Ich liebe dich sehr, mein Kleiner, du weißt es .«
Er rührte sich nicht mehr als ein gefangener Vogel. Ein verwundertes Lächeln öffnete die Lippen über seinen kleinen weißen Zähnen.
Florimond tauchte zwischen den Bäumen auf und näherte sich den beiden, auf einem Bein hüpfend.
»Wißt ihr, Söhne, was wir morgen anfangen werden«, sagte Angélique. »Wir werden unser ältestes Jagdzeug anziehen und alle drei in den Wald gehen, um Krebse zu angeln.«
»Bravo! Bravissimo! Evviva la mamma!« schrie Florimond, dem Flipot Italienisch beibrachte.
Es wurde ein wunderschöner Tag, an dem die Bitterkeit der Gegenwart und die Drohungen der Zukunft außer Kraft gesetzt schienen. Über ihnen schloß sich die goldgelbe Stille des Waldes. Die Sonne bewohnte ihn, widerstrahlend im Rot der Eichen, im Purpur der Blutbuchen, in dem wie zum Strauß gebündelten Kupfer der Kastanien. Die Früchte der Kastanien fielen ins Moos, aufgeplatzte Hüllen, in deren Innern es seidig-dunkel glänzte.
Charles-Henri stand staunend vor diesem Reichtum und füllte sich mit ihm die Taschen seiner Hose aus rosafarbenem Tuch. Was würde Barbe dazu sagen? ... Trotz der Mahnungen Angéliques hatte sie ihn wie zu einer Promenade in den Tuilerien angezogen. Anfangs hatte er besorgt die grünlichen Flecken betrachtet, die seinen schönen Anzug beschmutzten. Als er jedoch sah, daß Angélique sich nicht darum kümmerte, faßte er sich ein Herz und versuchte sogar auf Bäume zu klettern: ein Paradies tat sich vor ihm auf, und es waren die Hände seiner Mutter, die es bewirkt hatten. Er hatte immer gewußt, daß sie das Geheimnis des ganz großen Glücks besaß, und deshalb betrachtete er so lange des Abends ihr Porträt.
Flipot und der Abbé de Lesdiguière hatten sie begleitet. Angélique empfand einigen Stolz, sich von Florimond und den jungen Leuten beobachtet zu wissen und ihre wachsende Bewunderung zu spüren, während sie sie über kaum sichtbare Pfade führte und ihnen die Geheimnisse der Bäche enthüllte. Für sie, die sie nur bei Hof gekannt hatten, war es ein so ungewöhnlicher Aspekt ihrer Persönlichkeit, daß sie nicht wußten, was sie davon denken sollten. Vom Fieber des Fischens erfaßt, beteiligten sie sich eifrig an dem neuen Spiel, planschten in den Wasserlöchern herum und belauerten, im Moos ausgestreckt, die zögernde Annäherung der Krebse an die versenkten, mit Aas geköderten Fangkörbe. Florimond ärgerte sich, daß es ihm nicht gelang, sie mit der Hand zu fangen, wie es Angélique mehrere Male vorgemacht hatte. Sie lachte über seine enttäuschte Miene, und ihr Herz weitete sich vor Freude bei dem Gedanken, daß sie die Achtung des Sohnes wiedergewann. Als sie eine Lichtung überquerten, begegneten sie der Zauberin Melusine. Die Alte tastete mit ihren hakenförmigen Fingern über den Boden und schien nach Pilzen zu suchen. Die vom leichten Wind erfaßten Blätter einer Blutbuche umwirbelten sie in einem fast rituellen Tanz, gleichsam den bösen Geist des Waldes ehrend, der sich in dieser schwarzen, verwachsenen, von schneeweißem Haar gekrönten Gestalt verkörperte.
Angélique rief sie an:
»He, Melusine!«
Die Alte richtete sich auf, um ihnen entgegenzusehen, aber statt sich von der Gegenwart jener besänftigen zu lassen, in der sie den ihrigen verwandte Kräfte erkannte, verzerrte ein Ausdruck des Schreckens ihre Züge.
Sie hob den mageren Arm, wie um sie aufzuhalten.
»Geh! Geh! Du bist eine verfluchte Mutter!«
Dann warf sie sich in die Büsche und entfloh. Mittlerweile hatte es zu regnen begonnen, und die kleine Gruppe flüchtete sich unter die schützende Platte des Steins der Feen. Im Innern des megalithi-schen Grabmonuments erlaubte es der trockene, von Fichtennadeln bedeckte Boden, sich zu setzen. In den Felsblock, der das äußerste Ende der Platte stützte, hatte ein tausendjähriger Meißel die Umrisse von Kornähren eingeritzt, Symbole des Reichtums.
Angeregt durch das nach Harz und Heidekraut duftende Halbdunkel, erklärte Florimond, daß es ihn an seine Expeditionen in Kellergewölbe und unterirdische Gange erinnere, nur daß es dort im allgemeinen weniger gut rieche.
»Ich mag unterirdische Gänge«, sagte er. »Das Geheimnis der Erde möchte ich kennen. All die Felsen, die sich bilden und schichten, ohne daß wir sie sehen können. Einmal bin ich in der Schule in die Keller hinuntergestiegen und habe mir mit der Hacke einen Gang gegraben. Ich bin auf den Fels gestoßen und habe seltene Proben gefunden .«
Er verlor sich in eine lange, ungereimte, mit allerlei lateinischen Namen und chemischen Formeln durchmengte Geschichte über diese Proben, mit denen er hatte experimentieren wollen, um explosible Gemische zu finden.
»Im Schullaboratorium sind mir wer weiß wie viele Retorten in die Luft geflogen, und ich bin deswegen bestraft worden. Aber ich versichere Euch, Mutter, daß ich um ein Haar einer wichtigen Entdeckung auf die Spur gekommen wäre, die die Wissenschaft hätte umwälzen können. Ich werd’s Euch erklären. Ihr allein könnt mich verstehen .«
»Und da behaupten nun diese Jesuiten, daß er nicht intelligent sei«, sagte Angélique, den Abbé de Lesdiguière zum Zeugen nehmend. »Man fragt sich, welchen Qualitäten sie ihren Ruf als Erzieher verdanken.«
»Florimond hat keinen Sinn für die klassischen Wissenschaften gezeigt. Das hat sie wohl enttäuscht.«
»Ist es ein Grund, eine Intelligenz zu ersticken, wenn sie nicht imstande sind, sie zu entfalten?« Sie wandte sich an Florimond. »Ich werde dich in Italien studieren lassen. An den Ufern des Mittelmeers kann man sich in allen Wissenschaften vervollkommnen. Die der Araber vor allem werden dem entsprechen, was du suchst. Das Wort >alchimie< ist arabisch. Auch in den aus China zu uns gedrungenen Geheimnissen wirst du viel entdecken.«
Und zum erstenmal erzählte sie ihnen von der Reise nach den Inseln der Levante.
Überglücklich schmiegte sich Charles-Henri an sie. Der auf die Blätter trommelnde Regen, der stoßweise kommende Wind, schafften um sie die Atmosphäre der See.
Danach sprach Angélique von ihrem Ungehorsam gegenüber dem König.
»Seine Majestät hatte mir verboten, Paris zu verlassen, und du weißt ja selbst, wie ich entwischt bin. Nun wird alles wieder in Ordnung kommen. Der König verzeiht mir. Er bittet mich, an den Hof zurückzukehren. Ich habe ihm durch Molines eine Botschaft geschickt. Bald werden die Soldaten, die uns beleidigt und gequält haben, bestraft werden, und die Ruhe wird wieder einkehren.«
Florimond hörte mit gespannter Aufmerksamkeit zu.
»Ihr seid also nicht mehr in Gefahr? Auch CharlesHenri nicht?«
»Nein«, erwiderte sie, während sie versuchte, die Trauer abzuschütteln, die trotz allem ihr Herz bedrängte. Sie würde ja ihren Söhnen die Sicherheit wiedergeben, auf die sie ein Recht hatten.
Das ist gut«, sagte er mit einem Seufzer der Erleichterung.
»Hast du keine Lust mehr fortzugehen?«
»Nein, nein, da Ihr sagt, daß alles in Ordnung kommen wird.«
Sie kehrten spät zurück. Barbe hatte sich bereits beunruhigt. In dieser Jahreszeit war es nicht mehr gut, im Wald spazierenzugehen; man konnte Wölfen begegnen. Sie war schon halbtot vor Angst. Und wie sah der Anzug des Kleinen aus! Der arme Liebling hielt sich kaum mehr auf den Beinen. Er war es nicht gewohnt, so spät zu Bett zu gehen.
»Beruhige dich«, sagte Angélique. »Dein Cherub hat sich mit Brombeeren vollgestopft und sich amüsiert wie ein Prinz. Er hat noch Zeit genug zum Schlafen. Die Nacht ist noch nicht zu Ende .«